Ver­wandt und doch so ver­schie­den

Der Austausch der islamischen und europäischen Welt in Kunst und ­Architektur wirkt befruchtend, ist aber auch geprägt von ­Feindseligkeiten. Unter dem Begriff des Orientalismus erreichte der Dialog im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Die gegenseitige ­Inspiration setzt sich bis heute fort.

Data di pubblicazione
13-09-2018
Revision
20-09-2018

Hundertfünfzig Jahre nach der Verwüstung, die dem Sturz der Safawiden-Dynastie folgte, hielt sich der französische Marineoffizier und Schriftsteller Pierre Loti in Persien auf. In seinem Reisebeschrieb «Vers Ispahan»,1 der 1904 in Paris erschien, machte er bei der Ankunft in Isfahan folgende Beobachtung: «… und ein Garten Eden enthüllt sich langsam unserem Blick. Im Vordergrund grüssen Wiesen mit weissen Blüten, die im Kontrast zur staubigen Monotonie der Wüste wie weisser Schnee das Auge blenden. Dann erscheint ein regelrechter Wald mit Pappeln, Weiden, Eichen und Platanen, bis man die blauen Kuppeln und die zahllosen blauen Minarette von Isfahan entdeckt! Es ist ein Hain und zugleich eine Stadt.»

Pierre Loti beschreibt den Eindruck einer typisch orientalischen Oasenstadt. Besiedeln im Orient entspricht nicht unseren Vorstellungen. «Urbar machen» in Europa heisst: roden, eine Lichtung schlagen, in der Gebäude als Einzelbauten oder in Reihen errichtet werden. «Urbar machen» im Orient bedeutet etwas anderes: anpflanzen, eine Oase anlegen, einen Ort bewohnbar machen, üblicherweise an einer Quelle oder in einem Wadi gelegen, in dem Höfe und Plätze aus einer weitgehend ungegliederten Bau­masse wie ausgestanzt wirken.

In der orientalischen Stadt bewegt man sich stets innerhalb eines be­bauten Raums, das heisst «in» einer oft überdeckten Strasse, im Hof eines Hauses, in einer Medrese, Karawanserei, Moschee, auch «in» einem Stadtplatz, den eine zusam­menhängende Umgebung begrenzt. Bestimmend für die traditionelle Stadt und die Architektur Persiens ist das fliessende Raumgefüge – in einer kunstvoll angelegten Folge von Übergängen, in der jedes Gebäude Teil eines harmonischen Ganzen ist.

Die Homogenität dieser Fläche drückt sich in erster Linie in der ununterbrochenen Dächerfolge aus, was sofort auffällt, wenn man von oben auf die Stadt schaut. So überdecken Bögen, Gewölbe oder Kuppeln die Strassen und Gassen, die sich wie unterirdische Gänge durch ein Stadtviertel schlängeln.2

Einflüsse von Ost nach West

Der französische Kaufmann Jean Chardin, der mehr als zehn Jahre lang in Isfahan lebte, schrieb um 1660, der Chahar Bagh in Isfahan (vgl. «Paradiesisches Abbild», TEC21 38/2018) sei die schönste Avenue, die er je gesehen habe: Acht Reihen von Platanen, zwischen denen Rosen und Jasmin wuchsen, waren auf der 50 m brei­ten Promenade verteilt. Die Bäume wurden in An­wesen­­heit von Schah Abbas I. gepflanzt, Gold- und Silber­münzen wurden als Dünger beigegeben. Die Kunde dieses spek­takulären Boulevards gelangte an den Hof ­Ludwigs XlV., der seinen Landschaftsarchitekten Le Nôtre mit der Neugestaltung der Jardins des Tui­le­­ries beauftragte. Als 1670 die Stadtmauer geschliffen wurde, konnte Le Nôtre seine Raumachse über die Grenzen des Gartens fortsetzen. Von Bäumen gesäumt prägt sie als Avenue des Champs-Elysées die Stadt bis heute.3

Eine detaillierte Zeichnung des französischen Malers Eugène Flandin aus dem Jahr 1851 gibt Aufschluss über das Innere des Vierzigsäulenpalasts. Der Grundriss des Pavillons reflektiert den persischen Einfallsreichtum – der freie Aussen- und der umschlossene Innenraum werden in eine so enge Beziehung miteinander gebracht, dass es schwer zu sagen ist, wo der eine beginnt und der andere endet. Die Eingangshalle ist nicht als Hohlraum im Innern einer Masse entstanden, sie wird durch raumdefinierende Elemente wie Platten, Stützen oder Massen begrenzt und architektonisch erlebbar gemacht. Dies entspricht dem Ideal der Raumvorstellung der Moderne, die in die westliche Architektur erst mit den Prairie Houses von Frank ­Lloyd Wright um 1910 oder 1951 mit Ludwig Mies van der Rohes Farnsworth House einzog.

Eine der grössten Leistungen des islamischen Mittelalters ist die Entwicklung des Basars zu einem im Stadtzentrum gelegenen geschlossenen Baukomplex. Geschäftszentren dieser Art gab es weder im alten ­Orient noch in der klassischen Antike oder im europäischen Mittelalter. Der Basar ist somit möglicherweise das einzige grundlegende Abgrenzungskriterium der orientalischen Stadt, das seine Wurzeln nicht schon im alten Orient hat und damit als eigenständiges islamisches Kulturerbe angesehen werden muss.4 Bauten wie der Basar-e Honar, ein langgestrecktes Raumgefüge, das regelmässig einfallende Lichtbündel erhellen und das den Charakter eines Innengangs mit beidseitig eingebauten «Schränken» hat, wurden zum Vorbild der französischen Passagen in Paris und Brüssel und der italienischen Gallerie in Mailand und Neapel, die sich unter ihren prachtvollen Glasdächern zu Kathedralen des Handels entwickelten.

Schahs und Architekten auf Bildungsreise

Naser al-Din Schah bereiste 1873 als erster persischer Monarch Europa. In der Folge erhielt Teheran einen Hauch europäischen Flairs durch ein der Victoria and Albert Hall in London ähnelndes Theater sowie durch eine Turmuhr im Stil des Big Ben. Auch das erste fünfstöckige Gebäude in Teheran, Shams ol-Emareh, das Naser al-Din Schah im Jahre 1861 im Golestanpalast errichten liess, zählt zu den frühen Bauten, bei denen man westliche Einflüsse an der Fassade erkennen kann: Doppelsäulen, Stützen, Bögen, Rundfenster und läng­liche Balkone. Diese Elemente gehen auf die Bauten von Andrea Palladio zurück, die persische Architekten allerdings nur aus Erzählungen und Postkarten kannten.

Rund 40 Jahre später, im Mai 1911, reiste Le Corbu­sier nach Prag, Wien, Budapest, Istanbul, Athen und Pisa. Die Entdeckung des Bautyps Moschee mit ihrer einfachen Geometrie erschloss ihm die Theorie der Moderne: «L’architecture est le jeu savant, correct et magnifique des volumes assemblés sous la lumière.»5 Le Corbusier reiste nicht nach Rom wie andere Architekten auf ihrer «Grand Tour» – er reiste in den Orient. Und auch Walter Gropius hielt sich 1907/1908 für fast ein Jahr zum Studium maurischer Kunst in Spanien auf. Beiden Architekten boten orienta­lische Kunst und Architektur ein lebenslanges Formen- und Ideenreservoir für die Raumgestaltung und Propor­tionslehre.

Mohsen Foroughi entwarf 1935 die Khane Bina. Er hatte an der Ecole des Beaux-Arts in Paris diplomiert und war massgeblich an der Gründung der Fakultät der Schönen Künste an der Universität Teheran beteiligt. Der Bau folgt den Prinzipien des Neuen Bauens: Licht, Luft, Sonne – und das in einem Land, in dem vorwiegend introvertierte Hofhäuser entstanden. Foroughis Haus verwirklicht das «befreite Wohnen». Doch im Innern sind Anklänge an iranische Bauten zu finden: so zum Beispiel in einer Art «Orsi-­Fenster» im Wohnraum, der wiederum stark an die Villa Turque erinnert, die Le Corbusier nach der ­Rückkehr von seiner «Voyage d’Orient» entworfen hat.

«Ich bin Maler»6

Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Ausstellung «Meisterwerke muhammedanischer Kunst» 1910 in München, die grossen Widerhall in der Malerei von Robert Delauney, August Macke, Edvard Munch, Wassily Kandinsky und Paul Klee fand. Diese Künstler waren nicht mehr an den exotischen Inhalten orientalischer Kunst interessiert, sie faszinierten die zweidimen­sionalen Miniaturen (vgl. «Paradiesisches Abbild», TEC21 38/2018), die ihren Bestrebungen für eine neue Malerei ent­sprachen. Danach sollte das Bild ein zweidimensionaler Gegenstand sein, und die Plastizität trat in den Hintergrund.7

Die Lehrer des Bauhauses waren von den Formen und Farben der islamischen Länder, ihren Bauten, Stoffen und Kunstgegenständen fasziniert. Dass sie sich intensiv mit den Prinzipien islamischer angewandter Kunst auseinandersetzten, machen die Experimente der Metallwerkstatt von Wilhelm Wagenfeld eindringlich deutlich. Die konsequente Entwicklung dieser Neuanfänge führte im 20. Jahrhundert schliesslich zur Ablösung des gegenständlichen Dekors. Durch den Umgang mit geometrischen Keramiken sowie Teppich­mustern der islamischen Welt gelang es den Vertretern des Bauhauses auf vielfältige Weise, ihre abstrakte Kunst im täglichen Leben zu entwickeln.

Neues Bauen aus erster Hand

Gabriel Guévrékian war einer der ersten Architekten, die um 1930 in den Iran zurückkamen. Der Iraner armenischer Abstammung hatte in Wien bei Oskar ­Strnad studiert und pflegte Freundschaften zu Josef Hoffmann und Adolf Loos. Er lebte in Paris, war mit Le Corbusier bekannt und Mitbegründer und erster Sekretär des Congrès internationaux d’Architecture Moderne (CIAM). Dank ihm und seinen Mitstreitern bekam der Iran die Moderne aus erster Hand vermittelt.

Das Neue Bauen in Europa entstand nach dem Ersten Weltkrieg und der Währungskrise, um die dramatische Wohnungsnot zu bewältigen. Doch der Iran war weder vom Krieg betroffen noch eine Industrie­nation. Vor diesem Hintergrund richtete sich das Neue Bauen an eine andere Klientel, an die Elite des Landes. Es wurde viel früher als in Europa zum in Inseraten und Artikeln propagierten Lifestyle. Die Oberschicht strebte eine Architektur nach europäischem Vorbild an. So wanderte die Frankfurter Küche, die Margarete Schütte-Lihotzky für den standardisierten Siedlungsbau entwickelte, in den Iran und befriedigte dort die Bedürfnisse einer anderen Gesellschaftsschicht.

Goldenes Zeitalter der Moderne

Die Bauwirtschaft im Iran entwickelte sich nach den Leitbildern der Moderne weiter, was am Ende der ­Pahlavi-Zeit zu einer unheilvollen Kombination von Investorenarchitektur im westlichen Stil und Ende der 1960er-Jahre – wie in Europa und den USA – zur Krise der modernen Architektur führte. Ausländische Planer halfen riesige städtebauliche Projekte zu entwickeln, zum Beispiel ein neues Stadtzentrum im Norden und die Siedlung Shahrak-e Ekbatan im Westen der Stadt, eine der grössten Wohnsiedlungen im Mittleren Osten. Sie griffen den International Style der amerikanisch-­europäischen Moderne auf, der suggerierte, dass die neue Architektur ohne Berücksichtigung klimatischer, geografischer und kultureller Bedingungen internatio­nal und von örtlichen Gegebenheiten abgetrennt sei.

Junge iranische Architekten suchten neue Wege, indem sie sich auf die Theorie von Robert Venturi und Denise Scott Brown bezogen. Das «Goldene Zeitalter der iranischen Moderne» begann: Bögen, Gewölbe, Kuppeln und wei­tere Elemente des traditionellen architektonischen ­Vokabulars wurden neu angewendet. Kamran Diba und Nader Ardalan fanden einen Ausweg aus dem Diktat der Moderne, indem sie auf «Komplexität und Widerspruch» der eigenen Architektur verwiesen.

Das weitläufige Museum für Zeitgenössische Kunst aus dem Jahr 1979 in der Hauptstadt zeichnet sich durch einen raffinierten Schnitt aus, der traditionelle Bauelemente der ­Wü­sten­gegenden wie Windtürme mit modernen Ele­­menten verbindet. Im Kontrast zum eher bescheidenen Äusseren verbindet eine grosszügige, zweigeschossige Eingangshalle das Strassenniveau mit der Ausstellung. Die Besucher gehen über eine Rampe zu den Ausstellungs­räumen, sodass sie das Gebäude vom Boden bis zum Dach durchwandern. Sie erfahren die verspielte Qualität der hügeligen Dachlandschaften in Wüstenstädten.

Iranisch-islamische Identität

Die Islamische Revolution ist eine Kulturrevolution. Die politischen und sozialen Umwälzungen von 1979 führten zu einem Bruch zwischen der Architektur vor und jener nach der Revolution: Gesellschaftliche, kulturelle, nationale und religiöse Ideale wurden neu betrachtet, und die Vorstellung, eine islamisch-iranische Identität zu schaffen, wurde zur Leitidee. Zudem verlief die iranische Revolution mit ihrem Bestreben zurück zu den Wurzeln parallel zur Architekturströmung der Post­moderne der 1980er-Jahre.

Die Bedeutung der Postmoderne kurz nach der Revolution veranschaulichen die frühen Arbeiten des Architekten Mohamad Reza Ghaneei. Sein Projekt für die Mensa der Universität in Yazd  zeigt, was der neue Staat unter «Verjüngung der islamischen Kultur» verstand: Säulen und auskragendes Dach verweisen auf den Vierzigsäulenpalast in Isfahan, den der Architekt äusserlich aufgreift, aber als «decorated shed» mit einem modernen inneren High­tech-Kern versieht.

Die heutige Architektengeneration

Die Garde der gestandenen Revolutionsarchitekten tritt langsam ab, und eine unabhängige junge Generation, die in der Architekturzeitschrift «Memar» ihr Forum gefunden hat, bestimmt die Szene (vgl. «Contemporary Iranian Architects I»). Wie immer beginnt das Neue im Kleinen. Einer der ersten Aufträge von Reza Danesh­mir und Catherine Spiridonoff von Fluid Motion Architects war, ein aufgrund der Einhaltung islamischer Gesetze unbenutzbares Schwimmbad in eine Möbel­galerie umzubauen: Nicht Form oder Textur des Ge­bäudes stand im Vordergrund, sondern die Art und Weise, wie sich die Architektur auf den Standort und ihre eigene Geschichte bezieht.

Bei ihrem Projekt für die Valiasr-Moschee in Teheran werden Ort, Raum und alles, was darin enthalten ist, zur dominanten Disziplin. Die Architekten schlugen vor, die Moschee als Teil der Stadtlandschaft zu entwickeln, die sich auf einer Seite auf den Park mit dem darin gelegenen Shar-Theater bezieht und auf der anderen Seite die städtische Struktur der Enqelab-Stras­se aufnimmt. Die Architekten setzen ihre Vorstellung der Stadtlandschaft durch, sodass die Moschee in der gleichen Höhe ausgeführt wird wie die angrenzenden Bauten und eine Balance zwischen niedrigen und hohen Bauten eingehalten werden konnte.

Architektur als existenzieller Halt

Im Sharifi-ha-Haus in Teheran verschmilzt Alireza Taghaboni das traditionelle nach innen gerichtete Hofhaus der Wüstenregionen, das aus einer Sommer- und Winterwohnung besteht, mit dem nach aussen gerichteten Terrassenhaus der Gebirgsregionen und der Wohnhäuser am Kaspischen Meer mit ihren Loggien und nach aussen gerichteten Balkonen. Vergleicht man das Sharifi-ha-Haus mit den traditionellen iranischen Häusern, findet man die wesentlichen Elemente der iranischen Wohntypologie wieder: den «hajat», den Wohnhof, das «biruni», den Empfangsbereich, das «andaruni», den Wohnbereich, und einen «houz-khaneh», den zentralen, unterirdischen Sommerwohnraum mit Wasserbecken. Auch die erwähnte Unter­teilung in Sommer- und Winterwohnung interpretiert Alireza Taghaboni unkonventionell: Auf drei Stock­werken entwickelte er Holzboxen, die im Sommer heraus­gedreht werden und auskragende Volumen mit breiten Sommerterrassen bilden, während sie in den kalten Winter­monaten geschlossen und mit minimalen Öffnungen in Erscheinung treten.

Mit ihrer mehr als fünftausendjährigen Ge­schich­te lässt sich die persische und iranische Archi­tektur nicht in das herkömmliche Denkschema Abendland – Morgenland oder gar in die heute so verbreitete Gegenüberstellung islamischer Fundamentalismus – westliche Demokratie pressen. Orient und Okzident sind in vieler Hinsicht miteinander verwandt. Dass Verwandtschaft nicht Gleichheit bedeutet, ver­steht sich von selbst.
 
Anmerkungen
1 Pierre Loti, Vers Ispahan. Ed. Calmann-­Lévy, Paris 1904.
2Thomas Meyer-Wieser, Architekturführer Iran: Teheran/Isfahan/Shiraz. DOM Publishers, Berlin 2016; vgl. TEC21 16/2017.
3 Thomas Meyer-Wieser, «Die Geometrie des Pittoresken». Vorlesung in der Reihe «Architektur und Landschaft», HSR Rapperswil 2003.
4 Eugen Wirth, Die orientalische Stadt im islamischen Vorderasien und ­­Nordafrika. Philipp von Zabern Verlag, Mainz 2000.
5 «Architektur ist das kunstvolle, korrekte und grossartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper.» Le Corbusier, Vers une Architecture. Collection de L’Esprit Nouveau, Paris 1923.
6 Paul Klee, Tagebücher 1898–1918, hrsg. von der Paul-Klee-Stiftung. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1988.
7 Annette Hagedorn, «Die Suche nach dem Orient», in: Markus Hattstein, Peter Delius (Hg.), Islam: Kunst und Architektur. Könemann, Köln 2000.


Iran: Reiseland und Wirtschaftspartner

Seit im Jahr 2013 der moderate Kleriker Hassan ­Rohani zum siebten Präsidenten der Islamischen Republik Iran gewählt wurde, hat sich das Land ­unter Europäern als eine gefragte Reisedestination etabliert. Die Iraner und Iranerinnen sind ausgesprochen gastfreundlich und offen gegenüber Fremden. Reisen abseits der Grenzen zu den Nachbar­ländern sind auch für Individualtouristen – von der Sprachbarriere ab­gesehen – nicht schwieriger oder unsicherer als in Südeuropa. In der Schweiz haben verschiedene Bildungsinstitutionen, Architektenverbände und Zeitschriften geführte Reisen mit dem Fokus auf Kultur und Architektur veranstaltet.

Der Iran verfügt über ein reiches kulturelles Erbe. Der Bogen der kultur- und kunst­historisch ­sehenswerten Orte spannt sich von der Zeit der altorientalischen Kulturen über die Antike und das reiche Persien. Die Unesco hat 17 historischen Stätten des Landes das Siegel Weltkulturerbe verliehen. Neben den altorientalischen und klassisch persischen Bauten gibt aber auch zahlreiche Gebäude aus der Moderne. Eine beacht­liche Anzahl sind unter Schah Pahlavi und seiner Frau Farah Diba von bekannten Architekten wie Frank Lloyd Wright, Jørn Utzon, Hans Hollein oder Gio Ponti entworfen und gebaut worden. Viele der Bauten sind mangels Ressourcen im Original­zustand erhalten und strahlen eine ­faszinierende Authentizität aus (vgl. «Bedrohte Moderne» und «Teheran im Winter»). Aber auch was zurzeit im Iran von jungen Architekten und Architektinnen gebaut wird, ist interessant und führt die wechselseitige Inspi­ration zwischen Orient und Okzident in die Gegenwart fort.

Mit seinen 80 Mio. Einwohnern ist der Iran auch ein wichtiger Wirtschaftspartner – das zeigt sich daran, dass kurz nach dem Ausstieg der USA aus dem Iran-Atom­abkommen China eine Bahnverbindung in den Iran eröffnete: Verglichen mit dem Seeweg zwischen China und dem Iran sparen Züge rund 20 Tage Zeit. Die «Neue Seidenstrasse» ist Teil eines gewaltigen Infrastruktursystems, mit dem sich China über Wirtschaftskorridore nach Europa und Afrika vernetzt. Auch die Schweiz intensiviert ihre Beziehungen zu dem Land mit der im Juli 2018 von Präsident Rohani und Bundesrat Schneider-­Ammann unterzeichneten Absichtserklärung zu Gesundheitswesen und Wissenschaft. (Danielle Fischer)

Der Iran in der Neuzeit
 

1501–1722: Safawiden, Beginn der Neuzeit und Entstehung einer Art von iranischem Nationalstaat.
1501–1512: Schah Isma‘il vertreibt die ­Turkmenen aus dem Iran; Zwölferschia wird Staatsreligion.
1587–1629: Herrschaft von Schah Abbas I.
1598: Isfahan wird Hauptstadt.
1638–1639: Die Osmanen erobern Bagdad. Friedensvertrag zwischen Osmanen und Safawiden.
1642–1666: Herrschaft von Schah Abbas II., Bau des Vierzigsäulenpalasts.
1669: Bau Hasht Behesht, Pavillon, Isfahan.
1722: Sturz der Safawiden durch die afghanischen Ghalzai und Verwüstung Isfahans.
 

1722–1794: Es folgen die Dynastien: Hotakiden/Afscharen/Zand.
 

1779–1924: Qajaren
1779–1896: Nach 15 Jahren Bürgerkrieg macht Aga Mohammed Khan Teheran zur Hauptstadt und einigt das Land.
1813: Ende des iranisch-russischen Kriegs. Der Kaukasus fällt an Russland.
1851: Mit dem Dar al-Fonun wird das erste Polytechnikum im Iran gegründet.
1873: Reise von Naser al-Din Schah nach Russland, Deutschland, England, Frankreich, Schweiz, Italien und nach Österreich zur Wiener Weltausstellung.
1906: Persien wird konstitutionelle Monarchie.
1921: Putsch unter Reza Khan, Offizier der Kosakenbrigade.
 

1925–1979: Dynastie Pahlavi; Goldenes Zeitalter der Moderne
1925: Das Parlament erhebt Reza Khan Pahlavi zum Schah. Beginn Industrialisierung und Förderung privater Investitionen.
Ab 1925: Infrastrukturbauten für die neue Gesellschaft, wie das Post- und Telegrafengebäude oder das Schah-Reza-Krankenhaus.
Ab 1930: Archäologische Funde führen zur Wiederentdeckung der «nationalen Identität» und Entwicklung eines persischen Nationalstils.
1933–1937: Gabriel Guévrékian, Mitbegründer des CIAM, wird Stadtplaner von Teheran.
1934/1935: Umbenennung des Landes von Persien zu Iran.
1935–1937: Einweihung Campus Universität Teheran und des Hauptbahnhofs, die durch die zeitgenössische deutsche und italienische Architektur beeinflusst sind.
1941: Grossbritannien und die Sowjet­union zwingen Reza Schah Pahlavi abzudanken. Sein Sohn Mohammad Reza wird zweiter Schah der Pahlavi-Dynastie.
1945: Ende des Zweiten Weltkriegs.
1945/1946: Irankrise durch die Weigerung Stalins, die sowjetischen Truppen vereinbarungsgemäss abzuziehen. Beginn des Kalten Kriegs.
Ab 1963: Teheran verwandelt sich zur «Global City» mit explosivem ­Wachstum, Beginn des «Goldenen Zeitalters» der iranischen Moderne.
1968: Erster Masterplan für Teheran.
1971: 2500-Jahr-Feier der Iranischen Monarchie in Persepolis.
1977–1979: Erste Anti-Schah-Demonstrationen und später 2 Mio. Protestierende veranlassen den Monarchen zur Flucht.
 

1979–2018: Islamische Republik Iran
1979: Ajatollah Khomeini proklamiert die Islamische Republik.
1980: «Säuberungsaktion», alle Universitäten werden geschlossen, die Elite emigriert ins Ausland.
1980–1988: Der Irak-Iran-Krieg ist einer der längsten und blutigsten Stellungskriege der neueren Geschichte.
1989–1997: Am Anfang der Amtszeit des Präsidenten Rafsandschani liegt das Land in Schutt und Asche.
1995: Verschärfung der wirtschaftlichen Situation, als US-Präsident Bill Clinton einen bis heute dauernden Handels- und Investitionsboykott durchsetzt.
1997–2005: Staatspräsident Chatami gilt als erster Reformer, da er seine Wahlkampagne auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie aufbaut.
2005–2013: Regierung Ahmadinedschad. Mit ihm ziehen die Radikalislamisten in die Teheraner Regierung ein. Erneute aussenpolitische Isolation.
2006: Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA fordert den Iran auf, sämtliche Aktivitäten zur Urananreicherung einzustellen.
2009: Proteste der Grünen Bewegung nach den Präsidentschaftswahlen, die dem bisherigen Amtsinhaber Ahmadine­dschad das Stimmenmehr einräumen.
Seit 2011: Bürgerkrieg in Syrien. Die Beteiligung der Bündnispartner Assads macht aus dem Kampf einen Stellvertreterkrieg zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien. Durch Beteiligung Russlands und der USA entsteht ein überregionaler Konflikt.
Seit 2013: Der neue Staatspräsident Rohani gilt im Iran als moderat.
2015: Nach jahrelangem Ringen wird im Atomstreit mit dem Iran eine Einigung erzielt.
2018: Die USA unter Donald Trump ziehen sich aus dem Atomabkommen zurück und verhängen erneut Sanktionen.

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