Kur­thea­ter Ba­den: Neu ge­dacht und aus­ta­riert

Das Kurtheater Baden von Lisbeth Sachs ist eine Schweizer Architekturikone der 1950er-Jahre. Der aktuelle Umbau von Boesch Architekten schenkt dem Gebäude nicht nur dringend notwendige Fläche, sondern bringt das Volumen durch präzise Eingriffe ins Gleichgewicht.

Publikationsdatum
18-06-2021

Widriger kann ein Projektstart kaum ablaufen: Nur einen Tag nach dem ­Ab­gabetermin der Wettbewerbsunterlagen für den Ersatzneubau des Kur­theaters Baden am 31. August 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus. Und turbulent ging es weiter: Zwar ging mit Lisbeth Sachs eine frisch diplomierte Architektin siegreich aus der Konkurrenz hervor, doch schon fünf Tage später standen die ersten Neider auf der Matte.

Eine «Gesellschaft selbständig praktizierender Architekten im Kanton Aargau» bezweifelte die Qualifikation der jungen Planerin – der Beginn von jahrelangen juristischen und politischen Auseinandersetzungen. Um ganz sicherzugehen, setzte man der Siegerin den Zweitplatzierten an die Seite: ­Architekt Otto Dorer stammte aus einer alteingesessenen Architektenfamilie und sollte Professionalität und Seriosität der Planung garantieren.

Dies, obwohl Lisbeth Sachs mit ihrem Studium bei Otto Rudolf Salvisberg sowie Praktika in Schweden und Finnland, u. a. bei Alvar Aalto, nicht nur eine exzellente Ausbildung, sondern auch eine Tätigkeit bei einem international anerkannten Meister seines Fachs vorweisen konnte.

Mehr zu Lisbeth Sachs’ Vita und Œuvre: «Lisbeth Sachs: Austausch zwischen den Disziplinen».

Ihr Entwurf «Bolero» für das Kurtheater, das ausschliesslich für den Sommerbetrieb gedacht war, beruhte auf einer genauen Analyse der Situation. Der in den 1870er-Jahren angelegte Kurpark liegt nördlich des Stadtzentrums und ist Teil des Kurbetriebs rund um die Badener Thermalbäder. Im südlichen Teil steht der 1875 erbaute Kursaal, in seiner Verlängerung stand das 1881 erbaute erste Kurtheater.

Sachs’ Entwurf unterschied sich von den anderen Projekten durch ein Element, das nicht dem konventionellen Theaterbau entsprach, aber der Lage im Park Tribut zollte: das später so genannte «Sachs-Foyer», einen zehneckigen, gläsernen Pavillon, der weit in den Park hineingreift und Innen und Aussen gleichsam miteinander verzahnt.

Im Innern zeichnete sich der Entwurf vor allem durch die virtuose «promenade architecturale» aus, mit der die Besucherinnen und Besucher via eine Vielzahl an differenzierten Räumen immer tiefer in das Theater hineingeleitet wurden, bis sie schliesslich im Zuschauerraum angelangten. Im März 1952, 13 Jahre nach Beginn der Planungen und etlichen öffentlichen Diskussionen um steigende Kosten und den richtigen Standort, wurde das Kurtheater Baden schliesslich eingeweiht.

2007: da capo

Rund 50 Jahre später wiederholte sich die Geschichte, zumindest in Teilen. Anfang der Nullerjahre standen die Instandsetzung und eine Erweiterung der über die Jahre sukzessive vergrösserten Spielstätte zur Diskussion. Tabu beim anvisierten Umbau war das inzwischen zum Markenzeichen des Theaters aufgestiegene «Sachs-Foyer». Laut Wettbewerbsprogramm galt es, dieses integral zu erhalten, obwohl der Bau zu diesem Zeitpunkt denkmalpflegerisch lediglich mit dem Status «erhaltenswert» inventarisiert war.

Die gesamte Chronologie des Kurtheaters Baden finden Sie hier: «Chronologie Kurtheater Baden».

Den Projektwettbewerb mit Präqualifikation gewann das Projekt «équilibre» von Boesch Architekten aus Zürich und damit just jener Entwurf, der als einziger das Sachs-Foyer in einer Art formalen Umarmung mit einem neuen Foyer über dem Haupt­eingang zu verknüpfen und mit einer Glasfassade zu überformen gedachte. Um den denkmalpflegerischen Zündstoff dieser Wahl zu entschärfen, bildete die Bauherrschaft eine Expertengruppe, die die Planungen begleiten sollte.

Da ein integraler Erhalt schon allein aufgrund von Alters­erscheinungen nicht möglich war – die Füsse der Stahlstützen waren durch eindringendes Wasser korrodiert, die Gläser mussten ebenso wie grosse Teile der Deckenbeplankung ausgetauscht werden –, befürwortete die Gruppe das Boesch-Projekt. Zunächst. Nach einem Planungsunterbruch brachte der Vertreter der Denkmalpflege seine Bedenken gegenüber der Überformung des Sachs-Foyers erneut vor und verlangte eine Projektänderung.

Die Bauherrschaft gab daraufhin ein Gutachten bei der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege in Auftrag, die diese Haltung stützte, was letztlich zu einer Überarbeitung des Wettbewerbsentwurfs führte. Rekurse eines Anwohners bis vors Bundes­gericht verzögerten die Planungen zusätzlich. Im Herbst 2020 konnte das erweiterte und erneuerte Kur­theater Baden dann aber nach zwei Jahren Bauzeit eröffnet werden. 13 Jahre liegen zwischen Wettbewerb und Einweihung – genau wie einst bei Lisbeth Sachs.

Auftritt: «équilibre»

Tatsächlich greift der Fokus der damaligen Diskussion allein auf das Foyer zu kurz, denn Boesch Architekten ist es gelungen, den gesamten Bau zu einem stimmigen Ganzen zu formen. Dies, obwohl neben etlichen neuen konstruktiven Anforderungen auch eine massive Erweiterung des Raumprogramms zu erfüllen war.

Das Kurtheater, ursprünglich als Sommerspielstätte konzipiert, verfügte weder über eine Hinterbühne noch über geräumige Betriebsräume, auch die Platzverhältnisse im Foyer waren knapp. Dies führte in der Vergangenheit zu punktuellen Vergrös­serungen. Diese Einzelinterventionen zerstörten Lisbeth Sachs’ kunstvoll komponierte «promenade architec­turale» und reichten doch nie aus.

Bei der aktuellen Instandsetzung inklusive Umbau galt es also, die Defizite hinsichtlich Bauphysik, Gebäudetechnik, Brandschutz, Erdbebensicherheit und Barrierefreiheit zu beheben und den zusätzlichen Raumbedürfnissen Rechnung zu tragen. Mit den rund 50 % an zusätzlicher Fläche lief der Bau allerdings Gefahr, sein ursprünglich fein austariertes formales (aber auch statisches) Gleichgewicht zu verlieren.

Der Titel des Wettbewerbsprojekts «équilibre» ist daher gleichermassen Versprechen und Programm. Im Nordwesten des Grundstücks ergänzten die Architekten das vierachsige Bühnenhaus um zwei weitere Achsen. Optisch wirkt das Volumen wie aus einem Guss. Die Betonrahmenkonstruktion des Anbaus, quasi die zeitgenössische Umsetzung der Bestandskonstruktion, folgt deren konstruktiver Logik.

Bei der Pièce de Résistance, dem Sachs-Foyer, gingen die Planer in die Tiefe. Sie ersetzten beschädigte Materialien wie die Holzpaneele in den Feldern des Deckensterns durch neue, durch Perforierung akustisch optimierte Ulmenpaneele. Gleichzeitig sollte aber so viel Bausubstanz wie möglich wiederverwendet werden. Bei den Paneelen konnte nur ein Element gerettet werden. Das Aluminiumdach wurde ebenso wie ein Teil der Unterkonstruktion erneuert, und auch der ikonische, bauzeitlich wirkende Leuchter ist eine Neuanfertigung.

Die Beispiele zeigen, dass der eingangs erwähnte ­«integrale Erhalt» nur bedingt als Definition für ein Bauvorhaben im Bestand taugt. Bei offenen Fragen konnten die Planerinnen und Planer teilweise auf die Originalpläne von Lisbeth Sachs zurückgreifen. Sie wurden während der Arbeiten im Estrich des Baus ­gefunden (der offizielle Nachlass liegt im gta Archiv an der ETH Zürich).

Von klein zu fein

Neben dem sehr feinsinnigen Umgang mit dem Bestand ist der eigentliche Clou des aktuellen Umbaus aber die Transformation des Bölsterli-Foyers von 1965. Aus Platzmangel an der Westfassade angefügt, zerstörte die Erweiterung den von Lisbeth Sachs einst differenziert gestalteten Eintritt ins Gebäude via Portikus. Das Foyer – der Name bezieht sich auf seine Architekten, das Büro Bölsterli & Weidmann aus Baden – bot mit seinen niedrigen Decken, den Spannteppichen und den für die damalige Zeit typischen aussen umlaufenden Pflanztrögen einen eher deprimierenden Raum­eindruck – kein Vergleich zum eleganten Sachs-Foyer.

Das Rezept der Architekten hierfür lautete Copy-and-paste und Erweiterung der Fläche durch das Spiegeln des Stahlbetontragwerks. So wurde der zuvor quadratische Raum in einen rechteckigen transformiert und die bestehende Fläche fast verdoppelt. Im erweiterten Anbau stecken die «Knochen» des Foyers von 1964: Die zwei alten Stützen wurden mit Beton ummantelt. Konisch vom Fuss zur Decke zunehmend, um im Foyergeschoss wieder konisch zum Dach abzunehmen, erhalten sie nicht nur eine gestalterisch stimmige Form, sondern erzeugen für diese Skelettkonstruktion eine statische Rahmenwirkung.

Der umlaufende Pflanztrog wurde übernommen und ist heute – mit der nach aussen verlegten Glashaut – eine innen umlaufende Sitzbank, die gleichzeitig den Lüftungskanal aufnimmt. Die gedrungene Raumhöhe im Eingangsbereich und im Foyer überspielten die Architekten mit einem geometrischen Relief der Deckenverkleidung. Statt eines grossen Foyers hat das Kurtheater nun zwei Juwelen.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 19/2021 «Virtuoses Bühnenspiel».

Eine Dokumentation des Baus inklusive historischer Pläne, der Wettbewerbsprojekte von 1939 und 2007 sowie aktueller Bilder gibt es hier.

Bauherrschaft: Theaterstiftung der Region Baden-Wettingen, vertreten durch die Stadt Baden

 

Bauherrenvertretung: conarenco, Zürich

 

Architektur: Elisabeth & Martin Boesch Architekten, Zürich

 

Projektmanagement: Hämmerle Partner, Zürich

 

Kostenplanung, Bauleitung: Jaeger Baumanagement Zürich

 

Tragkonstruktion: WaltGalmarini, Zürich

 

Landschaftsarchitektur: Hager Partner, Zürich

 

HLKS-Planung: Gruenberg + Partner, Zürich

 

Elektroplanung: HKG Engineering, Schlieren

 

Bühnenplanung: Planungsgruppe AB, Niederönz

 

Brandschutz: Basler & Hofmann, Zürich

 

Bauphysik: BWS, Winterthur

 

Akustik: applied acoustics, Gelterkinden

 

Signaletik: Bivgrafik, Zürich

 

Bausumme (inkl. MwSt., BKP 1–9): 34.5 Mio. Fr.

 

Gebäudevolumen SIA 416: 21 500 m2, davon Neubau ca. 8700 m2

 

Geschossfläche SIA 416: 5500 m2, davon Neubau ca. 2200 m2

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