Spar­sa­m­keit als Tu­gend

Hebelschulhaus Riehen – Tragkonstruktion

So reduziert im Material das Hebelschulhaus Riehen in den 1950er-Jahren erstellt wurde, so sparsam an Eingriffen ertüchtigten die Bauingenieure von Proplaning die bestehende Bausubstanz. Dafür waren allerdings durchdachte Konstruktionsideen erforderlich.

Data di pubblicazione
25-09-2015
Revision
19-05-2017

Das im Inventar der schützenswerten Bauten aufgeführte Hebelschulhaus in Riehen ist in seiner Bausubstanz von 1952/53 noch original erhalten. Seit der Inbetriebnahme erfuhr es nur geringfügige Veränderungen. Entsprechend erfüllte es in verschiedener Hinsicht die aktuellen Anforderungen bezüglich betrieblicher und bautechnischer Aspekte nicht mehr. Unlängst ist der Bau nun instand gesetzt worden.

Das Hochbauamt des Kantons Basel-Stadt plante nach rund 60-jähriger Nutzung eine Gesamtinstandsetzung aller historischer Trakte exklusive des 1994 erstellten Trakts A. Diese umfasste die energetische Ertüchtigung der Gebäudehülle, das Einfügen von neuen Erdbebenwänden, die Erfüllung verschiedener betrieblicher, behördlicher, akustischer und brandschutzspezifischer Auflagen sowie die Erneuerung der Gebäudetechnik.

Da allerdings im Trakt E (Turnhalle/Zeichensaal) auch tiefgreifende räumliche Veränderungen angedacht waren, schrieb die Bauherrschaft im Herbst 2009 ein offenes Planerwahlverfahren aus. Diesen konnten die Basler Architekten Thomas Thalhofer und Roula Moharram für sich entscheiden, in der Folge erhielten sie mit ihrem neu gegründeten Büro MET Architects auch den Auftrag für die Instandsetzung des Schulhauses.

Reduziert im Material, präzise im Eingriff

Die Bausubstanz ist gut erhalten. Ihre Tragkonstruktion wurde damals rationell gebaut, mancherorts ist sie geradezu filigran. Das Ingenieurbüro F. Riggenbach & J. Eger aus Pratteln liess das Gebäude in Massivbauweise mit dünnen und sparsam bewehrten Stahlbeton- bzw. Betonrippendecken, schlanken Fassadenstützen aus Stahlbeton und zweckmässigen Mauerwerkswänden erstellen. Das Untergeschoss wurde jeweils in Stahlbeton konstruiert und auf einer Bodenplatte mit Streifenfundamenten gegründet.

Die konstruktive Reduziertheit sozusagen als Markenzeichen des Schulhauses aufgreifend, liess das Fachplanerteam in Absprache mit der kantonalen Denkmalpflege auch die neuen Eingriffe und Veränderungen sparsam und entsprechend nur punktuell ausführen. Denn Ziel sämtlicher Baumassnahmen war es, die vorhandene Gebäudestruktur in ihrem Erscheinungsbild möglichst zu belassen.

Die Bauingenieure vom Basler Büro Proplaning waren verpflichtet, das gesamte Schulhaus auf Erdbeben bzw. ganz allgemein auf die heutzutage viel höher angesetzten horizontalen Einwirkungen zu ertüchtigen. In der Erdbebenzone 3a und als Bauwerksklasse BWK II wies die Tragkonstruktion auf dem vorliegenden Baugrund laut spezieller Mikrozonierungskarte Basel keine ausreichende minimale Erdbebensicherheit auf (≤ 0.25). Laut Merkblatt SIA 2018 ist die Erdbebensicherheit bei einer Restnutzungsdauer von 40 Jahren auf einen Ertüchtigungsgrad von eff = 0.72 auszulegen. Das bedeutete markante Eingriffe in die historische Bausubstanz. Verhältnismässigkeit und Zumutbarkeit der zu investierenden Kosten waren aufgrund des baukulturellen Werts des Schulhauses dennoch gegeben.

Proplaning griff für die statischen Bemessungen einerseits auf die vorhandenen Ingenieurpläne und die statische Berechnung von 1952, andererseits auf die Nutzungsvereinbarung von ZPF Ingenieure vom August 2009 (Vorstudie) zurück. Anspruchsvoll war die eigentliche Architektur: Die Schulhaustrakte weisen eine Glasfassade auf, in der keine Versteifungselemente vorhanden sind und keine eingebracht werden sollten. Die Ingenieure wussten aber die Anordnung der tragenden Bauteile zu nutzen. Ohnehin vorhandene oder neu eingezogene Wände aus Stahlbeton steifen das Gebäude gegen horizontale Lasten aus. So funktioniert der neue Lift im Trakt B als aussteifender Kern.

Die mittleren Dilatationsfugen in den Trakten wurden zudem aufgelöst und die Decken in diesen Bereichen miteinander verbunden. Schliesslich bestimmten die Ingenieure in den Erdgeschossen L-förmig angeordnete Mauerwerkswände, die in Stahlbetonwände umgemünzt werden sollten. Hier boten sich die wenigen, aber nutzbaren langen Korridorwände und die Trennwände zwischen den Klassenzimmern an.

Eine kluge Vorgehensweise, die allein schon von den Abmessungen der Mauerwerkswände von 25 cm Stärke gestützt wurde. Diese Wandstärke bot genügend Raum für die notwendige Bewehrung. Um die Betonwand in der gleichen Ebene verputzen zu können, brachte man auf die Schalung eine 20 mm dicke Sagexeinlage auf, die man nach dem Betonieren wieder entfernte. Es entstand eine raue zurückversetzte Oberfläche, die mit den angrenzenden Mauerwerkswänden zu einer einheitlichen Fläche verputzt werden konnte.

Die Erdbebenwände sind von der Dachkonstruktion bis ins Fundament durchgehend. Die Verankerung erfolgt mit in Kernbohrungen eingeklebten Bewehrungseisen in die bestehenden Streifenfundamente oder in die vorhandenen Stahlbetonwände des Untergeschosses. Diese Bohrungen aus dem Erdgeschoss minimierten die Eingriffe im Untergeschoss erheblich.

Von introvertiert zu extrovertiert

Neben den Erdbebenertüchtigungen der vier Schultrakte stand im Trakt E die räumliche Veränderung im Mittelpunkt der Instandsetzung – von der Turnhalle zur Aula. Ein Foyer und eine Bühnen- und Besuchergarderobe sollten integriert und zusätzliche Fluchttüren eingebaut werden.

Wo ursprünglich Umkleidekabinen platziert waren, befindet sich heute ein lichtdurchflutetes Foyer, das sich gegen die Terrasse hin mit raumhohen Schiebefenstern öffnen lässt. Diese räumliche Ausweitung akzentuiert die bestehende Verbindungsachse und macht die Terrasse zu einem zentralen Aufenthaltsort. Die ursprünglich tragende und mehrheitlich geschlossene Fassadenwand wurde durch eine Stützenreihe ersetzt, auf der ein Abfangträger als Unterzug liegt. Das statische Tragsystem des schlanken Foyerdachs blieb erhalten. Die tragende Fassadenwand erhielt ein neues Erscheinungsbild und fügt sich dennoch selbstverständlich in die neue Situation ein.

Der geschlossene Raum neben der Turnhalle – hier waren ursprünglich die Umkleidekabinen untergebracht – ist zum extrovertierten und hellen Foyer geworden. Hierfür musste allerdings die Aula um eine Fensterachse verkürzt werden. Den gewonnenen Raum nutzten MET Architects für Abstellräume und Toiletten. Die Aula ist so zwar gegenüber der Turnhalle etwas gedrungener geraten, doch tut ihr das ästhetisch und funktional keinen Abbruch. Der Innenraum erhielt ein Holzlamellenkleid, das die Raumakustik verbessert. Zusammen mit dem geölten Holzparkett und der Bühne mit den raumhohen schwarzen Vorhängen erzeugt es eine stimmungsvolle Atmosphäre.

Die Tragkonstruktion mit den trapezförmigen Trägern als Riegel, den typischen Rippendecken dazwischen und den vierkantigen Stützen musste nicht angepasst werden. Das Dach ist zwar, wie Jörg Paschke, projektierender Ingenieur von Proplaning, meint, «ohne Reserven bemessen und dimensioniert», doch die Ingenieure mussten im Zug der Umbauten keine Verstärkungsmassnahmen veranlassen. Allerdings könnte eine Erweiterung der PV-Anlage auf Trakt E nicht auf der gesamten Fläche angebracht, sondern nur bis zur Hälfte im Bereich der grössten Trägerhöhe montiert werden.

In die Substanz integrierte Tragelemente

Im Verlauf der Planung wurde entschieden, im Obergeschoss zusätzlich die Gemeindebibliothek unterzubringen. Der Trakt E erhielt somit eine öffentliche Funktion, die einen Liftanbau erforderte. Der neue Liftturm ist verklinkert und nimmt Bezug auf den Schornstein beim Trakt B. Eine freilaufende Treppe führt neu in den Bibliotheksraum im ersten Obergeschoss, der im Bereich des Treppenaufgangs rundum verglast ist. Die Glaswände machen den Raum zum eigenen Brandabschnitt und halten überdies den Blick über den gesamten Raum frei.

Das Planerteam realisierte die Bibliothek als vollständig entkernten Raum. Einzig vier Rundstützen (ROR 114.3 × 5.6) an den Eckpunkten der Innenverglasung reduzieren die Spannweiten. Sie ersetzen die ehemaligen Korridorwände an derselben Stelle. Um die Dachtragkonstruktion trotzdem beibehalten zu können, platzierten die Ingenieure zwei Unterzüge (HEB 200) entlang der ehemaligen Korridorwände bzw. durchgehend über die zwei Stützenpaare. Statt der vormaligen tragenden Wände leiten nun Abfangträger die Lasten ab, die einzig mit einem neuen Verteilriegel aus Beton auf den bestehenden Aussenwänden gelagert sind.

In der Ebene des Dachs war es komplizierter, die neue Tragkonstruktion zu integrieren. Denn einerseits mussten für die neue Lastabtragung parallel zur Rückwand noch zwei Verteilträger (HEB 180) eingebracht werden, und andererseits ist das Dach über der Bibliothek wie in der Aula schräg. Die Raumhöhe war an der hinteren Wand entsprechend niedrig.

Um die reduzierte Raumhöhe möglichst uneingeschränkt nutzen zu können, versenkten die Ingenieure die neuen Träger in die Ebene der bestehenden Dachkonstruktion. Dafür schnitten sie die historische Rippendecke partiell auf und legten die Verteilträger ein, ergänzt mit seitlichen Laschen als Konsolen für die durchtrennten Rippen. Eine entsprechend angeformte Gipskartondecke verdeckt diese «unruhige» Konstruktion und schützt sie zugleich im Brandfall.

Respektvoller Umgang mit der Substanz

Das Projekt zeigt exemplarisch auf, wie mit einem eingängigen architektonischen Konzept und mit grundlegend konventionellen Ingenieurleistungen ein historisches Bauwerk in die Gegenwart transferiert werden kann. Trotz der teilweise tiefen Eingriffe wirken die Veränderungen dezent und unauffällig. Sie fügen sich vielmehr passend in die Architektur des Hebelschulhauses ein.

Auch wenn vom integrierten neuen Tragwerk in den Innen- und Aussenräumen kaum etwas zu erkennen ist, ermöglicht es den räumlichen Wandel und die statische Ertüchtigung. Das Tragwerk hält sich zurück und überlässt der Architektur das Schauspiel. Das ist in diesem Fall richtig, denn es dient dem respektvollen Umgang mit der historischen Bausubstanz und bewahrt die architektonischen Qualitäten des Schulhauses.

Damit das Wissen um Oberflächen und Bauteile im täglichen Betrieb nicht verloren geht, erstellten die Architekten einen 350-seitigen Katalog mit den bei der Instandsetzung des Hebelschulhauses verwendeten Materialien, ihren Bezugsquellen und den für den Einbau verantwortlichen Unternehmern.

HLK-Planung: Amstein + Walthert Basel AG

Magazine

Articoli correlati