Ein Schau­la­ger für Krieg und Frie­den

Wie attraktiv und publikumsträchtig ist eine historische Waffensammlung? Der Kanton Solothurn wagt mit der Erneuerung des Zeughauses eine inhaltliche ­Auffrischung der Ausstellung. Das Resultat ist sehenswert.

Publikationsdatum
11-08-2017
Revision
14-08-2017

Eine Kanone ist eine Kanone ist eine Kanone. Oben das Laufrohr zum Abfeuern der Kugeln und unten die Lafette, ein Holzgestell für die Bodenhaftung. Anfänglich wurden schwere Eisenkugeln abgefeuert; später folgten explosive Projektile. Und seit Erfindung der Rückstossfederung erhöhte sich die Feuerkadenz. Die Kanone ist eine Kriegswaffe, um den Tod in die feindlichen Reihen zu bringen; ein ausgefeiltes Handwerk ermöglicht dies gefahrlos und effizient. Mehr als ein halbes Dutzend Geschütze aus eidgenössischer Vergangenheit sind im Alten Zeughaus von Solothurn aufgestellt. Gleich beim Eintritt ist der Besucher mit diesen historischen Waffen und den eigenen Vorurteilen über deren Zweck konfrontiert.

Eine Halbarte ist eine Halbarte ist eine Hal­barte. Die lange Holzstange hält Gegner auf sichere Distanz; die vorn angebrachte Rundklinge mit Hacken, Dorn und Spitze erlaubt wilde, verbissene Attacken. Die «Hellebar­de» gehörte zur Standardausrüstung der kriegerischen und tapferen Eidgenossen. Im Zeughaus lagern weit über 400 Stück, weil Solothurn lange Zeit die Söldnerhochburg der alten Orte war. Eine Vielzahl wird hinter den Kanonen an einer Waffenwand zur Schau gestellt. Die Exponate sind archivarisch durch­num­me­riert; die Fülle demonstriert, wie detailreich die Unterschiede sind. Ob stechen, hauen, schlagen oder reissen: Der Waffenschmied entschied mit seinen Ideen und sei­nem Geschick viele Auseinandersetzungen in jüngerer Neuzeit mit. Als der Büchsenmacher mit seinen Erzeugnissen die Kriegsschauplätze zu dominieren begann, waren viele Waffengattungen plötzlich nur noch Zier.

Spektakel durch Neubauten oder Inhalte?

Ist ein Zeughaus ein Zeughaus oder ein Museum? Tatsächlich ist der Kanton Solothurn im Besitz von Waffen, die das historische Erbe vieler Konflikte der letzten vier Jahrhunderte sind. Die Sammlung gilt als einzigartig in ganz Europa. Sie wird seit über hundert Jahren im Museum Altes Zeughaus präsentiert, mitten in der Solo­thurner Altstadt. Doch immer weniger konnten sich für einen Besuch der Ausstellung erwärmen. Das Publikum blieb auf Waffenliebhaber und militäraffine Kreise ­beschränkt. Letztes Jahr nun hat der Kanton Hülle und Inhalt des lokalen Wehrmuseums entstaubt.

In der Schweiz gibt es über 1000 Museen. Keines ist wie das andere; aber alle warten auf interessierte, neugierige Besucher. Die bekanntesten präsentieren bildende Kunst und locken Publikum aus nah und fern. Zur Positionierung werden jedoch schnell ändernde Inhalte benötigt; möglichst spektakuläre Neubauten machen zusätzlich auf sich aufmerksam (vgl. TEC21 45/2016). Der Aufwand, den die öffentliche Hand und private Mäzene dafür betreiben, ist enorm. Die Investi­tionen dienen ebenso dem Standortmarketing wie der Förderung von Kunst und Baukultur. Daraus ergeben sich bisweilen leider abgehoben wirkende Objekte, die den Bezug zur lokalen Umgebung und zum Ausstellungsinhalt vermissen lassen.

Den Hauptharst der inländischen Museumsvielfalt bilden jedoch Häuser, die orts- und sachkundig mehr oder weniger konstante Themen aus Volkskunde, Heimatgeschichte oder Naturwissenschaft vermitteln. Viele der nur lokal oder regional bekannten Museen in der Schweiz sind voll von herausragenden Exponaten, doch ihre Inszenierung leidet meist unter bescheidenen Ressourcen. Auch das Alte Zeughaus in Solothurn mit Baujahr 1614 war ein Sorgenkind.

Vermittlung mit Dialog und Reflexion

Vor rund zehn Jahren ordnete die Solothurner Kantonsregierung deshalb einen Neustart an. Die neue Strategie leitete man aus einer überarbeiteten Museumspolitik ab; zudem sollte das Zeughaus bekannter und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Aus der mutigen Idee, nicht nur Waffen zu präsentieren, sondern auch die Kontexte zu Technik, Historie und Politik darzustellen, entstand eine Ausstellung über Wesen und Sinn der Wehrhaftigkeit. Thematisch galt es, Bezüge zur Konfliktbewältigung und zum Söldnerwesen einzufügen und formal eine Vermittlungsebene für den Dialog und die Reflexion zu ergänzen.

Für die Erneuerung von Hülle und Inhalt wurden jeweils eigene Wettbewerbe durchgeführt. 2011 gewann das Basler Gestaltungsbüro element design den Studienauftrag für die Inszenierung der Dauerausstellung. Und wenig später erkor man das Architekturbüro Edelmann Krell aus Zürich als Sieger des selektiven Auswahlverfahrens für «Umbau und Sanierung» des wuchtigen Baus mitten in der Solo­thurner Altstadt. Bemerkenswert ist, dass beide Entwürfe unabhängig voneinander erarbeitet wurden und sich dennoch gut zusammenfügen.

Der Coup der baulichen Sanierung ist, auf äus­sere Applikationen am Gebäude zu verzichten und im Gegenzug dem Innenleben einen Neuling zuzumuten: Der Erschliessungsturm, der nun den hinteren Raumbereich über alle Etagen durchstösst, hat jedoch ein vertretbares Format und ist dem bestehenden, ebenso runden Aufgang an der Ostseite nachempfunden. Letzterer steht den Ausstellungsbesucher zur Verfügung; der Einbau besteht aus Treppe und Lift für den Transport der Exponate bis in den vierten Stock. Zusätzlich zur Logistik waren allerdings auch Statik und Technik aufzurüsten und den Anforderungen an ein zeitgemäs­ses Museum anzupassen.

Das Instandsetzen führte zu tief gehenden Eingriffen; teilweise wurde die inne­re Baustruktur aus Stützen und Decken sogar entkernt. Beim Wiedereinbau respektierte man das Ursprungsbild weitgehend: Um die Belastbarkeit zu erhöhen, ­wurden die bisherigen Stützen untereinander ausgetauscht. Und die Nivellierung der Böden ergab Zwischenräume, dank denen sich neue Leitungen und ­Kanäle versteckt in die Horizontale einbauen liessen (Kasten unten «Von der Steinzeit in die Gegenwart»).

Das Museum Altes Zeughaus wurde vor acht Jahren in das Schweizerische Inventar der Kulturgüter von natio­naler und regionaler Bedeutung aufgenommen. Den historischen Raumeindruck zu bewahren war ein zentrales denkmalpflegerisches Anliegen. Die Dauerausstellung erstreckt sich über drei Geschosse; darüber befindet sich Raum für Sonderveranstaltungen.

Multimedia in den Köpfen der Besucher

Jedes Geschoss umfasst einen einzigen, weiten und tiefen Raum. Mächtige Holzpfeiler tragen jeweils wuchtige Längsbalken, in einem grosszügigen Raster verteilt. Zu­sätz­liche Querrippen stützen die Zwischendecke oben ab. Unten präsentiert sich der Boden ebenso stattlich; die meisten der mittelgrossen, rotbraunen Tonplatten sind im Originalzustand erhalten. Die beiden oberen Ausstellungsgeschosse werden über zwei bis drei ­Gebäudeseiten natürlich belichtet. Die quadratisch ­gerasterten Fenster sind in Mauerbögen eingefasst und öffnen als Nischen Ausblicke auf die Stadt.

Auch die szeno­grafischen Interventionen nehmen die gedämpfte Ausstrahlung der Räume auf. Die Waffenwände und die in Reih und Glied posierenden Harnische passen sich dem ruhigen Innern in Dimension, Mate­ria­lisierung und Haptik bestens an. Zudem sind die Exponate so locker im Raum verteilt, dass man sich bei Interesse in sie vertiefen oder ungehindert davor passie­ren kann. An die Wand gehängt, in den Raum gestellt oder zum Berühren: Das Waffenarsenal ist jeweils ­objektbezogen ausgestellt und punktuell zwischen ­ausreichend bis ausführlich erklärt (vgl. «Auf Augenhöhe mit der Architektur»).

Das erste Obergeschoss weitet die Vermittlungsinhalte auf die Schweizer Wehr- und Konfliktgeschichte aus. Gestalterisch wird diese Ergänzung aber zum Bruch: Zwischen die Stützen sind drei begehbare Kammern gestellt, deren verspiegelte Aussenwände ein räumliches Vexierbild erzeugen. Die Kabinen schotten innere Themenwelten ab, die nun auch multimedial vermittelte Kommentare und Erklärungen enthalten. Man lernt, wie heftig die helvetischen Glaubenskriege unter katholischen und reformierten Ständen im 16. Jahrhundert geführt wurden. Ebenso erhellend sind die Informationen über das ebenso gewalttätige wie einträgliche Söldnerwesen.

Und auch die übrigen wehrgeschichtlichen Zusammenhänge oder Anekdoten regen zum Weiterdenken an. Medizinische Bulletins über Opfer, Ansichten von historischen Strassenschlachten oder Pläne zum militärisch motivierten Städtebau runden diese spannende, niemals heroisierende Wehrschau ab. Verschwiegen wird glücklicherweise wenig. Auch darf der Besucher interagieren und seinen persönlichen Lieblings-Friedensaktivisten verewigen. Die zurückhaltende Vermittlung drängt nichts auf. Viele Objekte und eine reduzierte Auswahl an Bildern und Kommentaren erzeugen ausreichend Multimedia im eigenen Kopf.

Die grosse Sorgfalt im Umgang mit dem Bestand prägt auch die Neuinszenierung der Tagsatzung von Stans von 1481. Damals schlichtete Niklaus von Flüe einen Streit unter den alten Orten, damit sich die Städte Solothurn und Freiburg dem eidgenössischen Bündnis anschliessen konnten. Das Puppenensemble steht seit 170 Jahren im Zeughaus und ist nun mit handgefärbten Wollstoffen neu eingekleidet worden. Und auch das Gebäudecurriculum findet Platz in der erneuerten Wehrausstellung. So sind die Gravuren im Gebälk, eine Hinterlassenschaft der Handwerker, oder Tierspuren in den Tonplatten ausführlich erklärt.

Das Museum Altes Zeughaus in Solothurn war bislang ein Schaulager mit einzigartiger Waffensammlung; neuerdings ist es ein modernes, anregendes Museum und Ausstellungsexponat zugleich.

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Hochbauamt Kanton Solothurn

Architektur
Edelmann Krell Architekten


Baumanagement
Anderegg Partner AG


Tragwerksplanung
Gruner Ingenieure AG, Olten


Holzbau
Makiol + Wiederkehr AG


Szenografie
element design, Basel


Kunstlichtgestaltung
mati AG Lichtgestaltung


Bauzeit
2014–2016


«Von der Steinzeit in die Gegenwart»

Historische Gebäude sind oft weniger robust, als sie erscheinen. Die Gesamtinstandsetzung hat das Museum Altes Zeughaus deshalb «von der Steinzeit in die Gegenwart» katapultiert – dieses Fazit des verantwortlichen Archi­tekten Oliver Krell bezieht sich vor allem auf die Statik und die funktionalen Ansprüche des historischen Gebäudes. Aussen ist nichts dazugekommen. Doch der bisherige Kulturgüterschutzbunker im ­Untergrund ist neu mit Serviceräumen wie WC und Garderobe belegt.

Die Gebäu­dehülle wurde an Dach, Fenstern und ­Türen energetisch erneuert; die Fassa­den­oberflächen sind erst vor wenigen Jahren aufgefrischt worden. Dem 403 Jahre alten Objekt ist deshalb kaum ­anzusehen, wie tief greifend Statik und Technik ertüchtigt worden sind. Selbst der neue Erschliessungsturm besitzt nur logistische Funktionen, aber keine strukturelle. Die Verbindung zwischen dem Betonkern und den Zwischengeschossen erfolgt lose, um die Gebäudeschwingung bei einem Erdbeben nicht zu stören. Der Raster und der Aufbau des Holztrag­werks zeigen sich im er­neuerten Zeughaus faktisch in Originalversion. Auch der Brandschutz ist denkmalpflegerisch eingeordnet: Anstatt die Holzbauteile feuerfest zu verkleiden, wurde eine Sprinkleranlage installiert.

Die Statik ist mit bestehenden Mitteln optimiert: Um eine Nutzlast von 3 kN/m2 zu garantieren, wurden die Stützen entsprechend ihrer Belast­bar­keit sortiert und untereinander aus­­ge­tauscht. Zusätzlich sind die Auf­lagestellen mit Be­­ton­unterzügen und Stahl­bändern verstärkt. Zur ­Gewichtsreduktion trug auch bei, dass man die Bodenplatten ab dem dritten Oberge­­schoss durch Holzriemen ersetzte. In den Aus­stellungs­räumen dar­unter wurden hingegen sämtliche Baumate­ria­­­lien nummeriert und tempo­rär entfernt. Der Aus- und Wiedereinbau der 30 000 ­Tonplatten, Boden­bretter, Stützen und Balken erfolgte im Legoprinzip.

Nicht nur vertikal, auch horizontal wurde baulich versteckt interveniert. Die alten Böden hingen durch; teilweise unterschied sich das Niveau von Rand bis Mitte um 40 cm. Allerdings entstand beim Aufdoppeln und Ausgleichen der Zwischenböden ein Hohlraum, der sich praktischerweise für die Feinverteilung der haustechnischen Installationen nutzen liess. Die Klimazentrale ist dezentral organisiert und auf jeweils beide Gebäudeseiten in die Dachwinkel verteilt. Der Steigschacht befindet sich derweil im neuen Erschliessungsturm. Das historische Museum wird erstmals automatisch belüftet und bei Bedarf klimatisiert, sodass die Exponate nun unter idealen Bedingungen (15 bis 27 °C, 40 bis 60 % Luftfeuchte) zur Schau gestellt sind.
(Paul Knüsel)

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