Nord und Süd, ri­ch­tung­sge­trennt

Der längste Strassentunnel der Alpen, der Gotthard, bekommt nach 40 Jahren eine zweite Röhre für zukünftig getrennten Richtungsverkehr. Doch die neuen 16.9 km Strassentunnel sind nur ein Teil dieses Gross­projekts. Die gesamten Ausbrüche werden an die 30 km betragen. 

Data di pubblicazione
29-03-2022

Schon bei der Planung des Gotthard-Strassentunnels in den 1970er-Jahren war sie angedacht: die zweite Röhre, um eine durchgängige, richtungsgetrennte Verkehrsführung der Autobahn A2 zu ­ermöglichen. Ihre Umsetzung scheiterte bisher an zahlreichen Widerständen, vor allem die 1994 angenommene «Volksinitiative zum Schutze des Alpengebiets vor dem Transitverkehr» verbannte das Projekt zu den Akten.

Nun kommt sie aber doch: Unter dem Kürzel 2TG wird die neue Röhre parallel zum bestehenden Tunnel verlaufen und etwa alle 250 m mittels Quer­verbindungen mit dem bestehenden Service- und In­frastrukturstollen (SISto) verbunden. Die heutigen Portale in Göschenen und Airolo, beim Bau des ersten Tunnels bereits für eine zweite Röhre konzipiert, bleiben erhalten. Die Tunnellänge wird knapp 17 km betragen, auch das neue Gotthard–Strassentunnelsystem wird also weiterhin Platz 4 der längsten Strassentunnel der Welt einnehmen. Vorher muss allerdings der SISto mitsamt seinen beiden Portalen gesamthaft auf einer Länge von ca. 700 m umgelegt werden.

Für Strasse und Strom

Das kreisförmige Normalprofil der 2TG weist einen zweischaligen Ausbau mit einer Regenschirmabdichtung auf und ist auf eine Fahrbahnbreite von 2 × 4 m (eine Fahrspur und ein Pannenstreifen) sowie auf eine lichte Höhe von 5 m ausgelegt. Darüber trennt eine Zwischendecke den Fahrraum vom Abluftkanal der Tunnellüftung ab. Unter der Fahrbahn befinden sich zwei Werkleitungskanäle (WELK), von denen einer der Versorgung der Tunnelbetriebs- und Sicherheitsausrüstung (BSA) dient. Der zweite WELK wird der Swissgrid zur Verfügung gestellt, die darin eine Starkstrom-Transitleitung verlegen will, die die heutige Frei­leitung über den Gotthardpass ersetzen wird.

Das Lüftungssystem der 2TG funktioniert als Längslüftung mit einer punktuellen Frischluftzufuhr. Für Letztere entstehen fünf neue ­unterirdische Lüftungszentralen: Bäz­berg, Hospental, Guspisbach, Monte Prosa und Motto di Dentro. Die Zentralen sind an die bereits bestehenden Lüftungsschächte des heutigen Gotthard-Strassentunnels oder am neuen Zugangsstollen Süd, der für die Durchörterung einer Störzone aufgefahren wird, angeschlossen.

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In 20 Überfirstungen oberhalb der Fahrbahn sind Strahlventilatoren platziert. Sie sorgen für eine ausreichende Strömungsgeschwindigkeit der Luft in Längsrichtung. Über regelmässig angeordnete Klappen in der Zwischendecke werden die Tunnelabluft und im Ereignisfall allfällige Brandgasse abgesaugt. Sie gelangen über die bestehenden Lüftungsschächte oder die neuen Portalzentralen in Göschenen und Airolo ins Freie.

Frontaler Vortrieb, Störzonen von der Seite

Zwei Schild-Tunnelbohrmaschinen (TBM-S) von ca. 12.3 m Durchmesser werden ab dem Nord- und dem Südportal das Gestein durchörtern. Das Auffahren des Tunnels mittels Schildvortrieb bietet Vorteile beim Schutz der Arbeiter, vor allem im nicht standhaften oder verwitterten Gestein: Der Ausbruch erfolgt im Schutz des Schilds, einer ringförmigen Stahlkonstruktion, die die TBM zum Fels hin abschirmt. Hinter dem Bohrkopf setzen die Mineure Tübbinge zur Sicherung des frisch gebohrten Tunnels ein. Verbleibende Hohlräume zwischen den Tübbingen und dem Ausbruchsquerschnitt werden mit Kies verpresst. Das kreisrunde Profil des Tübbingausbaus ist noch nicht dicht gegen Bergwasser. Die Abdichtung liegt erst zwischen den Tübbingen und der später sichtbaren Tunnelverkleidung aus Ortbeton.

Die Startstrecken im Portalbereich werden konventionell im Sprengverfahren oder mechanisch mittels Hydraulikhammer ausgebrochen, bevor die montierten TBM-S den Vortrieb übernehmen. Eine Bohrpfahlwand sichert den kurzen Voreinschnitt, von dem aus der bergmännische Vortrieb des Strassentunnels startet.

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Zwei bekannte Störzonen im Gestein – «Nord» und «Süd» – erhöhen den Aufwand der Durchörterung beträchtlich. Um Komplikationen bei ihrer Durchörterung zu vermeiden – beispielsweise könnte sich hier die ­Tunnelbohrmaschine verklemmen, was zu grossen Bauzeitverzögerungen führen könnte –, bohren die Mineure eigene Zugangsstollen mit etwa 7 m Durchmesser von Göschenen und Airolo aus. Die Tunnelbohrmaschinen arbeiten sich neben dem späteren Strassentunnel in Richtung der Störzonen vor. 4.1 km und 5 km etwa werden diese Zugangsstollen lang sein.

Vor dem Erreichen des problematischen Gesteins werden die Tunnelbohr­maschinen des Zugangsstollens abgebaut, sodass die eigentliche Störzone konventionell ausgebrochen wird. Dies führt zu Vorteilen bei der Bauzeit. Die grossen Tunnelbohrmaschinen des Strassentunnels mit ihren Durchmessern von 12.3 m werden den Bereich der ­Störzonen erst erreichen, wenn diese schon durchörtert und gesichert sind. Der Hauptvortrieb muss sich daher nicht mit diesen bekannten Problemen abgeben, sodass unvorhergesehene Verzögerungen ausgeschlossen sein sollten.

Der lange Weg zur zweiten Röhre


Juni 2012: Der Bundesrat entscheidet sich für die Variante «Bau einer zweiten Tunnelröhre (2TG) mit anschliessender Sanierung der bestehenden Röhre ohne Kapazitätserweiterung».


2013 bis 2016: Ausarbeitung des Generellen
Projekts (GP)


28.2.2016: Das Stimmvolk stimmt dem Bau der zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels zu.


März 2016–Dezember 2017: Erarbeitung des Ausführungsprojekts (AP) mit anschliessender Projektauflage


17.10.2017: Genehmigung GP durch Bundesrat


10.12.2019: Das Plangenehmigungsverfahren kann mit der Erlangung der Plangenehmigungsverfügung erfolgreich abgeschlossen werden.


29. 9.2021: Der offizielle Spatenstich findet auf den Baustellen in Göschenen und Airolo statt.

Material: verbauen und versenken

Etwa 7.3 Mio. t Ausbruchmaterial, vorwiegend Gneise und Granite, fallen bei dem Projekt insgesamt an. 1.6 Mio. t hiervon stehen zu Gesteinskörnungen verarbeitet für die Betonherstellung zur Verfügung. Dies deckt den Bau der Ausbruchssicherungen und der Tunnelinnenschale ab. Diese Materialaufbereitung, auch für die Seite Göschenen, erfolgt in der Anlage Stalvedro, südlich von Airolo. Der Beton für die nördliche Seite wird allerdings erst in Göschenen erzeugt. Vom Zugangsstollen zur Störzone Nord zweigt eine unterirdische Kaverne ab, die das Betonwerk aufnimmt. Über einen knapp 300 m langen Transportstollen ist diese Kaverne auch an den neuen Strassentunnel angeschlossen. Dies schafft Platz auf dem Installations­platz. Ein weitere, etwa 250 m lange Verbindung entsteht zwischen der Betonkaverne und bestehenden, früher von der armasuisse genutzten Kavernen. Sie dienen der Unternehmung für die Logistik.

Ein grosser Teil, nämlich 2 Mio. t Gestein, verbleibt in Airolo selbst und wird im Zuge land­schaftsgestalterischer Aufwertungen als Schüttmaterial verwendet. Die heutige südliche Tunnelzufahrt ver­schwindet zukünftig unter einem parkähnlichen Areal. Wurde mit dem Bau der ersten Röhre zwischen 1970 und 1980 der Talboden von Airolo weggenommen, holt man sich ihn mit der Umsetzung der zweiten ­Röhre wieder zurück, was eine bestechende Argu­mentation für die Umgestaltung ist. Einher geht dies auch mit einer Neugestaltung des Autobahnabschlusses Airolo.

Die ausführliche Version dieses Artikels findet sich in TEC21 9/2022 «Der Längste mal zwei».

Bauherrschaft
Astra, Filiale Bellinzona
 

Planung Tunnel
IG Nuovo Gottardo: Lombardi, Bellinzona-Giubiasco; B + S, Bern; ILF Beratende Ingenieure, Zürich; Emch + Berger, Bern


Planung Vorarbeiten Airolo
Consorzio Airö: Pini Swiss Engineers, Lugano; Project Partners Consulting Engineers, Montagnola; Studio d’ingegneria Giorgio Masotti, Bellinzona; Studio Gendotti, Airolo


Planung Anschluss Airolo
Consorzio Raviròi: Spataro Petoud Partner, Bellinzona; Locher Ingenieure, Zürich; Anastasi & Partners, Locarno; Lombardi, Bellinzona-Giubiasco; dsp Ingenieure + Planer, Uster


Geologie
CSD Ingenieure, Zürich


Unterkünfte Göschenen
Swiss Property, Zürich


Steinschlagschutz Nord
ARGE Gotthard Ticino: Ennio Ferrari, Lodrino; Rigassi & Pinchetti, Lodrino; Filippi, Airolo


Planung Elektromechanik und Lüftung
Consorzio IG ILBP BSA: IM Maggia Engineering, Locarno; Basler & Hofmann, Esslingen; Lombardi, Bellinzona-Giubiasco; AFRY Svizzera, Zürich


Planung Eisenbahn
Consorzio2TGxFFS: Afry Schweiz, Zürich; Marcionelli & Winkler + Partner, Bellinzona; Comal.ch, Morbio inferiore


Bauherrenunterstützung
IG Duo: EBP Schweiz, Zürich; Filippini & Partner Ingegneria, Biasca; Neuenschwander Consulting Engineers, Bellinzona; Ingegneria Crugnola, Tenero-Contra; Bachofner & Partner, Zürich


Örtliche Bauleitung Süd
Consorzio DL-Bedrina: Pini Swiss Engineers, Lugano; Renzo Tarchini Cantieri & Contratti, Lugano; Afry Schweiz, Zürich


Örtliche Bauleitung Nord
IUB Engineering, Bern; Basler &Hofmann, Esslingen; Gähler und Partner, Ennet­baden; IM Maggia Engineering, Locarno; Studio Ingegneria Sciarini, Gambarogno


Umweltbaubegleitung
Consorzio ENV2TG: IFEC Ingegneria, Rivera; Afry Schweiz, Zürich


Spezialist Erschütterungen
Basler & Hofmann, Esslingen


Spezialisten Lüftung
IG expert: eyeBq engineering & consulting, Zürich; Riess Ingenieur, Zürich


Spezialisten Verkehr
INGE Gotthard 2.0: Rudolf Keller + Partner Verkehrsingenieure, Muttenz; Rapp, Basel; Transoptima, Olten; Bonalumi Ferrari Partner, Giubiasco


Architektur
Consorzio GCA-2TG: Guscetti studio d’architettura, Minusio; Cattaneo Birindelli Architetti Associati, Balerna; Officina del paesaggio arch. Sophie A. Ambroise, Lugano


Vermessung Bauherren
IG GRI-GI: Grunder Ingenieure, Burgdorf; Giudicetti e Baumann, Roveredo


Unternehmung (Zugansstollen Süd)
Consorzio Cunicolo Gottardo (CCG) Lotto 343: Marti Tunnel, Moosseedorf; Mancini & Marti, Castione; Ennio Ferrari, Lodrino


Unternehmung (Zugansstollen Nord)
ARGE secondo tubo: Implenia, Zürich; webuild, Mailand; csc costruzioni, Lugano; Frutiger, Thun


Unternehmung (Verlegung SISto Süd)
Consorzio Albinengo: Matteo Muttoni Costruzioni, Bellinzona; Impresa Costruzioni Pervangher di Fernando Pervangher, Airolo


Unternehmung Deponien
Ennio Ferrari, Lodrino


Unternehmung (Verlegung SISto Nord)
Implenia Schweiz, Zürich


Weitere Beteiligte
Mancini & Marti, Bellinzona; Consorzio Lucendro: Sersa Group, Zürich; Fratelli Censi, Grono; Ennio Ferrari, Lodrino; Edilstrada, Bellinzona; Consorzio NUBE: Edilstrada, Bellinzona; Impresa Luigi Notari, Mailand; Ugo Bassi, Lugano; ARGE Elektro Secondo tubo San Gottardo: InfraTech, Stans; MB Systembau, Emmen; Azienda elettrica ticinese, Monte Carasso; Filippi, Airolo; BL Silobau, Gossau; Strabag, Schlieren; Consorzio Lucendro: Sersa Group, Zürich; Fratelli Censi, Grono; Ennio Ferrari, Lodrino; Edilstrada, Bellinzona; Elektrizitätswerk Altdorf, Altdorf; Mauchle Stahlbau, Sursee; Kalbermatter, Wassen

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