Im Vorgarten des Hauptbahnhofs
Im und neben dem Gleisfeld zwischen Zürcher City und Altstetten wird permanent gebaut. Weil jede Veränderung ökologisch ausgeglichen werden muss, wird der Platz langsam knapp. Nun weichen Pflanzen und Tiere auf benachbarte Dächer aus.
Die Länge beträgt rund 3.5 km, und die Breite schwankt zwischen 30 und 300 m. Teilweise ziehen sich über 30 Schienenstränge nebeneinander von Zürich HB zum S-Bahnhof Altstetten. Und über das riesige, fast 1 km² grosse Gleisfeld lässt sich ein Bewertungsraster legen aus fast 2000 Maschen. Diese sind jeweils gleich gross, aber unterschiedlich eingefärbt. Dunkelgelb, Orange und Rot signalisieren: Hier wurzeln Pflanzen und leben Tiere zwischen den Schienen, die sonst in der Stadt kaum mehr anzutreffen sind.
Etwa ein Sechstel des Zürcher Vorbahnhofs ist ein Habitat für Arten, die mit wenig auszukommen wissen; darunter vor allem kleine, unauffällige und teilweise nur nachtaktive, wie Insekten oder Amphibien. Eine davon ist die kaum 5 cm grosse Gelbbauchunke, die sich in eher zufällig entstandenen Tümpeln am Rand des Gleisfelds niedergelassen hatte.
Einige Standorte kamen beim Bau der Durchmesserlinie hinzu (vgl. TEC 48/2012). Sieben Jahre danach hat die Population bestens davon profitiert. «Über 150 Individuen leben nun im Gleisfeld», weiss Karin Sartori. Im Auftrag der SBB haben sie und weitere Spezialisten letztes Jahr das gesamte Schienenfeld vom Hauptbahnhof bis nach Altstetten nach wertvoller Flora und Fauna abgesucht. Ihre Funde verblüffen, weil ein Vergleich mit dem Zustand vor über 25 Jahren möglich ist. «Damals und heute ist der ökologische Wert des Raums fast gleich hoch.»
Zwar haben einzelne Maschen nun eine andere Farbe; doch die Summe der gelb-orange-roten Ökowerte beträgt 1870 Punkte, nur 60 Punkte weniger als im Ausgangszustand, der 1992 erhoben worden war. Damals begann die Ausbauoffensive für den Intercity- und den S-Bahnverkehr; inzwischen räumen die SBB auch Betriebs- und Lagerparzellen am Seitenrand zugunsten grosser Wohn- und Geschäftsbauten weg. Seither begutachten Umweltplanerinnen und Biologen die baulichen Veränderungen auf dem Zürcher Gleisfeld, das eine freie Schneise mitten durch den Stadtraum schlägt. Eigens wurde eine «pragmatische» Bewertungsmethode entwickelt, ergänzt Regula Müller, die das Projekt bis 2018 betreute.
Viele Ökopunkte erhalten Flächen, in denen sich die Blauflüglige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans), die Mauereidechse (Podarcis muralis) und Wildbienen wohlfühlen. Charakteristisch für diese Zielarten sind warme, trockene Lebensräume; der Boden ist steinig oder sandig und besitzt einen geringen Nährstoffgehalt. Die Gelbbauchunke ist dagegen ein feuchtliebendes Relikt aus den Limmat-Flussauen. Sie darf sich hartnäckig halten, auch dank dem weitsichtigen Vorgehen der Bahn.
Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 39/2019 «Umweltverträglichkeit: Aus Grau mach Grün».