Um­welt­vor­sor­ge: Öko­lo­gi­sche Wäh­rung mit Ren­di­te

30 Jahre alt ist die Umweltverträglichkeitsprüfung. Was hat das Planungsinstrument seither bewirkt? Einige Grossprojekte, die bis heute ökologisch vorzeigbar sind. Nun will der Bund aus den positiven Erkenntnissen lernen.

Data di pubblicazione
26-09-2019

Zeit ist Geld – und wenig beeinflusst den Wechselkurs so sehr wie die Mobilität. Zum Beispiel der Schienenverkehr: In die Alpentransversale zwischen Nord und Süd werden knapp 15 Mrd. Franken investiert. Ab 2021 verkürzt sich dadurch die Reise Zürich–Mailand um fast 1 1/2 Stunden. Die Zeitersparnis ist vor allem den Basistunnels am Gotthard und Ceneri zu verdanken. Über den Daumen gepeilt kostet jede gewonnene Minute 170 Mio. Franken.

Ob der Preis hoch ist, lässt sich im Vergleich zum Bahnausbau im Mittelland besser abschätzen. Schnellere Verbindungen wurden zuletzt für die «Bahn 2000» von Ost nach West gebaut. Die Fahrt Bern–Zürich oder umgekehrt verkürzte sich um fast eine Viertelstunde. Der Wechselkurs für den Zeitgewinn: 130 Mio. Fr./min; auch hier ist der Bau mehrerer Tunnels inbegriffen.

Neue Strassen benötigen nicht minder viel Geld: 4 Mrd. Franken teuer war die Autobahn A4 zwischen der Zentralschweiz und Zürich. Vor knapp zehn Jahren wurde die Pendlerstrecke um eine halbe Stunde schneller. Der Preis dafür? Rund 130 Mio. Fr./min und somit im Rahmen dessen, was man für moderne Verkehrswege heutzutage offenbar bezahlt. Auch im Knonauer Amt wurde gebohrt und gegraben, nicht nur der Topografie wegen.

Die A4 liegt zur Hälfte unter dem Boden, weil Anwohner vor Verkehrslärm und Abgasen zu schützen sind. Tatsächlich waren die Politiker bei der Eröffnung voll des Lobs für die «ökologischste Nationalstrasse der Schweiz». Wie kaum je zuvor sind hier externe Kosten in ein Verkehrsprojekt eingeflossen und haben den Preis für eine umweltverträgliche Mobilität erhöht.

Fast 40 Jahre lang protestierte die Bevölkerung dagegen. Und gerichtliche Instanzen bestätigten, dass ein Autobahnbau die Ökologie nicht missachten darf. Die öffentliche Bauherrschaft hat aber auch deswegen derart sorgfältig und umsichtig geplant, weil das Umweltgesetz für solche Grossprojekte eine spezifische Analyse der Umweltverträglichkeit vorschreibt1: Eine Grünbrücke erlaubt den Wildwechsel; über und entlang der Strasse wurden viele Flächen so weit rekul­tiviert, dass sie erneut landwirtschaftlich nutzbar sind, respektive so naturnah hergerichtet, dass seltene Vögel, Amphibien und Pflanzen wieder oder erstmals heimisch werden konnten.

Naturschützer freuen sich ­inzwischen über eine Kiebitzfamilie, die ihren Nachwuchs direkt neben dem Südportal des Uetli­bergtunnels aufzieht. Derweil bestätigt eine Wirkungskontrolle, dass sich einige Gemeinden vom früheren Verkehrschaos erholen konnten. Abgesehen vom brausenden Verkehr ist es elf Jahre nach der Eröffnung ruhig um die Öko-Autobahn geworden.

Bringschuld für Projektträger

Die Umweltverträglichkeitsprüfung UVP feiert nächstes Jahr ein inoffizielles Jubiläum. Vor 30 Jahren legte der Bund in einem Handbuch dar, wie das Planungsinstrument von nun an die Umweltvorsorge verbessern und beim Bau und Betrieb von Grossprojekten mehr Rücksicht auf die Ökosysteme nehmen sollte. Seither sind projektbezogene Belastungen für Boden, Landschaft und Gewässer abzuklären und ebenso die erwarteten Emissionen von Abgasen, Lärm oder nicht ionisierender Strahlung abzuschätzen. Die Projektträger stehen in der Bringschuld und haben selbst nachzuweisen, dass alle Umweltgesetze eingehalten sind. Die Fachbehörde der Standortkantone überprüft die Ergebnisse im Bewilligungsverfahren und ordnet bei Bedarf weitere Kompensationen an.

Meistens wird bereits in der ­Projektierungsphase vorgesorgt; die beauftragten Umweltplaner achten ihrerseits darauf, dass eine Beeinträchtigung von ökologisch wertvollen Lebensräumen verhindert oder mit Ersatz- oder Ausgleichsmassnahmen gemindert wird. Trotzdem gibt es Kritik, weil solche Ökoanalysen effizienter wären, wenn sie in einer früheren Projektphase stattfinden würden und dabei grundsätzlichere Einwände postuliert werden dürften (vgl. Kasten «Umweltprüfung mit Nachholbedarf»).

Eine eigene Dynamik hat der ebenfalls zu prüfende Umweltbereich Luftreinhaltung entwickelt. Vor allem bei geplanten Einkaufszentren, Multiplexkinos oder Sportstätten streiten Bauherrschaften und Umweltverbände häufig darüber, ob der Umweltverträglichkeit angesichts des zu erwartenden Mehrverkehrs angemessen Rechnung getragen werde. Die ökologischen Bedenken werden von kantonalen Verwaltungsgerichten oder dem Bundes­gericht jedoch wiederholt anerkannt.

Wirkungskontrollen bleiben oft aus

Weiteren Verbesserungsbedarf orten Fachleute bei der Wirkungskontrolle. Seit Jahren wird in UVP-Workshops beklagt, ein Erfolgsnachweis sei selten oder bleibe ganz aus. Deshalb sei die Umweltbaubegleitung über den Projektabschluss hinaus fortzusetzen, wird regelmässig empfohlen. Dies garantiere langfristig, dass eine verbindlich ausgewiesene Ersatzmassnahme die erhoffte Wirkung erzielt. Wenden wir uns den umweltverträglichen Verkehrsprojekten im Mittelland und in der Agglomeration Zürich zu: Hat das Umweltbewusstsein die Eröffnungsfeierlichkeiten für das Bahntrassee oder die vier- bis sechsspurige Strasse überlebt?

Die Antwort ist beide Male positiv: Dieses und nächstes Jahr lässt das Bundesamt für Strassen (Astra) die Ökostandorte im Knonauer Amt bereits zum zweiten Mal kontrollieren. Stefan Hauser, Sprecher der Astra-Filiale Ost, bestätigt, dass deren Pflege zum regulären Unterhaltsdienst gehöre. Derweil hat sich die Bahn verpflichtet, den ökologischen Ausgleich rund um die Neubaustrecken im Ober­aargau bis 2029 zu betreuen, sagt Peter Vögeli, Bereichsleiter Umwelt bei den SBB.

Die Rekultivierung des Ackerlands ist inzwischen abgeschlossen; die beteiligten Umweltplaner und die betroffenen Bauern nennen das Vorgehen im Nachgang beispielhaft. Die Biodiversität gibt aber noch zu tun: Für die naturnahe Landschaftspflege hat der Bahnbetrieb einen Ökofonds mit 2.5 Mio. Franken eingerichtet, der extern verwaltet wird. Vor drei Jahren boten die SBB zudem Botaniker und Zoologen auf, um den Zustand der jungen Ersatzstandorte zu erheben. Der Befund? Kleine Weiher drohen zu verlanden. Und bei den Böschungen sei auf eine abwechslungsreichere Pflege zu achten.2

Doch ein Gebiet überzeugt; die «Brunnmatte» bei Aarwangen ist «aus ökologischer Sicht ein nahezu idealer Standort geworden», urteilt nicht nur der SBB-Vertreter  (vgl. «Ein Mosaik aus Feuchtstandorten»). Auch Naturschutzvertreter loben den Zustand ebenso wie das Vorgehen bei der Wahl der Ersatzstandorte: Anstatt einzelne der Neubaustrecke entlang aufzureihen, hat man ihre Gesamtfläche weitgehend an einem gemeinsamen Standort konzentriert.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 39/2019 «Umweltverträglichkeit: Aus Grau mach Grün».

Umweltprüfung mit Nachholbedarf

In den 1980er-Jahren war die Schweiz internationale Vorreiterin bei der Einführung von Umweltvorschriften. Allmählich flaut der Regulierungseifer ab. Die OECD empfiehlt in ihrem Umweltprüfbericht 2017 jedoch, eine Strategische Umweltprüfung (SUP) einzuführen und so mit den EU-Staaten gleichzuziehen. Die übergeordnete Wirkungsbeurteilung soll die bestehende Umweltverträglichkeitsprüfung aber nicht ersetzen, sondern ergänzen respektive entlasten.

 

Da die SUP in einer früheren Projektierungsphase stattfindet, können grundsätzliche ökologische Bedenken, etwa zum Standort oder zur Linienführung einer geplanten Anlage, einfacher berücksichtigt werden. Bereits vor 15 Jahren empfahl eine Arbeitsgruppe der Bundesverwaltung eine solche Ergänzung. Ein weiterer Vorteil sei, dass sich geplante Eingriffe weiträumiger beurteilen lassen. Eine UVP darf dagegen nur analysieren, was innerhalb des definierten Projektperimeters passiert.

 

Eine strategische Ergänzung zur UVP ist auf natio­naler Ebene durchaus erwünscht. Allerdings will der Bundesrat dafür nicht das Umweltrecht ändern, sondern schlägt eine Revision des Raumplanungsgesetzes vor. Bis wann dies umgesetzt werden soll, hat das Bundesamt für Umwelt im letztjährigen Wissens-Bericht zur Strategischen Umweltprüfung allerdings nicht kommuniziert.

 

Genf schreibt als bisher einziger Kanton eine solche vor: Kommunale Richtpläne, Sondernutzungspläne etwa für neue Siedlungsareale oder Agglomerations­programme sind im Westschweizer Stadtkanton bereits frühzeitig auf ihre Umweltwirkung zu überprüfen. Auch hier betont man den Vorteil gegenüber einer projektspezifischen UVP: Mit der strategischen Beurteilung lassen sich unterschiedliche Varianten oder Standorte evaluieren respektive die kumulierenden Effekte einzelner Kleinprojekte frühzeitig erfassen.

 

Weitere Infos: Wirkungsbeurteilung Umwelt für Pläne und Programme Überblick und Situation in der Schweiz, Bafu 2018.

1 Verordnung zur Umweltverträglichkeitsprüfung mit Anhang der UVP-pflichtigen Anlagen.

2 Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist, Erfolgskontrolle im Grünbereich 2006–2016, ARGE Mosimann + Strebel, Sigmaplan, Aquatica; SBB Infrastruktur 2016.

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