Mehr Gips für den Krei­slauf

Recyclingpotenzial von Baustoffen

Gips landet nach dem Gebäuderückbau meistens auf Inertstoffdeponien. Die stoffliche Wiederverwertung wäre dagegen nachhaltiger. Eine Studie des Kantons Zürich zeigt nun, wie gross das effektive Potenzial ist.

Data di pubblicazione
18-06-2015
Revision
02-11-2015

Durch Rückbau und Erneuerung des ­Gebäudebestands entstehen 340.000 t Gipsabfälle pro Jahr. Der Gips-Output aus dem Bauwerk entspricht also etwa 40% des Inputs. Knapp zwei Drittel des Outputs sind Gipskarton- und Vollgipsplatten. Davon wiederverwertet werden zurzeit lediglich 1 bis 1.5%, also 3000 bis 5000 t pro Jahr. Das Recycling wird in der Branche selbst organisiert und umfasst eine Aufbereitung der Gipsabfälle zu neuen Vollgipsplatten. Der überwiegende Teil wird jedoch in überwachten Inertstoffdeponien abgelagert; ein kleinerer Teil gelangt mit anderen Bauabfällen zusammen in die Kehrichtverbrennungsanlagen. Die Situation ist unbefriedigend, weil viel Deponieraum beansprucht wird und Gips ­eigentlich gar kein Inertstoff ist (vgl. Kasten). 

Der Absatz von Gipskartonplatten hat in den letzten Jahren stark zugenommen, weshalb die zu erwartende Menge an Gipsabfällen deutlich ansteigen wird. Genauere Zahlen zu den Gipsströmen in der Schweiz hat das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich (Awel) in einer Studie erheben lassen (vgl. Kasten). Neben der aktuellen Massenbilanz wird darin die weitere Entwicklung abgeschätzt: Welche Gipsmengen wurden in der Vergangenheit respektive werden heute und in Zukunft produziert, importiert und deponiert? Zudem wurde untersucht, in welchen Bauprodukten Gips eingesetzt wird und wie gross die Massenflüsse sind. Dar­auf basierend wurde das Verwertungspotenzial für Gips abgeschätzt.

Verdoppelung der Stoffflüsse

Die Awel-Studie skizziert zwei Szenarien: «Referenz» schreibt den Istzustand mit der 1%-Quote für die stoffliche Verwertung fort. Bleiben die Entsorgungswege bis 2035 erhalten, verdoppeln sich die Gipsflüsse in Deponien und KVA beinahe auf knapp 500.000 t pro Jahr. Und mit der bisherigen Verwertungsrate gehen 2035 nur etwa 10.000 t Gipsabfälle in die Wiederverwertung. Dem­gegenüber rechnet das «Recycling»-Szenario mit deutlich erhöhten Verwertungsmengen. Voraussetzung ist, dass die inländischen Zement- und Vollgipsplattenhersteller ihren Produktionsanteil an wiederverwertetem Gips (RC-Gips) auf 70% steigern; mehr lässt sich aus quali­tativen und verfahrenstechnischen Gründen nicht beimischen. Zudem können nur Vollgips- und ­Gipskartonplatten mit vertretbarem Aufwand wiederaufbereitet werden. Die Rückgewinnung von Gips aus Mörtel, Putz und Estrich ist danegen zu aufwendig.

Im Szenario «Recycling» gleichen sich die ­Mengenverhältnisse in den unterschiedlichen Verwertungsvarianten an: Die Recyclingmenge liesse sich auf über das 30-Fache steigern; gleichzeitig reduziert sich die deponierte respektive verbrannte Menge an Gips um rund einen Drittel auf 338.000 t pro Jahr. Realistischerweise lassen sich etwa 150.000 bis 200.000 t pro Jahr wiederver­werten, bei einem theoretisch berechneten Potenzial von 328.000 t pro Jahr.

Gipsplatten für die Wiederverwertung

Die Differenz zwischen Theorie und Praxis wird durch den Aufbereitungsaufwand für Vollgips- und Gips­kartonplatten sowie durch die Qualitätssicherung in der Gipsproduktion bestimmt. Unter anderem kann nur ein Teil des Rohmaterials durch RC-Gips (300.000 – 350.000 t pro Jahr) ersetzt werden. RC-Gips ist in der Schweiz ebenfalls ein Sekundärrohstoff für die Ze­ment­pro­duktion. Eine Recyclinghürde sind zudem die Importe: Heute schon werden pro Jahr rund 300.000 t Gipskartonplatten eingeführt; auch künftig dürfte der Gipsbedarf zur Hälfte durch Importe gedeckt werden. Und ausserdem kann RC-Gips – entgegen den Modell­annahmen – wahrscheinlich nicht exportiert werden, weil es im Ausland keine Nachfrage für Sekundärrohstoffe gibt (vgl. Kasten). 

Bevor ein umfassendes Recyclingkonzept für die Schweiz entwickelt werden kann, braucht es weitere Untersuchungen zu den Qualitätsanforderungen am  Rohstoffmarkt. Zudem muss ein Sammelsystem gefunden werden, wobei eine zusätzliche Mulde auf der Rückbaustelle ausreichen würde. Schliesslich braucht es einen Standort für eine Gipsaufbereitungsanlage in der Schweiz, der logistisch günstig liegt und mit kurzem Transportweg erreichbar ist. 

Dialog mit Industrie

Das Awel hat im Mai 2015 Vertreter von Gipsplattenherstellern, Zementwerken, Entsorgern, von einzelnen Kantonen sowie vom Bundesamt für Umwelt zu einem Workshop über die Gipsrecycling-Szenarien eingeladen. Dieses Treffen hat unter anderem folgende Erkenntnisse gebracht: Es besteht ein grosses, nicht genutztes Potenzial für das Recycling von Gipsabfällen aus dem Baubereich. Gipsabfälle für die Gipsplattenherstellung oder als Zumahlstoff bei der Zementherstellung müssen unverschmutzt und von gleichbleibender Qualität sein. Für die Zementindustrie wichtig ist zudem die konstante Verfügbarkeit an grossen Mengen, wofür zusätzliche Aufbereitungskapazitäten nötig sind. 

Damit die Verwertung von Gips aus dem Rückbau konkurrenzfähig ist, müssen entweder die Deponiepreise für gipshaltige Bauabfälle erhöht oder die Ablagerung auf Inertstoffdeponien eingeschränkt werden. Alternativ können maximale Gipsanteile für das Deponieren von Bauabfällen definiert werden. Wünschenswert wäre, dass der Verband der Gipsindustrie mit weiteren Verbänden und Partnern eine Branchenlösung für das Gipsrecycling prüft. In Betracht zu ziehen ist sodann die Erfassung von verwertbaren Gipsabfällen vor Um- und Rückbauten; ­ähnlich einer Schadstoffabklärungspflicht gemäss Technischer Verordnung über Abfälle. Die Workshopteilnehmer haben sich darauf geeinigt, die Verwertung der Gipsabfälle durch die Unternehmen selbst respektive durch die involvierten Branchen zu erarbeiten.

Enge Zusammenarbeit

Der Kanton Zürich hat mit dem Gipsmodell Prognosen für die Wiederverwertung von Gips bereitgestellt. Nun liegt es an der Privatwirtschaft, die sekundäre Rohstoffquelle zu erschliessen und das Recycling als ­funktionierende Wertschöpfungskette aufzubauen. Zur Ausschöpfung des Gipsrecycling-Potenzials bedarf es der engen Zusammenarbeit von Firmen und Branchenorganisationen entlang der Produktionskette. Das Umwelt- oder Abfallrecht muss so weit angepasst werden, dass die Wiederverwertung von Gips attraktiver wird. Gelingt dies, kann die Gipsbranche das Image des ­mineralischen Baustoffs als nachhaltiges Produkt gewinnbringend nutzen.

Auswaschbare Gipsabfälle 
Gips ist chemisch Kalziumsulfat (CaSO4). Sulfat ist relativ gut wasserlöslich, weshalb Ionen in der Deponie leicht ausgewaschen werden und Oberflächengewässer beeinträchtigen können. Bereits heute liegen die Sulfatgehalte im Sickerwasser bei etwa der Hälfte aller Inertstoffdeponien über 600 mg/l, was zur Bildung von Schwefelwasserstoff führen kann. Letzterer ist beton­aggressiv und kann die Sickerwasserleitungen zer­stören. Um die Qualitätsziele im Kanton Zürich ein­zuhalten, leiten Betreiber von Inertstoffdeponien das Sickerwasser jeweils in grössere Vorfluter. Gips ist auch als Problemstoff bei der Verwertung der mineralischen Mischabbruchfraktion bekannt.

Gipsrecycling in Deutschland
Charakteristisch für die gelungene Verwertung von Beton- und anderen mineralischen Mischabbruchabfällen sind regionale Versorgungsflüsse sowie die starke Nachfrage öffentlicher Bauherrschaften nach Recyc­lingbeton im Hochbau. Dagegen erschweren die Im­porte bei Baugips und Gipsplatten die Einflussnahme der inländischen Behörde auf die Versorgungskette. Hilfreich für die Bemühungen in der Schweiz ist allerdings, dass in Deutschland die stoffliche Verwertung von Gipsabfällen den natürlichen Abbau und die Gewinnung von Gips aus Rauchgasreinigungsanlagen (REA-Gips) vermehrt ergänzen soll. Die deutschen Gips­plattenhersteller haben sich gegenüber dem Umweltbundesamt verpflichtet, die Verwertung von Gips zu fördern. Bereits wurden zwei Aufbereitungsanlagen gebaut. Ende 2014 ist ein Gipsrecyclingwerk im süddeutschen Deisslingen in Betrieb gegangen, das pro Tag etwa 100 t Gipsabfälle aufbereiten kann. (pk)

Gipsströme in der Schweiz1
Istzustand (Bezugsjahr 2012): In der Schweiz werden rund 855.000 t Gips pro Jahr verbraucht: 643.000 t als Gipsplatten, Gipsputze, Mörtel oder Estriche sowie 212.000 t als Zumahlstoff für die Zementproduktion. 400.000 t werden im Inland selbst abgebaut und hauptsächlich zu Vollgipsplatten verarbeitet. Importiert werden 280.000 t als Gipskartonplatten und 175.000 t Baugips und Rohgips für die Zementherstellung. Der im Zement respektive Beton gebundene Gipsanteil fällt für das Recycling aus­ser Betracht.  
Output: Etwa 340.000 t Gips enden pro Jahr als rückgebauter Bauabfall; knapp 200.000 t sind Gipskarton- und Vollgipsplatten. Rund zwei Drittel der Gipsabfälle (230.000 t) gehen in Inertstoffdeponien. 44.000 t gelangen zusammen mit brennbaren Bauabfällen in Keh­richt­­verbrennungsanlagen (KVA) und landen als Bestandteil der Schlacke ebenfalls auf einer Deponie. 
Verwertung: 3000–5000 t Gipsabfälle pro Jahr werden als Sekundärrohstoffe verwertet. 
Szenario «Referenz»: Bis 2035 verdoppeln sich die Gipsflüsse in Deponien und KVA auf knapp 500.000 t pro Jahr. Stark wachsen wird insbesondere die Menge der Gipskartonplatten, von 53.000 auf 154.000 t pro Jahr. Vorausgesetzt, der Verwertungsgrad bleibt wie bisher, werden lediglich 10.000 t pro Jahr Gipsabfälle wiederverwertet.  
Szenario «Recycling»: Grundsätzlich können pro Jahr 328.000 t Gips aufbereitet werden, wodurch der natürliche Rohgipsabbau auf 260.000 t pro Jahr sinkt. Für die Entsorgung in einer Deponie oder KVA bleiben 338.000 t pro Jahr. Davon stammen 100.000 t pro Jahr als nicht verwertbare Gipsabfälle aus der Aufbereitung.

Anmerkung

  1. Baudirektion Kanton Zürich; Modell zur Beschreibung der Entwicklung der Gipsflüsse in der Schweiz; Energie- und Ressourcenmanagement GmbH, Schlussbericht vom 31. August 2014 (Bericht und weitere Unterlagen: http://bit.ly/1BVMfmL)  

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