Die Na­tur ak­tiv oder pas­siv nu­tzen?

Das Gebäude funktioniert nicht für sich allein. Wie es das Standortklima als natürliche Ressource zu nutzen weiss, wird durch das Bebauungsmuster mitbestimmt. Ein Forschungsprojekt hat nun untersucht, ob die Sonne ein relevanter Faktor für Arealentwicklungen ist.

Data di pubblicazione
19-03-2019

Yverdon kann und will mit Wasser punkten: 58 v. Chr. entdeckten die Römer die schwefelhaltige Thermalquelle, die bis heute viele Gäste an den Fuss des Waadtländer Jura lockt. Seit 1981 nennt sich die Stadt offiziell Yverdon-les-Bains, um den Badetourismus besser zu vermarkten. 2002 wurde die Nähe zum Wasser noch unmittelbarer zelebriert. Besucher der Landesausstellung Expo.02 tauchten hier auf einer Arteplage in eine Wasserdampfwolke ein.

«Le Nuage», ein begehbares Stahlgerüst im Neuenburgersee, ist längst wieder abgebaut. Nun aber wird die definitive Annäherung von Yverdon-les-Bains zum Seeufer gesucht. Ohne den offenen, einladenden Charak­ter zu opfern, soll das bisher gewerblich überbaute Hinterland, nördlich des Bahnhofs, zu einem durchmischten und ökologischen Neustadtgürtel umgestaltet werden (vgl. «Neustadt am See»). Und wo sonst der Bezug zur Natur und ihren Elementen primäre Argumente für das Standortmarketing und den Wohnkomfort sind, gilt es hier die lokalen Ressourcen auch für eine nachhaltige Entwicklung zu nutzen. Mehr noch als das Wasser fällt dazu vor allem die Sonne in Betracht. Das Areal «Gare-Lac» soll ein Ecoquartier werden und die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft erfüllen; die Solar­energie hat dazu einen wesentlichen Beitrag zu leisten.1

Die mittelfristig zu realisierende Siedlungserweiterung umfasst eine Fläche von 25 ha und soll eine Ausnützungsziffer von 1.7 erreichen. Vor vier Jahren wurde ein zweistufiger Studienauftrag durchgeführt. Die räumliche Entwicklungsstrategie und die übergeordneten Ziele für bauliche Verdichtung, Freiraumqualität und öffentliche Infrastruktur sind seit 2015 in einem lokalen Richtplan offizialisiert.2 Das Konzept zur Umnutzung ist durchmischt und soll Platz für insgesamt 3800 Bewohner und 1200 Arbeitsplätze bieten. Der Bebauungsentwurf umfasst 14 Gebäude zum Wohnen und Arbeiten, deren Morphologie mehrheitlich einem offenen Blockrandtypus entspricht.

Zusätzlich zu den übergeordneten Vorgaben für die bauliche Verdichtung, die Freiraumqualität und die öffentliche Infrastruktur werden auch spezifische Energieziele formuliert: 4 % der Dachfläche sind für Sonnenkollektoren reserviert, für die solare Vollversorgung des Warmwasserbedarfs. Vorgesehen ist auch eine eigene Solarstromproduktion, womit 10 bis 15 % des künftigen Strombedarfs in den Neubauwohnungen vor Ort erzeugt werden sollen. Eine wichtige Rolle werden auch passive Solargewinne spielen, dank natürlicher Belichtung und externem Wärme­eintrag. Die Gebäude selbst sind in Passivhausqualität beziehungsweise gemäss dem Gebäudestandard Minergie-P zu realisieren.

Analyse des Überbauungsmusters

Die Planung einer aktiven und passiven Nutzung von Solarenergie beschränkt sich oft nur auf einzelne Gebäude. Wäre die Maximierung der Energieausbeute aber nicht auch ein Thema für den Städtebau, bei der Quartierplanung ebenso wie bei der Umnutzung von Industriearealen? Um diese Hypothese zu verifizieren, mangelt es bislang an Gelegenheiten. Im vergangenen Jahr konnten nun drei Fallstudien in der Schweiz abgeschlossen werden; der Standort «Gare-Lac» ist eine davon. Dabei wurde untersucht, wie die Solarenergie auf der Massstabsebene Areal oder Quartier früh­zeitig berücksichtigt werden kann.

Im Rahmen eines internationalen Projekts3 haben Forscher aus dem Tessin und Lausanne zwei Entwicklungsstandorte und ein Stadtquartier im Wandel (vgl. «Solarenergie: im Quartier integriert?») untersucht. Neben den bioklimatischen Standortfaktoren wie Schutz vor Wind und Kälte galt es, die Optimierung der natürlichen Belichtung zu überprüfen. Orientierung, Lage und Geometrie der Baukörper standen deshalb im Fokus der Spezialanalysen.

Auch in Yverdon ging es jedoch nicht darum, das bestehende Entwicklungs- und Baukonzept grundsätzlich infrage zu stellen. Vielmehr konzentrierten sich die Forscher darauf, die solare Bandbreite der gewählten Überbauungsmusters ausloten zu können. So fanden theoretische Entwurfsstudien zu den Baukörpern statt, mit veränderter Ausrichtung oder Ausdehnung respektive mit unterschiedlichen Bauhöhen und Geometrien. Die Performance bezüglich aktiver und passiver Sonnenenergienutzung und die geltenden Verdichtungs­ziele blieben immer im Blick. Insgesamt hat man fast 800 Designvariationen studiert. Unangetastet blieben die kompakte Form als Garant für eine hohe Energieeffizienz sowie die Tageslichtautonomie als Mass für eine optimale Nutzung des natürlichen Sonnenlichts.

Ein Befund daraus war: Das bestehende Überbauungsmuster liess sich solar nur wenig optimieren. Zutage trat dabei der Zielkonflikt zwischen baulicher Verdichtung und Energieeffizienz: Die Tageslichtausbeute lässt sich nicht beliebig maximieren, wenn Vorgaben zur Kompaktheit einzuhalten sind. Die Tiefe der Baukörper beeinflusst den Energiebedarf für die künstliche Beleuchtung unmittelbar. Das Variantenstudium konnte dennoch ein optimales Bebauungskonzept küren, das hohe solare Energiegewinne verspricht: ein Blockrand mit geringer Tiefe (11 m), wenige Fassadenrücksprünge sowie eine maximale Geschosszahl. Die Fallstudie empfiehlt, diese geometrischen Para­meter für die Überbauung in den Richtplan «Gare-Lac» der Stadt Yverdon zu integrieren.

Im Abschlussbericht des internationalen Forschungsprojekts wird das Beispiel aus Yverdon gelobt, weil sehr viele energetische Aspekte im Städtebau berücksichtigt sind. Man hofft nun aber, dass in den folgenden Planungsschritten davon nicht abgewichen werde. Einen konkreten Zeitplan für das weitere Vorgehen gibt es noch nicht.

Frühe Integration von Vorteil

Weniger konkret und stärker akademisch ausgeprägt ist die Fallstudie zur Agglomerationsplanung im Norden von Lausanne. Auch hier wurde ein grossräumiges Entwicklungsprojekt analysiert, das zu einem Siedlungsraum mit Wohnungen und Arbeitsplätzen für bis zu 13 000 Personen führen soll. Basis bildet eine Planungsstudie für Teile des Vororts Romanel-sur-­Lausanne, an der auch die Stadt Lausanne beteiligt ist und die bis 2030 realisiert werden soll. Das Agglomera­tionsprojekt Lausanne Nord ist aus planungsrechtlichen Gründen aktuell aber sistiert. Die Fallstudie erfolgte aus einer Zusammenarbeit zwischen der EPFL und einem Planungsbüro.

Das Vorgehen unterscheidet sich von der Analyse in Yverdon, vor allem was den Planungsstand betrifft. Die Entwicklung dieses Standorts in Lausanne Nord ist weniger weit fortgeschritten, und die energetischen Vorgaben sind erst qualitativer Art. Grundsätzlich streben die Planungsträger an, die natürliche Belichtung zu fördern, die Sonnenenergie passiv zu nutzen und Systeme zur aktiven Energieproduktion zu berücksichtigen. Auch hier galt es zu erforschen, welche Gebäudeformen und urbanen Morphologien eine solare Energie­nutzung bevorzugen können. Basis der Simulationen mit acht unterschiedlichen Gebäudeentwürfen bildeten abermals der Heizwärmebedarf und die Tageslicht­autonomie. Es zeigte sich, dass die morphologische Vielfalt, die Dichte der baulichen Ausnutzung sowie die Kompaktheit der Baukörper diejenigen städtebaulichen Kriterien mit dem grössten Einfluss auf die solare Performance und die Energieeffizienz sind.

Auch bisherige Erkenntnisse zum Gebäudelayout konnte diese Fallstudie im Detail bestätigen: Grenzen die Baukörper unmittelbar aneinander an, erhöht sich ihr Heizwärmebedarf. Im Vergleich zu frei stehenden Varianten verschlechtert sich ihre passive Solarausbeute. Und auch dass vielgeschossige Gebäude mehr Sonnenenergie ernten können, ist allgemein nachvollziehbar. Trotzdem sind standortbezogene Simulationen und Analysen oft hilfreich. Sie übersetzen aka­demische Überlegungen zur solaren Energienutzung in eine für Planer verständliche Sprache.

Welche gene­rellen Schlüsse sind darüber hinaus aus den beiden Fall­studien zu ziehen? Für die beteiligten Forscher ist klar: Die Erfolgschancen steigen, je früher ein Solar­energie­konzept in den Entwicklungsprozess integriert werden kann. Ebenso zwingend scheint zudem ein aktives und kontinuierliches Aushandeln der Einflussfaktoren über alle Phasen hinweg, von der Konzeption bis zur Realisierung. Demgegenüber zeigt sich im praktischen Alltag, dass die Solarenergie oft nachträglich aufgesetzt wird. Häufig kommt es vor, dass dies den Projektrahmen sprengt und davon ganz abgesehen werden muss. Die Autoren der Fallstudien vermuten dahinter mangelndes Wissen und mangelnden Erfahrungsaustausch. Ausserdem ist die Technologie zur Solarenergienutzung, beispielsweise die gebäudeintegrierte Photovoltaik, noch jung und wenig verbreitet. Typisch ist daher, dass Standards und Normen für die Planungspraxis fehlen.

Die Fallstudien verdeutlichen jedoch, dass der solare Städtebau nicht nur ein Anwendungsproblem besitzt, sondern auch mit neuen Planungs- und Simulationswerkzeugen zu unterstützen ist. Analysen und Simulationen zur Ermittlung des aktiven und passiven Solarpotenzials sollen standortbezogene Hinweise für die Disposition von Gebäuden vermitteln. Dabei sind eine Vielfalt und ein Zusammenspiel von Faktoren wie die Kompaktheit der Baukörper, die Dichte des Bebauungskonzepts oder die Besonnung und Beschattung in Betracht zu ziehen. Da sich diese teilweise gegen­seitig in die Quere kommen, kann eine intuitive Einschätzung eine detaillierte Simulation kaum ersetzen.

Derzeit liegt der Fokus fast immer auf dem Einzelgebäude, dessen solare Eigenschaften minutiös simuliert werden können. Zur Integration von Solarkonzepten auf Quartiersebene findet hingegen kaum Forschung statt. Und in der Folge werden erst wenige Projekte realisiert, die als Referenz für einen Städtebau zur Verfügung stehen, der die Sonne geschickt zu nutzen weiss. Mit Beispielen wie Yverdon kann sich dies ändern. 

(Mitarbeit: Paul Knüsel, Redaktor Umwelt/Energie)

Anmerkungen
1 Emmanuel Rey, Willi Frei, «Générer de nouvelles polarités urbaines». Les Cahiers de l’ASPAN, 2017, no 2, pp. 10–15.
2 Plan directeur localisé Gare-Lac, Service de l’urbanisme et des bâtiments URBAT Yverdon-les-Bains 2015.
3 SHC Task 51, Solar Energy in Urban Planning; Internationale Energieagentur 2018.

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