Neu ein­ge­bet­tet

Tragwerk

Die St. Jakobshalle in Basel bestand aus Einzelbauten. Die Arbeitsgemeinschaft Degelo Architekten / Berrel Berrel Kräutler und die Ingenieure von Schnetzer Puskas formten ein harmonisches Ganzes, indem sie dem Bestand einen Mantel gaben – funktional, gestalterisch prägend und statisch wirksam.

Data di pubblicazione
03-10-2018
Revision
04-10-2018

Die St. Jakobshalle erfuhr von 2016 bis 2018 eine Transformation in die Gegenwart. Kurz vor der Wiedereröffnung am 15. Oktober erscheint sie nicht mehr als die solitäre «Arena» mit Annexbauten auf einem Treppensockel an der Brüg­linger­strasse, sondern zeigt sich neu gegenü­ber «Joggeli», dem Stadion St. Jakobs-Park, als öffentliche, multi­funktionale Anlage mit einladendem und wit­­te­rungs­geschütztem Zugang. Damit erfüllt sie, was ­der Wettbewerbsentwurf 2013 versprach: nämlich, ­«die fun­ktionale Grundproblematik der (…) Anlage (…) strategisch auf der städtebaulichen Ebene zu lösen» (vgl. «Sach- und Dachgeschichten»).

Zeitgemässer Komplex

Die im September 1976 eröffnete St. Jakobshalle um­-fasst mehrere Gebäudeteile. Mit einer Zuschauerkapazität von rund 9000 Personen ist sie nach dem Zürcher Hallen­stadion die zweitgrösste Veranstaltungshalle der Schweiz und beherbergt zwei kleinere Hallen mit jeweils einem Betonfaltdach (Kleine Halle und Halle 2) und eine Haupthalle mit einem eleganten Hängedach (Grosse Halle, vgl. «Das Hängedach von 1976», Kasten unten). Ursprünglich für sportliche Aktivitäten mit oder ohne Publikum konzipiert, musste die Liegenschaft bereits seit Jahrzehnten einem breiteren Nutzungsmix gerecht werden. Als Teil der Sport- und Eventstätte St. Jakob dient der Gebäude­komplex dem Breitensport und dem Schul-, Universitäts- und Vereinssport. Andererseits bietet sie Platz für Grossevents in den Bereichen Sport und Kultur sowie für verschiedenste Firmenanlässe wie Generalversammlungen, Konferenzen, Kongresse und Tagungen.

Um für alle bisherigen und potenziellen Veranstalter attraktiv zu bleiben, wurde die St. Jakobshalle laufend unterhalten. Dabei erfolgten die Instandsetzungsarbeiten in den letzten 15 Jahren vor allem modulartig in kurzen Zeitfenstern, um den Events nach wie vor ihren bespielbaren Zeitraum zu ermöglichen. Diese Strategie liess sich nun aber nicht weiter umsetzen, da die erforderliche Instandsetzung tief greifende bauliche Massnahmen an der Gebäudehülle, im Innenausbau und an der technischen Infrastruktur nötig machte. Dies bedingte grössere Betriebsunterbrüche und ein technisches und betriebliches Gesamt­konzept. Zudem musste die gesamte Halle an aktuelle Sicherheitsvorschriften angepasst werden. In erster Linie betraf das die Fluchtwege, den Brandschutz und die Erdbebensicherheit.

Mit der neuesten Instandsetzungs- und Modernisierungsaufgabe galt es also, aus der ehemaligen Sport­halle einen zeitgemässen, multifunktionalen Hal­len­komplex entstehen zu lassen. Der dafür ausgeschriebene Wettbewerb von 2013 sollte ein Projekt ausfindig machen, das den Bestand mit weiteren Nutzflächen und neuen Funktionen ergänzt und ihn zugleich mit den aktuellen sicherheitsspezifischen Anforderungen in Einklang bringt. Die komplette Erneuerung sollte darüber hinaus in Etappen abgewickelt werden können, die auf die wiederkehrenden Anlässe wie das Tennisturnier «Swiss Indoors» abgestimmt sind.

Die Arbeitsgemeinschaft Degelo Architekten / Berrel Berrel Kräutler zusammen mit Schnetzer Puskas Ingenieure überzeugte das Preisgericht mit ihrem Projekt: Es ergänzt den Bestand aus einzelnen Gebäuden so, dass die Einzelstücke zu einem Ganzen zusammengefasst werden. Der Bestand – mit wahren ingenieurspezifischen Perlen – erhält einen Mantel, der funktional genutzt wird, gestalterisch das neue Erschei­nungsbild prägt und statisch wirksam ist.

Raumhoch aufgespanntes Dach

Teil der Mantelnutzung, die den Bestand wörtlich umfasst, ist die neue Eingangshalle. Sie ist direkt zur Tramhaltestelle an der St. Jakobs-Strasse gerichtet. Über den vorgelagerten grosszügigen Platz, der für Ereignisse mit über 12 000 Zuschauern angemessen ist, zieht sich das Strassenniveau fliessend ins doppelgeschossige Foyer hinein. Über Foyer und Platz spannt ein weit auskragendes Dach und verdeutlicht den ­öffentlichen Charakter des Gebäudes. Hierfür wurde das bestehende Dach der Eingangshalle auf derselben Höhe weitergeführt und mit einer markanten, 130 m langen Stirn aus Sichtbeton gefasst. «Die Spannweiten von bis zu 70 m bewogen uns, ein aufgelöstes Raumtragwerk zu entwickeln, das diese grosse Spannweite bewältigen konnte und zugleich Raum für die Gebäudetechnik bot», erklärt Tivadar Puskas, der leitende Ingenieur des Teams von Schnetzer Puskas Ingenieure.

Das Dachtragwerk aus Beton kann als grossmassstäblicher Gitterrost gelesen werden. Seine Kon­struktionshöhe nimmt von 3.65 m auf 4.65 m zu und schwebt 6.5 m über dem Strassenniveau. Er besteht prinzipiell aus lamellenartig alle 5 m angeordneten, bis 28 m weit gespannten Wandscheiben. Als geschoss­hohe Rippen und Längsträger funktionierend, werden sie an der Unterseite mit einer Sichtbetondecke und an der Oberseite mit einer Eindeckung aus leichten, isolierenden Holz-Sandwich-Elementen eingefasst. Beide Decken wirken statisch als horizontale Scheiben. Die Rippen und die zwei quer dazu verlaufenden Längsträger – der Rand- und der Innenträger – sind zumeist vorgespannt. Die Vorspannkabel sind entsprechend dem Momentenverlauf verlegt, was planerisch, geometrisch und umsetzungsspezifisch komplex war, da die Kabel geschickt aneinander vorbeigefädelt werden mussten.

Der neue Mantel baut grundsätzlich auf der bestehenden Raum- und Tragstruktur auf. Das schlug sich öko­nomisch, bezüglich Umsetzbarkeit und auf die notwendige Etappierung positiv nieder. Der Rost ruht auf ­einzelnen Auflagern aus Beton – dem Kassenhaus, den Wandscheiben des neuen Warenlifts, den Wänden des neu erstellten Flucht- und Verkehrswegs aus der Arena (Lkw-Ausfahrt) sowie der einzelnen, markanten Pendelstütze (max. 2000 t) an der nordwestlichen Ge­bäude­ecke. Diese Pendelstütze aus einem 420-mm-Vollstahlrohr, das mit einer Betonhaut ummantelt ist, wird vom «Findling» des Schweizer Künstlers Eric Hattan in Form eines 25 t schweren Granitblocks als sta­tisches Punktlager des Dachs betont.

Fundiert ist die markant skulptural geformte Stütze auf einem kreuzförmigen Trägerrost aus verschweissten Stahlblechträgern. Das Kreuz leitet die anfallenden Lasten um den bestehenden Sammelkanal herum auf vier Grossbohrpfähle. Diese haben einen Durchmesser von 1.3 m und ragen 15 m tief in den Baugrund. Die Zugkräfte infolge der Abspannung des Dachs werden durch Zugstützen entlang des Bestands aufgenommen und dort in den Baugrund ein­geleitet.

Das geschosshohe Dach schafft Raum für die aufwendigen technischen Installationen der Gebäudetechnik (vgl. «Luft im Dach») und bietet zudem Platz für das Materiallager. Damit können alle Lüftungs- und Entrauchungseinrichtungen verdeckt und in den Innenraum integriert werden. Das macht die Dachaufsicht zur fünften Fassade und optimiert die Zugänglichkeit, die Wartung und den Lärmschutz. Die statisch notwendige Höhe wird als Stauraum genutzt, was anderenorts Mehrfläche generieren würde. «Aus der ästhetisch und bezüglich der Gebäudetechnik erforderlichen Höhe ergab sich die statische Leistungsfähigkeit des Dachtragwerks», so Tivadar Puskas.

Verankert, gekoppelt und geschützt

Statisch effizient war auch die bestehende Grosse Halle – und zwar sowohl für gewöhnliche als auch für aus­sergewöhnliche Ereignisse wie Erdbeben. Einzig die Dilatationsfuge (vgl. «Das Hängedach von 1976», Kasten unten) liessen die Ingenieure mit der aktuellen Ertüchtigungsarbeit punktuell schliessen. Heute wirkt der Bestand – neu aussen gedämmt und verputzt – als statischer ­Anker für das über die Mantelnutzung zusammengeschlossene Ganze. Das neue Dach des funktio­nellen Rings wurde an allen Seiten der steifen Grossen Halle über jeweils 20 m Länge gekoppelt. Die Eck­bereiche liess man frei, damit Bewegungsspielraum vorhanden blieb und Zwängungen minimiert werden.

Die St. Jakobshalle – eine Perle des Ingenieurwesens – erhielt auf diese Weise eine aufgewertete Bedeutung und eine Erdbebenertüchtigung zugleich. Abgesehen davon, dass der Erhalt von Bausubstanz ohnehin nachhaltig ist, zeigt dieses Bauprojekt exemplarisch auf, dass in die Jahre gekommene Ingenieurbaukunst mit relativ einfachen Massnahmen unter Berücksichtigung aller gegenwärtigen Anforderungen modernisiert erhalten bleiben kann – auch ohne Unterschutzstellung. Das heisst allerdings nicht, dass hier nicht durchaus noch Nachholbedarf besteht.

Bislang weder geschützt noch im Inventar für schützenswerte Bauten aufgeführt, erhielt die St. Jakobs­halle zumindest einen sinnbildlichen Schutz: Gleich einem Konglomerat, das einzelne Gesteine in einer feinkörnigen Matrix verkittet, sind nun auch hier die Einzel­bauten verkittend in der Ummantelung eingebettet – und in gewissem Sinn konserviert. Dass die Grosse Halle mit dem Hängedach nach wie vor einen wesentlichen Kern der Anlage darstellt, ist aus Ingenieurssicht ein besonderer Mehrwert dieses Umbauprojekts.

Der Jurybericht des Wettbewerbs von 2014 zu Anfang des Artikels unter «Pläne und Dokumente».


Das Hängedach von 1976

Die ursprünglichen Projektverfasser der Sporthallenanlage St. Jakob waren der Architekt Giovanni Panozzo und der Ingenieur Albert Schmidt. Neben den zwei kleineren Hallen für verschiedenste Sportarten erstellten sie auch die Grosse Halle mit einem Spielfeld von 40 × 70 m und 6000 Sitzplätzen für die Zuschauer. Die Halle mit achteckigem Grundriss sollte als reine Sporthalle genutzt werden, vorwiegend für Handballspiele, und ein Dach erhalten, das pragmatisch und kostengünstig vor Kälte, Hitze und Niederschlägen schützt.

Leichtes Tuch

Das Hochbauamt des Kantons Basel-Stadt als Bauherrschaft überliess es den Ar­chitekten und Ingenieuren, eine geeig­ne­te Dachkonstruktion zu entwickeln. So entstand das markante Hängedach aus nur 7.5 cm starkem Leichtbeton, das sich wie ein leichtes Tuch 90 m weit und mit einem Durchhang von 6 m über die stützenlose Halle spannt. Darin sind zwischen zwei Bewehrungsnetzen alle 30 cm ½-Zoll-Litzenkabel verlegt. Diese Monolitzen liegen in einem Blechhüllrohr und sind injiziert. Die anfallende Seilzugkraft nimmt ein bis auf 60 cm verdickter Dachkranz aus Spannbeton auf. Dieser ist monolithisch mit den alle 5 m angeordneten, vorgespannten Bindern der abgewinkelten Tribünen und den Seitenwänden verbunden.

Das «Tuch» des Hängedachs besteht aus Leca-Leichtbeton. Er weist ein geringes Raumgewicht von 1.70 bis 1.75 t/m3 auf. Das Gesamtgewicht des Dachs einschliesslich Dampfsperre, 3 cm dickem Kork und einer Kunststofffolie beträgt deshalb nur 150 kg/m2 (1.5 kN/m2). Leicht­betone schwinden und kriechen im All­gemeinen etwas stärker als Betone ohne gewichteinsparende Zuschläge. Um das Abschwinden zu ermöglichen, liessen die Ingenieure längs in der Hallenmitte eine Dilata­tionsfuge anordnen, die im Dach aus einem 1.8 m hohen, als Klammer respek­tive Feder ausgebildeten Träger besteht. Er wirkt bei antimetrischen Belastungen auch aussteifend und begrenzt Schwingungen; oben auf dem Träger angeordnete Federgelenke verhindern, dass sich die beiden Dachhälften übereinander verwerfen. Dennoch bewegt sich das Dach merklich: Aus der Temperaturdifferenz von ±20 °C senkt und hebt sich das Dach um bis zu ±5 cm. Die Ausschläge aus den extremsten Nutzlastfällen betragen sogar +40 cm bzw. –28 cm. In Querrichtung weist das Dach ein Gefälle von rund 1.5 % auf, damit das Regenwasser abfliessen kann.

Ausführung mit Feingefühl

Die St. Jakobshalle wurde in einer Bauzeit von fünf Jahren von 1971 bis 1976 etappen­weise erstellt. Der Ausführung des Hänge­dachs schenkten die Planenden besondere Beachtung. Der Beton wurde zunächst streifenweise in einer Stärke von 10 cm auf einem 10 m breiten, fahrbaren Schalgerüst auf die ganze Spannweite eingebracht und mittels Plattenvibrator auf rund 7.5 cm Stärke verdichtet. Mit einer Vibrationslatte zog man ihn anschlies­send auf seine genaue Dicke ab. Danach streute man eine hauchdünne Schicht aus Feinsand und Zement auf die nasse Oberfläche und rieb das Gemisch mit einer Talo­schier­maschine ein, um eine geschlos­sene und glatte Oberfläche zu erhalten. Drei Tage nach dem Betonieren eines 10 m breiten Streifens wurde vorgespannt: die Dachkabel knapp für das Eigengewicht und die Binderkabel so, dass der Dachkranz sich möglichst nicht verformte (formgetreue Vorspannung). Diese erste Vorspannstufe sorgte dafür, dass sich das Dach nach dem Ausschalen praktisch nicht bewegte. Um Überbeanspruchungen während des Spannens zu vermeiden, musste die Vorspannung nach einem detaillierten Spannprogramm in kleinen Schritten abwechslungsweise auf Binder und Dach aufgebracht werden. Im Anschluss senkte man die Schalung ab, verschob sie um 10 m und hob sie wiederum in die nächste Betonierstellung an.

Punktuelle Verstärkung

Nach 20 Betriebsjahren stellte man bei Bauwerkskontrollen fest, dass punktuell Betonschäden und teilweise mangel­hafte Injektionen der Dachspannkabel auftraten. Ausserdem hatten sich die Nutzung und damit die Anforderung an die Hallen erweitert. Diverse Shows und Konzertveranstaltungen erforderten schwere Aufhängungen am Dach, die Akustik musste verbessert und die Infrastruktur erneuert werden. 1992 erfuhr die St. Jakobshalle deshalb eine erste Instandsetzung und Erweiterung. Das Dach wurde unten mit T-förmigen Stahlbändern im Abstand von 5 m verstärkt, die um die Binderköpfe verankert wurden. Damit erhöhte sich das statische Tragvermögen, und an einzelnen Punkten konnten die Veranstalter fortan jeweils 1.5 t Lasten aufhängen. Seither sind die Nutzungsanforderungen allerdings weiter gestiegen. Um für Veranstalter attraktiv zu bleiben, musste die Halle nochmals aufgewertet werden.

Deshalb schrieb die Bauherrschaft 2012 einen Projektwettbewerb zur erneuten In­standsetzung und Modernisierung der St. Jakobshalle aus. Künftig werden so­gar Sattelschlepper auf der einen Seite in die Halle hineinfahren und auf der an­deren ab- oder aufgeladen wieder he­rausfahren können.
(Clementine Hegner-van Rooden)

Literatur
«Sporthalle St. Jakob in Basel», SBZ 1974, Band 92, Heft 51/52, S. 19.
Wendelin Schmidt, Gesellschaft für Ingenieurbaukunst (Hg.), «Ernst und Albert Schmidt, Ingenieure – Pioniere des Brückenbaus», 1. Auflage 2014, gebunden, 300 S., 403 Duplex- und Schwarz-Weiss-Abbildungen, Pläne, Skizzen und Grafiken, 30 × 24 cm, ISBN 978-3-906027-59-3

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