«Es ge­ht da­rum, Chan­cen zu ge­ne­rie­ren»

Die Stadt Zürich hat erstmals einen kommunalen Siedlungsrichtplan erarbeitet, der konkrete Massnahmen für eine qualitätvolle innere Verdichtung aufzeigt. Die Direktorin des Amts für Städtebau erläutert im Gespräch, was das neue Instrument leisten kann.

Data di pubblicazione
19-09-2018
Revision
19-09-2018

TEC21: Mit dem «Kommunalen Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen» erhält die Stadt Zürich ein neues Planungsinstrument. Genügen die bisherigen nicht mehr?
Katrin Gügler: Die Komplexität der Planung hat zugenommen, laufend kommen neue Anforderungen hinzu. Die Bevölkerung von Zürich wächst und braucht neue Lebensräume und Infrastrukturen, die es im Rahmen einer Siedlungsentwicklung nach innen zu bauen gilt. Gleichzeitig ist die Stadt den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft verpflichtet.1 Um den Überblick zu wahren, ist eine übergeordnete Betrachtung nötig. Die Pionierleistung beim Kommunalen Richtplan ist, dass er Zürich ganzheitlich als System begreift, über einzelne Disziplinen hinweg, nicht nur aus einer Bau- und Planungsoptik. Er ist ein strategisches ­Planungsinstrument, das längerfristig eine gewisse politische Stabilität gewährleistet, aber auch Spielraum für Projektierungen in kürzeren Zeitachsen bietet.

TEC21: Und wenn widersprüchliche Anforderungen aufeinandertreffen?
Katrin Gügler: Dann braucht es eine Interessenabwägung. Ein Beispiel: An einer Bergflanke sind Häuserzeilen längs zum Hang vorteilhaft, weil Kaltluftströme hinunterflies­sen und das Stadtklima verbessern können, doch es kann sein, dass die Lärmsituation eine Bebauung quer zum Hang erfordert. Deshalb ist der Kommunale Richtplan sehr breit abgestützt: Fast alle Dienstabteilungen der Stadtverwaltung waren an der Erarbeitung beteiligt, und externe Fachleute haben wichtige Grundlagen erarbeitet. Viele Konflikte sind bereits ausgeräumt, man hat Güterabwägungen vorgenommen, sogar der Steuerungsausschuss des Stadtrats.

TEC21: Der Kommunale Richtplan ist für die Behörden verbindlich, diese haben für die eigentümerver­bindliche Umsetzung zu sorgen. Was ist der nächste Schritt? Eine Revision der Bau- und Zonenordnung?
Katrin Gügler: Zuerst gibt es eine politische Diskussion. Wenn alles gut läuft, steht das Instrument ab 2020 zur Verfügung. Dann wird es auf eine eigentümerverbindliche Stufe heruntergebrochen – aber nicht für alle Gebiete auf ­einmal, sondern je nach Veränderungsbedarf. Eine Gesamtrevi­sion der BZO ist nicht vorgesehen und auch nicht überall notwendig. In Veränderungsgebieten wird ­es sicher Nutzungsplanungs­revisionen geben, und wir werden die bewährten Sondernutzungsplanungsinstrumente weiter anwenden. Der Richtplan kann viel, aber nicht alles; es wird weiterhin neue Erkenntnisse, Fragen und Konflikte geben. Planung ist ein permanenter Prozess. Die Instrumente greifen wie Zahnräder inein­ander und müssen laufend aufeinander abgestimmt werden, weil sich die Voraussetzungen ändern.

TEC21: Wo liegen die Prioritäten heute?
Katrin Gügler: Vordringlich ist die Sicherung von Land für Frei­flächen und öffentliche Bauten und Anlagen. Insbesondere beim Schulhausbau stehen wir unter Zeitdruck; vielleicht werden wir in Bezug auf den Landerwerb aktiv, bevor die Nutzungsplanung auf dem neuesten Stand ist.

TEC21: Was ist unter Landerwerb zu verstehen? Wird die Stadt im grossen Stil Bauland kaufen, wie vor rund 100 Jahren?
Katrin Gügler: Es wird unterschiedliche Instrumente brauchen – alle, die wir zur Verfügung haben. Wir sprechen von sehr vielen ­Hek­taren Land. Das schafft die Stadt nicht allein, sie muss mit den ­Eigentümern und Bauherrschaften kooperieren. Landkauf ist ein wichtiges Instrument, das wir ver­mehrt einzusetzen versuchen, aber wir bewegen uns auf dem freien Markt, und wie die Preise aussehen, wissen wir ja. Landab­tausch kann auch Lösungen bieten. Und natürlich der Mehrwertausgleich2; denkbar ist etwa, dass Private ein Projekt realisieren und die Stadt gewisse Anlagen nutzt.

TEC21: In Bezug auf den Mehrwertausgleich hält der Richtplan fest: «Die Stadt räumt der vertraglichen Abgeltung […] Vorrang vor finan­ziellen Beiträgen ein.» Warum?
Katrin Gügler: Die Vertragslösung hat sich in der Praxis bewährt: Die Bauherrschaften haben Interesse daran, dass ihr finanzieller Beitrag nicht irgendwo in der Stadt investiert wird, sondern vor Ort, damit ihr Projekt vom städtebaulichen Mehrwert profitiert. Vor al­lem grössere Investoren verstehen zunehmend, dass es einen Beitrag an die Allgemeinheit braucht. ­Basis für diesen Prozess sind politische Stabilität und eine transparente Ausgangslage: Die Gespräche finden nicht nur zwischen der Stadtverwaltung und den Bauherrschaften statt, sondern gehen auch über den Stadtrat in den Gemeinderat. 2019 tritt nun die gesetzliche Regelung gemäss RPG Art. 5 in Kraft, und die Gemeinden werden zu einem kommunalen Mehrwertfonds verpflichtet. Dank diesem Fonds wird es möglich sein, kommunale Planungsmassnahmen auszulösen. Wichtig ist, dass er genug Spielraum bietet, um dort zu ­investieren, wo der Bedarf am grössten ist. Es braucht Offenheit, auch in Bezug auf die Zukunft.

TEC21: Zurück zu den Schulen: Die Stadt Zürich ist für Familien attraktiv, und die Bevölkerung hat sich – im Gegensatz zum landesweiten Trend – in den letzten Jahren ­verjüngt. Der Bedarf nach Schul- und Sportanlagen leuchtet ein. Doch aufgrund des Bevölkerungswachstums und der höheren ­Lebenserwartung steigt auch die Zahl der Alten. Warum sind Alterswohnungen und Pflegeeinrichtungen kein Thema?
Katrin Gügler: Heute wollen die meisten alten Menschen möglichst lang in der eigenen Wohnung ­bleiben. Sie haben Bedürfnisse, die der Immobilienmarkt befriedigen kann. Auch die Stiftung für Alterswohnen SAW realisiert überall in der Stadt Projekte in normalen Wohnzonen. Daher braucht es ­keine besondere Berücksichtigung im Richtplan. Dies im Gegensatz zu den Schulen, die schon mit den Freiflächen die Parzellenstruktur sprengen und am freien Markt keinen Platz finden; sie setzen ganz andere Dimensionen, Prozesse und Zeitachsen voraus. Was die Pflegeeinrichtungen betrifft, wird der Bedarf weiter steigen; die Nachfrage verschiebt sich vom Alters- zum Pflegeheim. Die Alterszentren sind aber bereits heute gut in der ganzen Stadt verteilt.

TEC21: Der Richtplan definiert Gebiete mit zusätzlicher Verdichtung, in de­nen ein Wachstum über die BZO hinaus möglich ist, etwa in Altstetten oder Schwamendingen. Diese Gebiete eignen sich besser als das Stadtzentrum, das bereits dicht ist und viele geschützte Bauten aufweist, oder der Zürichberg mit seiner kleinteiligen Parzellenstruktur. Dieser pragmatische Ansatz könnte in den betroffenen Quartieren Abwehrreaktionen auslösen.
Katrin Gügler: Grundsätzlich soll die städtebauliche Entwicklung dort stattfinden, wo sie nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll ist. Die bestehende BZO bietet im gesamten Stadtgebiet noch umfangreiche Reserven für die bauliche Entwicklung, mit dem Richtplan kommen 10 bis 15 % hinzu. Der springende Punkt ist: Die BZO formuliert vorwiegend (nicht nur) die quantitative Veränderung der Stadt, der Richtplan macht vertieftere Aussagen zur Qualität. Das Wachstum soll dort stattfinden, wo die Ausgangslage in Bezug auf den öV stimmt, die Erschliessung gut ist und die Stadtstruktur ein entsprechendes Potenzial aufweist. Diese Gebiete sind im Westen und im Norden der Stadt. Wir sagen aber nicht: Die müssen jetzt ver­dich­ten, und die anderen haben Glück gehabt! Es geht darum, neue Chancen zu generieren und die Stadt zu bereichern, zum Beispiel, indem monofunktionale Gebiete eine stärkere Durchmischung der Nutzungen erhalten. Die Stichworte sind: Nahversorgung, Stadt der kurzen Wege, neue Wohnformen, neue Formen des Zusammenlebens. Veränderung und Verdichtung sollen zu einer höheren Lebensqualität führen. Das Ziel ist eine polyzentrische Stadt, in der man im eigenen Quartier eine gute Wohn- und Lebenssituation antrifft. Wir sind optimistisch: Gerade weil der Richtplan sehr breit gedacht ist – und beispielsweise nicht nur zusätzliche Baumasse, sondern auch zusätzliche Freiräume vorsieht –, können neue Konstellationen entstehen.

TEC21: «Die Reserven im Bestand gemäss BZO 2016 sollen […] durch geeig­nete Anreizsysteme bzw. bedarfsweise die Begleitung von erforderlichen Prozessen durch die Stadt aktiviert werden.» Welche Anreizsysteme sind das?
Katrin Gügler: Je nach Dimension und Handlungsbedarf gibt es ­verschiedene Vorgehen. Ein erster Schritt ist die Information: Grundeigentümer wissen zum Teil nicht, welches Ausnützungspotenzial auf ihrem Grundstück im Rahmen der BZO vorhanden ist, etwa mit einer Arealüberbauung. Weil das Planen über die Grundordnung hinaus oft komplex ist, unter­stützen wir Bauherrschaften in solchen Prozes­sen, was diese sehr schätzen. Es gibt die klassische kooperative Planung mit grossen Grundeigentümern wie in Zürich West – und Prozesse, die darüber hinausgehen, denn bei gros­sen Gebieten mit vielen Grundeigen­tümern stossen kooperative Verfahren an ihre Grenzen.

TEC21: Ist eine Mitwirkung der Bevölkerung vorgesehen?
Katrin Gügler: Die Menschen haben das Bedürfnis, ihr Lebens­umfeld mitzugestalten, vor allem in Bezug auf die Nutzungen. Ihre Bedürfnisse und ihr Quartier kennen sie ja am besten, in der Regel sind sie aber keine Planer. Wichtig ist eine saubere Definition der Rollen am Anfang eines solchen Prozesses, um Missverständnisse und Frustrationen zu vermeiden. Zwischen Information und aktiver Mitwirkung ist die Spannweite gross. Im Fall des Kommunalen Richtplans ist die Mitwirkung im Rahmen der öffentlichen Auflage formalisiert. Alle Interessierten können und sollen sich einbringen. Jede Frage oder Anregung wird beantwortet.

Das Interview führte Judit Solt, Chefredaktorin

Anmerkungen

  1. 2008 haben die Stimmberechtigten die «2000-Watt-Gesellschaft» und den Grundsatz der Nachhaltigkeit in der Gemeindeordnung verankert. Vgl. «Strategien Zürich 2035»
  2. Vgl. TEC21 17/2018 «Ein Weg zur Dichte: der Mehrwertausgleich» und www.espazium.ch/tec21/archiv/view/320

Verdichtungsstrategien für die Stadt

Der «Kommunale Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen» der Stadt Zürich liegt vom 24. September bis 22. November 2018 öffentlich auf. Er basiert auf der Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG), die eine Siedlungsentwicklung in den bestehenden Zentren fordert. Die Umsetzung obliegt den Kantonen; entsprechend ist im Kantonalen Richtplan von Zürich die Hauptstadt als Entwicklungsschwerpunkt vorgesehen, und die Gesamtrevision des Regionalen Richtplans Stadt Zürich formuliert die Umsetzung der Verdichtungsstrategien als Massnahme. 2015 erteilte der Stadtrat den Auftrag für die erstmalige Erarbeitung des Kommunalen Richtplans. Er setzt dort an, wo die Themen des regionalen Richtplans auf Gemeindeebene konkretisiert werden. (Judit Solt)

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