Krei­slauf auf Quar­tie­re­be­ne

In Nyon VD entsteht ein neues Stadtviertel. Für die Energieversorgung wird ein «Regenerations»-Modell verwendet: Die Erdwärme wird im Winter für Heizung und Warmwasser genutzt, im Sommer werden die Gebäude gekühlt und der Untergrund thermisch regeneriert. Dieses Vorgehen ist vorbildlich, aber es gibt noch wenig Praxiserfahrung dazu.

Data di pubblicazione
23-08-2018
Revision
23-08-2018

Das Stadtquartier «Les Jardins du Couchant» in Nyon ist noch im Bau, doch drei von fünf Sektoren sind schon fertig gebaut und bezogen. Insgesamt sind 12 Gebäude unterschiedlicher Höhe geplant. Nach der Fertigstellung 2019 werden hier rund 900 Menschen in 395 Woh­nungen leben, zudem entstehen Arbeitsplätze für Handel und Dienstleistung. Hinzu kommen Senioren­wohnungen, ein Fitnesszentrum, eine Apotheke, ein Tea Room und eine Tiefgarage.

Das Quartier soll eine gute soziale Durchmischung aufweisen. Dies will man mit Anteilen an subventionierten Mietwohnungen, reservierten Wohnungen für ältere oder in der Mobilität eingeschränkte Personen sowie Eigentumswohnungen erreichen. Auch auf Langsamverkehr und die Verwendung erneuerbarer Energien wird grosser Wert gelegt. Alle Gebäude (ausser jene im Sektor 5) werden über einen durch Erdwärme gespeisten Nah­wärmeverbund verfügen.

Die Besonderheit ist, dass die Wärme- und Kälteversorgung nach dem sogenannten Regenera­tionsmodell funktioniert: Die über Erdsonden gewonnene Erdwärme wird im Winter für die Heizung und indirekt über das Heizungsnetz auch für Warmwasser genutzt; im Sommer wird ein Teil der Gebäude gekühlt, wobei die entzogene Wärme über die Erdsonden in den Untergrund geleitet wird, sodass dieser sich thermisch wieder regeneriert. Bei Hitzeperioden mit ausserordentlichen Bedarf an Kühlung können die Wärmepumpen als Kältemaschinen dazugeschaltet werden. Dieses Modell ist eine innovative und sehr nachhaltige Variante, mit der es noch wenig Praxiserfahrung gibt. Sie führt zu einer zu 80 % CO2-freien Energieversorgung. Gegenüber einer fossilen Versorgung spart man geschätzte 415 t CO2 pro Jahr.

Für das Wärme- und Kältesystem verantwortlich ist das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich ewz, das mit sei­nem nachhaltigen Konzept die Ausschreibung gewonnen hat. Die in einem Contracting geregelten Leistungen beinhalten Planung, Finanzierung, Bau sowie Betrieb der gesamten Wärme- und Kälte­versorgung der Überbauung. Der Vertrag für die Bewirtschaftung läuft über 30 Jahre.

Innovative Kombination

Als Energiequellen dienen hauptsächlich Erdwärme und Solarenergie. Es gibt 58 Erdsonden, die alle unter den Gebäuden im Sektor 3 liegen. Eine Energiezentrale mit zwei Wärmepumpen und einem Gaskessel wandelt Erdwärme in Heizwärme um. Der Gaskessel dient als Reserve, um einen Spitzenbedarf im Winter zu decken; im ersten Winter (2018/2019) kann allerdings darauf verzichtet werden, da noch nicht alle Sektoren fertiggebaut sind und die Erdwärme für die bereits bezogenen Gebäude ausreichen dürfte. Zusätzlich zur Energiezentrale, die seit Anfang Juni 2018 in Betrieb ist, sind acht Unterstationen mit Heizgruppen in den verschiedenen Gebäuden untergebracht. Jede verfügt über eine Wärmepumpe für Brauchwarmwasser und über eine thermische Solaranlage.

Obwohl ewz bereits über 100 energietechnische Anlagen mit Wärmepumpen bzw. Kältemaschinen und Erdsonden als Wärme­quelle betreibt, mangelt es beim Regenerationsmodell noch an Praxis­erfahrung (vgl. TEC21 9–10/2015). Die Projektleitung geht davon aus, dass die Optimierung der Anlage ein bis zwei Jahre dauern wird (vgl. Interview im Kasten unten). Bis dahin wird ein Monitoring durchgeführt, das erlauben soll, die Einstellungen zu optimieren. Im zweiten Jahr geht es hauptsächlich um die Feinoptimierung, um den in der Projektierung angedachten Sollzustand des Funktions­kreises der Anlage zu erreichen.

Aufgrund von Simulationsresultaten geht man davon aus, dass die Erdsonden während zehn Jahren mit Wasser als Trägermedium betrieben werden können. Danach wird der Erdgrund trotz Regenerationszyklus vermutlich zu kühl sein, und man wird Glykol verwenden müssen, um ein Gefrieren der Erdsonden und damit deren Verlust zu verhindern. Allerdings beeinträchtigt Glykol wegen seiner Viskosität und schlechteren Wärmeübertragung die Effizienz der Erdsonden. Deshalb soll seine Verwendung so weit wie möglich hinausgezögert werden.


«Die Verbundlösung ist einzigartig»

Pietro Savoldelli ist Fachspezialist Technischer Support bei ewz. Er ist u.a. für die Betriebsoptimierung bei komplexen Energielösungen zuständig.

TEC21: Herr Savoldelli, was ist das Einzigartige an dem Projekt in Nyon?
Pietro Savoldelli: Im Sommer wird die Wärme aus der Umgebung – das heisst aus der Aussenluft, später eventuell auch überschüssige Sonnen­energie – und aus der Kühlung der Gewerberäume im Erdreich zwischengespeichert und im Winter über die Wärmepumpen zum Heizen genutzt. 80% und mehr der benötigten Wärme wird somit CO2-arm und aus erneuerbaren Energien erzeugt. Ausserdem ist die Verbundlösung für Wärme- und Kälteerzeugung einzigartig. Die Kombination zentrale Heiz-Wärme­erzeugung mit dezentraler Brauchwarmwasser-Erwärmung ermöglicht eine energetisch effizientere und wirt­schaftlichere Wärmeproduktion ge­genüber einer dezentralen Lösung, bei der jedes Gebäude eine eigene Heizung hätte.

TEC21: Was ist die grösste Herausforderung?
Pietro Savoldelli: Die Vielfalt der eingesetzten Technik für die Wärmeerzeugung. Wir verwenden Erdsonden, thermische Solaranlagen, Rückkühler, grössere und kleinere Wärmepumpen sowie Abwärme aus Wohnungslüftungen. Zudem die Koordination mit PV-Modulen auf räumlich beschränkte Dachflächen. Eine weitere Herausforderung besteht in der Etappierung: Ein Teil der Gebäude wurde schon letzten Winter bezogen und geheizt, während in der Heizzentrale noch Montagearbeiten am Laufen waren und die restlichen Gebäude noch Baustellen waren.

TEC21: Wie funktioniert das Monitoring?
Pietro Savoldelli: Standardmässig werden wir die wichtigsten energetischen Daten über das Leitsystem laufend erfassen und mindestens einmal jährlich gesamthaft mit den geplanten Werten vergleichen. Bei Abweichungen werden der Objektleiter und sein Vorgesetzter informiert. Bei Bedarf können diese intern technische Unterstützung bei Fragen bzw. Ursa­chensuche beanspruchen. Dank der Visualisierung auf dem Leitsystem, der automatischen Aufzeichnung aller wichtigen physikalischen Daten und der grafischen Darstellung derselben kann der Objektleiter später selber den Betrieb der Anlage laufend kontrollieren und überprüfen.

TEC21: Wie erfolgt die Betriebsoptimierung im ersten Jahr?
Pietro Savoldelli: Eine komplexe Anlage wie in Nyon, bei der ganz verschiedene Energiequellen und Erzeuger mit- und nebeneinander funktionieren sollen, bekommt bei uns in den ersten ein bis zwei Betriebsjahren eine Begleitung durch einen erfahrenen Techniker. Das angedachte Konzept kann oft nicht ganz genau in der Regulierung umgesetzt werden: Mit den ersten Betriebserfahrungen ergeben sich Situationen, an die niemand gedacht hat. Und zu guter Letzt sind die Menschen Individuen, die sich ganz unterschiedlich verhalten, was sich auch auf die notwendige Wärmeerzeugung auswirkt – z.B. hat ein Gebäude einen höheren Warmwasserbezug als geplant, ein anderes einen geringeren. Während der ersten Phase wird die Regulierung der Anlage auf Kurs gebracht, wenn notwendig mit einer Anpassung der Programmierung, danach wird weiter beobachtet, und bei Bedarf werden weitere Feinjustierungen durchgeführt.

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Fonds de prévoyance de CA Indosuez (Switzerland); Mobilière Suisse Société d’Assurances; Logement Social Romand; Caisse Inter-Entreprises de Prévoyance Professionnelle (CIEPP)
 

Wärme- und Kälteversorgung (Contracting)
Elektrizitätswerke der Stadt Zürich ewz in Zusammenarbeit mit Conti & Associés Ingénieurs, Versoix GE
 

Projektoberleitung – Koordination, Analyse und Kontrolle der Aus­schreibungen, Bewertung und ­Kontrolle der technischen Lösungen, Gesamtplanung und Überwachung der Ausführungen
BG Ingénieurs Conseils, Lausanne
 

Totalunternehmer
Losinger Marazzi, Bussigny VD
 

Planung bis und mit Ausschreibung
A Carré Architecture et Aménagement, Bussigny VD

Eckwerte des Projekts
 

Termine
Baubeginn: Frühling 2016; Fertigstellung Sektor 4 (5 Gebäude): November 2017 inkl. erste Energielieferung; Fertigstellung Sektor 3 (4 Gebäude): Mai 2018; Fertigstellung Sektor 1 (2 Gebäude): Oktober 2018; Fertigstellung Sektor 2 (1 Gebäude): April 2020
 

Installierte Leistung Energiezentrale
Wärmepumpen Erdsonden 555 kW (Glykol); Gaskessel 600 kW; Rückkühler 300 kW; Kälteerzeugung 310 kW
 

Installierte Leistung Unterstationen
Wärmepumpen für Brauchwarmwasser 205 kW
 

Solarthermie
570 m2 ausser Sektor 2; Sektor 1 AB in Entwicklung; Jahresertrag noch offen
 

Kälteerzeugung
310 kW mit Wärmepumpe in der Energiezentrale; Wärme-/Kälteerzeugung über eine Energiezentrale, bivalent mit zentralisierten Wärmepumpen (Erdsonden) und Erdgas zur Redundanz und Spitzendeckung; Brauchwarmwasser mit dezentralen Wärmepumpen und Solarthermie
 

Wärmebedarf
2300 MWh (inkl. Brauchwarmwasser)
 

Kältebedarf
105 MWh
 

CO2-Reduktion
415 t pro Jahr (80 % erneuerbare Energien)
 

Einsparung fossile Brennstoffe
2.1 GWh (im Vergleich Wärmeerzeugung mit Erdgas)
 

Anzahl versorgte Gebäude
12
 

Inbetriebnahme
2017/2018/2020

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