Dün­ne Plat­te über der Eu­lach

Brückenkonstruktion aus cpc-Platten

In Winterthur entstand 2016 eine Fahrradbrücke, die es in sich hat: Der von Staubli, Kurath & Partner zusammen mit der ZHAW entwickelte Übergang ist statt mit Stahl mit vorgespanntem Carbon bewehrt. Das macht die Konstruktion bemerkenswert leicht und schlank.

Data di pubblicazione
09-03-2018
Revision
09-03-2018

Zwischen dem Campus der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur (ZHAW) und der Kantonsschule Büelrain überspannt eine Velobrücke als einfacher, 7.7 m langer Balken wenig spektakulär die kanalisierte Eulach. Eine nähere Betrachtung allerdings lässt stutzen: Die Betonbrücke wirkt nicht massiv, und mit 80 mm fallen die Stege für diese Spannweite äusserst schmal aus. Planung und Bau der Brücke lagen bei den Bauingenieuren von Staubli, Kurath & Partner. Weil aber das Tragwerk alles andere als eine herkömmliche Konstruktion ist, waren die Planenden auf Entwicklungsarbeit angewiesen.

Schlank dank Forschung

Die Fachgruppe Faserverbundkunststoffe FVK am Institut Konstruktives Entwerfen des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen an der ZHAW erforscht und entwickelt seit 2011 dünne und gleichzeitig sehr tragfähige Betonplatten. Dabei wird der Beton nicht mehr mit Stahl, sondern mit vorge­spanntem Carbon bewehrt. Stahlbewehrung muss in konventionellen Betonbauteilen mit einer Betonüberdeckung vor Korrosion geschützt werden. Diese Überdeckung kann zur Lastabtragung im besten Fall nur teilweise herangezogen werden, trägt bei schlanken Bauteilen aber wesentlich zum Eigengewicht und zur Form bei. Der Filigranität sind dadurch Grenzen gesetzt. Der Einsatz von Carbon bietet Vorteile, da es nicht korrodiert (vgl. Kasten unten). Entwicklungen mit schlaff eingelegten Fasern, Filamenten oder Netzen aus Kohlenstofffasern treffen unter dem Namen Carbonbeton oder auch Textilbeton bereits seit einigen Jahrzehnten auf reges Interesse.

Die technischen Eigenschaften des Carbons, wie die hohe Zugfestigkeit und die Ermüdungsfreiheit auch im Bereich der Bruchspannung, können im Verbund mit Beton aber erst ausgeschöpft werden, wenn die Bewehrung vorgespannt eingesetzt wird. Dadurch kann die hohe Zugfestigkeit von Carbon ausgenutzt und der Materialeinsatz der Kohlenstofffasern um etwa 90 % reduziert werden. Eine Minimierung des Carboneinsatzes ist im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Betonprodukte und den Ressourcenverbrauch relevant.

Gemeinsam mit einem Industriepartner hat die Fachgruppe in einem KTI-Forschungsprojekt eine leistungsfähige, nur 40 mm dünne Platte aus hochfestem Beton C65/75 entwickelt, die ausschliesslich mit vorgespanntem Carbon bewehrt ist. Sie lässt sich industriell und grossformatig in der Abmessung von 2.40 m × 10.0 m fertigen und anschliessend auf Mass zuschneiden – ähnlich wie grossformatige Stahlplatten im Stahlbau oder Holzwerkstoffplatten im Holzbau. Neben einfachen sind auch frei geformte Zuschnitte, Oberflächenbearbeitungen wie Bürsten und Fräsen, Bohrungen, Schlitzfräsungen, Taschen und Fasen möglich. Aufgrund der vielfältigen Bearbeitungsmöglichkeiten wurden diese sogenannten cpc-Platten (carbon prestressed concrete; vgl. Kasten unten) bereits häufig als Sekundärtragwerk eingesetzt, etwa als Treppen- oder Brückenbelag.

Mit dem Bauwerk über der Eulach haben die Bauingenieure der ZHAW aus den zum Patent angemeldeten cpc-Betonplatten eine Brücke für den Langsamverkehr konzipiert. Sie ersetzt ihre instandsetzungsbedürftige Vorgängerin und zeigt die Leistungsfähigkeit dieses Werkstoffs erstmals in einem komplett eigenständigen Brückentragwerk.

Vorgängerin: wegen Korrosion gesperrt

Das Tragwerk der ehemaligen Brücke bildeten zwei Einfeldträger aus Stahl, die neben dem aufliegenden Brückendeck aus Betonbohlen auch diverse Werkleitungen trugen. Durch die Lücken zwischen den Betonbohlen gelangte Regenwasser auf die Stahlträger und führte über die Jahre zu Korrosionsschäden. Anfang 2016 musste das Hochbauamt des Kantons Zürich als Eigentümerin die Brücke sperren lassen. Für den Ersatzneubau aus cpc-Platten entfernte man die 120 mm dicken Betonbohlen des alten Brückendecks und die über Konsolen angeschlossenen Geländer. Die Stahlträger blieben für die Führung der Werkleitungen weiterhin erhalten, wurden jedoch um 225 mm verkürzt, um Platz für das Auflager der neuen Brücke zu schaffen.

Geklebte Rahmenkonstruktion

Wie eine Tischkonstruktion stülpt sich die neue Brücke über die alten Stahlträger und schützt diese, ohne sie zu berühren, vor direkter Bewitterung. Die verbliebenen Stahlträger können somit mindestens 40 Jahre weiter genutzt werden. Eine einzige, 7.815 m × 2.37 m grosse und 40 mm starke cpc-Platte formt das Deck. Aufgrund der Vorspannung ist die Brückenplatte «rissfrei», was ihre Dauerhaftigkeit erhöht. Ein zusätzlicher Belag ist nicht erforderlich – die oberste Betonschicht dient als Verschleissschicht. Die Platte ist mit Senkkopf­muttern aus Edelstahl auf einen darunter liegenden, umlaufenden, 320 mm hohen Tragrahmen verschraubt und über die gesamte Länge verklebt. Der Rahmen, der aus zwei flächig verklebten cpc-Platten besteht, ist an der Oberseite in Längsrichtung in einem leichten Kreisbogen mit einem Radius von 218 m geschnitten. Aufgrund ihres Eigengewichts folgte die Brücken­platte der Überhöhung und wurde in dieser vorgekrümmten Form mit dem Tragrahmen verbunden.

Am unteren Rand der Längsträger ist jeweils eine ­Carbonlamelle Sika Carbodur M 1014 als zusätzliche Bewehrung in einer eingefrästen Nut eingeklebt. Die Querstege weisen  Ausnehmungen für die Werkleitungen auf. Die nutz­bare statische Höhe des Rahmens ergab sich direkt aus den bestehenden Höhenlagen der Auflager und der Steg­zufahrten, die unverändert blieben. Zur Entwässerung des Belags ist die Brücke in Längsrichtung etwa 35 mm überhöht. Eine umlaufend eingefräste Nut an der Unterseite dient als Wassernase.

Bemessung und Grossversuch

Die Bauingenieure richteten sich bei der Bemessung nach den Anforderungen gemäss den SIA-Normen 260:2013 und SIA 261:2014. Neue Kennwerte, die nicht in den Normen vorhanden sind, ermittelten sie anhand von Versuchen. An einem Grossversuch testeten sie das gesamte Zusammenwirken der einzelnen Elemente und überprüften die Belastungssituation experimentell. Die maximal eingeleitete Kraft betrug 88.56 kN, was einer Belastung von über 8.5 t entspricht. Das war rund 10 % mehr Last, als statisch berechnet worden war. Die neuartige Brückenkonstruktion konnte also gut mit den üblichen statischen Modellen beschrieben werden.

Mit Erfahrung weiter entwickeln

Die Staketen des Geländers aus gebürsteten Chromstahlrohren ROR 26.9 × 2.6 (1.4301) werden von einem mit der Brücke verklebten Randstreifen gehalten und tragen einen schlichten Handlauf. Beide Bauteile be­stehen ebenfalls aus carbonbewehrten cpc-Platten. Die Geländer der Zufahrten sind passend in der gleichen Weise ausgeführt und wurden erst montiert, nachdem die Brücke komplett auf einem Tieflader zum Bauplatz geliefert und mit einem leichten Pneukran auf den vorbereiteten Auflagern abgesetzt worden war.

Anhand des modularen Konzepts der Eulach­brücke konnten die Beteiligten wichtige Erfahrungen sammeln, um Brückenaufbauten zu verbessern und materialgerechte Details weiterzuentwickeln. Industriell herstell- und weiterverarbeitbar, robust und transportabel verfügen cpc-Platten über ein hohes Potenzial in der Baubranche. Aus finanzieller Sicht sind die cpc-Platten konkurrenzfähig. Im Fall der Eulachbrücke boten sie sogar die günstigere Variante als eine konventionelle Lösung. Die Kosten lagen im Rahmen eines vorgesehenen Bauprovisoriums. Die Betonplatten sind herkömmlichen korrosionsanfälligen Konstruktionen in Wirtschaftlichkeit und Tragfähigkeit mindestens ebenbürtig.

«Durch den deutlich reduzierten Material­einsatz», so Josef Kurath von Staubli, Kurath & Partner und Professor an der ZHAW, «sind sie aber im Res­sourcenverbrauch und in der Nachhaltigkeit den kon­ven­tionellen überlegen.» Um die Nachhaltigkeit der neuen Carbonbetonbrücke beurteilen zu können, seien zwei Varianten einer Ortsbetonbrücke durchgerechnet worden. Vergleiche man die cpc-Modulbrücke mit konventionellen Stahlbetonbrücken in puncto Ökobilanz, erhalte man erstaunliche Werte, erläutert Kurath. Die berechneten Massivbrücken würden 11 800 kg respektive 14 700 kg Beton benötigen. An Stahl bräuchte es 525 kg beziehungsweise 385 kg.

Bei der gebauten cpc-Modulbrücke wurden hingegen nur 3200 kg Beton und 14.5 kg Carbonbewehrung verwendet. «Ausserdem ist kein Belag notwendig», ergänzt der Spezialist, «da der Carbonbeton resistent gegen Salzwasser ist.» Durch die umgesetzte cpc-Modulbrücke konnten deshalb etwa 75 % an Umwelt­belastungs­punkten eingespart werden. Ein enormes Potenzial, denn solche Kleinbrücken gibt es allein in der Schweiz tausendfach.


Carbonfasern als Bewehrung

Carbonfasern (Kohlenstofffasern) werden als Endlosfasern (Filamente) über chemische Reaktionen aus kohlenstoffhaltigen Ausgangsmaterialien, etwa Erdöl, Pech o. Ä., gewonnen. Der Durchmesser einer einzelnen Faser beträgt rund 5 µm, ein Zehntel eines menschlichen Haars. Die Fasern werden zu Strängen (Roving) gebündelt, die textiltechnisch zu Geflechten, Geweben, sogenannten Gelegen weiterverarbeitet werden.

Ein bereits grosses Einsatzgebiet ist die Luft- und Raumfahrt, aber auch im Freizeit­bereich ist Carbon als carbon­faserverstärkter Kunststoff (CFK) anzutreffen. In der Bauindustrie werden CFK-Lamellen erfolgreich zur Verstärkung von Betonbauten eingesetzt. Mittels Epoxidharzklebern werden die Lamellen kraftschlüssig mit den bestehenden Bauteilen verbunden (Klebe­bewehrung).

Neuerdings zum Einsatz kommt die direkte Bewehrung des Betons mit Kohlefasern. Anstatt Stahl werden Gewebe aus Carbonfasern dem Beton als Zugbewehrung zugegeben. Auch Bewehrungsstäbe aus Carbon sind möglich. Da eine Kohlefaserbewehrung (Zugfestigkeit > 3000 N/mm2) etwa sechsmal zugfester ist als Stahl (510 N/mm2), wird sie meist vorgespannt eingebaut. Hochfeste Betone mit kleinem Grösstkorn sind daher nötig, um einen guten Verbund mit der textilen Bewehrung zu gewährleisten und ihre Eigenschaften ausnützen zu können.

Der Energieaufwand zur Herstellung carbonbewehrter Bauteile ist hoch. Bei der Carbonherstellung werden üblicherweise Temperaturen bis zu 1500 °C be­nötigt, je nach Anforderungen an das Endprodukt können aber auch 3000 °C erforderl­ich sein. Hinzu kommen sehr hohe Zementgehalte bei den verwendeten Betonen. Demgegenüber werden im Verhältnis zu Stahlbetonen bedeutend kleinere Mengen an Material benötigt, und die Dauerhaftigkeit ist nach jetzi­gem Forschungsstand höher anzunehmen (etwa um den Faktor 4).

Auch die Wiederverwertbarkeit im grossen Stil ist noch nicht vollständig gegeben, jedoch laut Herstellern möglich. Eine Trennung der Carbon­fasern vom Beton ist aufwendig. Eine Belassung der Fasern im Betonschutt ist jedoch vor allem bei geringem Carbon­anteil für manche Wiederverwertungen möglich. (Peter Seitz)


cpc-Platten (carbon prestressed concrete)

Die cpc-Platten enthalten keine Stahlbewehrung. Daher besteht keinerlei Korrosionsgefahr. Die Carbonbewehrung ist an den Schnittkanten quasi unsichtbar und dauerhaft frei von Verfärbungen. Die Carbonbewehrung ist fein verteilt und weist kurze Verankerungslängen auf. Dies ermöglicht eine Bearbei­tung (Zuschnitt, Bohrung etc.) der Platten (kein glo­ba­ler Einfluss bei lokaler Bewehrungsschädigung)

Die bei konventionellen Stahlbetonplatten erforderliche Bewehrungsüberdeckung von 3 bis 4 cm zum Schutz vor Bewehrungskorrosion ist für die Bewehrung aus Carbon nicht erforderlich. Daher sind cpc-Platten bei gleicher Tragfähigkeit wie Stahlbeton etwa drei- bis viermal dünner und haben ein bis zu 80 % geringeres Gewicht.

Aufgrund der Vorspannung bleiben die Platten unter Gebrauchslast rissfrei. Die Platten sind rutschfest und können ohne weitere Belagsschichten direkt befahren werden. Der eingesetzte hochwertige Beton ist frosttausalzbeständig.  (Prof. Josef Kurath, ZHAW)

Am Bau Beteiligte
 

Tragwerksplanung
Staubli, Kurath & Partner AG


Forschung
ZHAW, Institut Konstruktives Entwerfen, Fachgruppe FVK (Faserverbundkunststoffe), Winterthur

Unternehmungen
Silidur, Andelfingen; Toggenburger, Winterthur; Keller, Winterthur; Willy Stäubli Wasserbau, Horgen; O. Hadorn, Winterthur

Förderung
Eidgenössische Förderagentur für Innovation KTI

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