Schau­fen­ster für die Avant­gar­de

Gebäudetechnik

Jede Unit des NEST dient einem anderen Forschungsthema und bedarf unterschiedlicher gebäudetechnischer Anlagen. Darauf reagierend bietet die Infrastruktur des Baus den Nutzungseinheiten höchste Individualität.

Data di pubblicazione
26-05-2016
Revision
27-05-2016

Angewandte Forschung über effizi­en­te Gebäudetechnik ist ein Schlüssel­element für die Umsetzung der Energiestrategie 2050. Die intelligente Kon­figuration verschiedener Systemteile ist die «Spielwiese» der Forscher. Das Gebäude NEST, auch Living Lab genannt, auf dem Empa-Areal in Dübendorf ist gleichermassen Bühne und programmatische Absicht für eine avantgardistische Situierung verschiedenster Nutzungen. An den Units der Forschungs- und Industriepartner soll ohne Einschränkungen experimentiert werden können, daher brauchen sie Anschlüsse für alle Arten von gebäudetechnischen Installationen.

Wärme, Kälte, Elektrizität, Trinkwasser, Abwasser und Luft werden von den gebäudetechnischen Systemen der Units aufbereitet und / oder selbst produziert und verbraucht. Das NEST soll neuartige Wege der Energieerzeugung, -umwandlung, -speicherung und -verteilung ermöglichen. Jede Unit kann die zur Verfügung gestellte Technik gemäss dem eigenen Forschungsschwerpunkt ausnutzen oder unberücksichtigt lassen. 

Seit einigen Jahren wird eine CO2-minimierte und exergetisch effiziente Energieversorgung übergeordnet für das gesamte Empa-Areal vorangetrieben. Die ursprüngliche Hochtemperaturversorgung des Areals basierte auf einer zentralen Wärmeerzeugung mit Erdgas. Sie wird schrittweise dekarbonisiert (z. B. Wärmepumpe und saisonale Speicherung, Abwärmenutzung etc.).

Die Energieverbraucher werden in eine niedertemperaturfähige Konfiguration (< 45 °C statt 65 °C) transformiert. Die Stromversorgung spielt entsprechend eine zunehmend grössere Rolle. Eigenerzeugter Strom (z. B. WKK-Anlage mit ca. 500 kW, PV-Anlage mit ca. ­700 kW etc.) ersetzt nach und nach die Stromversorgung aus dem Netz. Die Verbrauchereffizienz steigt z. B. durch Freecooling mit Grundwasser oder durch ein Erdwärmesondenfeld statt mechanischer Kälteerzeugung ­mittels Kältemaschinen. Das NEST wird kurzerhand in diese gesamtheitliche Nachhaltigkeitsentwicklung eingebunden. So kann sein Projektfokus statt auf Effizienz voll und ganz auf dem Aspekt der Forschung liegen. 

Nebst anderen Planern und Spezialisten waren insbesondere die planenden Gebäudetechnikingenieure gefordert. Sie durften ihre weitgehend standardi­sierten Systemansätze zwar nicht gerade vergessen, mussten sich aber auf neue Wege einlassen und in interdisziplinären Auseinandersetzungen eine gleichermassen nachhaltige wie flexible Lösung entwickeln.

Energetisch selbstsicher 

Dass diese angestrebte Vielseitigkeit ein flexibles und trotzdem stabiles gebäudetechnisches Grundkonzept bedingt, ist selbstredend. Das entsprechende Rückgrat, der sogenannte Backbone, stellt die Verteilung und Sammlung der zahlreichen Energie- und Medienflüsse aus den bei Maximalbelegung 18 Forschungs-Units ­sicher.

Er erlaubt nicht nur eine modulare Systemtopografie, sondern auch den permanenten Austausch von Energie- und Stoffflüssen zwischen den Nutzungen und den unterschiedlichen Energieerzeugern. Einerseits gewährleisten die eigenen Anlagen im NEST mittels Energy Hub und dem Ziel des möglichst autarken Betriebs die Wärme- und Kälteversorgung, Wasserver- und Abwasserentsorgung, sowie Stromversorgung. Andererseits macht das Areal im Sinn eines «Backups» die entsprechenden Versorgungsströme verfügbar. 

Das arealseitige Wärme- und Kälteversorgungsnetz stellt die Grundversorgung mit thermischer Energie sicher. Zusätzlich sind in der Energiezentrale im Untergeschoss, dem Energy Hub, für Forschungszwecke eigenständige Wärme- und Kälteerzeugungs- und -speicheranlagen situiert (Brennstoffzelle, Wärme­pumpen, Eisspeicher, Erdwärmesonden etc.). Diese sind vollumfänglich hydraulisch in das gebäudetechnische Konzept eingebunden.

Das System ist so kon­figuriert, dass es bidirektionale Massenströme auf drei Systemtemperaturebenen gleichzeitig generieren kann. Das bedeutet, dass eine Nutzungseinheit jederzeit Wärme oder Kälte mit einem Temperaturregime von 60 / 45 °C (Hoch­temperatur),
38 / 28 °C (Nieder­temperatur) oder 5 – 15 / 15 – 25 °C (Tieftemperatur) aus dem Backbone beziehen oder an diesen abgeben kann. Die Units erlauben ihrerseits wechselnde Kon­figura­tionen und somit auch langfristig die Ein­bindung­ noch weiterer neuer Technologien und ent­sprechender Feldforschung. 

Die Stromversorgung wird wie bei den obengenannten Systemen durch das Arealnetz der Empa und mit einer entsprechenden Niederspannungshaupt­verteilung (NSHV) im Untergeschoss des NEST sicher­gestellt. Die Forschungs-Units und der Energy Hub binden auch selber erzeugte Elektrizität (z. B. PV-An­lagen an den Units) in die Verteilung ein. 

Rohrleitungen in megalomaner Zahl 

Zur Lufterneuerung wurden im Backbone die Anlagen für die Grundversorgung der allgemeinen Räume vorgesehen. Daran angeschlossen sind die Lüftung der Kellerräume, die Teilklimaanlage von Seminarraum, ­Sitzungszimmer, Lobby und die Teilklimaanlage der Mehrzweckräume. Die Forschungs-Units hingegen ­verfügen über eigenständige und individuelle Lufterneuerungssysteme. Für sie wurden lediglich die Anschlüsse für ein zentrales Fortluftnetz bereitgestellt.

Ein sparsamer Umgang mit Wasser ist weltweit eben­ so wichtig wie die nachhaltige Nutzung energetischer Ressourcen. NEST ermöglicht es, das Potenzial der ­Wasserbewirtschaftung sowohl im einzelnen Gebäude als auch auf Quartierebene zu untersuchen. 

Für die Wasserver- und -entsorgung wurde ­der Backbone so konfiguriert, dass jede Unit grundsätzlich über vier unterschiedliche Wasserversorgungsmöglichkeiten verfügt: 

  • Regenwasser mit Trinkwasserqualität 
  • Regenwasser aufbereitet (keine Trinkwasserqualität) 
  • Grauwasser 
  • Kaltwasser aus dem Arealnetz

Das gesamte Regenwasser der nicht überdeckten Dächer wird gesammelt und in einen erdverlegten Tank (35 m3) geleitet. Die Planer gehen von einem Jahresertrag von ca. 880 m3 für die Wasserversorgung aus.

Jede Unit hat über den Backbone sechs verschiedene Abwasserabgabemöglichkeiten: 

  • Schmutzabwasser (Abwasser mit fäkalen Anteilen)
  • Schwarzabwasser (Abwasser ohne Fäkalien)
  • Gelbabwasser (Abwasser mit urinalen Anteilen)
  • Grauwasser leicht (Dachwasser)
  • Grauwasser schwer (Oberflächenwasser)
  • Regenwasser 

Entsprechend differenziert können die anfallenden ­Abwasser im 1. UG wieder aufbereitet und über das ­Verteilnetz zu den Units geführt werden. Ein Umlüftungsanschluss soll Unterdruckgenerierung vermeiden.

Der sogenannte «Water Hub» vereint Elemente wie moderne Trenntoiletten, Nährstoffrückgewinnung aus Urin, Substitution von Trinkwasser durch aktive Nutzung von Regenwasser und Aufbereitung von rezyk­liertem Grauwasser, Schwarzabwasser als Energiequelle, eine flexible Infrastruktur sowie neuartige Leitungsführungen für vereinfachte Abwassersysteme. Damit schafft er neue Erkenntnisse für die Sanitärtechnik­systeme der Zukunft.

Mögen die Spiele beginnen! 

Die dynamische Wechselwirkung der Infrastrukturen, mit der die Forscher spielen, stellt nicht nur topologisch, sondern auch regeltechnisch und hydraulisch höchste Anforderungen an die Gebäudetechniksysteme im ­Backbone. Das NEST ist nicht nur über den Backbone ­und den Energy und Water Hub mit dem Empa-­Cam­pus Dübendorf und auch der dort befindlichen ­Demonstrationsplattform «move» (siehe Kasten) verbunden. Es bezieht ausserdem die Energy System ­Integration Platform (ESI) des Paul Scherrer Instituts (siehe Kasten unten) mit ein. 

Diese breit abgestützte Zusammenarbeit eröffnet der Energie- und Gebäudetechnikforschung eine völlig neue Dimension und ermöglicht die Untersuchung von Energienetzen, die nicht physisch, sondern virtuell über entsprechende Software («Internet of Things») ­gekoppelt sind. Zudem erlaubt die Kombination verschiedener Kompetenzen und Technologien einen ganzheitlichen Blick auf die Energie- und Gebäudetechniksysteme der Zukunft. 

Als erste Forschungs-Units nehmen «Meet2­Create» und «Vision Wood» den Betrieb auf. «Meet2­Create» reduziert mit einem passiven Konzept den ­Energieverbrauch und erzeugt mit BIPV Strom. Eine Raumautomation regelt Heizung, Lüftung und Kälte von «Vision Wood» und optimiert so die Energieeffizienz. Hier werden Regelstrategien und -algorithmen getestet. Die anderen Units werden ebenfalls über eine individuelle Gebäudetechnik verfügen und an die passenden Infrastrukturen angeschlossen. Der Mehrwert von NEST und dem Backbone ist, dass die Anbindung nicht fix festgelegt ist, sondern jederzeit Veränderungen vorgenommen werden können.


Weitere Informationen

Units
 

Digitale Fabrikation: Digitale Plan- und Bautechniken werden unter Langzeit­be­dingungen getestet. Ziel ist, Produk­tions­effizienz und Nachhaltigkeit des Gebäudes zu erhöhen. Betriebsaufnahme 2018.

HiLo – Ultraleichtbau und adaptive Fassaden: Ein zweigeschossiges Penthouse aus ultraleichten Betonschalen dient akademischen Gästen als Wohn- und ­Arbeitsraum. Getestet werden Schalungen, Dach- und Bodenkonstruktionen ­in Leichtbau sowie eine adaptive Solar­fassade. Betriebsaufnahme 2017.

Meet2Create – Das Büro der Zukunft: Mehrere Arbeits- und Meetingräume. Getestet werden unter anderem Tageslichtsteuerung, schalldämmende Textilien, PV-Fassade, Cloud Automation. Betriebsaufnahme Mai 2016.

Solare Fitness & Wellness – Energieef­fi­ziente Wellnesstechnik: Die Unit wird mit dem Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverband suissetec realisiert und geht im Herbst 2016 in ­Betrieb.

Urban Mining: Im Bau soll Abfall wiederverwertet und zukünftiger Abfall vermieden werden. Dazu werden Recyclingmaterialien und neue Konstruktions- und Fügetechniken für den geordneten Rückbau erprobt. Betriebsaufnahme 2017.

Vision Wood – Holzinnovationen: Untersucht werden unter anderem funktionalisierte Zellulose in Silikon, ein Bambus-Kompositmaterial für die Terrasse, nachhaltige und flammhemmende PU-Schäume. Betriebsaufnahme Mai 2016.
 

Partnerprojekte

Water Hub – Projekt der Empa zu urba­nem Wasser- und Abwassermanagement: Forschungsthemen hier sind u. a. die Reduktion des Wasserverbrauchs, Nutzung verschiedener Stoffe im Abwasser, Nährstoffrückgewinnung aus Urin, Nutzung von Regenwasser und Abwasser als Energiequelle.

ehub – Energy Hub Demonstrator an der Empa: Es werden Energiekonzepte getestet, um Energiemanagement auf Quartier­ebene zu optimieren und den Einfluss  der Konzepte auf das gesamte Energie­system zu evaluieren.

move – Future Mobility Demonstrator:  ein benachbartes Projekt am Empa-­Areal. Neue Fahrzeugantriebs­konzepte und ­ihre Energieversorgung sollen einen möglichst geringen CO2-Ausstoss verursachen.

ESI – Energy System Integration Platform: Forschungsprojekt des Paul Scherrer Instituts am PARK innovAARE in Villingen: Forschungsthemen: Beschleunigertechnologien, Advanced Materials and Processes, Mensch und Gesundheit sowie Energie.

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