Sorg­fäl­tig in­te­griert

Ein über 100 Jahre altes Haus am Zürichberg wurde energetisch fit gemacht für die nächsten Jahrzehnte. Um die bauzeitliche Gestaltung nicht zu beeinträchtigen, entschied sich Architekt Stefan Hauswirth für ein Dach aus Solarziegeln.

Publikationsdatum
18-01-2023

Es regnet in Strömen, als wir uns an einem Dienstag im Herbst zur Begehung des instandgesetzten Hauses im Kreis 7 in Zürich treffen. Ausgerechnet. Immerhin ist die Sonne – im weitesten Sinn – der Aufhänger für die Besichtigung. Das Einfamilienhaus am hier sehr steilen Zürichberg war bei seiner Erstellung 1904 der erste Bau vor Ort und lag damals noch inmitten von Rebbergen.

Unter Denkmalschutz steht er nicht (wohl aber der Vorgarten, der im Inventar schützenswerter Objekte aufgeführt ist), doch besticht er durchaus mit baulichem Charme: Eine Fülle an – auch ungewöhnlichen – Fensterformaten verraten repräsentative Absichten, spitze Giebel gliedern  die Dachlandschaft. Im Innern überrascht dann ein eher bescheidenes Entrée die Besucherin. Um eine Villa im klassischen Sinn handelt es sich nicht, aber auch nicht um ein einfaches Wohnhaus. Kurz: Es lohnt sich ein zweiter, genauerer Blick.

Potenzial auf dem Dach

Das fand auch die Bauherrschaft, die das dreigeschossige Haus 2020 kaufte und von Sommer 2021 bis zum Frühling 2022 umbauen liess. Ausgangspunkt des Bauvorhabens war zunächst ein kleinerer Wasserschaden im Keller – die Beschäftigung mit dem Projekt führte dann zu einer umfassenderen Renovation, inklusive einiger Anpassungen im Grundriss, der Dämmung des Dachgeschosses und vor allem einer energetischen Instandsetzung.

Grün ist das Quartier auch heute noch, doch statt Rebbergen prägen weitläufige Gärten und Wohnhäuser aus der Zeit von Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts das Bild. Die Verdichtungs- und Flächenoptimierungswelle ist an dem einen oder anderen Ort schon erahnbar, doch noch nicht bis zu den Höhen des Bergs geschwappt.

Dementsprechend war für Bauherrschaft und Architekt klar, dass die Versorgung des Hauses mit erneuerbaren Energien zwar ein Wunsch, die technoide Ästhetik von PV-Modulen aber keine Option war. Fündig wurden sie bei einem deutschen Hersteller von Solarziegeln. Das Konzept: Die monokristallinen PV-Module sind jeweils auf reguläre Dachziegel geklebt und werden über eine Plug-and-Play-Steckverbindung mit den in der Dachkonstruktion verlaufenden Leitungen verbunden. Auf diese Weise kann das Dach herkömmlich konstruiert werden, die Wasserführung und Dichtigkeit bleiben erhalten, bis auf den Kabelbaum unter den Ziegeln braucht es keine zusätzlichen Installationen. Das ermöglicht, dass – wie hier – auch kleinteilige und komplexe Dachflächen genutzt werden können.

Für die Sonderziegel an First, Grat oder Ortgang und für die nicht solar genutzen Flächen auf der Nordseite wurden die regulären Ziegel des gleichen Herstellers verwendet. Die solar genutzte Fläche entspricht mit 165 m2 etwas mehr als der Hälfte der Dachfläche. Die Anlage wird gemäss Berechnungen rund 14’000 KWh im Jahr erzeugen. Das ist kein Spitzenwert, liegt aber über dem prognostizierten Eigenverbrauch von 11’000KWh p.a. Der Rest wird in der hauseigenen Batterie gespeichert, Überschüsse im Sommer werden ins Stromnetz eingespeist. Erdsonden im hinteren Teil des Gartens ergänzen das Versorgungssystem des Hauses.

Valable Option

Tatsächlich sind Solarziegel bisher ein Nischenprodukt, was auch daran liegt, dass sie im oberen Preissegment angesiedelt sind. Die in diesem Fall geschätzten Mehrkosten von 20 bis 30 % gegenüber einer Aufdachanlage relativieren sich aber, schaut man sich das Objekt genauer an: Bei einem so fragmentierten Dach wie hier bietet das System neben optischen auch technische Vorteile. Durch die Kleinteiligkeit der Elemente lässt sich insgesamt mehr Solarfläche schaffen als bei einer Aufdachanlage. Zudem beginnen die Solarziegel ein bis zwei Stunden früher am Morgen mit der Stromproduktion, weil der Wechselrichter, der den produzierten Gleichstrom in Wechselstrom für Stromnetz und Speicherung umwandelt, eine tiefere Startspannung benötigt. Abends verlängert sich die Zeit ebenfalls entsprechend. Auch die Lebensdauer spricht für das System: Statt den 20 Jahren einer Aufdachanlage werden 40 Jahre veranschlagt.

Für denkmalgeschützte Gebäude oder die energetische Aufrüstung eines Hauses in einem sensiblen Umfeld wie in diesem Fall können Solarziegel also eine gute Option sein. Was sich dann auch an dem regnerischen Besichtigungstermin zeigte: Rein optisch waren die nassen Solarziegel nicht von ihren regulären Kollegen zu unterscheiden. Ob die Elemente auch technisch überzeugen, wird sich noch zeigen. Das erste Jahr im Betrieb ist noch nicht abgeschlossen.

Instandsetzung Privathaus, Zürich

 

Bauherrschaft
privat


Architektur
Hauswirth Architekten, Zürich
 

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Caretta + Gitz, Küssnacht


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Timbatec Holzbauingenieure, Zürich


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Stutz & Partner, Zürich


Sanitär- und Heizungsplanung
hat 1-4, Winterthur

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