Ent­de­cker­geist im Bü­ro

Der Zürcher Outdoor-Ausstatter Transa liess sich vom Baubüro in situ in der Zürcher Innenstadt eine Bürolandschaft aus jenen Materialien entwerfen, die es schon vor Ort gab. Dadurch sparte man CO2 ein – und holte zugleich den Geist von wirklicher Arbeit und echten Erlebnissen ins Haus.

Publikationsdatum
16-06-2022

Da ist diese wundersame Lampe. Eine weissliche Plastikraute, hinter der man die Glühbirne erahnt, gepaart mit einer ebensolchen, Rücken an Rücken aneinandermontiert mit einem Ring aus Lochblech. Aus diesem kommt ein schwarzes Kabel hervor, an dem die Lampe hängt. Irgendwo hat man das schon mal gesehen. Aber nicht so. Die Lampe nämlich kennt man einzeln und fest an der Wand montiert, aus dem Besuch von Schulhäusern und anderen öffentlichen Bauten der gut und pragmatisch ausgestatteten 1980er-Jahre. Vier Jahrzehnte später hat sie sich verdoppelt und pendelt nun frei von der Decke.

Bewegtes Denken

Ursprünglich sorgten die Lampen für Licht in den Toiletten eines Bürogebäudes in der Josefstrasse im Zürcher Kreis 5. Nun sind sie zu sorgfältig gestalteten Objekten geworden, die den Flur der neuen Bürolandschaft von Transa in demselben Gebäude rhythmisieren. Ihre durch die freie Aufhängung an Textilkabeln gewonnene Beweglichkeit ist vielsagend: Sie findet eine Parallele im bewegten Denken, das diese neuen Beleuchtungskörper geschaffen hat und das die gesamte Umgestaltung des Büroinnern prägt.

Eigentlich ist damit alles gesagt über den Ausbau der Zentrale des Outdoor-Ausstatters Transa durch das Baubüro in situ. Der Aufstieg, oder Denglisch: das Upcycling (des Lampenschirms aus der banalen Kachellandschaft einer Toilette in den Haupterschliessungsweg des Büros); die Neuinterpretation (eines an die Wand montierten Dings als frei pendelndes Objekt); die nur sparsame Verwendung neuer Materialien; die Evokationskraft dessen, was eine Geschichte hat (und sei es eine ganz alltägliche). «Sammeln, Horten, Interpretieren, Gestalten», so beschreibt Pascal Angehrn, im Baubüro in situ gemeinsam mit Benjamin Poignon und Achille Pidoux zuständig für die Neugestaltung der Transa-Büros, den Prozess.

Die Ausgangslage waren konventionelle Büro- und Schulungsräume auf einer Etage eines ebenso konventionellen Gewerbebaus aus den 1960er-Jahren. Daraus sollte das Büro eines unkonventionellen Unternehmens werden: Transa setzt sich ursprünglich aus «trans Sahara» zusammen und entstand in den 1970er-Jahren als ein Verein, der Wüstenreisen und die entsprechende Ausstattung anbot. Etwas von diesem Entdeckergeist sollte seinen Weg ins Büro finden.

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Die Innovation steckt hier weniger im Grundriss. Auch wenn ehemalige Zwischenwände entfernt wurden, handelt es sich um ein zwar ambitioniertes, aber klassisches zeitgenössisches Bürolayout: ein zentraler Gang, entlang dessen sich grössere und kleinere Büroräume reihen, unterbrochen von grosszügigen Küchen und hier und da von einer in die Wand geschobenen Sitznische für zwei Personen. Es sind vor allem die Materialien und die Transparenz, mit der etwas von der Weite des Erkundens unter freiem Himmel und in abgelegenen Landschaften auch an die Schreibtische des Outdoor-Spezialisten gefunden hat. Zu verdanken ist das vor allem der grosszügigen Breite des Flurs, eher ein gestreckter Raum, und den Fenstern in den Wänden zu den Büros. Die Atmosphäre bestimmen zudem einige sorgsam platzierte Requisiten, für die nicht allein in situ verantwortlich ist: ein Paar alter Holzstühle, ein in der Ecke lehnendes Surfboard und allenthalben üppig wuchernde Kletterpflanzen.

Da Neubau bei in situ immer Umbau bedeutet und die Wiederverwendung von Material oberste Priorität hat, ging es auch hier um Methode und Konzept und nicht um die Verwirklichung einer zuvor bereits hyperrealistisch ausgearbeiteten Visualisierung. Der Entwurf für Transa wird dem Namen des Architekturbüros tatsächlich gerecht: «in situ» bezeichnet im archäologischen Zusammenhang das Vorhandensein historischer Fundstücke an Ort und Stelle. In den Transa-Büros an der Josefstrasse hantierte das Büro nun mit einigem, was schon da war. Nur unbedingt Nötiges kam von aus­sen dazu; selbst wenig anheimelnde Einrichtungsgegenstände durften wiederverwendet werden. Zum Beispiel die Pressspanplatten der alten Einbauschränke oder Gipsplatten der vormaligen Akustikdecke, bis zu den Elektrokabeln. Und auch der banal-quadratische Metallraster der ursprünglich abgehängten Decke ist noch erkennbar, weil er sich für die Aufhängung neuer Elemente anbot. «Dieser Umbau füllte nicht einmal ein halbes Dutzend Abfallmulden», so Angehrn nicht ohne Stolz.

Zweifel an der Kompetenz der Planer

Ein solcher Prozess weicht nicht nur mit dem Verzicht auf das Ausrümpeln von der üblichen Vorgehensweise ab, er verlangt von allen Beteiligten grosses Vertrauen und Entgegenkommen. Es habe durchaus Momente gegeben, wo dem Auftraggeber echte Zweifel an der Kompetenz der Planer gekommen seien, erinnert sich Angehrn. Denn man kann nicht präzise vorhersagen, wie das Resultat aussieht, wenn man mit dem auskommen muss, was man hat, und wenn die Maxime für alles Hinzu­gekaufte ist, dass auch das nicht neu hergestellt sein soll. Ein grosses inneres Fenster, auf das der zent­rale Gang fluchtet, sollte ursprünglich rund sein – nun ist es rechteckig. Die Holzständerwände, die die Büros von dem zentralen Flur abtrennen, sind ausgefüllt mit den zersägten und gestapelten Pressspanplatten – damit kommen die zuvor verborgenen zusammengeleimten Holzschnipsel ans Licht, das muss einem schon gefallen. Die Fronten der Büroschränke bestehen aus Tafeln aus rezykliertem Verpackungsmaterial und wurden sehr viel dunkler geliefert als das Muster, auf dessen Basis man sie bestellt hatte – denn der Hersteller musste eben seinerseits mit den rezyklierten Rohstoffen arbeiten, die er bekam. Umgekehrt profitiert diese Herangehensweise von einer Immunität gegen die Lieferkettenprobleme, mit denen konventionelle Bauprojekte derzeit zu kämpfen haben.

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Nicht nur deswegen sind die Zweifel verflogen. Der Bauherr ist begeistert vom Ergebnis. «Das ist eigentlich genau so, wie wir ein Projekt steuern», begründet Daniel Humbel, CEO von Transa, seine Sympathie für die Neugestaltung. «Das Denken ist im Prinzip Copy/Paste – auch bei uns sind Prozesse konstant in Dynamik.» Er ist überzeugt, dass die Ästhetik des Unfertigen auch die Arbeitsabläufe inspiriert, die hier stattfinden: «Ein perfekter Hightech-Bau würde allen die Luft abschnüren. So aber bleibt vieles offen und in Bewegung.»

Tatsächlich ist offensichtlich, dass die Nutzer längst Gefallen gefunden haben an der Secondhand-Schönheit, die die Innenausstattung bestimmt. Für ein solches Unternehmen eignet sich eine wiederverwendete Kletterwand mit Klammergriff eben sehr gut als Rückwand einer intimen Besprechungskoje. Oder die Trennwände der Postfächer aus zerschnittenen Werbetafeln des Expeditionsausstatters: Die eingehenden Formulare und Rechnungen sind nun flankiert von Ausschnitten aus blauem Himmel, Felswänden, Astwerk, lachenden Gesichtern und Bergwiesen. So findet man seine Post nicht nur schneller, man liest sie wahrscheinlich auch lieber. Leicht abgewetzte Orientteppiche bescheren den Büros Heimeligkeit aus zweiter Hand und mit einem Augenzwinkern. Ein solches Umfeld, so Humbel, biete nicht zuletzt die Attraktivität, die ein Büro nach langen Phasen des Homeoffice auch haben müsse, um die Mitarbeitenden überhaupt zur Rückkehr zu ­bewegen: «Wir kommen wirklich gern hierher.»

Spuren echter Arbeit

Damit spricht er indirekt einen Aspekt dieser Umgestaltung an, der nicht direkt mit Nachhaltigkeit zu tun hat, aber doch deren Nebeneffekt ist. Die Büros von Transa zeigen Spuren der Arbeit. Einer Arbeit, die eine andere Erlebnisqualität hat als die, die in so gut wie allen europäischen Büros vorherrscht, also Bildschirmarbeit. Aus zersägten Holzplatten gemachte Wände aber, Spuren eines präzisen Betonschnitts durch eine Wand, verspachtelte Fugen in Decken und Wänden, all das spiegelt handwerkliche Arbeit wider, tatsächliches Zupacken. Angehrn schwärmt vom Umbauprozess auf Augenhöhe mit den Handwerkern. Denn kein Planer könne wissen, wie man ein gebrauchtes Elektrokabel wiederverwendet. Die Schreiner standen hier sehr lang an der Tischkreissäge, um die Ausfachungen der Trennwände zuzusägen. Derlei färbt ab auf die Arbeit, die nach Abschluss des Umgestaltungsprozesses hier stattfinden soll. Das betrifft nicht allein die Transa-Büros, es dürfte allgemein für die Begehrtheit ­ehemals industrieller Räume gelten. Etwas vom materiellen Machen verspricht seinen Weg auch in eine weitgehend entmaterialisierte Arbeitswelt zu finden.

Kupfer für 100 Jahre
«Als Installateur bei Urban Mining mitzumachen, das war ganz neu für uns.» Jan Schibli ist Geschäftsführer der gleichnamigen Firma, die für die Elektrik in den neuen Transa-Büros zuständig war. Die Wiederverwendung von Kabeln bedeutete nicht weniger als einen Tabubruch. Regulär kommen bei solchen Umbauten alle bestehenden Kabel raus, nicht zuletzt wegen Vorschriften, die beispielsweise eine halogenfreie Ummantelung der Kabel vorschreiben, damit bei einem Brand keine Giftstoffe freigesetzt werden. Das Kupfer der alten Kabel aber, so Schibli, könne hundert Jahre in Gebrauch bleiben. Also wurden die Kupferdrähte aus ihrer Ummantelung ausgezogen, abgelängt und wieder eingezogen. Ein solches Vorgehen schlage wegen der zusätz­lichen Arbeitszeit trotz Materialeinsparung mit fünf bis zehn Prozent höheren Kosten zu Buche, gibt der Elektriker zu. Aber mit dem Projekt für Transa habe man nun auch das notwendige Know-how gewonnen und sei in Zukunft effizienter. Diese Kompetenz sei auch aus unternehmerischer Sicht relevant. Dass heute noch die meisten Kunden vor einer Wiederverwendung von Material im Elektrobereich zurückschrecken, basiere auf «reinem Empfinden und unbegründeter Angst». Wenn sich erst der Preis für Rohstoffe ändere, glaubt Schibli, werde sich auch das Denken bewegen.

Die Ästhetik des Gebrauchten

Die Idee, meint Pascal Angehrn, sei hier stärker als der architektonische Aspekt. Das mag hinsichtlich der Orien­tierung eher auf den Prozess als auf das Ergebnis richtig sein. Doch natürlich ist das Büro von Transa auch Teil einer Begeisterung für eine Ästhetik des Gebrauchten. Die alten Holzfenster aus einem mittlerweile abgerissenen Genossenschaftsbau in Altstetten, die nun die obere Hälfte vieler Innenwände ausmachen, sind sorgsam gerahmt von neuen, hellen Holzflächen. Das ist nicht allein eine Konzession an die Notwendigkeit, auch neue Materialien einzusetzen, wo es nicht anders geht. Es ist auch eine gekonnte Kontrastierung von frisch versus gebraucht – und damit eben auch eine ästhetische Wahl. Somit ist die Neugestaltung aus Altem Teil einer Tendenz, die das Gebrauchte feiert und die in den 1980er-Jahren mit den stonewashed Jeans aufkam und seitdem einen steten Aufschwung erfahren hat. Nicht zufällig in einer Zeit, als mit der Post­moderne die Geschichte ihren Weg zurückfand in die Architektur und als die westlichen Gesellschaften sich zugleich von industrieller und Fabrikarbeit verab­schiedeten. Die Gestaltungen von in situ tragen die Aura der Handarbeit und das Narrativ zahlreicher kleiner Geschichten in sich. Es sind auch diese Qualitäten, die sie so faszinierend machen.

Dass mit dem Umbau in der Josefstrasse, wie der Fachplaner «Zirkular» errechnet hat, das Äquivalent von 50 Transatlantikflügen an CO2 eingespart wurde, ist aber auch nicht zu vernachlässigen. Es macht deutlich: So ein Projekt hat nicht nur eine Vergangenheit, sondern man wünscht ihm vor allem eine Zukunft.

Bauherrschaft
Transa Backpacking, Zürich

 

Innenarchitektur/Baumanagement
Baubüro in situ, Zürich

 

Holzbau
Atelier Emmaüs, Villeurbanne (F), Zehnder Holz und Bau, Winterthur

 

Schreinerarbeiten
Klotzholz, Wängi TG

 

Elektroplaner
Schibli Elektrotechnik, Zürich

 

Sanitäre Einrichtungen
Ernst Lips, Zürich

 

Baumeister
Herzog Umbauten, Zürich

 

Bauteilbeschaffung
Stiftung Chance, Kompetenzzentrum für berufliche Integration, Zürich

 

Schlosserarbeiten
Metallwerkstatt Wick Upcycling, Winterthur

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