Ge­sta­pelt und ge­schi­ch­tet

Das im Kopenhagener Stadtteil Ørestad errichtete 8 House des dänischen Architekturbüros BIG enthält 475 Wohnungen, Gewerbeeinheiten und Büros, aber keine Autoabstellplätze. Es illustriert die Bestrebung der Stadtverwaltung, das Gebiet zwischen Flughafen und Innenstadt auf nachhaltige Weise zu verdichten.

Data di pubblicazione
20-02-2012
Revision
25-08-2015

Seit einiger Zeit macht in Kopenhagen ein Akronym die Runde, das sich ein selbstbewusstes, junges Architekturbüro zugelegt hat: Mit gehöriger Chuzpe nennt man sich BIG. Das steht zwar lediglich für Bjarke Ingels Group, ist aber auch wörtlich zu nehmen. Das ständig wachsende Team des 36-jährigen Ingels weist gleichzeitig Grossprojekte in New York, Kairo, Schanghai, Vilnius und Grönland vor – um nur einige zu nennen.

Dichtes Band statt Zersiedlung

BIG möchte die Visionen umsetzen, von denen andere bislang nur geträumt haben. Das zeigt sich auch an dem überdimensionalen Wohnungsprojekt für Ørestad, einen Kopenhagener Stadtteil für 30 000 Menschen, der seit den 1990er-Jahren auf einem einstigen militärischen Übungsgelände entsteht. Als die Stadtverwaltung erkannte, dass Einfamilienhäuser die Suburbanisierung auf der landschaftlich geprägten Insel Amager verschlimmern, beschloss sie eine radikale Kehrtwende: Die 5 km lange Bandstadt Ørestad, die sich auf der Insel zwischen Flughafen und Innenstadt erstreckt, sollte sich durch hohe Verdichtung, eine Metrolinie, die Reduktion des PW-Verkehrs und ein klares ökologisches Konzept auszeichnen. Ausserdem sammelte man Regenwasser in Reservoirs, die mittlerweile zu künstlichen Seen angewachsen sind. Der 1994 erstellte Masterplan des finnischen Architekturbüros ARKKI teilt Ørestad in vier hoch verdichtete Bereiche und lässt die weiten Grünflächen intakt. Bjarke Ingels hatte bereits in den letzten Jahren im Zentrum von Ørestad zwei Wohnprojekte realisiert. Mit seinem früheren Partner Julian de Smedt errichtete er 2005 die gezackten Blocksegmente des VM-House und wenig später die Mountain Dwellings, in denen terrassenförmig geschichtete Wohneinheiten direkt an die Parkgeschosse andocken. Als Ingels jedoch den Auftrag erhielt, am südlichen Rand von Ørestad, wo das scheinbar endlose Grün des Naturschutzgebietes Kalvebod Fælled beginnt, eine Blockrandbe­bauung entlang der Erschliessungsstrasse und der Metrolinie zu errichten, kamen ihm Zweifel. Er scheute vor der drohenden Ein­tönigkeit zurück und befürchtete riesige, leere Innenhöfe, welche die Bewohner lediglich als Alibigrün empfinden würden. Ingels, der in den 1990er-Jahren seine Sporen in Rem Koolhaas' Office for Metropolitan Architecture ­verdient und das Credo der Bigness – die Propagierung grosser Bauformen mit unterschiedlicher Programmatik – verinnerlicht ­hatte, sah sich auf die Bewährungsprobe gestellt.

Vielfalt in der Grossform

Mit seinem internationalen Team entwarf Ingels eine Stadt in der Stadt: ein monumentales, elfgeschossiges Gebäude mit 475 Einheiten, das im Grundriss eine 8 nachzeichnet. Nur wurde dieses Gebilde – immerhin Skandinaviens grösstes Wohnungsbauprojekt – nicht als Nebeneinander, sondern als Schichtung von Einheiten errichtet. Das Erdgeschoss ist hauptsächlich dem Gewerbe vorbehalten und weist eine grössere Gebäudetiefe auf als die oberen Etagen. Daraus ergibt sich im ersten Obergeschoss eine freie Fläche vor den Wohnungen, die als Terrasse genutzt wird: Für die ersten beiden Wohngeschosse entwickelte BIG eine Reihenhausvariante mit Vorgarten. Die nächsthöhere Schichtung umfasst bis zu sechs Etagen mit eingeschossigen Apartments, während die oberste Schicht aus zweigeschossigen Penthouses mit Garten und Dachterrasse besteht. Die eigentlichen Attraktionen des 8 House sind die begrünten Dächer, die waghalsigen Treppen an der äusseren Fassade und die breiten Rampen, die als öffentlicher Parcours die Wohnbereiche erschliessen und die Gebäudehälften am Knotenpunkt durchschneiden. An diesem Punkt befinden sich die Gemeinschaftseinrichtungen. Die Architekten sprechen von einem «social tower», in dem sich Einrichtungen vom Erdgeschoss bis zum Dach verteilen. Der Grundriss brachte es mit sich, dass die Entwerfenden – trotz den eingesetzten Modulen für die Badezimmer – eine erstaunliche Vielfalt an differenziertem Wohnraum durchsetzen konnten. Da die eine Hälfte der Wohnungen um die 22 Gebäudekerne gruppiert und die andere Hälfte über die öffentliche Rampe erschlossen ist, entstanden unterschiedlichste Grundrisse. Am Ende kamen 125 Wohnungstypen, wahlweise mit Maisonette, Vorgarten oder Dachterrasse, zusammen. Das Projektteam diskutierte lange, wie sich die Vorteile des aussergewöhnlichen Gebäudekomplexes betonen liessen. Es entschied, den Gebäudeverlauf im Süden drastisch abzusenken, um die Ausbeute an Tageslicht und den Ausblick auf Naturschutzgebiet und See zu verbessern. Im Gegenzug wurden die Büroflächen im nördlichen Bereich, wo sich grössere verschattete Zonen befinden, um vier Geschosse aufgestockt. Als Folge der Gebäudestruktur entstand kein riesiger Innenhof, sondern zwei intimere Höfe, die von dem deutsch-dänischen Büro KLAR sehr unterschiedlich angelegt wurden. Im südlichen Bereich entschieden sich die Landschaftsarchitekten für Rasenterrassen mit geometrischen Mustern, während sie im Norden runde Grashügel gestalteten. Unverhofft durchzieht auch ein öffentlicher Fussweg den Komplex und erleichtert den Zugang zu den Wohnungen.

Mutiges Konzept

Architekturfans aus aller Welt, die nach Ørestad pilgern, wundern sich, dass man beim 8 House sowohl auf unterirdische Stellplätze als auch auf ein Parkhaus verzichtet hat. Dieser Entscheid beruht auf dem Nachhaltigkeitskonzept der Stadtverwaltung, die auf den Ausbau der Metro setzt. Erstaunlich sind auch die relativ geringen Eigentumspreise, die 40 % unter den Quadratmeterpreisen der historischen Innenstadt liegen. Zwar ist erst die Hälfte der Eigentumswohnungen verkauft, doch das ist der Finanzkrise geschuldet, der auch ein den Komplex abschliessendes Turmgebäude auf der Nordseite zum Opfer fiel. Zum Glück bestand der Investor darauf, das öffentliche Café an der südlichen Gebäudespitze nicht auch einzusparen: Mittlerweile gehört es zu den beliebtesten Einrichtungen in Ørestad und gestattet überraschende Ausblicke über den See und das grüne Amager. Ohne den mutigen Investor, der auch hinter VM-House und Mountain Dwellings steht, wäre das 8 House nicht möglich gewesen. Doch derartige Grossprojekte dürften in absehbarer Zukunft – nicht nur im kleinen Dänemark – kaum mehr durchsetzbar sein.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
St. Frederikslund Holding, Kopenhagen


Architektur
BIG – Bjarke Ingels Group, Kopenhagen / New York


Generalunternehmung/Investor
Høpfner Partners, Kopenhagen


Ingenieure
Moe & Brodsgaard, Kopenhagen


Landschaftsarchitektur
KLAR, Kopenhagen 

Zahlen und Fakten


Grösse
61 000 m2


Wohnen
475 Miet- und Eigentumswohnungen, 65 bis 144 m2


Büro- und Gewerbeflächen
10 000 m2


Baukosten
92 Mio. Euro


Fertigstellung
September 2010


Weitere Informationen
www.8tallet.dk

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