Die künf­ti­ge Rol­le der Was­ser­kraft

Kantonale Gesamtplanung für den Bau von neuen Wasserkraftwerken notwendig

Das Ausbaupotenzial der Wasserkraft wird unterschiedlich beurteilt. Dies zeigte sich auch an der Tagung «Die Rolle der Wasserkraft in der Energiestrategie 2050», die im November 2011 von der Stiftung Praktischer Umweltschutz und dem Schweizerischen Wasserwirtschaftsverband in Solothurn veranstaltet wurde.

Data di pubblicazione
27-01-2012
Revision
01-09-2015

Der Ausbau der Wasserkraft in der Schweiz ist nicht erst seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima ein brisantes Thema. Im Energiegesetz ist eine Erhöhung der durchschnittlichen Jahreserzeugung von Elektrizität aus Wasserkraft um mindestens 2 TWh bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Stand im Jahr 2000 festgehalten. Der vom Bundesrat beschlossene Ausstieg aus der Kernkraft hat den Druck für den Ausbau der Wasserkraft zweifellos erhöht. So hat das Bundesamt für Energie (BFE) im Rahmen der neuen Energiestrategie im Juni 2011 das zusätzliche Potenzial der Wasserkraftnutzung bis 2050 auf 4 TWh geschätzt.1 Das BFE liess jedoch verlauten, dass diese neue Schätzung mit den Kantonen abgeglichen werden müsse.

Schwierige Umsetzung

In den vergangenen Monaten fanden zwischen dem BFE und den Kantonen Gespräche statt. An einer gemeinsam von der Stiftung Praktischer Umweltschutz Pusch und dem Schweizerischen Wasserwirtschaftsverband (SWV) organisierten Tagung Ende November in Solothurn, an der Vertreter von Bund, Kantonen, Wasserkraftindustrie sowie Natur- und Umweltschutzorganisationen teilnahmen, präsentierte Thomas Volken vom BFE erste, aber noch provisorische Ergebnisse zum realistischen Potenzial der Wasserkraft. Bei der ersten Abschätzung ging man davon aus, dass die Restwasserbestimmungen moderat umgesetzt werden könnten und auch die Nutzung von einigen VAEW-Gebieten denkbar ist.2 Nun zeigte sich aber, dass bei der Umsetzung der Restwasserbestimmungen aus Sicht der Kantone kaum Spielraum besteht. Dasselbe gilt auch für die Nutzung von VAEW-Gebieten. Deutlich nach unten korrigiert wurde auch das Potenzial der Kleinwasserkraft. Weil aber die Einbussen durch den Klimawandel aufgrund einer neuen Studie geringer ausfallen könnten (vgl. TEC21, 41/2011), erachtet Volken das angestrebte Ausbauziel von 4 TWh nach wie vor als realistisch.

Plädoyer für Kompromisse

Für Roger Pfammatter vom SWV ist das Potenzial für den angestrebten Ausbau der Wasserkraft vorhanden. Um das Ziel zu erreichen, brauche es aber optimale Bedingungen – doch davon sei man weit entfernt. Pfammatter plädierte für neue Kompromisse. Namentlich erwähnte er den Verbrauch und den Preis von Elektrizität, vor allem aber auch den Landschafts- und Gewässerschutz. Viele Erneuerungs- und Ausbauideen scheiterten an der mangelnden Rentabilität, fehlender Investitionssicherheit oder an Schutzanliegen, sagte Pfammater. Das vorhandene Potenzial sei unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen deshalb nicht nutzbar. Aufgrund der mit den Konzessionserneuerungen in den nächsten Jahrzehnten anfallenden Energieverluste aufgrund der Restwasserbestimmungen müsse mit einer Stagnation oder sogar einem Rückgang der Produktion gerechnet werden.
An die Adresse der Umweltorganisationen wird oft der Vorwurf gerichtet, sie seien schuld an den langen Verfahren bei Wasserkraftprojekten. Für Luca Vetterli von Pro Natura Ticino sind die oft langen Verfahren Ausdruck dafür, dass es um ganz grundsätzliche Interessenkonflikte geht. Der Auseinandersetzung zwischen Schutz und Nutzung liege der grundlegende Zielkonflikt zwischen dem Schutz des Klimas und der Erhaltung der Biodiversität zugrunde. Vetterli bezeichnete diese beiden Ziele als die zentralen Herausforderungen der Menschheit in ihrem Verhältnis zu Natur
und Umwelt.
Wasserkraftprojekte können laut Vetterli beschleunigt werden, wenn die wichtigsten Akteure sich frühzeitig an einen Tisch setzen. Die Mühe einer solchen Zusammenarbeit könne man sich aber sparen, wenn keine Aussicht auf ein rechtskonformes Projekt bestehe, wie dies aus Sicht der Umweltorganisationen etwa bei der Erhöhung der Grimselstaumauer der Fall sei. Die Bemühungen der Umweltorganisationen, unversehrte Gewässer ungeschmälert zu erhalten, werde von den Stromkonzernen oft als fundamentalistisch bezeichnet. Doch diese gingen ihrerseits, so Vetterli, oft fraglos davon aus, das Wasserkraftpotenzial sei vollständig zu erschliessen. 

Gesamtplanung ist nötig 

Und tatsächlich werden in der Schweiz bereits mehr als 90 % des Potenzials genutzt. Ebenso ist bekannt, dass die Wasserkraft schwerwiegende ökologische Probleme wie etwa eine ungenügende oder sehr ungleichmässige Wasserführung von Bächen und Flüssen sowie bauliche Hindernisse mit sich bringt. Anita Mazetta vom WWF Graubünden berichtete, dass seit einiger Zeit Wasserkraftprojekte wie Pilze aus dem Boden schössen. Dies hänge auch mit der im Bereich der Wasserkraft wenig durchdachten Einführung der kostendeckenden Einspeiseverfügung (KEV) zusammen.4 Das Hauptproblem sei dabei, dass die Projektierung oft ohne kantonale Gesamtplanung erfolge. Als Beispiel dafür nannte sie Graubünden.
Mit dieser Kritik steht der WWF nicht alleine da. So fordert etwa auch die Umweltschutzorganisation Pusch einen raumplanerischen Ansatz für den Bau von neuen Anlagen. Die Belastungen sind demnach zu konzentrieren und wertvolle Gebiete ganz frei zu halten.5 Und auch die kürzlich durch den Bund herausgegebene Empfehlung für die Kleinwasserkraft zielt in dieselbe Richtung und schlägt vor, die Planung der Kleinwasserkraft in die kantonalen Richtpläne aufzunehmen.6 Damit würden allerdings die politisch äusserst delikaten und in den Kantonen unterschiedlich geregelten Zuständigkeiten für die Konzessionserteilung der Wasserkraftnutzung infrage gestellt. Während etwa in Graubünden oder auch im Wallis – mit Ausnahme der Rhone – die Gemeinden über diese Kompetenz verfügen, liegt diese in Bern
beim Kanton.
Bei der nachhaltigen Wassernutzung gilt der Kanton Bern als Vorreiter – zumindest seit dieser vor einem Jahr eine Wasserstrategie verabschiedet hat.7 Laut Heinz Habegger vom Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern soll die Strategie Transparenz und damit klare Voraussetzungen insbesondere für das Planen im Bereich der Wasserkraft schaffen. Man wolle einerseits die Wasserkraft fördern, andererseits aber auch Landschaft und Natur schützen. Mit Einführung der KEV habe sich abgezeichnet, dass viele Konzessionsgesuche im Bereich der Kleinwasserkraft eingereicht würden, sagte Habegger. Deshalb wollte man ein Instrument zur Priorisierung der Vorhaben zur Verfügung haben. Mit der Teilstrategie zur Wassernutzung sei die Grundlage dafür nun geschaffen worden. Priorität haben laut Habegger Projekte an bestehenden Standorten. Neue Anlagen kommen nur an geeigneten Standorten infrage, wobei grössere Anlagen bevorzugt werden. Anlagen mit einer Leistung von weniger als 300 kW werden in der Regel nicht bewilligt.8 Das wichtigste Ergebnis der systematischen Abwägung von Schutz- und Nutzungsinteressen ist die Gewässerkarte «Nutzungskategorien Wasserkraft», die ein Massnahmenblatt des kantonalen Richtplans ist.

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