Kün­stli­che Son­ne

Nahezu jedes CAD-System kann im digitalen Modell den Stand der Sonne simulieren. Weshalb investiert ein Unternehmen dennoch Geld in ein Gerät, mit dem es Tageslicht am physischen Modell untersucht?

Data di pubblicazione
02-04-2014
Revision
26-08-2016

Die Halbkugel mit einem Durchmesser von 3.5m hängt mitten im Grossraumbüro an der Decke. Es ist das Herzstück der Simulationsanlage des Zürcher Lichtplanungsbüros Reflexion: der Tageslichtdom. Er schafft das nötige Licht, um Tageslichtverhältnisse und Lichtwerte am physischen Modell unter realistischen Bedingungen ausmessen und bewerten zu können – als Ergänzung zur digitalen Simulation mit Softwares wie Relux oder Dialux. Ausser Reflexion betreibt in der Schweiz einzig die EPFL einen Tageslichtdom.1

Die Kuppel des Doms besteht aus MDF-Elementen. Die weiss lackierte Innenseite sorgt für eine gleichmässige Lichtverteilung. Konzipiert und gebaut hat Reflexion den Tageslichtdom selbst. Die Kosten liegen im unteren sechsstelligen Bereich. Das Tageslicht simulieren 33 Leuchten mit je einer Circline-Lampe im Innern des Doms, die insgesamt bis 13.000lx2 erzeugen können. Um natürliche Verhältnisse zu erreichen, nimmt die Lichtmenge gegen den Zenit zu.

Für die Untersuchung der direkten Sonneneinstrahlung und des Schattenwurfs dient eine künstliche Sonne in Form eines Aufbaustrahlers. Ausgerichtet auf die geografische Lage und unter Berücksichtigung von Sonnenstand am Stichdatum lassen sich unter dem Dom die Lichtverhältnisse jeder Jahreszeit ermitteln. «Der Vorteil ist, dass man in der Planung bereits zu einem frühen Zeitpunkt einen echten Eindruck der Tageslichtverhältnisse im Raum hat», erklärt Thomas Mika, Gründer von Reflexion, «den Raum erleben und ihn zu verstehen ist das, was viele Architekten suchen.».

Bei Simulationen steht das physische Modell auf einem Tisch. Die Kuppel wird mithilfe einer Kurbel heruntergelassen, bis sie es vollständig verdeckt. Das Modell3 bleibt von allen Seiten zugänglich. Mit dem Endoskop können die Lichtplaner die Lichtverhältnisse in jedem Raum anschauen und fotografisch festhalten. Als Grundlage für die Kunstlichtplanung können sie diverse Werte mithilfe der Leuchtdichtekamera und des Luxmeters ermitteln. Auch können sie die Wirkung verschiedener Beleuchtungsstärken auf unterschiedlich reflektierenden Oberflächen untersuchen, wie etwa die Leuchtdichte4 und den Tageslichtquotienten5. Entscheidend ist jedoch der sinnliche Eindruck des Raums: Der Tageslichtdom wird hauptsächlich dann eingesetzt, wenn es um ästhetische und atmosphärische Fragen geht und man herausfinden will, wie der Raum bei Tageslicht wirkt. «Uns interessiert vor allem die Komposition von hellen und dunklen Flächen im Raum», so Thomas Mika. Heutzutage achte man in der Lichtplanung in erster Linie darauf, dass die Lichtverteilung stimmt, und nicht, dass die Luxwerte eingehalten werden. «Zudem lässt sich das adaptive Licht präziser planen, wenn man gute Kenntnisse über die Tageslichtwerte im Raum hat.» Tageslichtsimulationen am Modell seien aussagekräftiger, die Berechnung von rein physikalischen Grössen gehe am Computer jedoch schneller.

Die Lichtplaner nutzen den Lichtdom auch, wenn die Aufgabe zu komplex ist und die Software an ihre Grenzen stösst. Bei einem Neubau auf dem Novartis Campus (RMA Architects, Mumbai) mit einer dichten, von der Decke hängenden Bepflanzung in der Mitte des Gebäudes ging es darum, wie viel Tageslicht über die Dachstruktur ins Innere gelangt. Diese Frage konnte der zuständige Lichtplaner mit der digitalen Simulation nicht beantworten – die Berechnung war zu komplex. Anhand des Modells konnte Reflexion mit dem Tageslichtdom die Anzahl Sonnenstunden und die zusätzliche künstliche Besonnung ermitteln. 

Im Idealfall kommt der Tageslichtdom bereits in der Projektphase zum Einsatz, wie das Beispiel der neuen Turnhalle auf dem Campus-Neubau der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Muttenz (pool Architekten, Zürich) zeigt. Am Modell ermittelten die Lichtplaner das einfallende Tageslicht unter Verwendung verschiedener Materialien. Die Versuche zeigten, dass der Tageslichtertrag durch bauliche Massnahmen wie einen helleren Boden und helle Betonrippen um 80% gesteigert werden kann. 

Anmerkungen

  1. Solar Energy and Building Physics Laboratory.
  2. Die Beleuchtungsstärke kann gedimmt werden. Zum Vergleich: Tageslichtwerte in Mitteleuropa entsprechen 8000–12.000lx. 
  3. Geeignet sind Modelle im Massstab 1:20 bis 1:200 mit einer maximalen Grösse von 100 ×100×100cm.
  4. Vom menschlichen Auge wahrgenommene Helligkeit einer Fläche.
  5. Verhältnis der Beleuchtungsstärke im Raum zu derjenigen draussen bei bedecktem Himmel.
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