Re-Use als Norm

In Basel ist preisgünstiger Wohnraum knapp. Zugleich ist es geboten, Treib­hausgasemissionen zu senken. Um «Low Cost» und «Low Energy» unter einen Hut zu bekommen, setzt der Kanton im Wettbewerb zum Entwicklungs­areal Walkeweg Nord auf Wiederverwendung von Bauteilen. Das Projekt des jungen Basler Büros Parabase überzeugte.

Data di pubblicazione
29-06-2023

Areal Walkeweg Nord, Basel, Wohnüberbauung Baufelder C + D mit Bauteil-Wiederverwendung («Re-Use»); Anonymer Projektwettbewerb im offenen Verfahren

Die Nachfrage nach Wohnungen ist in Basel seit Jahren höher als das Angebot. Aus diesem Grund lancierte der Kanton das Wohnbauprogramm «1000+». Es sieht vor, bis 2035 in über 1000 neue Wohnungen zu investieren und diese preisgünstig zu vermieten. Zum Einsatz kommt unter anderem ein Bonus-Modell, das mit einem Mietzins-Bonus einen Anreiz zur Reduktion der Wohnfläche setzt.

So auch auf dem sechs Hektar grossen Entwicklungsareal Walkeweg, das unmittelbar an das Dreispitz-Areal und das Areal Wolf angrenzt. Es wird nach Osten durch den Gleisbogen eingefasst und öffnet sich im Westen zum Friedhof Wolfgottesacker und zu den Familien­gärten. Um neue Wohnflächen zu schaffen, wurden Teile der Familiengärten zur Umzonung freigegeben und im Jahr 2018 eine Testplanung zur städtebaulichen Entwicklung des Areals Walkeweg ausgeschrieben.

Frühere Testplanung

Das Projekt von Camponovo Baumgartner Architekten und Extra Land­schaftsarchitekten überzeugte die Jury: Es schlägt eine lockere, durchgrünte Wohnüberbauung für rund 650 Personen vor, die sich an bekannten, historischen Basler Siedlungstypologien orientiert. Im durchmischten Quartier wird Wohnraum für unterschiedliche Bewohnergruppen angeboten. Der grosszügige Grünraum fördert den sozialen Austausch und damit das Quartierbewusstsein und unterstützt die soziale Stabilität sowie die Integrationsfähigkeit. So werden auch Wohnungen für das kantonale Migrationszentrum innerhalb der Überbauung realisiert. Die Flüchtlinge sind derzeit in temporären Bauten auf dem südlichen Baufeld des Walkewegs untergebracht. Bis 2025 werden auf dem von zwei ­Basler Wohnbaugenossenschaften im Baurecht übernommenen Areal 150 Wohnungen realisiert.

Ein zentrales Element des Masterplans bildet das Primarschul­haus mit Kindergarten. Das dafür im letzten Jahr durch einen Wett­bewerb (vgl. TEC21 20/2022) evaluierte Projekt befindet sich in der ­Vor­pro­jektphase. Kurz vor der Fertigstellung ist das Hochhaus von Bachelard Wagner Architekten am neuen Irène Zurkinden-Platz.

Re-Use im Baufeld C und D

Im nächsten Schritt werden die ­Baufelder C und D im Norden des Areals entwickelt. Hier plant der Kanton Basel-Stadt, bis 2026 rund 120 Wohnungen und ein integriertes Migrationszentrum mit zusätzlich 44 Wohnungen zu realisieren.

Zum einstufigen Projektwettbewerb im offenen Verfahren für Generalplanerteams wurden lediglich 18 Beiträge von auffallend vielen jungen und noch weitgehend unbekannten Büros eingereicht. Aussergewöhnlich bei einem Wettbewerb dieser Grössenordnung war die Auflage der Bauteilwiederverwendung, also «Re-Use». Hierbei überzeugte das Projekt «Elementa» des jungen Basler Büros Parabase, das das Preisgericht einstimmig zur Weiterbearbeitung und Realisierung empfahl.

Elementar nachhaltig

Die Wohnungen des Siegerprojekts werden nach dem Grundsatz «Low Cost – Low Energy» erstellt. «Low Cost» zielt dabei primär auf kompakte Grundrisse und preisgünstige Mieten, «Low Energy» auf eine Minimierung des Wärmebedarfs der Gebäude sowie eine Maximierung des Anteils an erneuerbaren Energiequellen. So werden die maximal viergeschossigen Wohnhäuser fossilfrei beheizt und der benötigte Strom wird zu einem grossen Teil von der eigenen Photovoltaik-Anlage erzeugt. Auch in Bezug auf die Materialien und Bauweisen entspricht das Projekt den hohen Anforderungen an Nachhaltigkeit, die im Programm vorgegeben waren.

So setzt sich das Tragsystem aus einer Kombination von alten Bauteilen aus dem Bauteilkatalog und neuen vorfabrizierten Bau­elementen zusammen, was zu einer eigenen Ästhetik führt. Dies zeigt sich vor allem in der Gestaltung der Fassaden: Für das Tragsystem der Fassade werden Betonrippen aus dem nahegelegenen Lysbüchel-Parkhaus wiederverwendet, die den industriellen Ausdruck in die neue Nutzung überführen.

Die vorfabrizierte Stahlbetonstruktur ist flexibel genug, um es mit verschiedenen Wohnungstypologien aufzunehmen: Beim Baufeld C handelt es sich um vierstöckige Reihenhäuser innerhalb einer Stützen-­Träger-Konstruktion aus einer wie­derverwendeten vorfabrizierten Stahlbetonstruktur; beim Baufeld D um dreigeschossige Reihenhäuser mit tragenden Aussenwänden aus wiederverwendeten Stahlbeton-­Rippenplatten.

Tragwerk, Fassade und Innenausbau sind drei eigenständige Systeme. «Dies ermöglicht nicht nur eine gute Bauteiltrennung für den nächsten Lebenszyklus der Bauten, sondern erlaubt dank nicht tragender Innenwände eine hohe Umnutzungsflexibilität», wie der Jurybericht betont.

Der sehr niedrige Wert an grauer Energie in der Erstellung resultiert zum einen aus der Wiederverwendung der Bauteile, zum anderen aus dem Einsatz von ökologischen Baumaterialien, nach dem Grundsatz: lokal, nachwachsend und CO²-minimiert, wie etwa Brettstapeldecken, Holzständerwände, Lehmbauplatten, Lehmputz und Zellulosedämmung. Die Öko­bilanz musste mit dem EcoTool berechnet werden.

Soziale Nachhaltigkeit

Im Vergleich aller acht prämierten Projekte überzeugt das Siegerprojekt in städtebaulicher und räumlicher Hinsicht. Es folgt strikt dem städtebaulichen Vorschlag des Masterplans mit jeweils drei Zeilen im Baufeld C und D. Der Entwurf kann die maximale Bruttogeschossfläche ausnutzen, indem es die Treppenhäuser an der Aussenseite des ­Gebäudes anordnet und die Grundrisse ohne Ecken und Rücksprünge sehr rational gestaltet. Obwohl sehr dicht überbaut, bietet er gleichzeitig viel Frei- und Grünflächen.

Die Zeilen in der neuen Siedlung werden durch zwei Strassen erschlossen: der neuen Urbana Iulia-Strasse im Westen und der Dora Schmidt-Strasse zwischen den ­Baufeldern. Von dieser zweigen kleinere Wege in Nord-Süd-Richtung ab und bilden Durchgänge in versetzter Anordnung, die die drei ­langen Zeilen auf dem grösseren Baufeld C durchbrechen.

Geschickt werden die Erschliessungs- und Begegnungsräume zwischen den Zeilen durch die Treppentürme gegliedert und zusammen mit den Veloabstellplätzen und dem leichten Hochparterre in verschiedene Zonen eingeteilt. Diese Zwischenräume bieten ausreichend Flächen für Spiel und Aufenthalt.

Aneignung von Grün

Auch die Begrünung der Freiräume und der Gebäude ist nachhaltig. Auf Baufeld C öffnen sich nach Süden die Parterrewohnungen mit einer eben­erdigen Terrasse, umgeben von Vegetationspuffern, die von den Bewohnenden angeeignet werden können. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten wird bei Baufeld D auf gemeinschaftliche Bereiche verzichtet. Dafür werden grosszügige Privatgärten für die Familienwohnungen angeboten. Für diese schlagen die Verfasser Triplexwohnungen vor.

Zustimmung findet die Maisonette-Typologie für die Grosswohnungen mit durchgestecktem Wohn- und Essbereich, mit belebten Erdgeschossen und vor Einsicht geschützten Schlafzimmern im ersten Obergeschoss. Es wird allerdings kritisiert, dass diese Typologie häufiger zum Zug kommt, als dies erwünscht war. Im zweiten und dritten Obergeschoss auf Baufeld C ist die Privatheit einiger Schlafzimmer beeinträchtigt. Deshalb soll auch die Erschliessung mittels Laubengänge in der weiteren Bearbeitung überprüft werden.

Das Migrationszentrum begrüsst die Unterbringung all ihrer Räume in einer Zeile. Allerdings wäre ein Abtausch von der südlichsten mit der nördlichsten Zeile im Baufeld C gewünscht. Ziel ist die Fertigstellung der Baufelder C und D im Jahr 2026.

Dicht mit viel Freiraum

Mit dem Abschluss des Wettbewerbs lässt sich der Charakter des zukünftigen Stadtviertels erahnen. Eine dichte Bebauung mit viel Frei- und Grünraum garantiert einen Lebensraum mit hoher Wohnqualität; kompakte und anpassbare Grundrisse ermöglichen die Bau- und Mietkosten gering zu halten. Der Wärmebedarf wird minimiert und der Anteil an erneuerbaren Energiequellen maximiert. Zudem werden die Gebäude aus wiederverwendeten Bauteilen klimagerecht und ressourcenschonend erstellt. Aber das Projekt zeigt nicht nur in sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht auf, wie nachhaltig gebaut werden kann. Es besticht auch durch seine eigenwillige Ästhetik, die aus der Wiederverwendung von Bauteilen eine neue Architektursprache entwickelt.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 21–22/2023 «Pumpen für das Klima».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Auszeichnungen

1. Rang, 1. Preis: «Elementa»
Parabase, Basel
2. Rang, 2. Preis: «Living Garden»
BGM Architekten, Basel
3. Rang, 3. Preis: «Bostitch»
Atelier Atlas Architektur, Basel
4. Rang, 4. Preis: «Delta»
Made in, Genf
5. Rang, 5. Preis: «Méta-Matics»
kollektive architekt, Basel
6. Rang, 6. Preis: «Netz»
Stefan Wülser+, Zürich
7. Rang, 7. Preis: «Jolly Jumper»
Julian C. Fischer Architekten, Zürich
8. Rang, 8. Preis: «Living Its Second Best Life»  
Fiechter & Salzmann Architekten, Zürich

FachJury

Beat Aeberhard, Architekt, Kantonsbaumeister Basel-Stadt (Vorsitz); Marianne Baumgartner, Architektin, Zürich; Christian Inderbitzin, Architekt, Prof. am KIT, Zürich; Sonja Müller, Landschaftsarchitektin, Basel; Susanne Vécsey, Architektin, Basel; Jürg Degen, Abteilungsleiter Städtebau, Bau- und Verkehrs­departement Basel-Stadt (Ersatz)

SachJury

Christina Bronowski, Leiterin; Entwicklung, Immobilien Basel-Stadt; Ulrike Gölker Zeugin, Raumplanerin, Zürich; Andreas Herbster, Geschäftsleiter Wohnstadt, Basel; Jonathan Koellreuter, Leiter Portfoliomanagement, Immobilien Basel-Stadt; Gerold Perler, Leiter Wohnen, Ab­teilung Hochbau, Bau- und Verkehrs­departement Basel-Stadt (Ersatz)

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