Nachhaltige Spielfreude
Neubau Primarschule Walkeweg; Einstufiger Studienauftrag
Die Anforderungen an den Neubau der Primarschule Walkeweg in Basel waren hoch: Das Projekt soll mustergültig für das nachhaltige Bauen sein, sich stimmig einfügen und zugleich eine Zentrumsfunktion und Pionierrolle für das neu entstehende Quartier übernehmen.
Derart viel Aufmerksamkeit erhält nicht jedes Projekt: Ein 22-köpfiges Beurteilungsgremium diskutierte die 85 Beiträge zum Ideenwettbewerb für das neue Primarschulhaus Walkeweg. Die Anforderungen waren hoch, nichts weniger als Antworten auf die wichtigsten Fragen der Nachhaltigkeit in möglichst vielen Bereichen waren gesucht, mit einem Fokus auf Themen wie CO2-Emissionen, klimagerechtes Bauen, Kreislaufwirtschaft und soziale Nachhaltigkeit.
Pionierpflanzen
Der Wettbewerbsperimeter liegt auf dem Areal Walkeweg, mitten im Basler Dreispitzquartier, dessen Transformation vom Industriegelände und Zollfreilager auf Basis der «Vision Dreispitz» von Herzog & de Meuron mit dem Bau des Kunstfreilager-Quartiers 2014 seinen Anfang nahm und sich in den kommenden Jahren mit dem Walkeweg-Areal und dem neuen Uniquartier fortsetzen wird. Wie Blumen auf dem Asphalt erobern sich die neuen Strassenzüge einen Platz in der rauen Umgebung und verwandeln deren Erscheinungsbild.
Das Schulhaus soll innerhalb des Walkequartiers eine Zentrumsfunktion übernehmen und mit seiner Innovationskraft auf die nachfolgenden Wohnbauten ausstrahlen. Um eine gute Lösung zu finden, wurde ein etwas ungewöhnliches, nicht sia-konformes Wettbewerbsverfahren gewählt. In einem anonymen, offenen Ideenwettbewerb haben im Frühjahr 2021 85 Teams ihre Beiträge eingereicht. Sechs wurden daraus zu einem anschliessenden Studienauftrag eingeladen, und im März 2022 reüssierte das Projekt «Come out and play» der Arbeitsgemeinschaft Manz Thüler Farquet aus Basel/Zürich. Die Qualität der 85 Eingaben war sehr hoch und der Enthusiasmus unter den Architektinnen und Architekten gross.
Geschickt platziert
Das Siegerprojekt scheint auf den ersten Blick nicht die nachhaltigste Lösung zu sein, weist aber bei genauerem Hinschauen grosse sozialräumliche Qualitäten auf, die sich wiederum auf Nachhaltigkeitsaspekte auswirken. Während die meisten Beiträge aufgrund energetischer Überlegungen einen kompakten, grossen Baukörper vorschlugen, wird das Programm im Siegerprojekt auf drei Baukörper aufgeteilt und erhält dadurch eine überraschend stimmige städtebauliche Setzung.
Der Perimeter wird im Norden von der Begrenzungsmauer des Friedhofs Wolfgottesacker flankiert, im Osten von der neuen Wohnsiedlung, im Süden vom Quartierplatz und im Westen vom Werkhof der Stadtgärtnerei. Mit seinen drei Bauten bildet das Projekt einen Innenhof, der für die Schule identitätsstiftend ist. Er formt eine ruhige Mitte, die zwar der Schule zugeordnet ist, aber genügend Durchlässigkeit zum Quartier besitzt. Zur Friedhofsmauer hin befindet sich das viergeschossige Schulhaus mit Kindergarten und unterirdischen Turnhallen, neben dem Werkhof liegt das zweigeschossige Ateliergebäude, das die Werkräume, die Tagesstruktur und ein Café beinhaltet. Und als direktes Vis-à-vis zum Platz ist der zweigeschossige «Träff» angeordnet, das Aula, Bibliothek und Tagesstruktur umfasst und vom Quartier mitgenutzt werden kann.
Mit seiner Kubatur bildet der «Träff» den Abschluss des Platzes und verleiht ihm gute Proportionen. Auch die Flanke des Ateliergebäudes öffnet sich zum Platz hin mit einem Café. Dass die Höhe der Baukörper zum Platz hin abnimmt, unterstreicht den Verlauf vom Schulbetrieb auf der einen Seite hin zu zunehmender Öffentlichkeit auf der anderen. Aussenräumlich bietet das Ensemble ebenfalls viele Qualitäten.
Auf und zwischen den Gebäuden ergeben sich vielfältige Räume. Zudem ist der Massstab dreier kleiner Volumen besonders für Kinder passender als ein grosser Solitär.
Ein Lehrstück für Nachhaltigkeit?
Die vom Fussabdruck der Gebäude besetzte Fläche wird auf den Dächern wieder zur Verfügung gestellt. Auf dem Schulhausdach entsteht eine Photovoltaikanlage und eine extensive Begrünung. Im Schulhof wird ein «Tiny Forest» mit Sträuchern und Bäumen zum Spielen einladen. Der Dachgarten auf dem Ateliergebäude soll zusammen mit den Schülern und Schülerinnen bepflanzt werden, während das Dach des «Träffs» unzugänglich bleibt. Natur soll hier nur um ihrer selbst willen existieren, ohne den Nutzenden zu dienen. So erleben die Schülerinnen und Schüler Natur aus verschiedenen Perspektiven, heisst es im Projektbeschrieb.
Das Projekt ist rein rechnerisch nicht das nachhaltigste, aber es weist – trotz grösserer Fassadenabwicklung – die kleinste Energiebezugsfläche und die kleinste Geschossfläche auf. Zudem überzeugt es in Bezug auf Ressourceneffizienz und den CO2-Ausstoss im Betrieb. Die kleineren Baukörper ermöglichen eine natürliche Belüftung und einen ausreichenden Tageslichteinfall. Ihre einfache Bauweise spart wiederum Energie und Ressourcen. Die leicht grössere Erstellungsenergie im Vergleich zu kompakteren Volumen würde langfristig durch einen energieautarken Betrieb und den sozialen Mehrwert kompensiert, heisst es im Jurybericht.
Holzstützen und -träger bilden das Tragwerk, während Lehmbauteile der Struktur die für den Schallschutz und das Raumklima notwendige Masse hinzufügen. Das Holz stammt aus der Region, was eine nachhaltige Bewirtschaftung und kurze Transportwege ermöglicht. Der Lehm wird vor Ort gewonnen, und alle industriell gefertigten Werkstoffe werden aus wiederverwendbaren Baustoffen hergestellt. Ein Gebäudepass aller Baumaterialien sowie die konsequente Systemtrennung sollen für die Kreislauffähigkeit des Gebäudes sorgen.
Kollektiver Brainstorm
«Chapeau, alles richtig gemacht!», möchte man ausrufen. Aber in der Architektenschaft sind die Meinungen geteilt: Ein kompaktes Bauvolumen gilt noch immer als energie- und ressourcensparendste Lösung. Und so wurde in dieser Sache gleich zweifach kreativer Mut bewiesen. Zum einen vom Siegerteam mit seiner kühnen städtebaulichen Disposition und einem Beitrag, der sensibel auf die Bedürfnisse von Kindern eingeht und nachhaltiges Bauen auf spielerische Weise erfahrbar macht. Zum anderen ist das Engagement des Kantons Basel-Stadt unter Federführung von Kantonsbaumeister Beat Aeberhard zu würdigen. Dass von staatlicher Seite ein Wettbewerb durchgeführt wird, der nachhaltiges Bauen zum zentralen Thema macht und auch bei der Jurierung beharrlich daran festhält, ist bemerkenswert. Zudem hat man ein anonymes, offenes Wettbewerbsverfahren gewählt, das es jungen Büros ermöglichte, teilzunehmen und eine so grosse Bauaufgabe auch auszuführen. Auch das erfordert Mut auf Seiten der Bauherrschaft.
Im Wettbewerb Primarschulhaus Walkeweg haben sich 85 Büros mit Begeisterung mit nachhaltigem Bauen auseinandergesetzt. Dieses Wissen werden sie in ihre Berufspraxis und den nächsten Wettbewerb mitnehmen. So hat der Wettbewerb Primarschulhaus Walkeweg nicht nur ein tolles Projekt hervorgebracht, sondern auch zur kollektiven Suche nach neuen Wegen beigetragen.
Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch
Empfehlung zur Weiterbearbeitung
«Come out and play»
ARGE Manz Thüler Farquet, Basel/Zürich; Makiol Wiederkehr, Beinwil am See; Studio Céline Baumann, Basel; ZPF Structure, Basel; Nova Energie Basel, Basel; ingenieurbüro stefan graf, Basel; Lehm Ton Erde Baukunst, Schlins (A); Perita, Pratteln; Kopitsis Bauphysik, Wohlen
Weitere Projekte
«Feuer, Wasser, Sturm und Eis»
Nissen & Wentzlaff Architekten, Basel; Denkstatt, Basel; Zirkular, Basel; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Basler & Hofmann, Zürich; Pirmin Jung Schweiz, Rain; WMM Ingenieure, Münchenstein; Risam, Basel
«Luftwerk»
Lyra / Lara Yves Reinacher Architekten, Zürich; WaltGalmarini, Zürich; Amstein + Walthert, Zürich; Ganz Landschaftsarchitekten, Zürich
«Nachhaltigkeit macht Schule»
rdmr architects, Amersfoort (NL); IPJ Ingenieurbüro P. Jung, Hamburg (D); Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Treibhaus Landschaftsarchitektur Hamburg, Hamburg (D); Müller-BBM, Planegg/München (D)
«Weniger macht Schule»
Nord Architekten, Basel; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Meta Landschaftsarchitektur, Basel; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Büro für Nachhaltigkeit am Bau, Zürich; Bakus Bauphysik & Akustik, Basel; Aegerter & Bosshardt, Basel
«You´ll never walk alone»
Studio 511 / Johannes Walterbusch, Anna Kessler, Laura Stock, Zürich; Bernhard Zingler Landscape Projects, Zürich; Pirmin Jung Schweiz, Frauenfeld; Schmidt & Kündig Ingenieure, Jona; ibw Ingenieurbüro für Energie- und Gebäudetechnik, Weil am Rhein (D); Lippuner Energie- und Metallbautechnik, Zürich; Deepshi Kaushal, Zürich; Zuend, Zürich
Fachjury
Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister Basel-Stadt (Vorsitz); Anne Kaestle, Architektin, Zürich; Claudio Meletta, Architekt, Basel; Daniel Baur, Landschaftsarchitekt, Basel; Jörg Lamster, Nachhaltigkeitsexperte, Zürich; Matthias Schuler, Nachhaltigkeitsexperte, Stuttgart (D)
Sachjury
Barbara Rentsch, Geschäftsleiterin Immobilien BS, Finanzdepartement BS; Stephan Hug, Leiter Raum und Anlagen, Erziehungsdepartement BS; Gaby Hintermann, Leiterin Primarstufe, Erziehungsdepartement BS; Armin Kopf, Leiter Grünplanung, Stadtgärtnerei BS; Christina Schumacher, Dozentin für Sozialwissenschaften am Institut Architektur FHNW, Muttenz