Cha­rak­ter zei­gen

Mit ihrer markanten Gebäudeform ist die Hamburger Alsterschwimmhalle weit über die Hansestadt hinaus bekannt geworden; insbesondere dank der Dachschale, die Bauingenieur Jörg Schlaich in den 1960er-Jahren berechnete. Nun ist es an seinen Nachfolgern, die denkmalgeschützte Betonkonstruktion fachmännisch in die nächste Etappe zu heben.

Data di pubblicazione
23-09-2022

Das Dach der 1973 eröffneten Alsterschwimmhalle in Hamburg gehört auch heute noch zu den weltgrössten Betonschalen seiner Art: Je nach Standort erinnert es an einen Delfinschwimmer, an die Flügel eines Albatros, an die Flosse eines abtauchenden Wals oder an ein futuristisches Raumschiff. In den letzten Jahren glich es allerdings eher einem grauen Schmetterling, unter dessen Flügeln sich Baumaschinen aller Art tummelten. Denn um die Schwimmhalle umbauen und modernisieren zu können – Chlor, Wärme und Feuchtigkeit hatten der Bausubstanz zugesetzt – wurde das Gebäude ab 2020 vollständig entkernt.

Geplant wird die Sanierung und Modernisierung der denkmalgeschützten Konstruk­tion bereits seit 2014. Bis 2024 soll das Dach instand gesetzt werden und darunter ein neues Schwimmbad entstehen. Der Bestand wird nach Plänen der Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) modernisiert und um einen Anbau ergänzt. Nach der Fertigstellung soll vieles wieder näher am Originalbau der Architekten Horst Niessen und Rolf Störmer sein, als es nach den diversen Umbauten in den letzten Jahrzehnten der Fall war.

Kühn, elegant, risikoreich

Die eindrucksvoll geschwungene Dachkonstruktion misst rund 60000 m2 und setzt sich aus zwei Hyparschalen – einer regelmässig doppelt gekrümmten Fläche – zusammen, die in ihrer Symmetrieachse aneinandergelehnt sind. Das komplette Dach ist auf nur drei Punkten gelagert und trägt sich selbst. 1973 beschrieb der Journalist Manfred Sack das Tragwerk treffend als nach dem «Prinzip Ei» konstruiert.1 Die aus zwei anein­andergereihten Quadraten bestehende Betonschale des Dachs verdickt sich entlang der Schalenränder und geht so kontinuierlich in die dreieckigen Randträger über. Über drei monolithisch angeschlossene Stützen mündet sie in die Erde: auf der hinteren Längsseite an den Ecken, auf der Vorderseite in der Mitte.

Das Schalendach aus Spannbeton, in einem Zug gegossen, ist zwar 102×52 m gross, aber lediglich 8 cm dick. In die Decke eingelegt sind oben und unten Bewehrungsmatten mit nur 1 cm Betonüberdeckung. Die Stützen sind im Dreieck angeordnet und wurden damals fast senkrecht in den Boden gebaut. Um die Horizontallasten zu koppeln, sind die beiden gegenüberliegenden Stützen über ein fast 100 m langes Zugband kurzgeschlossen, das quer durch den riesigen Keller der Schwimmhalle führt.

Natürlich gab es bereits seinerzeit Kritiker und Skeptiker – einerseits wegen der geringen Betondeckung und zum anderen aufgrund der Lagerung der Halle auf nur drei Stützen. Das Risiko war auch den damals Verantwortlichen bewusst, und sie liessen das Gebäude über all die Jahre überwachen.2 Dabei ging es zum Beispiel um die Verformung an den Spitzen der Dachfläche, die sich im Verlauf der Jahreszeiten um 2 bis 3 cm bewegen, bei Sturm auch mehr, oder um die Kontrolle der Fassade. Wegen der vermuteten Auf-und-ab-Bewegungen des Dachtragwerks wurden die Stützen über eine speziell entwickelte verschiebbare Auflagerkonstruktion angeschlossen, die die Fassade hält und gleichzeitig eine freie Beweglichkeit der Dachkonstruktion ermöglicht.

Mut, Weitsicht und logisches Denken

Mit den Jahren veränderten sich die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer vom Sportbetrieb hin zum freizeitorientierten Betrieb. Zeit für die Bäderland ­Hamburg GmbH zu reagieren: Zunächst war es für die Betreiber wichtig zu wissen, ob die Standsicherheit der denkmalgeschützten Dachschale für die nächsten Jahrzehnte gegeben ist und ob sie weiter genutzt werden kann.

Mit der Tragwerksplanung wurde das Büro schlaich bergermann partner (sbp) beauftragt, deren Gründungspartner Jörg Schlaich (1934–2021) seinerzeit als junger Ingenieur bei Leonhardt Andrä die Dachschale konzipiert hatte. Pläne im Archiv und Projektwissen waren bei sbp noch vorhanden. «Uns hat es natürlich gefreut, dass wir das Projekt konservatorisch bearbeiten dürfen», sagt Sven Plieninger, Partner bei sbp. Weiter berichtet er von vielen Gutachten, die sich ab 2010 mit der Karbonatisierung und der Korrosion des Gebäudes beschäftigt haben: «Es hat sich gezeigt, beides ist vorhanden. Doch für ihr Alter war die Halle in einem guten Zustand.»

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Die Schale war von aussen mit einer Wärmedämmung und einer Abdichtung versehen. Zudem entschieden sich die Planenden seinerzeit für die Aussenbauteile für einen mit Hochofenzement hergestellten Beton, um so die Gefahr von Spannungsrissen zu minimieren.

Für die Fläche, die mit dem Schwimmbadklima in Kontakt war, wählte man Portlandzement, der einen guten Korrosionsschutz für Stahlbeton bietet. Sichtbar war jedoch von unten lediglich eine klassisch abgehängte Decke. Der dahinter liegende, schwierig zu kontrollierende Raum wurde fast 50 Jahre lufttechnisch ­behandelt, um den Feuchtigkeitszutritt zu limitieren. So hatte man damals versucht, auf die besonderen Anforderungen der Schwimmhalle zu reagieren.

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Um die Betonkonstruktion erhalten und weiter nutzen zu können, war es zentral, dafür zu sorgen, dass sich die Korrosion nicht weiter fortsetzt. Da die Planenden und Ausführenden in den frühen 1970er-Jahren sehr materialoptimiert gearbeitet hatten, durften keine zusätzlichen Lasten eingebracht werden. «Von einer Nachberechnung der Schale haben wir abgesehen. Sie wurde in den 1960er-Jahren berechnet, und sie hat unter Beweis gestellt, dass sie bis heute funktioniert», sagt Plieninger. «Obwohl es natürlich eine spannende Aufgabe gewesen wäre, die Schale neu zu rechnen und zu vergleichen, was sich mit den heutigen Möglichkeiten ergeben hätte. Es macht Spass, solche Projekte zu bearbeiten, denn hier liegen unsere Wurzeln als Ingenieurbüro. Besonders was das einfache Bauen angeht, hat man in den 1970er-Jahren klarer gedacht und sich auf das Wesentliche konzentriert. Sicherlich auch deshalb, weil es noch weniger Vorschriften gab. Das in die heutige Zeit zu tragen finde ich als Aufgabe spannend.»

Mit Strom gegen Korrosion

Um möglichst wenig in die Bausubstanz eingreifen zu müssen, entschieden sich die Ingenieurinnen und Ingenieure für einen kathodischen Korrosionsschutz (KKS). Dieses Verfahren bedingt nur wenige Millimeter Auftrag und somit keine zusätzlichen Lasten. «Vom Aufwand her wäre es absolut unrealistisch gewesen, die Bewehrung konventionell – lokal im Pilgerschrittverfahren – zu behandeln», sagt Plieninger. Nur einige wenige Schadstellen wurden vorgängig konventionell instand gesetzt.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 30/2022 «Grazil über grosse Spannweiten».

Alsterschwimmhalle, Hamburg

 

Schalendiagonalen
76.40 m und 56.20 m

 

Schalendicke
min. 8 cm

 

Spannweite
max. 96 m

 

Bauhöhe Randträger
2.40 m an den Stützen bis 70 cm an den Hochpunkten

 

Baubeginn
1968

 

Fertigstellung
1973

 

Sanierung
2007

 

Instandsetzung
2020 bis 2024

 

Kosten Instandsetzung
80 Mio. Euro (60 Mio. Euro von der Stadt, 10 Mio. sind Denk­mal­schutzmittel vom Bund, und der Rest wird durch Bäderland Hamburg finanziert)

Anmerkungen

 

1 Manfred Sack, Das Dach von Hamburg, in: Die Zeit vom 26. Januar 1973.

 

2 Oliver Schirg berichtet am 19. Januar 2013 im Hamburger Abendblatt in seinem Artikel «Das Jubiläum der grossen Oper für die Schwimmer» von Pannen beim Bau: «Doch selbst als das Dach der Schwimmhalle bereits verspannt ist, reissen die Probleme nicht ab. Die Konstruktion entspricht nicht den baupolizeilichen Vorschriften, um genügend Korrosionsschutz zu bieten. Weil Gutachter sich daraufhin in die Haare kriegen, verzögern die Bau­arbeiten sich um vier Wochen. Am Ende fällt der Rechnungshof ein hartes Urteil: ‹Diese zwar kühne und elegante, aber technisch risikoreiche Konstruk­tion hat zahlreiche Schwierigkeiten für Entwurf, Statik und Ausführung nach sich gezogen, die zum grössten Teil vermeidbar waren.›»

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