Von Meer zu Meer, von See zu See

Tunnel von überregionaler, ja internationaler Bedeutung werden in der Regel so geplant, dass sie möglichst wenig Auswirkungen auf ihr Umland haben. Beim Ceneri-Basistunnel ist das anders. Er nimmt bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung zwischen Lago Maggiore und Luganersee.

Data di pubblicazione
29-10-2020

Der Monte Ceneri ist keine ausgeprägte Berg­gestalt, sondern ein Pass, der das nördliche, alpin geprägte Tessin, das Sopraceneri, vom südlichen, voralpinen Sottoceneri mit Lugano als bedeutendstem Ort verbindet. Seine mässige Höhe – am tiefsten Einschnitt beträgt der Höhenunterschied zum Tal nur etwa 225 m – macht ihn bei Weitem nicht zu einem unüberwindbaren Hindernis.

Die vielen Verkehrsverbindungen – über den Ceneri führen die Na­tional­strasse A2, die Kantonsstrasse mit zahlreichen ­Nebenstrassen, Wanderwege und auch die Eisenbahnbergstrecke nach Lugano – zeugen vielmehr von seiner verkehrstechnischen Bedeutung für das Tessin, aber auch für den internationalen Verkehr.

Mit Eröffnung des Ceneri-Basistunnels ist sie Realität: die Flachbahn durch die Alpen. Mit einer maximalen Steigung von 8 ‰ können nun Züge die Schweiz von Nord nach Süd und umgekehrt durchfahren – auf einem 4-m-­Korridor, der ab Ende 2020 zwischen Basel und Chiasso zu Verfügung stehen wird. 4 m hohe Sattel­züge können dann auf der Bahn durch die Alpen gleiten. Doch was bedeutet die Unterquerung des Ceneri für das Tessin selbst?

Zwei Weichen machen den Unterschied

Der Ceneri-Basistunnel besteht aus zwei Einspurröhren mit rund 40 m Abstand, die alle 325 m mit Querschlägen verbunden sind. Was ihn für den Verkehr im Tessin so interessant macht, ist ein Verzweigungsbauwerk kurz nach dem Nordportal Vigana bei Camorino: Es besteht aus zwei Weichen, die die Gleise der Ost- und Weströhre miteinander verbinden. Die Verzweigung ermöglicht die Einfahrt der Züge der «Bretella Locarno–Lugano», einer Regionalverkehrsverbindung zwischen den beiden Seeorten.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in TEC21 33/2020 «Metrò Ticino».

Die Fahrzeit von den Gestaden des Lago Maggiore an das Ufer des Luganersees verkürzt sich dadurch von 58 Minuten auf 30 Minuten bei einem Halbstundentakt – ohne den Umweg über Bellinzona und dortiges Umsteigen. Rein verkehrs- und zeittechnisch gesehen, könnte man von einer Verschmelzung der beiden Städte sprechen – ein erster Schritt in Richtung «città Ticino». Bellinzona steht dem nicht nach, eine Fahrt von dort nach Lugano dauert nur noch 14 Minuten. Die drei Städte können zukünftig als eine Art Agglomeration angesehen werden.

Kantonaler Bahnhof noch zurückgestellt

Die Kosten für die regionale Direktverbindung von Locarno nach Lugano durch den Ceneri-Basistunnel belaufen sich auf 25.4 Millionen Franken. Getragen werden sie vom Kanton Tessin, der die damalige Chance nutzte, die sich mit der Planung der Röhren durch den Ceneri bot. Bisher nicht durchsetzen konnte sich die Idee eines kantonalen Bahnhofs Tessin, der in der Magadinoebene, am Knoten Camorino zwischen dem Nordportal des Ceneri-Basistunnels und dem vorerst auf Eis gelegten Tunnelprojekt «Umfahrung Bellinzona», entstehen würde. Käme er eines Tages, würden Fernverkehrszüge nur noch dort halten, mit Anschlüssen in die Städte Bellinzona und Locarno. Die SBB nahmen von diesen Planungen allerdings 2007 Abstand und werden die Städte weiterhin direkt ansteuern.

Ceneri – und dann?

Auf kantonaler Ebene wird der Ceneri-Basistunnel mit grosser Wahrscheinlichkeit ein voller Erfolg werden. Schon ohne ihn nahm in den letzten Jahren die Nachfrage nach öffentlichem Verkehr im Tessin stetig zu. In den letzten 15 Jahren verdoppelte sich die Anzahl der Fahrgäste auf der Schiene. Das kantonale Verkehrsmodell prognostiziert gar eine nochmalige Verdoppelung der Personenfrequenzen im Tessin bis 2030.

Und der internationale Verkehr? Der Ceneri-­Basistunnel ist Teil des Transeuropäischen Verkehrsnetzes TEN-V und gehört hier zum Rhein-Alpen-Korridor (vgl. unten). Der 4-m-Korridor in den Süden funktioniert ab Ende 2020. Die Strecke von Mailand nach Chiasso zum Ceneri kann somit von der Geometrie her die Lastwagen aufnehmen. Auch zwischen Luino und Bellinzona funktioniert dies, wobei hier der Ceneri-Basistunnel nicht benötigt wird.

Diese Streckenausbauten wurden durch eine Schweizer Finanzierung in Form eines zinsgünstigen Darlehens über 280 Millionen Franken ermöglicht. Die deutsche Rheintalstrecke als nördlicher Zubringer hingegen hinkt weit hinterher. Bis 2040 soll sie vierspurig ausgebaut sein. Ob jedoch eine Verlängerung des Ceneri in Richtung Chiasso und Como kommt, ist derzeit noch fraglich. Zwei Kavernen für den weiteren Anschluss nach Süden sind im Basistunnel jedenfalls bereits eingebaut.
 

Rhein-Alpen-Korridor

Der Rhein-Alpen-Korridor ist einer der neun Kern­netzkorridore des Trans­europäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) und verbindet Zeebrugge (B) und Rotterdam (NL) mit Genua (I). Das TEN-V ist das gemeinsame hochrangige Netz für Strassen-, Schienen-, Luft und Wasserstrassenverkehr der EU. Seine Aufgabe ist es, durch Verbesserungen der Infrastruktur die Verkehrsflüsse im europäischen Binnenmarkt zukunfts­fähig zu gestalten. Dies geschieht etwa durch Beseitigung von Engpässen und technischen Hindernissen, aber auch auf Ebene der Verwaltung.

Für die Kernnetzkorridore gelten be­stimmte Anforderungen an die Beschaffenheit der Infra­struktur: Alle Bahn­strecken im TEN-V-Kernnetz werden zur Gänze elektrifiziert, Güterverkehrsstrecken mindestens auf 22.5 t Achslast, 100 km/h Streckengeschwindigkeit und Zuglängen von 740 m ausgelegt. Alle Strecken werden mit dem System ERTMS ausgerüstet. Für neue Bahnstrecken ist eine Regelspurweite von 1.435 m verbind­lich. (Peter Seitz)

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