Au­f­hel­ler für Zü­rich

Die grösste Stadt der Schweiz will sich besser vor der Sonne schützen und setzt in den nächsten drei Jahren ein Massnahmenpaket zur Hitzeminderung um. Erste Resultate sind schon sichtbar.

Data di pubblicazione
14-07-2020

Trotz erlahmender Proteste: Der Klimawandel nimmt die Strasse nun vollständig in Beschlag. Wien, wo ein Hitzesommer das Thermometer regelmässig auf 40 °C steigen lässt, stellt neuerdings Sprühduschen, Rollrasen und anderweitige Beschattungsangebote auf. So beginnt die österreichische Metropole ab sofort, Gassen, Fussgängermeilen und Plätze systematisch zu kühlen. Nachdem die Bevölkerung erste Versuche im Vorjahr bereits rege und gern nutzte, richtet die Stadtbehörde sogar dauerhafte «coole Strassen» mithilfe zusätzlicher Bäume und heller Deckbeläge ein. Zwar hat die Pandemie einige Bauarbeiten verzögert, aber spätestens im August will Wien auch ein «erfrischendes Wohnzimmer» sein, verspricht die städtische Mobilitätsagentur.

Auch in Zürich wird eifrig im Aussenraum gewerkt. Und siehe da, die Angst vor Überhitzung verändert das hiesige Strassenbild ebenso. Zum Beispiel am südlichen Stadtausgang: Neuerdings rollt das Einkaufszentrum Sihlcity der Kundschaft einen weissen Teppich aus. Der fast 1 ha grosse Vorplatz glüht nicht mehr schwarz, sondern ist ein erfrischender Aufheller im Quartier. Der neu eingebaute Gussasphalt weist mehr Hitze ab, als er Umgebungswärme schluckt. Das städtische Tiefbauamt ist von dieser Idee derart angetan, dass man das angrenzende Trottoir ebenfalls damit überziehen liess.

Pilotprojekt im Industriequartier

Die Zürcher Stadtbehörde ist ihrerseits aktiv, das Stadtklima im Kleinen zu verbessern. Im Industriequartier setzt man auf Farben gegen das Aufheizen im Strassenraum. Die Roggenstrasse nahe dem Escher-Wyss-Platz besitzt seit Kurzem einen rot-gelb-schwarzen Belag. Die Strassenbauer haben sogar kleine Sensoren installiert, die den Temperaturabfall in den eingefärbten Abschnitten messen. Was das Tiefbauamt hier erkunden will, ist tatsächlich Neuland für Praxis und Forschung: Um wie viele Grad Celsius eine aufgehellte Strasse die Umgebung kühlen respektive weniger aufheizen wird, ist so genau nirgends bekannt. Eigentlich weiss man nur, dass ein Schwarzasphalt unter der Mittagssonne mit 60 °C abstrahlen kann. Für die Anwohnerschaft sind hellere Strassenbeläge aber nicht nur am Tag eine Wohltat, sondern auch in der Nacht, wenn sie ihrerseits weniger Wärme an die Umgebung abgeben.

Das Pilotprojekt des Tiefbauamts ist eingebettet in eine «Fachplanung Hitzeminderung», die die Stadt Zürich in den letzten drei Jahren erarbeiten liess und wozu die Behörde zum Sommerauftakt nun ihre Umsetzungsagenda präsentiert. Auf der To-do-Liste stehen über zwei Dutzend behördenverbindliche Massnahmen, die den Stadtraum möglichst kühl halten sollen.

10 °C Differenz zwischen Hönggerberg und Paradeplatz

Die Hitzelage ist diesen Sommer bislang nicht dramatisch. Doch vor zwei Jahren erhielt die Bevölkerung (nicht nur) in Zürich eine Kostprobe, wie unangenehm bis bedrohlich der urbane Hitzeinseleffekt wirklich ist. Die Hausverwaltungen vieler Alters- und Pflegeheime wirkten ratlos, wie die Bewohnerschaft vor Überhitzung zu schützen sei. Und via Medien beklagten sich viele Passanten plötzlich über das heisse Pflaster, in das sich einige der schönsten Stadtplätze verwandelten.

Generell sind innerstädtische Lagen (zum Beispiel am Paradeplatz) gegenüber dem Umland (Hönggerberg) bis 10 °C wärmer. Doch Klimatologen prognostizieren, dass sich der Erwärmungspegel vor allem in Sommernächten zuspitzen wird: In den nächsten 20 Jahren wird sich die Zahl der Tropennächte in Zürich mindestens verdoppeln; ab 2040 sinkt die Temperatur in jeder zweiten Sommernacht nicht unter 20 °C. Schuld daran ist nicht nur die globale Klimaerwärmung; einiges ist von den Städten auch hausgemacht: Von der jeweiligen Bebauungsstruktur, dem Versiegelungsgrad und der Durchlüftungssituation hängt ab, wie kühl das Klima vor Ort bleibt. Der städtebauliche Handlungsbedarf ist gemäss der kleinmassstäblichen Analyse, die ebenfalls Teil der Zürcher Fachplanung Hitzeminderung ist, offensichtlich gross.

Zum Beispiel, um die Limmatstadt weiterhin natürlich zu belüften: Die Hälfte der Siedlungsfläche wird über die bewaldeten Hänge am Waid-, Käfer- und Zürichberg von Norden und von Süden über den Uetliberg thermisch ausgekühlt. Die Fallwinde strömen jedoch nicht in die Kernquartiere zwischen Limmat und Gleisfeld; auch die Wohn- und Arbeitsgebiete von Aussersihl bis Altstetten werden kaum klimatisiert. Als Hitze-Hotspots gelten daher die Achse Letzipark-Hardplatz respektive das Zentrum von Oerlikon. Hier ist schon bald mit Aussentemperaturen von über 40 °C zu rechnen, an 30 bis 50 Hitzetagen pro Jahr. Trotz solcher Klimaprognosen soll genau in diesen Vierteln noch einiges dichter gebaut werden dürfen.

Hitzeminderung als Behördenprogramm

Was man gegen eine Überhitzung tun kann, überprüft die Stadtverwaltung quer durch alle Ämter. Der gemeinsame Plan beginnt beim Freihalten bekannter Frischluftschneisen und muss auch neue Überbauungsentwürfe beeinflussen. Dafür sind etwa Gestaltungs- und Nutzungspläne zu optimieren, ebenso wie Aussenräume grüner zu gestalten sind. Erste Erkenntnisse fliessen jetzt schon in die Behördenarbeit ein. «Im Richtplan 2040 oder bei Architekturwettbewerben berücksichtigen wir die Hitzeminderungsplanung», bestätigt Hochbauvorstand André Odermatt. So beziehen Juryentscheide für städtische Neubauten neuerdings thermische Simulationen ein; die Entwürfe werden vor ihrer Kür eingehend untersucht, ob die Baukörper eine Barriere für Kaltluftströme bilden.

Weiter ins Detail geht man bei bestehenden Liegenschaften: Der Raumkomfort in Alterszentren wird seit zwei Jahren kontinuierlich geprüft; drei von vier Standorte besitzen Nachbesserungsbedarf. Wo möglich installiert die städtische Liegenschaftsverwaltung ein aktives System zur Gebäudekühlung. Wie zum Beispiel bei der Erneuerung des Alterszentrums Wolfswinkel in Zürich Affoltern: Das Klima in Caféteria, Mehrzweckraum und den 95 Appartements im zwölfstöckigen Hochhaus lässt sich ab diesem Sommer über ein Erdsondenfeld im «Geocooling»-Prinzip regulieren.

Die «Hitzeminderung» in Zürich soll auch den Aussenbereich verändern. Tiefbauvorstand Richard Wolff kündet dafür eine Bauoffensive für «Bäume, Grünräume, Wasserspiele, Sonnensegel und Fassadenbegrünungen» an. Zusätzlich ist geplant, die Zugänge zu bestehenden Frei- und Grünräumen klimatisch zu optimieren und graue Flächen zu entsiegeln. Stadtrat Andreas Hauri, der das Ressort Gesundheit und Umwelt vertritt, verspricht eine Umsetzung in den nächsten vier Jahren. «Wir wollen einfache, aber wirksame Methoden vorantreiben.»

Konkret heisst dies: Die Stadt prüft zwar allfällige Anpassungen an der Bau- und Zonenordnung. Doch man will nicht abwarten, bis gesetzliche Vorgaben die «Hitzeminderung» bestimmen. Die Mehrheit aller 27 Massnahmen zur Hitzeminderung soll so unkompliziert wie möglich in das bestehende Planungs- und Vollzugsinstrumentarium integriert werden. Man darf also gespannt sein, wo demnächst die nächsten Aufheller im Zürcher Stadtbild erscheinen.

Hier gehts zur Dokumentation «Fachplanung Hitzeminderung» der Stadt Zürich

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