Von der Ve­rant­wor­tung der Mä­ch­ti­gen

Die Firma Roche hat Einfluss in Basel, ebenso ihre Hausarchitekten Herzog & de Meuron. Wie gehen sie damit um, wenn das ­baukulturelle Erbe der Firma, des Kantons, ja der Schweiz betroffen ist?

Data di pubblicazione
23-04-2020

Der Pharmakonzern F. Hoffmann-La Roche ist eine der entscheidenden Stützen des Finanzhaushalts von Basel. Schätzungen gehen davon aus, dass er ungefähr ein Zehntel der Steuer­einnahmen generiert.1 So ist es verständlich, dass der Stadtkanton bestrebt ist, Roche in allen Belangen ent­gegenzukommen.

In raumpla­nerischen und baupolizeilichen Fragen geniesst die Firma nahezu unbeschränkte Freiheiten, und sie weiss diese zu nutzen. Auch die von ihr beauftragten Architekten sind sich des ihnen zukommenden Freiraums bewusst. Das 2015 ein­geweih­te Büro­hochhaus von Herzog & de Meuron prägt mit seiner Höhe von 178 m und der abgetreppten Nordfront heute die Stadt Basel mehr als jedes andere Gebäude – der Münster­turm ist zur Fussnote geworden. Was Roche will, wird der Konzern bekommen, da sind sich Regierung, Parlament und Bürgerschaft einig.

Diese faktische Befreiung von staatlichen Regelungen, wie sie für andere Firmen gelten, bringt Ver­pflichtungen mit sich. Der Pharmariese muss sich daran messen lassen, wie er in Selbstverantwortung mit dem ihm zugestandenen Entscheidungsfreiraum umgeht. Und gleichermassen sind seine Architekten persönlich aufgerufen, die Frage, wie mit dem Stadtraum umzugehen sei, mit Respekt und Zurückhaltung anzugehen. Mit den beiden Bürohochhäusern haben sie eine selbstbewusste Antwort gegeben.

Doch nicht bloss mit den aktuellen Neubauten, auch im Umgang mit den Bauten aus dem vergan­genen Jahrhundert steht Roche in der Verantwortung. Zwar kann die staat­liche Denkmalpflege Empfehlungen abgeben – doch einer Unterschutzstellung von Bauten wird, wenn ­Roche nicht einverstanden ist, die Regierung niemals zustimmen.

So liegt die kulturelle Verantwortung für den adäquaten Umgang mit seinen Baudenkmälern beim Konzern. Über Jahrzehnte war er in Entwicklung und Bau moderner Arbeitsplätze für seine Angestellten führend. Er beschäftigte namhafte Schweizer Architekten, die in enger Zusammenarbeit mit der Firmenleitung Bauten von bleibendem Wert schufen. Die Eigenverpflichtung zeigte sich auch darin, dass diese Spitzenwerke von der firmeneigenen Bauabteilung vorbildlich gepflegt wurden.

Zwei prägende Architekten

Es sind vor allem zwei Architekten, die für diese in der Schweiz einzigartigen Firmenbaukultur verantwortlich waren; beide haben die Architektur in der ganzen Schweiz massgebend beeinflusst. Mit seiner «Anderen Moderne» gilt Otto Rudolf Salvisberg (1882–1940) als einer der bedeutendsten Vermittler zwischen der Architektur der modernen Avantgarde in der Zwischenkriegszeit und den Traditionalisten.2 Nachdem er in Berlin Aufsehen erregende Bauten und Siedlungen wie die Weisse Stadt von 1930 (inzwischen Teil des ­UNESCO-Weltkulturerbes) realisiert hatte, übersiedelte Salvisberg in die Schweiz, wo er bahnbrechende Spital- und Bürobauten erstellte und Entwurfsprofessor an der ETH Zürich war. Während eines Jahrzehnts war er Hausarchitekt von F. Hoffmann-La Roche und verlieh der Firma einen ausgezeichneten, auf der ästhetischen und funktionalen Qualität seiner Bauten beruhenden Auftritt in der Öffentlichkeit.

Nach dem Tod Salvisbergs übernahm dessen früherer Mitarbeiter Roland Rohn (1905–1971) das Atelier und auch die Nachfolge in der Zusammenarbeit mit F. Hoffmann-La Roche.3 Neben wichtigen Fabrikbauten etwa für Brown Boveri in Baden oder für die Aufzugsfabrik Schindler in Ebikon entwickelte Rohn den Bebauungsrichtplan für den Firmensitz von Roche am rechten Rheinufer, der in der Folge von ihm weitgehend umgesetzt wurde.

Heute nun ist Roche daran, sich eine neue architektonische Corporate Identity zu geben. Die Fabrik im Massstab der Stadt passt nicht mehr zur weltumspannenden Tätigkeit des Konzerns. Er hat sich entschieden, nicht auf dem freien Feld zu bauen, sondern die benötigten neuen Gebäude auf dem bestehenden Werkgelände in Basel zu erstellen, was bedeutet, dass eine massive ­Höhenentwicklung unabdingbar ist. 

Neben dem erwähnten Bürohochhaus für 1700 Mitarbeitende sind ein weiterer, ähnlicher Büroturm, ein mehrteiliges Forschungs- und Entwicklungszentrum für 1900 Mitarbeitende und zwei Service­gebäude im Bau. Gleichzeitig erfolgt eine umfassende Erneuerung der Infrastruktur. Insgesamt sollen rund 3.5 Mrd. Franken investiert werden. Diese Entwicklung stiess in der Basler Öffentlichkeit und in Architekturkreisen überwiegend auf Ablehnung4, was indes nicht Gegenstand dieser Überlegungen ist.

Im Zuge der umfassenden Neubautätigkeit und der schweizweit ungewöhnlich massiven Ausnutzung des Baugrunds präsentierte Roche die Absicht, das südliche ­Areal, das mit dem Solitude-Park direkt an den Rhein angrenzt, neu zu ordnen. Die Reihe der weissen Roche-Bauten, die die Basler Rheinfront über Jahrzehnte geprägt hat, und weitere ältere Bauten sollen abgerissen werden. An ihrer Stelle sind neue, frei stehende Hochbauten geplant (die genauen Positionierungen und Volumen sind noch nicht definiert), und die Rheinpromenade soll neu gestaltet werden.

Dreimal Spitzenarchitektur

Es sind vor allem drei Baudenkmäler von gesamtschweizerischer Bedeutung, die von diesen Plänen direkt oder indirekt betroffen sind. Das Direktions- und Verwaltungsge­bäude, das Otto Rudolf Salvisberg 1934–1936 erstellt hat, zeigt in seiner ­zurückhaltenden Eleganz die damals neue weltumspannende Bedeutung des Konzerns.

Der Bau steht am Nord­rand des ehemaligen Parks; der zweigeschossige Direktionstrakt liegt parallel zum Rheinufer, der im Grundriss L-förmige dreigeschossige Beamtentrakt schliesst mit ­einem schmalen Ausstellungstrakt an die Grenzacherstrasse an; es entsteht ein nach Osten offener Gartenhof.

Mit dem neuen Verwaltungs­gebäude setzte Salvisberg den Standard für die überragende ­Qualität des architektonischen Erscheinungsbilds von Roche. Die Fassadenverkleidung aus hellen Kalk­steinplatten und die Fenster mit ihren feinen Bronzeprofilen lassen den lang gestreckten Bau einheitlich und elegant wirken. Die Innenräume sind geprägt von vornehmer Sachlichkeit und einer beeindruckenden Sorgfalt der Details. Die grosse Halle, die elegant geschwungene Treppe, die Repräsentationsräume des Direk­tions­trakts und die Versammlungsräume wie der Sitzungssaal oder das Audito­rium sind von besonderem Wert. Das Gebäude ist bis auf wenige Details im Originalzustand erhalten.

Der Beamtentrakt wurde durch Roland Rohn 1953 um vier Achsen erweitert. In der jetzigen Planungsphase steht der Bau nicht zur Diskussion. Es soll demnächst einer Restaurierung unterzogen werden. Durch die auf dem Südareal geplanten Vorhaben ist er nicht in seinem Bestand, wohl aber in seiner Wirkung betroffen.

Unmittelbar nach dem Direktions- und Verwaltungsgebäude errichtete Otto Rudolf Salvisberg 1936/37 das Betriebs- und Pharmagebäude. Die neue Betriebsstätte – ein sehr frühes Beispiel eines Industriegebäudes in der Formensprache des Neuen Bauens – gibt die von Roche angestrebte architektonische Eigendarstellung ausgezeichnet wieder.

Um eine optimale Belichtung der Arbeitsplätze zu gewährleisten, wählte Salvisberg für den sechsgeschossigen Bau am westlichen Ende des Parks ein statisches System mit in Vierergruppen geordneten Pilzstützen. So wurden durchgehende Fensterbänder möglich, die bis zur Decke reichen; der Sonnenschutz erfolgt durch automatisch gesteuerte Storen, die Reinigung mit einem fahrbaren Hängekorb. Ein turmartiger Gebäudeteil nimmt die Erschliessung und die Nebenräume auf.

Der Salvisberg-Bau wurde 1951–1954 durch Roland Rohn gegen Süden verlängert. Dieses Weiterbauen in nahezu identischer Erscheinung ist aussen unaufdringlich durch eine Zäsur gekennzeichnet, innen werden anstelle der Pilzstützen Pfeiler verwendet, die in die Fassade eingebunden sind. Später stockte Rohn den Bau um ein siebtes Geschoss auf und integrierte den Treppenturm in den längs der Strasse errichteten Bau 9.

Das ­Betriebs- und Pharmagebäude ist ein hochbedeutendes Zeugnis der Schweizer Industriearchitektur in der Formensprache des Neuen Bauens. Durch seine Lage und seine kräftige, ruhige Erscheinung ist es zu einem Teil des Parks geworden.

Das 1957–1960 von Roland Rohn errichtete Bürohochhaus von ­Roche ist Teil einer Gruppe von Hochhäusern, mit denen die grossen Basler Chemieunternehmen ihre Bedeutung städtebaulich markierten. Mit seinen schlanken Proportionen, seiner Höhe von 62 m und vor allem durch seine Lage am Rhein­ufer erhält das Roche-Hochhaus eine besondere städtebauliche Bedeutung.

Die Gliederung des Baukörpers bildet seine innere Struktur ab. Über dem überhohen Erdgeschoss, das zur Strasse als offene Vorfahrt ausgebildet ist, erheben sich 18 Geschosse. Die beiden Hauptfronten gestaltete Rohn nach dem Vorbild der amerikanischen Stahl- und Glasarchitektur als Vorhangfassaden aus Aluminium, die in die leicht vorstehenden Betonkonstruktionen der Seitenfassaden und des Dachs eingesetzt sind.

Sie bilden den Büroraster mit einem Achsmass von 1.35 m ab; jedes Element besteht aus einer niedrigen Brüstung, einem fest verglasten Fensterstreifen und einem grossen Schwenkflügel. Die lichte, repräsentative Eingangshalle wird durch die raumhohe Fensterfront und die Flucht der aluminiumverkleideten Aufzüge geprägt.¨

Das Bürohochhaus ist eines der Hauptwerke von Roland Rohn und ein hervorragendes Zeugnis des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 1960er-Jahren. Dank seiner eleganten Präsenz vermag es sich vor dem neuen Hochhaus von Herzog & de Meuron mühelos zu behaupten. Zudem vermittelt es den Massstab zu den benachbarten niedrigeren Bauten.

Einfluss verpflichtet

«E Dänggmol wird dä Bau bidytte, For syni Wärk in alli Zytte»5 – die künftige Denkmaleigenschaft der Bauten von Salvisberg und Rohn wurde seitens F. Hoffmann-La Roche bereits bei Bauvollendung erkannt und anerkannt. In den folgenden Jahrzehnten und bis heute hat der Konzern seine Basler Architektur­ikonen sorgsam unterhalten.

Dies hängt damit zusammen, dass «Tradition … bei der 1896 gegründeten Roche grossgeschrieben [wird]. Dafür sorgen die Schweizer Mehrheitsaktionäre der Familien Oeri und Hoffmann.»6 Auch für den CEO ist «die Verbundenheit mit Basel und der Schweiz … Teil unserer Iden­tität».7

Bei einer Haltung, die die Aktivitäten der Firma als kontinuierliche, auf den Errungenschaften der früheren Generationen aufbauende Entwicklung begreift, müsste das Erhalten der für die Firmen­geschichte entscheidenden Bauten eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn zudem die Verbundenheit mit Basel für die langfristige Prosperität bewusst ist, gehört es zur Verantwortung der Firmenleitung des Gesamtkonzerns wie des Standorts Basel, die Bauten von Salvisberg und Rohn, die im Sinn einer Erinnerungskultur für die Bevöl­kerung wichtig sind, bestehen zu lassen, zu unterhalten und intelligent zu nutzen.

«Als Architekt bewege ich mich so durch die Welt, dass eigentlich jeder Ort denkmalwürdig ist. Diese Haltung zeichnet das Werk von Herzog & de Meuron aus: Eine grundlegende Methodik unserer Arbeit ist die der Appropriation, der Aneignung eines Ortes.»8

Auf dem Süd­areal der Roche gehören die Bauten von Salvisberg und Rohn zu den, wie Pierre de Meuron das nennt, «spe­zifischen Charakteristiken, auf die eingegangen werden [muss]».9 Als Hausarchitekten von Roche und ­damit als deren architektonische Berater haben Herzog & de Meuron eine besondere Verantwortung wahrzunehmen. Nicht Ehrfurcht, wohl aber Respekt sind den Leistungen ihrer bedeutenden Vorgänger in diesem «Amt» entgegenzubringen.

Baukultur, wie sie heute ­definiert wird, umfasst nicht bloss die heutigen Realisierungen, sondern ebenso sehr das Verhalten ­gegenüber den Leistungen der Vergangenheit. Die staatlichen Organe sind faktisch ausserstande, diese schweizweit bedeutenden historischen Bauten auf dem Südareal der Roche zu schützen. Umso mehr stehen die mächtige Bauherrschaft und die einflussreichen Architekten in der Verantwortung, diesen Schutz zu gewährleisten.


Anmerkungen
1 Unter Einrechnung der Steuern der Besitzerfamilien und der Angestellten.
2 Theresia Gürtler Berger: Otto Rudolf Salvisberg – seine Schweizer Bauten. Dissertation ETH Zürich, 2010.
3 Alois Diethelm: Roland Rohn. Zürich 2003.
4 Z. B.: Carl Fingerhuth: Bedürfnisse, Werte und Träume. In NZZ, 5. Januar 2013.
Fritz Schumacher: Abtretender Kantonsbaumeister kritisiert Höhe des Roche-Turms. srf, Regionaljournal Basel,
29. Januar 2015. Andres Herzog: Die Saga vom Turm. In: Bauwelt 11.16. 16–21.
5 Schnitzelbank anlässlich der Schlüsselübergabe des Direktions- und Verwaltungsgebäudes.
6 Blick, 30. September 2018.
7 Severin Schwan in: Blick, 30. September 2018.
8 Harry Gugger, Partner von Herzog & de Meuron. In: NIKE-Bulletin 1/2 2005, 12.
9 In: Basler Zeitung bz, 18. September 2018.

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