Zir­ku­lär-Hy­bri­de

Kreislaufwirtschaft bei Neubauten ist vielfältig und betrifft neben dem Material auch das Energie- und Wassermanagement. Bei manchen öffentlichen Bauten kommen bereits Ansätze zirkulärer Prinzipien zusammen – doch wie ein verdichtetes Gesamtbild zukünftig aussehen könnte, ist offen.

Data di pubblicazione
26-03-2020

Um Bauabfälle aus dem Hoch- und Tiefbau zu vermeiden, wollen Bund und Kantone kreislaufwirtschaftliche Prozesse etablieren. Dabei sollen Kreisläufe, differenziert durch Teilen, Wiederverwenden, Reparieren, Wiederaufbereiten und Re­cycling (RC), dabei helfen, dass Bauteile und -materia­lien nach Gebrauch nicht zu Abfall werden, sondern so lang wie möglich Verwendung finden.

Im Vergleich zum linearen Wirtschaftssystem ist beim zirkulären Modell der Verbrauch von Primärrohstoffen wie Kies und Sand, aber auch von Holz und teils von nicht erneuerbaren Energien geringer. Zudem vermindert sich damit die Abhängigkeit vom Ausland, woher 60 % der Ressourcen für Produkte in der Schweiz stammen.

Ideal und Realität

Wie könnte in Zukunft ein nach kreislaufwirtschaft­lichen Prinzipien erstellter «Ideal-Bau» aussehen? Anders als heute handelt es sich um einen Umbau – neue ­Gebäude sind die Ausnahme. Für bauliche Eingriffe kommen grossteils Recyclingmaterialien zum Einsatz, die kein Downgrading erfahren haben und wenig ­Herstellungsenergie brauchen. So enthält zum Beispiel Beton keinen Zement. Daneben werden wiederverwendete Bauteile benutzt, die wie die wenigen neuen später einfach rückgebaut und ein weiteres Mal wiederverwer­tet werden. Da die Teile inven­tarisiert sind, stammen sie aus der nächstmöglichen Umgebung.

Die Konstruktion schützt die Fassade optimal vor Verwitterung, und Oberflächen kommen ohne chemische Schutzmittel oder Lacke aus. Die Installationen sind, da getrennt vom System verlegt, mit wenigen Handgriffen zugänglich und reparierbar. Die Räume mit einer guten Balance aus Querlüftungsmöglichkeiten und Speichermasse benötigen keine Heiz- oder Kühl­energie – ausgenommen sind nur wenige Zonen. Der Betrieb erfolgt mit erneuerbaren Energien, und der Bau ist mit ebensolchen erstellt. Geschlossene Kreisläufe bei Schwarz-, Grau- und Frischwasser sind Teil des Sanitärkonzepts.

Grundsätzlich bleiben die Bauten lang stehen. Oberflächliche, kurzlebige Nutzertrends sind dabei ­kein ­Kriterium für die Architektur. Vielleicht gibt es unterschiedliche kreislaufwirtschaftliche Gebäude­kategorien – solche, die materiell und architektonisch so hochqualitativ konzipiert sind, dass sie eine viel längere Amortisationszeit haben, als dies heute ver­sicherungstechnisch der Fall ist. Ihr Abbruch ist in dieser Zeitspanne nicht oder nur unter finanziellen ­Einbussen möglich.

Eine andere Kategorie wiederum ist dazu da, grundlegenden, demografischen oder ­funktionalen Veränderungen schnell nachzukommen: Die Bauten weisen eine solide Tragstruktur auf, die grundsätzlich stehen bleibt und aufgestockt werden kann. Ihr Innenausbau ist aber dank günstigen kreislauffähigen Element- und Einbauteilen in kurzen Frequenzen austauschbar. Eine dritte Kategorie könnten mobile Provisorien bilden.

Anders als heute wäre ein kreislaufwirtschaftlicher Bau das Ergebnis eines inhaltlich erweiterten Kontextualismus. Dabei würden wie bisher Geschichte, Qualität und Alter der Materialien und Bauteile eine tragende Rolle spielen. Doch ihr Wert läge nicht allein in ihrer historischen und städte­baulichen Identität, sondern losgelöst davon auch in ihrer Kreislauffähigkeit und der Art, wie das Material über die Zeit verwendet wird.

Die eingesetzten Ressourcen Holz, Stein und RC-­Beton stammen ebenso aus der Region wie Backsteine oder Bauteile von Abbruchbauten. Nur in wenigen notwendigen Fällen kommt etwas von aussen dazu. Somit wird das architektonische Gesamtbild eines Baus, Quartiers oder einer Stadt mit der Zeit immer individualisierter – bruchloser und fliessender, als dies heute der Fall ist. Der Bestand ist die Basis für das Neue und beeinflusst zusammen mit wenigen, präzise auf das Alte abgestimmten neuen Entwicklungen die Zukunft.

Doch weshalb gibt es solche Bauten nicht schon heute? Bei vielen RC-Materialien bestehen noch technische und den Absatz betreffende Probleme (vgl. «Anschub für Bauschutt»). Teils sind auch rechtliche Fragen offen, zum Beispiel nach der Garantie eines gebrauchten Bauteils, die der Hersteller in der Regel nicht mehr gewährt, oder die Frage nach Ersatz, wenn beim Austausch derselbe Typus nicht mehr erhältlich ist – was vielleicht eine teure Massanfertigung erforderlich macht. Auch wie sich der Marktpreis der Teile berechnet, ist noch unklar: Wie wirken sich Lagerung und Transport ­darauf aus? Und wie werden physikalische Werte der Materialien berechnet?

Um diesen Zu­sammenhängen nachzugehen, ­experimentieren Bauwirtschaft und Forschung zurzeit an Pilotprojekten. Grössere Bauten, die umfassend nach kreislaufwirtschaftlichen Prinzipien erstellt sind, gibt es in der Schweiz bislang nicht. Dennoch ist ein Blick auf Gebäude aufschlussreich, bei denen Fa­cetten des Themas zum Tragen kommen. Sie sind wie Puzzlestücke, die einen Beitrag zu einem übergeord­neten Entwicklungsprozess Richtung zirkuläre Bauwirtschaft leisten.

Zentrum Salez: ein Lowtech-Neubau

Das Landwirtschaftliche Zentrum Salez (LZSG) an der Grenze zu Liechtenstein sollte ein langlebiges, stabiles und einfach zu bewirtschaftendes Haus werden, mit tiefen Betriebskosten über die gesamte Lebensdauer. Bei anderen Bauten hatte der St. Galler Kantonsbaumeister Werner Binotto die Erfahrung gemacht, dass die Aufwendungen für Infrastruktur und Renovationen immer höher wurden; daher schrieb das Hochbauamt das Zentrum als Lowtech-Bau aus.

Obschon das Ausbildungszentrum heute mit einem Minimum an Technik auskommt, wurde das ­Konzept in ­Salez von Andy Senn Architekten nicht ­dogmatisch umgesetzt: In der Gewerbeküche gibt es ­zum Beispiel eine Lüftungs­anlage – so will es die gesetzliche Vorschrift. Insgesamt wurde aber die Technik wo möglich durch konstruk­tive Lösungen ersetzt, die viele gebäudetechnische Massnahmen überflüssig machten: Von den Zimmern führen Schächte die Abluft in eine Pufferzone auf dem Dach, wo eine wettergeschützte Fensterreihe die vertikale Luftzirkulation durch den Bau gewährleistet. Die Fensterfläche der Fassade wurde auf 30 % begrenzt, um die Raumtemperaturen in dem Holzbau mit seiner relativ geringen Masse besser kontrollieren zu können.

Statt textiler Sonnenstoren trotzen hölzerne Schiebeläden den starken Winden. Die Nutzer müssen Fenster und Läden selbst öffnen und schliessen – die Eigenverantwortung ersetzt die digitale Steuerung. Doch das kommt dem Nutzungsverhalten der angehenden Bäuerinnen und Bauer sowieso entgegen. Darüber hinaus ist die Infrastruktur – Elektro- und Sanitär­installationen, Heizkörper und die wenigen Lüftungen – offen auf der Tragstruktur verlegt, so lassen sich ­Reparaturen einfach und günstig ausführen.

Doch der Lowtech-Ansatz muss von Fall zu Fall  den jeweiligen Anforderungen, dem Bestand und der Bauaufgabe angepasst werden. Jeder Bau hat ein indivi­duell notwendiges Mass an Technik. All diese Sachverhalte haben mit der Kreislaufwirtschaft zu tun, denn sie verlängern die Lebensdauer des Baus, sparen Bau­material, technische Komponenten und Unterhaltskosten und machen den Rückbau oder die Ernte einzelner Teile später unkomplizierter.

Lysbüchel-Areal: Re-use am Umbau

Beim Umbau des ehemaligen Coop-Verteilzentrums zum Gewerbe- und Kulturhaus auf dem Lysbüchel-Areal in Basel wagte die Immobilien Basel-Stadt als Bauherrin mit Baubüro in situ ein Experiment: Für die neuen Fassadenelemente wurden 150 m3 Holz verwendet, das zu 40 % aus Rückbauten in Basel und zu 60 % aus Schweizer Wäldern stammt.

In diese Elemente wurden 200 in Form, Farbe und Unterteilung unterschiedliche Fenster eingepasst. Sie stammten aus den Lagerbeständen von Schweizer Fensterbauern: Stücke, die nicht der Bestellung ent­sprechend produziert wurden oder aufgrund von Fehlbestellungen entsorgt worden wären. Mit Transport und ­Lagerung lag der Durchschnittspreis eines Fensters bei 290 Franken.

Ein neues Produkt wäre um einiges teurer gewesen. Die Hersteller wollten auf diese Fenster aber keine Garantie mehr gewähren. Deshalb wurde ein Teil des eingesparten Gelds als «Repa­ratur-Fonds» zurückgestellt, der die übliche Gewähr­leistung ersetzt. Ein Grossteil der Fassadenelemente wurde mit den 2000 m2 Aluminium-Trapezblechen vom benachbarten ehe­maligen Getränkelager verkleidet. Auch die neuen ­Monoblock-Umhausungen auf dem Dach sind damit ausgestattet.

So einfach war es jedoch nicht immer: Die ­ver­wendeten Reste für die Dämmung der Fassaden­module stammen aus unterschiedlichen Quellen und weisen, entsprechend ihrer ursprünglichen Bestimmung, Qualitätsunterschiede auf. Jedes einzelne Stück auf seine Wärmeleitfähigkeit zu überprüfen wäre aufwendig und kostspielig geworden, daher musste man pauschal den niedrigsten λ-Wert ansetzen. Das ­hatte eine 20 % grössere Wanddicke zur Folge. Da aber neuwertige Dämmreste zum Einsatz kamen, kann man davon ausgehen, dass die Wandelemente nun wesentlich besser gedämmt sind als gerechnet.

Solche Zweckbauten sind auf die gegenwärtige Nutzung optimiert und zielen nicht primär auf eine spätere Weiter- oder Umnutzung hin. So stellte sich heraus, dass die grosse Dachfläche als attraktiver Aussenbereich aus statischen Gründen nicht nutzbar ist und keine weiteren Lasten durch Begrünung aufnehmen kann – eine solche fordert der Kanton Basel-Stadt aber bei grossen Dachflächen.

Ein klassisches Gründach wäre unmöglich gewesen. Stephan Brenn­eisen, Dachbegrünungsexperte von der ZHAW, löste das Problem mit einem «Leichtaufbau». Nun ist das Dach zwar nicht begehbar, dafür bieten 8000 m2 bisher tote Fläche Vögeln und Insekten ab Mitte 2020 eine Insel zum Verweilen.

Neben der leichten Begrünung findet eine 6000 m2 grosse Photovoltaikanlage Platz, deren Schatten spendende Paneele sich positiv auf die Vegetation auswirken und sie vor sommerlicher Überhitzung schützen. Die integrierten organischen, leichten Speichermatten sorgen für die notwendige Retention und halten das Wasser für eine lang anhaltende Dachbegrünung zurück.

Verwaltung Neustadt: Neubau und Recycling

Der Holzbau des dreiteiligen Verwaltungskomplexes der Stadtwerke Neustadt in Holstein (D) unterliegt als öffentliches Gebäude spezifischen baurechtlichen An­forderungen – insbesondere beim Brand- und Schallschutz, aber auch beim zeitlichen Ablauf des Planungs- und Bauprozesses. Diese Prozesse wurden von der Re-use-Bauteilsuche abgekoppelt, indem neben Stücken aus dem Bestand immer auch neue Bauteile verwendet werden konnten.

IBUS Architekten griffen aber bei den Trennwänden auf verglaste Leichtbaurahmen aus einem ­Hamburger Altbestand zurück. Dabei zeigte sich, so die Stadtwerke Neustadt in ihrem Endbericht, dass der Wiedereinbau von Systembauteilen eines Herstellers, von dem die Produkteinformationen noch erhältlich sind, recht einfach planbar ist.

Dennoch musste man das Projekt, als die Trennwände gefunden wurden, in der Höhe anpassen, denn die Elemente waren niedriger als ursprünglich vorgesehen. Eine weitere Heraus­forderung bestand in der Anonymität des öffentlichen Vergaberechts; da man die einzelnen Bieter nicht kon­tak­tieren darf, ist es kaum möglich, während der Ausschreibung geänderte Rahmenbedingungen zu ­kommunizieren.

Um das finanzielle Risiko zu minimieren, mussten die Architekten die zugelassenen Baustoffe ausschreiben – so auch die Recyclingmaterialien. In den Innenräumen sind die Akustikwände ein Fabrikat aus Seegras von den Stränden der Ostsee. Der Teppichboden ist aus alten Fischernetzen gefertigt, und für die Trittschalldämmung wurde Recyclingglas verwendet, sogenannter Schaumglasschotter.

Neben den Recyclingmaterialien kamen aber auch viele Re-use-Teile zum Einsatz: Die Kacheln in den Toiletten stammen aus einem Altbestand, und im Eingangsbereich stützt eine historische Säule die Galerie. Auch den Einbau dieser Teile mussten die Architekten europaweit ausschreiben, ein nicht zu unterschätzender Aufwand.

Die unterschiedlichen praktischen Beispiele deuten darauf hin, dass es einen nach kreislaufwirtschaftlichen Kriterien erstellten expliziten Typus noch nicht gibt. Zu individuell sind die Ausgangslagen. Umso genauer und unvoreingenommener müssen sich Architekten und Bauherrschaft mit Ort, Programm, ­Bestand und Anforderungen auseinander setzen und dabei nicht in Stereotypen oder falsche Prestigevor­stellungen verfallen.

Das setzt von Beteiligten, die im Bauprozess kreislaufwirtschaftliche Prinzipien ­umsetzen, Flexibilität, Offenheit und Vertrauen in die Planenden voraus. Es erfordert aber auch Geduld und Mut seitens der ­Bauherrschaft, denn nicht immer werden alle angestrebten Ziele erreicht. Dafür eröffnet der Bauprozess Spielraum für Pio­niergeist, und am Ende steht ein Bau aus Sekundärressourcen.

 

Am Bau Beteiligte

Landwirtschaftszentrum Salez SG

Bauherrschaft: 
Kanton St. Gallen, Vertretung: Hoch­bauamt des Kantons St. Gallen

Architektur: 
Andy Senn Architekt, St. Gallen

Bauleitung:
Bau-Data, Buchs

Statik Holzbau:
Merz Kley Partner, Altenrhein

Statik Massivbau:
Egeter & Tinner, Haag

HLKS: 
Hälg & Co., St. Gallen

Brandschutzingenieur: 
Josef Kolb Ingenieure & Planer Holzbau Brandschutz, Romanshorn

 

Lysbüchel-Areal, Basel

Bauherrschaft:
Immobilien Basel-Stadt, Basel

Architektur/Bauleitung:
Baubüro in situ, Basel

Statik Holz:
Erne Holzbau, Laufenburg

Holzelemente:
Husner Holzbau, Frick

Tragwerk:
Jauslin Stebler, Basel

 

Verwaltungsgeb#äude der Stadtwerke Neustadt in Holstein

Bauherrschaft:
Stadtwerke Neustadt, Holstein (D)

Architektur:
IBUS Architekten, Berlin/Bremen

Lebenszyklusanalyse:
Tara Nordwest, Varel (D)

Planung:
IBUS Architekten mit RISP Rissmann & Spiess, Neustadt (D)

Statik:
Drewes + Speth, Hannover

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