«Die Din­ge in der Zeit ve­ran­kern»

Eine Qualität, die Peter Zumthors Bauten prägt, ist ihr ästhetisches Alterungsverhalten. Wir haben mit ihm über Architektur gesprochen, die Jahrhunderte überdauert, über die Spuren der Zeit, über natürliche und künstliche Materialien und die Rolle, die der Geschichte beim Bauen zukommt. Das Interview fand in Peter Zumthors Wohnhaus in Haldenstein statt.

Data di pubblicazione
21-05-2019

TEC21: Herr Zumthor, in der vergangenen Woche haben wir auf einer Tour durch Graubünden, in die Eifel und nach Bregenz einige Ihrer Gebäude besucht. Manche davon sind ja schon zu Ikonen geworden. Die meisten Architekten kennen sie von früheren Besuchen oder zumindest von Fotos. Wir waren neugierig zu sehen, wie sich die Bauten in der langen Zeit seit unseren ersten Besuchen verändert haben. Zu unserer Überraschung sind sie wenig gealtert. Wie beziehen Sie den Alterungsprozess eines Baus in den Entwurf mit ein?
Peter Zumthor: Ich kenne mich einigermassen aus damit, wie man natürliche Baumaterialien behandelt oder eben nicht behandelt. Wie sie altern, das hat mich schon immer interessiert. Stahl, Holz, Beton und Stein – und das sind sie schon, die ich hauptsächlich verwende. Da ist noch Keramik, Ton, Ziegel und gebrannte Ware. Ich arbeite gern mit diesen Dingen.
Allein die Hölzer bieten eine grosse Palette. Es ist das Material selber und wie man damit umgeht – ich bin zufrieden, wie sich das jeweils entwickelt. Zum Beispiel das Atelier nebenan ist aus Lärchenholz. Das ist heute so, wie ich es mir beim Entwerfen in den Achtzigerjahren vorgestellt habe: silbrig auf der Nordseite und verbrannt auf der Südseite.

Trägt der Alterungsprozess zur Schönheit der Gebäude bei?
Sicher, das ist wie bei den Menschen, die sollen auch schön altern.

Was heisst das genau, schön altern? Bei Menschen sagt man doch eher «würdevolles Altern».
Ich glaube, es ist kein Zerfall. Holz, das 300 Jahre in der Sonne ist und schwarz wird, bei dem die weichen Jahresringe ausgewaschen sind und die harten hervorstehen, erhält eine eigenartige Schönheit. Es ist der Abbau von Material, aber er ist tatsächlich würdevoll. Farbe blättert ab, aber Holz tut dies nicht.

Kann nicht auch abblätternde Farbe schön aussehen?
Ja, das kann der Fall sein, aber in der Regel vermeide ich Farbe. Ich will nicht, dass man die Gebäude unterhalten muss, ich will, dass sie aus sich heraus schön altern. Bei der Fassade an meinem neuen Atelierhaus gegenüber habe ich zum ersten Mal etwas gemacht, das ganz gut gelungen ist: Um die ersten zehn unansehnlichen Jahre von Natur­eichenholz zu überbrücken, haben wir das Holz gebeizt und es vorbewittert, wie man es auch vom Zinkblech kennt. Die Beize ist auf Wasserbasis. Sie wäscht sich im Lauf der Jahre heraus, und dieser Prozess überschneidet sich mit dem Alterungsprozess, in dem der typische Grauton der Eiche erscheint.

Man kann versuchen, den Alterungsprozess zu verlangsamen oder wie bei der Eiche vorwegzunehmen oder sogar zu verhindern. Wie stehen Sie dazu?
Verhindern will ich die Alterung sicher nicht. Im Übrigen hängt das auch vom Material ab. Die Idee, in den Verwitterungsprozess der Eiche einzugreifen, hängt damit zusammen, dass sie zehn Jahre lang unschön aussieht. Wenn man geduldig ist, gewinnt sie aber ihre Schönheit zurück. 
Aber Keramik oder Backstein muss man nicht verändern. Das sind von Anfang an perfekte Mate­rialien, die sinnvoll eingesetzt werden können. Da können Sie meine Mutter fragen – in ihrem Haushalt hat sie Materialien immer passend eingesetzt: hier Holz, dort Keramik. Das ist auch in der Architektur das Tolle, dass man die Materialwahl mit dem ­Gebrauch begründen kann – dann wird es selbstverständlich und schön.

Die ausführliche Version dieses Artikels findet sich in TEC21 20/2019.


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