Ero­sion und Schön­heit

Das Werk von Peter Zumthor gilt als zeitlos. Um das Verhältnis von Aufwand und Qualität einordnen zu können, haben wir einige seiner prägenden Bauten, die zwischen 1985 und 2007 entstanden, wiederbesucht.

Data di pubblicazione
17-05-2019

Ein Architekt entwirft einen Bau mit bestimmten Proportionen, Formen und Materialien. Wie und wo er sie einsetzt und kombiniert, das und vieles mehr ist Teil seines Entwurfs. Dem Eröffnungszeitpunkt wird von Architekten und Bauherren in der Regel grosse Bedeutung beigemessen. Wenn ein Bauteil nicht funktioniert oder es von der ästhetischen Norm abweicht – sich zum Beispiel stärker verfärbt als erwartet –, dann wird der Mangel durch Garantiearbeiten behoben.

Differenzen, die nicht zu korrigieren sind, werden meistens als Fehler betrachtet. Anlässlich der Fertigstellung soll der Bau eine möglichst perfekte Momentaufnahme der Ausgangsidee verkörpern und sich seinem Abbild so stark wie möglich annähern.

Wie der Architekt über diese erste, inszenierte Erscheinung des Baus hinaus mit zukünftigen Veränderungen umgeht, ist unterschiedlich. Dabei kann er eine Taktik des Verlangsamens oder Vermeidens einschlagen oder die Spuren ohne Gegenmassnahmen zulassen. Diesem direkten alltäglichen und anhaltenden Alterungsprozess misst man häufig weniger Bedeutung bei. Wie eine Fassade nach 20 oder 30 Jahren aussieht, wird selten und wenn, dann eher als mutmassliches Randphänomen in den Ausgangsentwurf einbezogen.

Bei den laufend neu entwickelten Zusammensetzungen von Putzen, Farben oder Baumaterialien ist es auch kaum möglich, diese Frage eingehend zu beantworten: Langzeitstudien gibt es kaum. Doch welche Taktik gewählt wird – der Prozess setzt sofort ein: Licht, Regen, Wind und Nutzer verändern die Oberflächen. Das Bild des Baus wandelt sich langsam – und das betrifft den weitaus längsten Teil seines Bestehens.

Weitere Beiträge über Peter Zumthor finden Sie hier.

Manche Altersspuren werden eher akzeptiert, so z. B. traditionelle, sich in der Witterung verfärbende Holzfassaden. Andere sind wenig beliebt – man denke an Algenablagerungen, an Wetterspuren auf Kompaktfassaden. Es würde sich lohnen, in Zukunft regelmässig nach 10, 20 oder 50 Jahren nochmals einen Blick auf Bauten zu werfen, die zu Beginn ihrer Entstehung gelobt wurden. Denn was ist nachhaltiger als ein Bau, der gut und schön altert? Wie sehen Mauerwerk, Verputz, Fenster oder Böden aus? Wurde renoviert und wenn ja, wie? Wie artikulieren sich diese Spuren? Stören sie oder machen sie den Bau besser?

Natürlich ist auch beim Altern die Empfindung des Betrachters subjektiv: Was schön ist und was nicht, bleibt ihm überlassen. Doch es muss darüber hinaus etwas geben, was gemeinhin als ästhetisch und an­genehm gelten kann – ähnlich wie bei menschlichen Gesichtern. Die Bauten von Peter Zumthor sind dafür bekannt, dass sie ansehnlich und würdevoll altern – darin sind sich die meisten Betrachter einig. Doch was liegt diesem Eindruck zugrunde?

Kapelle Sogn Benedetg, Sumvitg 1985–1988

Die Kapelle an einem Berghang in Sumvitg ist ein Ersatz­bau für einen älteren, von einer Lawine zerstörten Steinbau, der weiter talwärts lag. Seit Fertigstellung vor 31 Jahren haben unzählige ­Architekten und Architektinnen den kleinen, einfachen Holzbau mit Schindelfassade besucht. Seine Grundform weckt viele Asso­zia­tio­nen – Peter Zumthor beschrieb sie als einen Fisch, eine Arche, ein Auge, ein Blatt.

Die Lärchenschindeln der Fassade altern seither in Sonne, Wind, Regen und Schnee. Die Südseite ist dunkel, lebendig in den Farben, aber keinesfalls monochrom; durch das unterschiedlich austretende Tannin wirkt sie auffällig gesprenkelt. Im Norden, gegen den Berg hin, ist die Farbe dagegen fast einheitlich silbern. Am schräg abfallenden Sockel sind die Holzstücke am Übergang zur Wiese fast weiss.

Eine seitlich angebrachte Treppe führt an der Bergseite über drei Stufen ins Innere. Der Boden in dem kleinen Kapellenraum schwebt im Schnitt einige Meter über dem steilen Berghang. Die Bohlen sind auf eine Unterkonstruktion verlegt, und beim Durchschreiten beginnen sie leicht zu schwingen.

Ihr etwas eigensinniges Knarren wirkt, als habe es sich im Lauf der Zeit auf diesen Klang «eingestimmt». Rund um die Bänke, entlang der Wand zeigen sich die Tritte der Besucher am abgenutzten Lack, und auch zwischen den Bänken weisen die Abnutzungsspuren am Boden auf die Kirchgänger hin.

Die Anwohner haben sich den Bau auf eine natürliche Art zu eigen gemacht, ihm Schränke und Bodenbeläge eingefügt, ohne damit seine luftige Wirkung zu schmälern. Die silbern gestrichene Wand schimmert im Licht, das durch den rings um die Decke angebrachten Fensterkranz ins Innere dringt. Das Silber hat über die Jahre an einigen Stellen seinen matten Glanz etwas eingebüsst und wirkt blinder als zu Beginn. Der dezent sakrale Innenraum lädt heute wie damals zur Kontemplation ein.

Die ausführliche Version dieses Artikels findet sich in TEC21 20/2019.

 

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