Raum wird Klang

20 Jahre Archi – Vortrag und Fest

Obwohl scheinbar grundverschiedene Kunstformen, haben Architektur und Musik doch einiges gemein. Zum 20-Jahres-Fest von Archi leuchtete die Architektin Silvia Berselli in einem erhellenden Vortrag die Verwandtschaft der beiden Künste aus.

Data di pubblicazione
26-04-2018
Revision
03-05-2018

Archi, die italienischsprachige Schwesterzeitschrift von TEC21, erscheint seit zwei Jahrzehnten – und hat sich zum Geburtstag selbst prächtig beschenkt.

Im Auditorio Stelio Molo, einem wundervollen Konzertsaal aus den 1950er-Jahren im Gebäudekomplex der Società svizzera di radiotelevisione in Lugano, kamen Freunde, Verlagsmitarbeitende von espazium – Der Verlag für Baukultur und zahlreiche an Architektur Interessierte zusammen, um mit der neuen Archi-Chefredaktorin Mercedes Daguerre, Redaktionskoordinator Stefano Milan und weiteren Redaktoren und Mitarbeitenden zu feiern.

Mittelpunkt des Anlasses war ein kenntnisreicher Vortrag von Silvia Berselli vom Architektur- und Bauingenieurdepartement der Universität Bologna zum Spannungs- und Inspirationsverhältnis von Architektur und Musik, musikalisch illustriert und umrahmt von der Sopranistin Lisa La Pietra, dem Pianisten Denis Biancucci und Silvia Berselli selbst.

Architektur und Musik

Obwohl scheinbar grundverschiedene Kunstformen, haben Architektur und Musik doch einiges gemein: eine solide Grundkonstruktion, ein mathematisch-geometrisches Prinzip, das so unterschiedlichen Materialien wie Stein und Klang Ordnung und Form gibt. Während sich Malerei und Bildhauerei viele Jahrhunderte lang auf die Reproduktion von Natur und Architektur beschränkt haben, schaffen Komponisten und Architekten seit jeher Geometrien und Räume, die nichts mit der bestehenden Welt zu tun haben, und öffnen so die Türen zur Abstraktion und Imagination.

Proportionen und Geometrie: Das Studium der beiden Künste beleuchtet die kompositorischen Beziehungen zwischen Architektur und Musik – basierend auf den Prinzipien der Proportion, der Eurythmie, des Goldenen Schnitts – und spannt einen historischen Bogen, der von Pythagoras bis Le Corbusier reicht. Johann Sebastian Bach ist ein exzellentes Beispiel – die Schönheit und intellektuelle Tiefe seiner Kompositionen, insbesondere der Fuge, ermöglicht interessante Analysen in grafischer Form.  

Gesamtkunstwerk: Die weite Verbreitung von Oper und romantischem Melodram ebnete im 18. und 19. Jahrhundert den Weg hin zum Ideal einer Verschmelzung des künstlerischen Denkens zu einem Gesamtkunstwerk. Karl Friedrich Schinkel setzte sich mit der Beziehung zwischen den beiden Künsten auseinander und entwarf einige Bühnenbilder, unter anderem für Mozarts «Zauberflöte». Schinkels Szenenskizzen erleichtern das Verständnis seiner historistischen Haltung, die jede Szene und jede Figur mit einem anderen architektonischen Stil charakterisiert – ein Verfahren, das der Einführung des Leitmotivs in die Musik ähnelt. Diese Entwicklung gipfelte bekanntermassen in den Werken Richard Wagners.

Neue Sprachen: Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es zu einer tief greifenden Erneuerung der künstlerischen Sprachen: in der Musik die Auflösung der Tonalität mit Debussy, Bartok und Schönberg; in der Kunst die impressionistische «Revolution», gefolgt von den Erfahrungen der Avantgarde, die bis zur Dekonstruktion der traditionellen Darstellung ging. Während bis ins 19. Jahrhundert das Verhältnis von Musik und Architektur hauptsächlich auf der Proportionaltheorie beruht, ist das Thema bei der Avantgarde mit unterschiedlichen, vielfach noch zu definierenden Nuancen gefärbt. Von Monet über Bartók bis Libeskind – die Werke werden kürzer, «lauter», fragmentarischer; Zwölfton- und serielle Musik verweisen auf Verwandtschaften aus dem künstlerischen und architektonischen Bereich.

Musik und Raum: Berselli schloss ihren Vortrag mit einigen Beispielen von Werken des 20. Jahrhunderts: Architektur- und Musikprojekte gehen Hand in Hand und beeinflussen sich gegenseitig. Einige kurze Videos veranschaulichten die verschiedenen Ansätze.

Leider kann diese knappe Zusammenfassung nur wenig von der Faszination andeuten, mit der das Publikum im Auditorio Stelio Molo den Ausführungen Silvia Bersellis folgte. Lang anhaltender Beifall belohnte sie und ihre musikalischen Mitstreiter und gaben der Redaktion von Archi recht, die zum festlichen Anlass den geistigen Anspruch vor die lukullischen Genüsse beim anschliessenden Apéro gesetzt hatte.

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