Ei­ne Haut aus So­lar­mo­du­len

Das Architekturbüro Viridén + Partner hat den ersten Umbau eines Mehrfamilienhauses zum Plusenergiehaus in der Schweiz realisiert. Das markante Eckgebäude befindet sich im Zentrum von Romanshorn, rund 200 Meter vom Bahnhof entfernt.

Data di pubblicazione
10-11-2017
Revision
10-11-2017

In Zentrum von Romanshorn, an der Ecke Allee- und Rislenstrasse, steht seit Oktober 2012 ein Wohn- und Geschäftshaus, dessen Südwest- und Südostfassade mit Photovoltaikmodulen verkleidet sind. Dass es sich nur teilweise um einen Neubau handelt, ist nicht mehr zu erkennen. Die Architekten Viridén + Partner haben das bestehende Gebäude aus den frühen 1960er-Jahren – einen eingeschossigen, gelb gestrichenen Sockelbau, auf dem ein leuchtend blauer Block thronte – zu einem markanten Eckgebäude umgebaut, das gemäss gültigem Gestaltungsplan mit den angrenzenden Häuserzeilen einen Platz definiert. 

Auf der Südwestseite hat sich volumetrisch wenig geändert: Der Sockel und die vier Obergeschosse plus Attika entsprechen in etwa dem Bestand. Im Südosten, wo auf dem Sockel früher lediglich ein eingeschossiger «Ausläufer» des Blocks lag, haben die Architekten dagegen kräftig aufgestockt. Das Ergebnis ist ein kompakter Baukörper mit Sockel, vier Obergeschossen und Attika, komplett neu gestaltet und wie aus einem Guss.

Auch im Innern hat sich nach dem Eingriff vieles geändert. Die neuen Teile des Gebäudes werden über das bestehende, leicht erweiterte und mit ­einem rollstuhlgängigen Lift versehene Treppenhaus erschlossen. Heute befinden sich fünf 2 ½- bis 4 ½-Zimmerwohnungen auf jedem Geschoss. Ins­gesamt sind drei Gewerbeeinheiten und 22 Woh­nungen mit energiesparendem Konzept entstanden: Die Wohnungen sind mit Komfortlüftung ausgestattet, in den Fluren leuchten energiesparende Led-Spots, und alle Bad- und Küchenarmaturen haben eine Ecototal-Funktion (das bedeutet, dass beim ­Bewegen des Bedienhebels ein Widerstand spürbar ist, sobald man den energiesparenden Bereich verlässt). Ergonomisch geformte Badewannen sollen für einen geringeren Wasserverbrauch sorgen, und die Haushaltsgeräte in «A++»-Qualität verbrauchen rund ein Drittel weniger Energie als Standardgeräte.

Ein gemeinsames Raster finden

Die Bauherrschaft EcoRenova AG kaufte 2009 die Liegenschaft, investierte rund 7.3 Millionen Franken und erhielt vom Kanton Thurgau knapp 200 000 Franken Fördergelder. «Da die Bauherrschaft von Anfang an ein Plusenergiehaus wollte», sagt Georg Schulte, Architekt des Architekturbüros Viridén + Partner, «haben wir auf dem Dach eine Solarthermieanlage installiert und eine Photovoltaik-Fassade gebaut.»

Die grösste Schwierigkeit während des Entwurfsprozesses sei gewesen, eine Modulgrösse für die Photovoltaikmodule zu finden, die mit den ­bestehenden Fensterformaten harmoniert und zur Definition eines neuen Fassadenrasters taugt. Kleinere Massdifferenzen konnten die Architekten ausgleichen, indem sie die Fugenbreiten zwischen den Solarpaneelen leicht variierten.

Hinter der äusseren Haut aus Photovoltaikmodulen, die neben der Energiegewinnung auch als Witterungsschutz dient, ist eine Wärmedämmung aus Steinwolle montiert, samt einer Hinterlüftungsebene, die Hitzestaus verhindert. Die nächste Schicht ist eine Tragebene aus Metallschienen, an denen die Solarpaneele mit Klemmen befestigt sind.

Die horizontalen Schienen sind mit Distanzschrauben an die tragende Betonwand geschraubt. Auf der Hofseite, die nach Nordosten ausgerichtet ist, haben die Architekten auf eine Solarfassade verzichtet und eine Kompaktfassade mit verputzter Aussenwärmedämmung realisiert.

Energieüberschuss

Das Gebäude erzeugt seine gesamte Energie für Warmwasser, Heizung, Wohnungslüftung und Strom mit Photovoltaikmodulen und thermischen Sonnenkollektoren. Ein wichtiger Teil des Energiekonzepts ist die Speicherung von Solarwärme im Keller. Im ehe­maligen Warenlift wurde ein Wassertank platziert. In dem fast sieben Meter hohen Tank, der sich über zwei Geschosse erstreckt, sind 60 000 Liter Wasser gespeichert, das für Heizung und Warmwasser verwendet wird.

So kann das Gebäude während einer Kälteperiode seinen Wärmebedarf einige Tage speichern, und die Wärmepumpe muss nicht im Dauerbetrieb laufen. Im Flur des Untergeschosses sind «Smart Meter» installiert, Stromzähler, die den Verbrauch anzeigen und Energieprofile jedes Mieters erstellen. Das hat den Vorteil, dass alle Mieter ihren Strom- und Wasserverbrauch im Internet ab­lesen können und so vielleicht ein Gespür für ihren Energieverbrauch entwickeln.

Innerhalb eines Jahres soll das Gebäude ca. 6000 kWh Stromüberschuss produzieren, was dem jährlichen Energieverbrauch eines kleinen Minergie-Einfamilienhauses entspricht. Deshalb würden den Mietern keine Energiekosten verrechnet, sagt Projektleiter Andy Büsser. Beim Betrachten der errechneten Gesamtbilanz fällt auf, dass das Gebäude einzig seine graue Energie sowie die für die Mobilität seiner Bewohnerinnen und Bewohner induzierte Energie nicht selbst erzeugt. Letztere kann aber je nach Nutzerverhalten gering ausfallen, da der Bahnhof nur rund 200 m entfernt ist und gute Verkehrs­anbindungen bietet.

Das Gebäude verkörpert eine eine sorgfältige Kombination von ästhetischen, energetischen und wirtschaftlichen Ansprüchen. Insofern ist es ein ­Beispiel dafür, wie urbane Plusenergiehäuser in Zukunft aussehen könnten. Das grau schimmernde ­Gebäude setzt einen diskussions­würdigen städtebaulichen ­Akzent im Zentrum von Romanshorn.     

Bauprojekt: Mehrfamilienhaus, Romanshorn TG

Baujahr: 1962, Umbau 2012

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
EcoRenova AG, Zürich


Architektur
Viridén + Partner AG, Zürich


Tragkonstruktion
APT Ingenieure GmbH, ­Zürich


HLKS-Planung
Zurfluh Lottenbach GmbH, ­Luzern

Technische Angaben
 

Energiebedarf vor dem Umbau
Heizung: 211 640 kWh/a
Warmwasser: 42 000 kWh/a
Elektrizität: 42 480 kWh/a
Gesamtenergiebedarf: 296 120 kWh/a
 

Energiebedarf nach dem Umbau
Heizung: 21 500 kWh/a
El. Hilfsenergie und Wärmerückgewinnung:  6100 kWh/a
Warmwasser: 35 400 kWh/a
Elektrizität: 29 500 kWh/a
Verluste:  7000 kWh/a
Gesamtenergiebedarf: 99 500 kWh/a
 

Eigen-Energieversorgung
Photovoltaik Fassade (295 m2): 34 000 kWh/a
Photovoltaik Dach (110 m2): 16 000 kWh/a
Solarthermie (69 m2): 41 500 kWh/a
Umweltwärme Wärmepumpe (Jahresarbeitszahl 2.8): 14 400 kWh/a
Gesamtproduktion: 105 900 kWh/a

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