Schleier und Gewöl­be

Verhüllte Kammer

Der Kunstmäzen Eli Broad hat sich von Diller Scofidio + Renfro neben die glänzende Walt Disney Concert Hall in Downtown Los Angeles eine Schatztruhe bauen lassen. Seine Sammlung umfasst rund 2000 Werke der Nachkriegskunst und der zeitgenössischen Kunst.

Data di pubblicazione
05-01-2017
Revision
07-01-2017

Das Zentrum von Los Angeles an der Grand Avenue ist seit über fünf Jahrzehnten im Werden begriffen. Mitte der 1950er-­Jahre wurde der Gebäudebestand des ehemals bürgerlichen Viertels Bunker Hill dem Erdboden gleichgemacht. In den 1980er-Jahren entstanden hier planlos nebeneinander Hochhäuser und Apartmentblöcke. Doch seit dem Bau des Museum of Contemporary Art (MOCA, vgl. TEC21 11/2009) wandelt sich Bunker Hill zu einer Kulturmeile.

An all den neuen Kulturbauten – Walt Disney Concert Hall 2003, Cathedral of Our Lady of the Angels 2002, Ramon C. Cortines School of Visual and Performing Arts 2002 etc. – war der Immobilienmogul, Mäzen und Kunstsammler Eli Broad beteiligt. Um seine Person und Sammlung ranken sich Gerichtsprozesse und illustre Geschichten. Hat er doch in den letzten Jahren erst das MOCA finanziell vor dem Bankrott gerettet, nur um nun – als direkte Konkurrenz zu diesem – auf der gegen­überliegenden Seite sein eigenes Museum zu bauen. Wie es gelingen kann, dass sich das Gebäude von seinen Nachbarn absetzt und sich gleichzeitig in die von ihm mitgeprägte Kulturmeile einpasst, war eine der Aufgabenstellungen an die fünf Architekten, die Broad 2010 zum Wettbewerb eingeladen hatte. 2011 beauftragte er die New Yorker Architekten Diller Scofidio + Renfro mit dem Projekt und gab ihnen damit den Vorrang vor Rem Koolhaas, Herzog & de ­Meuron, Christian de Potzamparc und SANAA.

Zur Stadt hin ein Schleier

Von aussen erscheint das Gebäude fast banal, wie eine der vielen Parkgaragen in Los Angeles: Es ist eine einfache Box mit perforierter Hülle. An zwei Ecken ist sie aufgeschnitten, um Raum für die Eingänge zu schaffen. 2500 Stahlbetonpaneele bilden die Waben der Hülle, die das dreigeschossige Gebäude auf allen Seiten umgibt. Gehalten werden sie von einem 650 t schweren Stahlgerüst.1 Ohne visuellen Abschluss zum Dach und zu den Ecken wirkt die Fassade wie ein abgeschnittener bzw. das Gebäude unendlich umhüllender Stoff.

Die Fassade erinnert an das 1964 erstellte American Cement Building am Wilshire Boulevard oder auch an andere spätmodernistische Experimente von Le Corbusier mit Betonfassadenelementen. Vor allem aber setzt sie einen klaren Kontrapunkt zu der silbrig glänzenden, skulpturalen Konzerthalle von Frank Gehry daneben. Es ist ein matter Kubus mit einer auf halber Höhe der Hauptfassade dezentrierten Einbuchtung – dem als Okulus bezeichneten Fensterauge.

Fenster in Anführungszeichen

Die Erwartung, die der Anblick der Fassade weckt – wie wird es hinter dem Auge beziehungsweise der eingedrückten Wand aussehen? –, führt zum eigentlichen Konzept des Museums: Der Besucher ist gleichzeitig Teilnehmer und Beobachter, Sehender und Gesehener. Es ist eine Erwartung, die grundsätzlich bei einer Verhüllung entsteht – man denke hier auch an Christo und Jeanne-Claude –, von aussen verborgen und von innen dann entzaubert.

Die norwegische Schriftstellerin und Kritikerin Victoria Bugge Øye hat diesen Okulus und die vielen kleinen schiessschartenartigen Fenster hinter der Honigwabenstruktur als «Fenster in Anführungszeichen» verstanden. Ihrer Ansicht nach stehen die transparenten Öffnungen für mehr als nur für ein Fenster. Enttäuscht steht man dann aber im Konferenzraum und sieht den Okulus von innen: eine einfache eingebuchtete Fassade. Auch die kleinen Fenster an zwei Seiten der Fassade dienen ­lediglich der Orientierung zum MOCA und zur Walt Disney Concert Hall, ohne einen Ausblick zu bieten.  

Vom Dunkel ins Licht

Hinter dem Schleier der Museumslobby herrscht eine andere Atmosphäre. Der Vorhang zeigt sich selbstbewusst als eigenständiges Gebilde und setzt sich von der dahinter liegenden Glasfassade ab. Es entsteht ein schmaler Gang im Aussenraum. Dunkle, höhlenartig gewölbte Betonwände führen zum kleineren Ausstellungsbereich (mit 1300 m2) für zeitgenössische Kunst. Ein Tunnel mit einer schmalen, 32 m langen Rolltreppe führt durch eine kleine, lichtdurchflutete Öffnung ins 2. Obergeschoss. Der fast 4000 m2 grosse stützenfreie Raum mit seinen 7 m hohen Decken, in dem flexible Ausstellungswände in einem 3 × 3-Meter-Raster beliebig installiert werden können, wird über 318 nördlich orientierte Oberlichter einheitlich mit Tageslicht beleuchtet.

Obwohl die Oberlichter den Waben der Aussenfassade ähnlich sind, erinnert der Gesamteindruck der Räume an das Eli Broad Museum des Los Angeles County ­Museum (LACMA), das Renzo Piano vor knapp sieben Jahren für dieselbe Sammlung fertiggestellt hat und bei der ebenfalls eine Rolltreppe ins Obergeschoss führt. Bei Diller Scofidio + Renfro, die mit der lokalen Firma Gensler kooperierten, wird allerdings im Gegensatz dazu die Ankunft theatralisch inszeniert. Ein gläserner runder Aufzug, ebenso wie die Rolltreppe, lässt die Besucher im Zentrum des Ausstellungsraums wie aus dem Nichts auftauchen, sie scheinen sich inmitten eines Theaterstücks wiederzufinden. Auch hier geht es um das Sehen und Gesehenwerden.

Archiv als Schatzkammer

Das Konzept des Museums wird von den Architekten als «veil» (Schleier) und «vault» (Gewölbe/Tresor) umschrieben. Für die unzähligen nicht sichtbaren Werke der Sammlung wurde im mittleren Geschoss ein Depot – konzeptionell die Gewölbekammer – als Herzstück des Museums geschaffen. Diese Kammer kann der Besucher beim Verlassen des Obergeschosses über die Treppe durch zwei Fenster bestaunen. Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Sammlung, der ordentlich an Hängewänden des Depots aufgereiht ist. Die Decke der Eingangshalle bildet die Basis für die Tresorkammer. Auf diesen Eingeweiden im 1. Obergeschoss, dem Depot, der Administration und den Konferenzräumen, basiert das Museum. Denn die Schätze können nur teilweise in den Ausstellungsräumen betrachtet werden; dass noch viel mehr vorhanden ist, lässt das schnelle Erhaschen der Depotreihen erahnen.

Es ist eine neue Variante eines Schaulagers, wie es in Basel bereits 2003 von Maja Oeri und Herzog & de Meuron angedacht wurde. Während dort die Schätze nur den ausgewählten Kunstkennern zugänglich sind und in ihrer musealen Präsentationsform aufbewahrt werden, scheint Broad einen etwas anderen Weg gegangen zu sein. Sein Museum ist ein öffentliches Haus, das ohne Eintritt besucht werden kann, das aber durch seine Architektur der Verhüllung und der Einblicke in die archivarische Sammlung ­neugierig auf die Schätze in ihrer Gesamtheit macht. Damit animiert es auch zum erneuten Besuch. Während bei Herzog & de Meuron die Lagerung im Lehmbau demonstriert wird, ist es bei Diller Scofido + Renfro das Schauen-Wollen und Eingeschränkt-Schauen-Lassen, das die Sammlung zum Objekt der Begierde macht.


Anmerkung
1 Ein Rechtsstreit mit der Ingenieurfirma Seele Inc., die für die Fertigstellung und Installation der wabenförmigen Paneele zuständig war, verzögerte den Eröffnungstermin um ein Jahr.

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Eli and Edythe Broad, Founders; Joanne Heyler, Founding Director
 

Architektur
Diller Scofidio + Renfro, New York
 

Tragwerksplanung
Nabih Youssef & Associates, Los Angeles; Leslie E. Robertson Associates, R.L.L.P., New York
 

HLKE-Planung
Arup, Los Angeles
 

Wettbewerb
2010, eingeladener Architekturwettbewerb
 

Wettbewerbsteilnehmer
Diller Scofidio + Renfro, Herzog & de Meuron, Rem Koolhaas, Christian de Potzamparc, SANAA
 

Fertigstellung
2015

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