Wie­der ein stim­mi­ges Gan­zes

Restaurierung der Pfarrkirche Bünzen AG

Die älteste neugotische Kirche im aargauischen Freiamt war ursprünglich mit einer einzigartigen Trompe-l’Œil-Malerei ausgestattet, die 1931 verloren ging. Mit der 2014 abgeschlossenen Restaurierung wurde die Gestaltung des Innenraums bauzeitlich rekonstruiert.

Data di pubblicazione
16-12-2016
Revision
13-01-2017

Heute schätzen wir schon gewisse Werke der Neugotik […]».1 Mit «heute» meinte Linus Birchler das Jahr 1948; er war damals Professor an der ETH Zürich und Präsident der Eidgenössischen Kommission für historische Kunstdenkmäler (die heutige Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege, EKD). Sein unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs und der unmittelbaren Zeit danach entstandener Text wurde zur eigentlichen Mahnschrift für die Schweizer, doch endlich anständig mit ihren Kunstdenkmälern umzugehen. Und in der Tat: Sein früher Hinweis auf Bauwerke des Historismus klingt heute zwar selbstverständlich, ist aber immer noch ein Thema. Auch in den vergangenen Jahren sind wieder Bauten der ehemals verschmähten Epoche in tiefgreifende Restaurierungsphasen geraten, so auch im Kanton Aargau, und hier speziell Werke der Sakralbaukunst, etwa die römischkatholische Pfarrkirche St. Georg und Anna in Bünzen. 

Sakralbau im aargauischen Freiamt 

Das obere und untere Freiamt wurde über die Jahrhunderte von verschiedenen Herren regiert, bis es mit der Neugründung des Kantons Aargau 1803 zu den Bezirken Muri und Wohlen wurde – katholisch blieb es über alle Jahrhunderte gleichermassen. Dies belegt ein eindrücklicher Bestand an Barock- und Rokokokirchen, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen ebenso beachtlichen Zuwachs an Kirchenbauten des Historismus erlebte. Hier sind die Kirchen von Bünzen (Caspar Joseph Jeuch, 1860–62), Villmergen (Wilhelm Keller, 1863–66) und Boswil (Wilhelm Friedrich Tugginer, 1887–88) speziell zu nennen.2 Die Kirche in Bünzen hatte einen wichtigen Vorgänger im aargauischen Leuggern: «Als eines der ersten neugotischen Gotteshäuser im Aargau und dessen Nachbarkantonen galt sie wie kein anderer Kirchenbau des mittleren 19. Jahrhunderts in der Schweiz als mustergültige Baulösung. Die 1851–53 vom Badener Architekten Caspar Joseph Jeuch (vgl. Kasten unten) erstellte mächtige Hallenkirche wirkt nach ihrer äusseren Erscheinung wie eine kleine Kathedrale.»3 

Noch während in Leuggern an der Kirche gebaut wurde, formierte sich im ländlichen Bünzen eine Baukommission, die in der Person von Caspar Joseph Jeuch nicht nur einen bekannten Architekten, sondern sich auch gleich dem «modernen» neugotischen Stil ver­pflichtete.4 Die Kirche in Leuggern entspricht im Innern der an der Fassade angedeuteten Dreischiffigkeit – wenn auch als Hallenkirche und nicht als die zu erwartende Basilika. Die spätere Kirche in Bünzen als kleinere Variante lässt an der Westfassade zwar ebenso eine Dreischiffigkeit vermuten, die im Innern jedoch zu einer grosszügigen, einschiffigen Saalkirche wird. Die fast zehn Jahre ­dauernde Planungs- und Bauzeit in Bünzen war auf Unklarheiten der Finanzierung zurückzuführen. Schliesslich führte der ebenso im Kirchenbau versierte Architekt Wilhelm Keller den Bau aus, jedoch nach den Plänen von Jeuch.

Die Raumhülle über die Jahrzehnte

Das Volumen der Saalkirche in Bünzen wurde als ein sehr einfach gestalteter Raum geplant: ein Netzgewölbe mit wenig aufwendigen Rippenprofilen und Rosetten überspannt das Kirchenschiff; eine einfache Chorwand trennt das Langhaus vom Chorbereich mit der auffälligen Chorempore. Der wichtigste Teil der Ausstattung – neben den Altären und der Kanzel – war jedoch die Dekorationsmalerei, ausgeführt vom damals schweiz­weit bekannten Winterthurer Karl August Jäggli.6 Er überzog die ungegliederten Flächen des Innenraums mit einem stupenden System von Trompe-l’Œil-Malereien in beige-grauer Grisailletechnik, die eine reiche Stuckaturausstattung in eleganten neugotischen Formen suggerierte. Diese Wand- und Deckengestaltung harmonierte mit den übrigen Ausstattungsteilen in der gleichen Formensprache wie auch mit den Glas­malereien des zu der Zeit ebenso bekannten Johann Jakob Röttinger aus Zürich.

Im Zug der Innenrestaurierung der Kirche 1931–33 wurde diese Malerei durch eine eher expressio­nistisch anmutende Dekorationsmalerei in starken Gelb-Orange-Rot-Tönen abgelöst. Auch diese Fassung, die die Bevölkerung offenbar schon früh ablehnte, bestand nicht sehr lang: Bereits in der nächsten Innenres­taurierung in den 1970er-Jahren im Nachgang zum Zweiten Vatikanischen Konzil mit seiner Liturgiereform wurde die ganze Kirche purifiziert und die ­Wände und Decken weiss gefasst. Nur gerade das Chorgewölbe bekam später eine blaue Färbung samt Sternenfirmament zurück. Glücklicherweise blieb die übrige sakrale Ausstattung, die drei Altäre und die Kanzel, erhalten.

Vom Schimmelproblem zum Restaurierungskonzept

Eine weitere Generation später kam ein anderes Problem zum Tragen: Die in die Jahre gekommene Warmluftheizung in Verbindung mit den nicht gegen den Erdboden isolierten Bankfeldern liessen in der ganze Kirche ein feuchtes Klima entstehen, das sich mit verschiedenen Schimmelpilzherden an Wänden, Ausstattung sowie an und in der Orgel bemerkbar machte. Erste Versuche mit einfachen Reinigungen zeitigten keine nachhaltige Wirkung – es wurde ein grösseres Innenrestaurierungskonzept nötig, das dann auch die Chance eröffnete, die ursprüngliche Raumwirkung zurückzugewinnen.

Die mit der Restaurierung beauftragten Tripol Architekten aus Luzern entwickelten zusammen mit der örtlichen Baukommission und der Kantonalen Denkmalpflege ein Konzept, das zwischen Januar 2013 und Juni 2014 ausgeführt wurde. Ein wichtiger Teil davon war, die in den 1970er-Jahren an Wänden und Gewölben aufgebrachte, zu dichte Dispersionsfarbe gänzlich abzulaugen und einen möglichst diffusionsoffenen Farbaufbau anzubringen. Dieser neue Farbauftrag ermöglichte es im gleichen Zug, die bauzeitliche Dekorationsmalerei wieder nachzuvollziehen.

Für diesen Auftrag wurde das Restaurierungsatelier Stöckli in Stans beigezogen, das auf den bestehenden, aber abgelaugten Verputz neu eine Sol-Silikatfarbe (Keim Optil) verwendete. Um das Raumklima nachhaltig zu verbessern, wurde im Bereich der Bankfelder eine Perimeterdämmung eingebracht und das Heizsystem auf eine kombinierte Warmwasser- Boden- und Sitzbankheizung umgestellt. Zudem wurde der gesamte Gewölbebereich mit zusätzlichen 20 cm Zellulose nachgedämmt. 

Rekonstruktion versus Denkmalpflege

Die Denkmalpflege orientiert sich bei solchen Projekten an der gängigen Praxis, unter ständiger Neulektüre der eigentlichen «Klassiker»: «[…] Die grosse Gefahr bei jeder Renovierungsmassnahme besteht darin, dass ihr zumindest eine gründliche ‹Be­reinigung› der Oberfläche des Denkmals vorausgeht, also vollständiges Abschlagen und Erneuern des alten Verputzes, Abkratzen der früheren Fassungsschichten […]».7 Es zeigte sich, dass dies leider auch bei der Kirche Bünzen schon mehrfach passiert war. Es waren nur noch wenige versteckte ­Spuren der bauzeitlichen Trompe-l’Œil-Malerei, noch weniger der 1930er-Farbfassung zu finden.

Somit stellte sich die Frage, wie die neue Raumfassung der Kirche aussehen sollte. Die Kirchenpflege wünschte sich zu Beginn des Projekts eine ­«helle Kirche». Provisorisch angelegte Musterachsen und vor allem der Besuch der bereits restaurierten Jeuch-Kirchen in Leuggern und Berikon mit ihrer wiederhergestellten Farbigkeit liessen die Bau­kommission dann den Vorschlägen der Denkmalpflege folgen, die bauzeitliche Erstfassung wieder herzustellen. Es lagen genügend Befunde vor wie auch historisches ­Fotomaterial, um sowohl die Farbigkeit als auch die eigentliche Bemalung zu rekonstruieren. 

Restaurierung vom Raum aus gedacht

Rekonstruktion ist primär keine denkmalpflegerische Tätigkeit – dies erscheint auch in den Grundsätzen der Denkmalpflege, wie beispielsweise in der Charta von Venedig von 19648 oder den Leitsätzen der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege.9 Die Diskussion zum Umgang mit Räumen des Historismus wird jedoch auch auf einer anderen Ebene, jenseits der Rekonstruktion, geführt: «Die Raumfassung ist aber im Unterschied zur figürlichen Wandmalerei auf eine Komplettierung angewiesen, da sie bei bruchstückhafter Erhaltung den Raum eher verunklärt als gliedert und prägt, wie es ihre ureigene Aufgabe ist.»10 Erst eine komplette Ausstattung eines Werks des Historismus mit den farbig gefassten Wänden, Decken, Ausstattungsteilen und Glasmalereien ergibt ein stimmiges und glaubwürdiges Ganzes: «Die farbige Ausmalung von Sakralräumen mit figürlichen Bilderzyklen, dekorativer Schablonenmalerei oder polychromen Architekturfassungen ist dem 19. Jahrhundert demnach nicht nur Akzidens, ­sondern ein der Architektur wesenhaft zukommendes Gestaltungs- und Ausdrucksmittel.»11 

Diesen komplettierten Ausdruck und die damit einhergehende Eleganz und Festlichkeit erhielt die ­Kirche Bünzen mit der letzten Massnahme zurück, selbstverständlich unter Anpassung des Kircheninnern an die heutigen Bedürfnisse der Liturgie. Ein wichtiges Werk der Neugotik im aargauischen Freiamt konnte so für die kommenden Generationen erlebbar gemacht werden – und damit dürfte auch der eingangs zitierte Linus Birchler ganz zufrieden sein.

Anmerkungen

1 Linus Birchler, Restaurierungspraxis und Kunsterbe in der Schweiz. Zürich: Polygraphischer Verlag 1948, S. 15 (Eidgenössische Technische Hochschule: Kultur- und Staatswissenschaftliche Schriften, Heft 62).
2 Ausführlich zur Sakralarchitektur des Historismus: André Meyer, Neugotik und Neuromanik in der Schweiz: Die Kirchenarchitektur des 19. Jahrhunderts. Zürich: Berichthaus 1973.
3 Peter Felder, Der Aargau im Spiegel seiner Kulturdenkmäler. Aarau: AT Verlag 1987, S. 180.
4 Ausführlich zur Baugeschichte: Georg Germann, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau: Der Bezirk Muri. Basel: Birkhäuser 1967, S. 117–126.
5 Ausführlich zu Jeuch: Thomas Bolt, Kur- und Bäderarchitektur im Werk des Badener Architekten Caspar Joseph Jeuch (1811–1895). Zürich: Lizentiatsarbeit, 1983.
6 Siehe dazu: Stefanie Wettstein, Ornament und Farbe: Zur Geschichte der Dekorationsmalerei in Sakralräumen der Schweiz um 1890. Teufen: Niggli 1996, S. 20, 197.
7 Michael Petzet / Gert Mader, Praktische Denkmalpflege. Stuttgart: Kohlhammer 21993, S. 74.
8 International Council of Monuments and Sights (Hrsg.), Internationale Grundsätze und Richtlinien der Denkmalpflege. Stuttgart: Fraunhofer 2012, S. 47–51.
9 Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (Hrsg.), Leitsätze zur Denkmalpflege in der Schweiz. Zürich: vdf Hochschulverlag 2007.
10 Gottfried Kiesow, Denkmalpflege in Deutschland. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 42000, S. 192.
11 André Meyer, Die Bedeutung der Architekturpoly­chromie in der Sakralkunst des 19. Jahrhunderts. in: Unsere Kunstdenkmäler, 1/1985, S. 46.

Am Bau Beteiligte
 

Architektur und Bauleitung
Tripol Architekten AG

Restaurierung Holzwerk
Peter Egloff, Luzern

Restaurierung Raumschale
Stöckli AG

Restaurierung Sakristei und künstlerische Ausstattung
Hagenbuch Restaurierungen 


Caspar Joseph Jeuch

Caspar Joseph Jeuch (1811–1898) wurde als Hotelierssohn in Baden AG geboren. Nach den Schulen in Baden und Aarau studierte er 1829–1835 in München an der ­Architekturschule der Königlich Bayerischen Akademie bei Friedrich von Gärtner sowie am dortigen Polytechnikum und an der Universität. Reisen führten ihn nach Deutschland, Österreich und Italien. Ab 1837 war er selbstständiger Architekt in seiner Heimatstadt Baden, daselbst aber auch Bauverwalter und Bau­in­spektor. Auf kantonaler Ebene amtete er als Mitglied der Baukommission und war politisch als Mitglied im Stadtrat von Baden aktiv. Er entwarf über seine professionelle Zeit ein grosses Werk innerhalb der Bäder­architektur der aufstrebenden Kur- und Touristenstadt Baden und hinterliess ein gewichtiges Œuvre im Bereich der Sakralarchitektur, speziell im Aargau.5


Schweizer Denkmalpreis

Das Ergebnis der Innenrestaurierung mit der Wiederherstellung der bauzeitlichen Dekorationsmalerei der Kirche Bünzen wurde 2015 mit dem Schweizer Denkmalpreis ausgezeichnet. Der Preis wird jährlich durch die Konferenz der Schweizer Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger (KSD) an herausragende Restaurierungsprojekte im denkmalpflegerischen Umfeld vergeben.

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