Mehr als die Sum­me der Tei­le

Systemtrennung – ein Sonderfall

Wird das Gebäude als Gesamtsystem verstanden, kann punktuell auch mit Systemintegration gearbeitet werden – wie im neuen Firmensitz der Nolax AG.

Data di pubblicazione
20-10-2016
Revision
21-10-2016

Unsere gebaute Umwelt ist in stetigem Wandel. Häufig wechselnde Nutzungsbedingungen stellen hohe Anforderungen an unsere Gebäude und damit auch an die Planer. Derweil wird zunehmend darüber diskutiert, primäre, sekundäre und tertiäre Systeme konsequent voneinander zu trennen, da sie unterschiedliche Lebensdauern haben (vgl. «Höhere Fügung»). Dazu gehört auch die Ablösung der Gebäudetechnik von der Tragstruktur. Hierfür lediglich einen Doppelboden und eine abgehängte Decke zur Verfügung zu stellen führt allerdings nicht zwingend zum gewünschten Resultat.

Zudem besteht die Gefahr, dass die Systeme nicht nur baulich in der Umsetzung, sondern auch gedanklich in der Planung voneinander getrennt werden. Dies kann den interdiszi­plinären Austausch reduzieren und die Nutzung von Synergien zwischen den Systemen verhindern. Neben den notwendigen disziplinären Einzelbetrachtungen gilt es, das Gebäude als Gesamtsystem nicht zu vernachlässigen. Soll das Ergebnis schlussendlich mehr sein als die Summe voneinander getrennter Teile bzw. Systeme, müssen diese intelligent aufeinander abgestimmt werden. Darin kann nicht nur ein ökonomischer und ökologischer, sondern auch ein architektonischer Mehrwert liegen.

Bauwerk mit System

Der neue Firmensitz der Nolax AG in Sempach-Station ist ein geeignetes Beispiel, um die beschriebene Posi­tion baulich zu verorten. Das Gebäude befindet sich aktuell im Rohbau und soll 2017 fertiggestellt werden. Es ist eines von mehreren Projekten, die in der Forschung an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur untersucht werden. Nolax hat sich darauf spezialisiert, Start-ups im Umfeld von Verbindungstechnologien bis zur Markt­reife zu entwickeln und anschliessend zu verkaufen. Um die neuen Entwicklungen voranzutreiben und entsprechend zu testen, soll der Neubau die drei Nutzungsbereiche Büro, Labor und Anwendungstechnik vereinen. 

Eine gewisse Flexibilität war von Beginn an ein wesentliches Planungsziel, um gemäss dem Bedürfnis nach einem kreativen Arbeitsumfeld die Räumlichkeiten vielfältig zu nutzen. Dies verlangte von der Trag- und Technikstruktur ein offenes und anpassungsfähiges System. Architekt, Bauingenieur und ein Experte für Gebäudetechnik sassen dafür bereits in einer sehr frühen Planungsphase zusammen am Tisch. Ziel war es, für das Gebäude ein Gesamtsystem zu entwerfen, das sowohl in der späteren Nutzung als auch während der Planungsphase auf Wünsche der zukünftigen Nutzer reagieren kann. 

Lösungsansätze: räumlich, strukturell und konstruktiv

Die Basis hierfür bildete ein Grundgerüst aus vor­fabrizierten Betonstützen und Holzbalkenträgern im Verbund mit einer Ortbetondecke. Da neben den Büroräumlichkeiten die installationsintensiven Nutzungen wie Labor und Anwendungstechnik einzuplanen waren, hätte es jedoch zu kurz gegriffen, alles mit diesem System lösen zu wollen. Dafür wäre insbesondere die Leitungsführung mit den grossen Lüftungsquerschnitten zu aufwendig gewesen. Wichtiger als eine konstruktive Betrachtung war die richtige räumliche Platzierung der Technikzentralen. Man entschied sich bereits früh dafür, diese aufzuteilen: eine im Unter­geschoss in der Nähe der Räume für die Anwendungstechnik und eine auf dem Dach direkt über dem Labor.

Die Leitungsführung soll im Bereich der Anwendungstechnik unterhalb der Decke erfolgen. Im Labor durchstösst ein Grossteil der Lüftungsrohre die Ortbetondecke auf direktestem Weg, von wo aus sie anschliessend oberhalb derselben zum Monoblock geführt werden. Dies ermöglicht minimale Leitungswege, verlangt aber auch, dass die beiden Nutzungen an ihrem Ort im Gebäude verbleiben. Für die Büronutzung haben die Planer ebenfalls nach einer spezifischen räumlichen Lösung gesucht. Die Tatsache, dass sich mit dem Atrium ein offener Raum über alle Geschosse erstreckt, macht sich die Gebäudetechnik zunutze.

So erfolgt die Ent­lüftung der Büroräume ganz oben im Atrium über ­vertikale Abluftschlitze in einem betonierten Brüstungselement, das wiederum in der Nähe der Technikzentrale auf dem Dach liegt. Diese Synergie zwischen dem architektonisch ansprechenden Atriumraum und der Gebäudetechnik zeigt den Mehrwert eines ­interdisziplinär gedachten Gesamtsystems.

Weiter haben die Planer für die Büronutzung sowohl strukturell als auch konstruktiv nach passenden Antworten gesucht. Die strukturelle Lösung bezieht sich auf das erwähnte Grundgerüst. Verteilt auf mehrere Steigzonen, die sich zwischen die Betonstützen spannen, wird die Luftzufuhr an unterschiedlichen Orten im Raum ermöglicht. Die Raumabgabe erfolgt mittels horizontaler Lüftungsschlitze zwischen Leichtbauwand und Holzbalkenträger.

Die Steigzonen sorgen zudem für eine Raumzonierung der offenen Bürolandschaft und schaffen dadurch unterschiedliche räumliche Qualitäten. Kleinere Nutzungseinheiten wie etwa Sitzungszimmer, die Küche oder auch die Toiletten orientieren sich ebenfalls an diesem System, wobei immer vier Stützen zusammengehören und ein Grundmodul formen. Ausgerichtet auf diese Grundmodule können weitere Räume abgetrennt werden. Raum-, Trag- und Technikstruktur ergeben also ein Gesamtsystem, das einen gewissen Spielraum in der Nutzung ermöglicht. 

Auf der konstruktiven Ebene sind vor allem die Elektroinstallationen interessant. Hier zeigt sich ein Mix aus Systemtrennung und Systemintegration. Hinsichtlich der Stromversorgung gibt es zwei Lösungen. Während die Arbeitsplätze an den Fenstern über einen holzverkleideten Brüstungskanal Anschluss finden, erfolgt die Erschliessung der innenliegenden Zonen über ein bodengeführtes Kanalnetz. Die Elektro­überflurkanäle sind im Unterlagsboden eingelegt und bleiben somit getrennt von der Tragstruktur. 

Beim Beleuchtungskonzept gibt es ebenfalls zwei sich ergänzende Ansätze. Während die Grundbeleuchtung durchgehend zwischen den Holzträgern liegt und kaum auf Veränderungen reagieren muss, ist das Licht für die Arbeitsplätze individuell gestaltbar. Die Stromzufuhr ist hierfür in der Betondecke eingelegt und wird punktuell in die Flächen eingeführt. Die Kabel für die Stromzufuhr können dabei auch in der eingelegten Leitung ersetzt werden. Die einzige Einschränkung ist der Leitungsdurchmesser.

Der Vorteil ist, dass die Stromzufuhr als zusätzliches Element der Deckengestaltung wegfällt. Davon ausgehend wird alles Weitere unten an die Decke appliziert. Die Stromschienen zur individuellen Platzierung von Leuchtkörpern bilden mit den flächigen Schallabsorbern eine Gesamtkomposition, die ein wichtiger Bestandteil der Raumgestaltung ist. Bei einer ­späteren Nutzungsanpassung ist zudem alles bis auf die punktuellen Anschlüsse rückbaubar, und die Decke kann neu bestückt werden. 

Vom Konzept zur Umsetzung

Gemäss den unterschiedlichen Anforderungen der drei Nutzungen wurde nach individuellen Lösungen gesucht. Die beschriebenen räumlichen, strukturellen und konstruktiven Ansätze zeigen jeweils einen differenzierten Umgang mit der Systemtrennung – sei es getrennt wie bei den Steigzonen oder integriert wie bei der Strom­zufuhr der Deckenbeleuchtung. 

Ob die richtige Lösung schlussendlich in der Systemtrennung oder der Systemintegration liegt, hängt mit der jeweiligen Bauaufgabe und der dafür passenden Konzeption zusammen. Ein wichtiges Kriterium für Entscheidungen ist hierfür der Aspekt der Angemessenheit. Schliesslich ist es die Baurealität, die hinsichtlich Umsetzbarkeit, Nutzbarkeit und Bezahlbarkeit die genannte Angemessenheit einfordert. Bei deren Einschätzung ist ein gesunder Pragmatismus hilfreich, um zwischen der Baurealität und einer konzeptionellen Treue zu vermitteln. 

Diesbezüglich galt es auch beim beschriebenen Projekt gewisse Kompromisse einzugehen. Obwohl das Grundgerüst in der Konzeptionsphase möglichst an­passungsfähig ausgelegt wurde, konnte es schluss­endlich nicht allen Wünschen standhalten. So musste beispielsweise in den Büros an einzelnen Stellen trotzdem ein Lüftungsrohr in die Betondecke eingelegt ­werden. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die Steig­zonen an ihre Kapazitätsgrenzen stiessen. So war es schliesslich nicht mehr möglich, die offene Bürolandschaft und die abgeschlossenen Räume nur über die Lüftungs­schlitze der Steigzonen zu versorgen. Die zusätzlichen Luftdurchlässe werden zwischen den Holzbalkenträgern eingelegt und korrespondieren dadurch trotzdem mit dem strukturellen Grundgerüst. Dies ist nicht nur gestalterisch richtig, sondern ermöglicht auch die Ab­trennung zusätzlicher Räume, die sich ebenfalls auf das Grundgerüst beziehen.

Auch wenn es beim Nolax Haus in der bisherigen Umsetzung einige Kompromisse gab, sind die Kernelemente des übergeordneten Konzepts weiterhin vorhanden oder zumindest passend adaptiert. Das Gebäude profitiert also von einem bereits ganz zu Beginn interdisziplinär gedachten Gesamtsystem.

Am Bau Beteiligte


Architektur
Deon AG

Bauherrschaft
nolax AG

Bautechnik
Dr. Schwartz Consulting

Heizung, Lüftung, Klima
Olos AG

Labor
Aicher, De Martin, Zweng AG, Martin Zahno

Konzept Gebäudetechnik
Prof. Urs Rieder

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