«Mö­glichst ei­nen Kreis­lauf for­men»

Das Repertoire des Architekten

Vermeiden, vermindern oder verwerten: Das Prinzip der Abfallwirtschaft lässt sich auch beim Konstruieren von Gebäuden umsetzen. Sebastian El khouli kennt sich in Theorie und Praxis aus.

Date de publication
24-06-2015
Revision
01-11-2015

TEC21: Herr El khouli, Gebäude sind keine Wegwerfware, sondern rückbau- und wiederverwertbare Materiallager, wie Abfallbranche und -behörde erkannt haben. Kennen Sie Häuser, die sich einfach rezyklieren lassen?
Sebastian El khouli: Bei temporären Bauten ist die Rückbaubarkeit oftmals ein wichtiges Gestaltungsprinzip. Mir ist zudem ein amerikanisches Ferienhaus bekannt, das als Prototyp für eine komplett rückbaubare Konstruktion entwickelt worden ist. Hier wurden beispielsweise die Bauteile aus Holz und Alu einfach lösbar miteinander verbunden.
Der Begriff «Design to disassemble» meint Gebäude, die bereits mit einer Demontageanleitung konstruiert werden. Die allgemeine Baupraxis ist jedoch noch nicht so weit, dass der Rückbau so einfach funktioniert oder die rückgebauten Elemente in derselben Art und Qualität wieder eingesetzt werden könnten. 

Haben Sie selbst Erfahrungen mit dem Gebäude­rückbau sammeln können?
Bauen im Bestand bietet sich an, um sich mit elementaren Themen wie Rückbau, Umnutzung und Weiterverwendung zu beschäftigen. Wir haben Anfang Jahr einen Ideenwettbewerb für einen ­Masterplan zur Umnutzung einer ehemaligen Kohlenzeche im Ruhrgebiet gewonnen. 
Die entscheidenden Aspekte waren, die Energie- und Ressourcenflüsse wo immer möglich zum Kreislauf zu formen. Bestehende Werkgebäude sind kein Abfall, sondern Wertstoffpool für die Arealtransformation. Bauen im Bestand ist eine sehr gute Schule, um in den Bereichen Rückbaubarkeit und Recyclingfähigkeit von Gebäuden und Bau­elementen zu erproben, was auch bei einem Neubau sinnvoll sein kann.

Was kann der Architekt im Entwurf vorsorglich leisten, damit ein Gebäude nach Ablauf des Lebenszyklus möglichst ökologisch verwertet wird ?
Das Rückbauthema ist in der Entwurfsphase ein abstraktes Kriterium und eine vielfältig interpretierbare Zukunftsprojektion. Ich selbst kann nur schwer abschätzen, wie sich das Recycling von x-beliebigen Baustoffen weiterentwickeln wird. Trotzdem gibt es gewisse Grundprinzipien, um die Rückbaubarkeit von Gebäuden zu erleichtern: So ist auf Verbundstoffe zu verzichten, und Bauteile sind nicht miteinander zu verquicken. Leicht demon­tierbare und trennbare Bauteile oder Strukturen können nach Ablauf des Lebenszyklus einfacher in die jeweiligen Kreisläufe zurückgeführt werden. 

Ist die Systemtrennung das wichtigste Kriterium für die bessere Rückbaubarkeit von Gebäuden?
Das Trennen von Gebäudestrukturen und -systemen spielt für den gesamten Lebenszyklus eine wichtige Rolle; in Decken eingelegte Verteilsysteme sind meist ein Killerkriterium. Das Trennen vereinfacht das Anpassen einzelner Elemente, sodass ein Gebäude nicht vorzeitig rückgebaut werden muss, sondern nach einem Umbau weiter genutzt werden kann.
Der massive Schottenbau ist ein Beispiel dafür, wie unflexible Strukturen schneller zum Ersatzneubau führen können. Allerdings lassen sich in Bürobauten unabhängige Tragstrukturen einfacher realisieren als im Wohnungsbau, aufgrund anderer räumlicher Bedürfnisse. Flexible Gebäudestrukturen sind oft auch eine Kostenfrage. 

Neben der Abfallverwertung geht es auch um das Vermeiden künftiger Bauabfälle: Welche Konstruktionen verkleinern den ökologischen Fussabdruck ?
Zum Vergleich unterschiedlicher Konstruk­tionsvarianten eignet sich die Bilanzierung des Treibhauspotenzials respektive der grauen Energie. Oft stellen wir im Vorentwurf die konventionelle Massivbaukonstruktion (Schottenkonstruktion) alternativen Konstruktionen wie dem Hybridbau (Stahlbetonskelett mit Leichtbauwänden und Holz-Elementfassade) und dem Holzbetonverbundbau ­gegenüber. Die rein energetische Analyse ergibt ­Resultate für Erstellung, Betrieb und Entsorgung. 
Ergänzende Aspekte sind unter anderem Brandschutz und Kosten. Die Auseinandersetzung ist ­jedoch nicht nur technisch, sondern hat auch mit ­Gestaltung, Raumbedarf und dem Umgang mit ­Material zu tun. Wir beschäftigen uns sehr gern mit der ökologischen Optimierung der Konstruktion, weil vieles möglich ist und sich die Diskussion nicht um ein paar Zentimeter Dämmung mehr oder weniger dreht. Zudem ist der Umgang mit Material das Architekturthema schlechthin: Baustoffe und die Art der Konstruktion prägen die Atmosphäre zentral.

Wie wirkt sich das Reduzieren der grauen Energie auf den Charakter eines Gebäudes aus?
Die Aufgabe, ein nachhaltiges Gebäude mit wenig grauer Energie zu erstellen, lösen wir nicht dogmatisch. Fügung und Raumwirkung sollen aber das Thema graue Energie miteinbeziehen. Wie sich Ökologie und Gestaltung gegenseitig ­beeinflussen, lässt sich am Siegerentwurf für die städtische Siedlung Hardturm in Zürich beispielhaft zeigen.
Die Bilanzierung ergab: Die Zwischendecken haben das grösste Einsparpotenzial. Wird die Gebäudetechnik wie üblich eingebaut, braucht es mindestens 26 cm mächtige Decken. Um dies zu verhindern und die Strukturen auseinanderzuhalten, wurden in den Wohnungskorridoren eine Unterkonstruktion ein­geplant. Dadurch werden die Decken auf 20 cm entschlackt. Die abgehängten Korridordecken ­wurden zudem gestalterisch eingesetzt und zum sichtbaren Thema gemacht. 

Am ressourceneffizienten Bauen wird sehr oft die kompakte Gebäudeform kritisiert. Wie gross ist die Schnittmenge aus energetischen Vorgaben und gestalterischen Absichten?
Sachlich ist die Kompaktheit sicher ein richtiger Ansatz, der aber oft zu eindimensionalen Entwürfen führt. Städtebaulich funktionieren Bauten, die konsequent darauf getrimmt sind, nämlich nur bedingt. Ausserdem besitzen die wenigsten kom­pakten Bauten im Innern gleichwertige Grundrisse. Ab einer bestimmten Kubatur sorgt die Steigerung der Kompaktheit für keinen weiteren Spareffekt. 
Im Gegenteil: Der Ressourcenaufwand wächst, etwa für die Belichtung von tiefen Innenräumen. In der realisierten Alterswohnsiedlung Köschenrüti in Zürich Seebach haben wir Ressourcen gespart, ohne die Kompaktheit zu maximieren. Statt­dessen haben wir den räumlichen Bedarf reduziert.

Aus welchem Repertoire bedienen Sie sich, um ein ressourcenschonendes Gebäude zu konstruieren?
Immer zuerst hinterfragt werden der Bedarf an Untergeschossen und das Raumprogramm: Braucht es das Bestellte wirklich? Die Wahl der Gebäudestruktur fällt danach typischerweise auf einen Skelettbau. Auf Bauten mit tragenden Aussenwänden oder in Schottenbauweise versuchen wir konsequent zu verzichten, weil sie eine flexible Nutzung behindern. Hinterlüftete Fassaden sind dauerhaft und darum fast selbstverständlich. Und gegen eine Glasfassade spricht, dass das Raumklima schwierig zu steuern ist. 

Welche Materialien bevorzugen Sie?
Bei Skelettbauten setzen wir, wo immer möglich, Holz für die Konstruktion der nicht tragenden Fassaden ein. Wir haben uns aber keinen Zwang auferlegt, nur noch mit natürlichen Baumaterialien wie Holz oder Lehm zu bauen. Materialität ist ein sehr lokales Thema. Was ich vor Ort finde, ergibt die richtige Antwort auf die jeweilige Wahl für ein Gebäude auf dem Land oder im innerstädtischen Bereich. 

Die Ökologie fordert einen sparsamen Einsatz von Materialien. Die rohe Materialisierung wird gestalterisch zudem als ehrlich interpretiert. Aber wie geht der Architekt damit um?
Ich finde, dass die wachsende Verfügbarkeit von Baustoffen eine Beliebigkeit im Ausdruck fördert. Dem möchten wir entgegentreten. Das nachhaltige Bauen darf als Abkehr vom Anything-goes-Prinzip verstanden werden. Demgegenüber bilden die Nachhaltigkeitsvorgaben kein Korsett, sondern sind Spielregeln, die es aktiv mitzugestalten gilt. Beim Bauen mit ökologischen Baustoffen sollte man zudem beim Brandschutz sattelfest sein.

Fokussieren wir auf ökologische Materialvarianten: Lässt der Holzbau künftige Abfallberge schwinden?
Ein Holzbau, der gekapselt und mehrfach in Gipsplatten eingepackt ist, reduziert die graue Energie höchstens geringfügig. Eine Holzbetonverbund­decke funktioniert ökologisch gut, wenn sie roh bleiben darf. Je mehr Energie in der Fabrikation der Baustoffe steckt oder je stärker die Rohkonstruktion verkleidet ist, desto grösser wird die Umweltbelastung. Daher sind Holzbauten oder Betonskelettbauten nicht zwangsläufig richtige Konstruktionsvarianten. 

Hilft Recyclingbeton weiter, obwohl der Absatz etwas zögerlich vorankommt?
Wir teilen die Bedenken nicht. Im Gegenteil: Recyclingbeton taugt für Decken und für Sichtbetonwände. Und selbst Beton aus Mischabbruch setzen wir für Treppenhäuser und Erdbebenwände ein, trotz der rötlichen Ziegeleinschlüsse. Lasierte statt verputzte Betondecken werden inzwischen auch von Bewohnern akzeptiert. Eine Differenzierung der Einsatzmöglichkeiten nach Bauteilen ist jedoch nötig.
Die Materialwahl ist eine Urstrategie in der Architektur: Differenzierung entsteht aus dem ­spielerischen Umgang mit unterschiedlichen Rah­men­bedingungen. Ergänzend wollten wir im ­Hardturmprojekt den klimafreundlichen Sulfat­hüttenzement mit Schlacke aus der Stahlproduktion verwenden (vgl. das Projekt «Niederösterreich-Haus» in «Vermeiden, vermindern, verwerten»). Interessant ist, wie sehr sich die Baustoffbranche derzeit für ressourcen­schonende Zutaten engagiert.  

Welche Rolle nimmt der Architekt als Innovator und Erstanwender ökologischer Baustoffe ein?
Erfahrungsgemäss findet man als Architekt immer Möglichkeiten, bessere Baustoffe einzusetzen. Allerdings muss ich innovative Zulieferer frühzeitig beiziehen. Ausserdem ist eine Strategie zu entwickeln, wie der Auftraggeber überzeugt werden kann. Oft sind ökologische Materialentscheide preisgünstiger und sogar gegenüber kostenbewussten Generalunternehmern vertretbar. Primär ist die nachhaltige Idee gestalterisch eigenständig zu entwickeln. Die Architektur muss auf jeden Fall überzeugen. 

Stimmt das Pauschalurteil, ökologisches Bauen sei teurer?
Bei nutzungsflexiblen Skelettbauten ist die Schnittmenge zwischen Ökologie und Ökonomie über den gesamten Lebenszyklus betrachtet gross. Grundsätzlich gilt aber: Etablierte Bauweisen sind günstiger, weil mehr Anbieter am Markt offerieren und ihre Entwicklung weiter gediehen ist. 
Der Einzelvergleich von Bauteilen und Konstruktionsvarianten führt jedoch nicht immer zum richtigen Resultat. Aus ganzheitlicher Projektsicht lassen sich nämlich einzelne Nachhaltigkeitsthemen mit grosser Wirkung lokalisieren, die im Gesamtpaket einfacher vertretbar sind. 

Nachhaltiges Bauen ist ein junges Lernfeld. Welche Hürden sind für Architekten noch zu meistern?
Eine grundsätzliche Schwierigkeit ist der Konkretisierungsschritt vom Plan 1:100 zum realisierten 1:1. Das Verbesserungspotenzial in den Ausführungsdetails erstaunt uns immer wieder. Das bringt dem Architekten aber zusätzliche Arbeit, weil er keine schnellen Antworten des Fachplaners erwarten kann, sondern sich selbst damit auseinandersetzen muss.

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