Werk und Werk­zeug

Anwendungsbeispiel Architektur

Wie verwenden Herzog & de Meuron das Instrument BIM? Zwei Mitarbeiter berichten von den Potenzialen und Herausforderungen dieser Methode. Parallel zur Planung mit BIM existieren weiterhin Skizzen, Zeichnungen und konventionelle Architekturmodelle. Es gilt, das jeweils passende Werkzeug zu wählen.

Publikationsdatum
15-10-2015
Revision
01-11-2018

BIM ist bereits in unser Vokabular eingegangen, und dennoch ist oftmals keine Klarheit vorhanden, worum es sich bei Building Information Modelling genau handelt. Technologien kommen und gehen. Sie sind kurzzeitig in aller Munde, werden «gehyped», entwickeln sich weiter oder sind bald überholt. Noch vor wenigen Jahren waren uns Begriffe wie Smartphone oder Cloud-basierte Apps vollkommen fremd, während eine Vielzahl einst vieldiskutierter Technologien wie PDAs oder Zip Drives bereits wieder in Vergessenheit geraten sind. Der Name der Suchmaschine Google zum Beispiel hat sogar als Verb Einzug in unser kollektives Vokabular gefunden, und vielleicht besteht dort eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Begriff BIM, bei dem wir auch nicht klar und eindeutig erkennen, ob wir von einem Produkt, einem Werkzeug oder einer Methode sprechen sollten. Welche Potenziale und Konsequenzen stecken in diesen drei Buchstaben für die Arbeit eines Architekten?

Unsere Arbeitsweise soll und wird sich zwangsläufig immer mit den Technologien, die uns zur Verfügung stehen, mitentwickeln. Das ist ein Prozess, dem wir zugleich aufgeschlossen und kritisch gegenüberstehen müssen. Nicht so weit entfernt sind die Zeiten, als noch Blaupausen per Post versendet wurden. Seither können wir bereits auf eine jahrzehntelange Evolution der Methode CAD zurückblicken, in der das Zeichnen mit dem Computer als Werkzeug ganz neue Arbeitsweisen geschaffen hat.

Parallelen zum klassischen Modell

Vielleicht ist es sinnvoll, die Wurzeln nicht nur im CAD und in der Planungsdokumentation zu suchen. Es wäre zu einfach, BIM lediglich als die nächste Generation nach CAD zu interpretieren. Da wir von Modellen sprechen, können wir auch Parallelen zum traditionellen Modellbau heranziehen. Modelle sind, ebenso wie Pläne, die Formulierungen von Absichten und die Übersetzung einer oder mehrerer Ideen in dreidimensionale Abstraktionen. Zugleich ist das Modellbauen ein Prozess, der die Konstruktion, das Fügen und die Abläufe auf der Baustelle viel nachvollziehbarer antizipiert als das Zeichnen. Beim Aufbauen eines Modells beschäftigt man sich ohne Umweg mit dem Kombinieren von Teilen. Das gilt für den klassischen Modellbau genauso wie für die Arbeit mit virtuellen Modellen am Computer.

Bei Herzog & de Meuron pflegen wir eine lange Tradition im Arbeiten mit Modellen, sowohl mit physischen Modellen als auch mit digitalen 3-D-Modellen. Dabei versuchen wir in beiden Fällen, Begriffe wie Arbeitsmodell und Präsentationsmodell zu unterscheiden, sodass auch ein digitales Gebäudemodell lebendiges Entwurfswerkzeug und Dokumentationsinstrument zugleich sein kann. Wir sind heute auf dem Weg von den geometrischen zu den informierten Modellen. Das ist hilfreich, wenn wir BIM zur Koordination aller Projektdaten einsetzen. Gleichzeitig benötigen wir aber auch Werkzeuge, die eine gewisse Ambivalenz zulassen und damit Interpretationsräume öffnen. In unserer Arbeit bewegen wir uns also im Spannungsfeld zwischen digitaler Skizze und Informationsmodell. 

Das richtige Instrument finden

Aus Sicht des Digital Technologies Department bei Herzog & de Meuron stellt sich die Herausforderung, gemeinsam mit den Projektteams die jeweils idealen Werkzeuge zu wählen, die uns bei der Formulierung und Ausarbeitung einer architektonischen Idee am besten unterstützen. Das gilt nicht nur für den eigentlichen Entwurfsprozess und die architektonische Idee, sondern durchdringt alle Phasen und Bereiche, in denen wir als Architekten aktiv sind. Denn neben unserem Hauptanliegen, gute Architektur zu entwickeln, sind wir natürlich an der effizienten Bearbeitung unserer vertraglich geschuldeten Leistungen interessiert.

Das hat dazu geführt, dass wir BIM bereits seit Jahren aktiv untersuchen und einsetzen. Erfahrungen konnten wir vor allem durch die grosse Verschieden­artigkeit in den Konstellationen von Aufgabe, Ort, Vertrag, Rollen und Planungspartnern sammeln. Hinzu kommt die weltweite Verteilung unserer Projekte in Europa, Amerika und Asien und die Unterschiedlichkeit von Massstab und Typologie. So bedienen wir uns in den Projekten gezielt ausgesuchter Aspekte von BIM, denn in jedem sind die Aufgaben, denen wir uns stellen, vielschichtig. Sie reichen vom Entwurf über die Modellierung und Visualisierung, die Ermittlung von Massen und Kosten, die Koordination mit anderen Beteiligten bis zur Planung und Dokumentation der gebauten Projekte.

Sprünge zwischen den Massstäben

Wir müssen genau beurteilen, ob und wie wir jede dieser Untersuchungen führen werden, welche dieser Aufgaben in unserem Leistungs- und Verantwortungsbereich liegt und inwiefern wir Informationen mit unseren Planungspartnern austauschen müssen. Es gilt, das richtige oder notwendige Werkzeug für die jeweilige Aufgabe einzusetzen. 

Nicht immer ist das digitale Modell der beste Ort, um eine Untersuchung zu starten. Um einen Entwurf oder Teile davon zu entwickeln, existieren parallel Skizzen, Zeichnungen oder der Modellbau mit Papier und Schere als wichtige, teils überlegene Werkzeuge. Selbst bei der Auswahl einer Software gilt es, eine passende Entscheidung zu treffen. Die schnelle und präzise Untersuchung von Licht und Material anhand von Visualisierungen bedeutet für uns dementsprechend eine bestimmte Auswahl an Software. Besonders das Testen und Evaluieren von Optionen zu abgegrenzten Themen fällt uns oft leichter, wenn man es aus dem Kontext eines BIM-Modells herauslöst.

BIM-Modell als Kollektor

Das zentrale BIM-Modell dient uns vielmehr als Kollektor, um einen fortlaufenden Stand der Planung abzubilden und zu koordinieren. Die Informationsweitergabe anhand von Modellen lässt uns Fragestellungen in Zusammenarbeit mit unseren Planungspartnern meist effizienter beantworten als durch den Austausch von Zeichnungen. Auf der anderen Seite sehen wir uns oft mit einer Methode konfrontiert, die von einem rein linearen Prozess auszugehen scheint, in der kontinuierlich der Grad der Ausarbeitung an der Konkretisierung von Informationen gemessen wird. Der Ausarbeitungsgrad einer Planung hing von jeher mit dem Massstab einer Zeichnung zusammen, doch eine Massstäblichkeit existiert in digitalen Modellen nicht mehr. Wie messen wir also die Tiefe der Planung? Und wie springen wir zwischen den verschiedenen Massstäben?

Das Diagramm oben links beschreibt einen idealisierten Prozess, in dem mit Voranschreiten des Projekts zunächst die grobe Geometrie modelliert, dann verfeinert und schliesslich mit immer mehr Informa­tionen angereichert wird, bis letztlich eine virtuelle Kopie des real gebauten Objekts entsteht. LOD 100 (Level of Development) bedeutet für ein Architekturmodell, dass die Geometrie und Anordnung der Räume bereits festgelegt ist. Erst in Folge werden die genauen Dimensionen von Bauteilen und die Materialisierung ausgearbeitet. Die Vereinbarung von LOD ist ein Instrument, um die Mindestanforderungen der Modelle eines jeden Beteiligten in einer Planungsphase abbilden zu können.

Planung als iterativer Prozess 

Im Regelfall folgen unsere planerischen Überlegungen nicht immer diesem Schema. Im Gegenteil: Der Fokus und die Intensität der Untersuchung eines Design­themas werden je nach Projekt unterschiedlich gewichtet, und damit ist auch der Ausarbeitungsgrad innerhalb des Modells alles andere als kongruent. Ein Beispiel dafür sind Untersuchungen, die wir zur Materialisierung einer Fassade machen, lang bevor die Kubatur des Gebäudes festgelegt ist. Es gibt also Ausschnitte, die im Vorentwurf bis ins LOD 400 ent­wickelt sind, während andere Bereiche bewusst unbestimmt bleiben.

Wenn LOD 100 nun bedeutet, dass die Lage und Geometrie von Räumen bereits konkrete Form angenommen haben, wie benennen wir dann die Überlegungen, bei denen noch nicht klar ist, in welcher Form oder ob es einen Raum überhaupt gibt? Sollten wir nicht konsequenterweise in diesen Bereichen einen LOD «0» oder «minus 100» kommunizieren? Ebenfalls fällt es uns schwer, die Gleichzeitigkeit von grundlegend verschiedenen Optionen zu verfolgen, während BIM konzeptionell darauf abzielt, den einen koordinierten Stand des Modells zu beschreiben. Ein Gebäude zu entwickeln ist ein iterativer Prozess, bei dem ständig Möglichkeiten untersucht und wieder verworfen werden. Mit welchem Werkzeug oder welcher Methode die einzelne Entscheidung im Prozess herbeigeführt wurde, ist für das Ergebnis an sich zweitrangig.  

Potenziale für den Architekten

BIM zeigt seine Stärken als Koordinationswerkzeug, wenn alle notwendigen Daten im Modell zusammengetragen werden. Wertvoll wird diese Informationssammlung aber erst, wenn wir beginnen, sinnvolle Fragen an diese Modelle zu stellen. Das schliesst daher nicht aus, dass eine BIM-Software auch ein legitimes Werkzeug sein kann, um uns auch im Entwurfsprozess zu unterstützen. Zu hinterfragen ist lediglich, ob die Katego­risierung in Bauteile und deren Definition in Ausarbeitungsgrade unser Vorgehen beim Entwerfen korrekt abbilden können. Beim Arbeiten mit BIM tragen wir diesen «typologischen Rucksack», in dem manchmal mehr Ballast als Unterstützung steckt. 

Betrachtet man die Erwartungen einer Bauherrschaft, also die Sicht des Bestellers, lässt sich meist erkennen, dass dahinter der Wunsch steckt, ein Instrument der Effizienzsteigerung und der Kostensicherheit gefunden zu haben. Der Blickwinkel auf das Thema ist entscheidend für die eigenen Forderungen an BIM. Die Perspektive des Architekten ist ebenfalls vielschichtig, denn unsere Aufgaben variieren je nach Aufgabe, Phase, Rolle oder Ort. Das Potenzial kann darin liegen, BIM nicht nur als ein mögliches Werkzeug für die geometrische und inhaltliche Vorabdefinition eines ­Gebäudes zu begreifen, sondern auch, um die eigenen Prozesse der Planung gezielt zu überdenken und weiterzuentwickeln. Die Unschärfe, die der Begriff BIM momentan noch hat, ist vielleicht eine Chance, bereits sehr alte Themen zusammen neu zu diskutieren.

Denn interessanter als die Frage, mit welcher Methode wir ein Dokument oder eine Zeichnung erstellen, ist die Feststellung, warum oder für wen wir dies überhaupt tun und ob die Information nicht schon bereits an anderer Stelle verfügbar wäre. Vielleicht ist es gerade ein Merkmal neuer Technologien, dass sie mehrfache Sichtweisen und Schwerpunkte erlauben oder sogar erfordern und wir keine simple Eindeutigkeit des Begriffs erlangen können. BIM ist schliesslich nicht ein Produkt. Es ist vielmehr ein Ansatz, der sich irgendwo zwischen Softwareprodukt und Unternehmenskultur bewegt. Um dieses Werkzeug zielsicher einsetzen zu können, müssen wir zunächst die Erfahrung in der Anwendung ausbauen und es handwerklich und inhaltlich pflegen. Die grosse Herausforderung liegt wie immer darin, für jeden Schritt in unserem Prozess das angemessene Werkzeug zwischen BIM und Bleistift zu wählen.

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