Ro­her Be­ton trifft auf ja­pa­ni­sche Ein­fach­heit

Im Süden des Industriequartiers von Thun steht ein unscheinbares Gebäude. Kranelemente und Entladerampen erinnern an die einstige Fabriknutzung, die erst vor Kurzem zu Ende ging – zugunsten von Büros.

Publikationsdatum
30-01-2024

Der Thuner Architekt Franz Wenger erbaute 1952 ein schmales, im Innern stützenfreies Fabrikgebäude für die Uhrensteinfabrik Rüfenacht & Co. Wie es sich für die damalige Zeit gehörte, wohnte der Patron gleich neben seiner Arbeitsstätte. Über einen eingeschossigen Zwischenbau war die Fabrik vom Wohnhaus abgegrenzt. Dicht gedrängt verrichteten Arbeiterinnen und Arbeiter Filigranarbeiten, bis rund 30 Jahre später das letzte Stündlein der Uhrenfabrik schlug: Das Gebäude ging 1980 in den Besitz der «Habegger Maschinenfabrik». Fortan wurde in den Hallen unter anderem der bekannte Habegger-Seilzug hergestellt.

Mit der Übergabe an einen neuen Firmenbesitzer und dessen Anforderungen an eine Maschinenfabrik änderte sich die Architektur im Innern. Rückwärtig wurde eine pragmatische Stahlhalle für die Metallfertigung angebaut, die Betonstützen entlang der Innenfassaden wurden mit Metallkonsolen verstärkt. Der ursprüngliche schmale Gebäudegrundriss mit grossen Fenstern gegen Norden und Süden ist vor allem in den Obergeschossen erhalten geblieben.

Von der Maschinenfabrik zur IT-Firma

Vor Kurzem brach die dritte Ära der Fabrik an, die deutlich von der Digitalisierung geprägt ist. Dicht an dicht reihen sich heute die Bildschirme und Computer einer IT-Firma.

Wiederum passte sich das Gebäude seiner neuen Nutzung an. Doch wenn man heute die Strasse entlanggeht, dann fällt einem kaum auf, dass etwas anders ist. Äusserlich ist das leicht wirkende, aufgesetzte Dach das einzige sichtbare Element, das eine Instandsetzung erahnen lässt. Auf den zweiten Blick fallen auch die Proportionen der Fenster im obersten Geschoss auf, die ebenfalls nicht in der Ursprungszeit der Fabrik zu verorten sind. Und doch fügen sich Neu und Alt zu einem harmonischen Ganzen.

Genau das war die Absicht des Architekten Johannes Saurer – ganz nach dem japanischen Prinzip «Kintsugi». Die Reparaturtechnik steht bei diesem Bau für «flicken, nicht ersetzen» und den dadurch gewonnenen Mehrwert. Saurers Credo lautete: Nur das machen, was nötig ist. So definiert er auch das nachhaltige Bauen im Bestand.

Spagat zwischen Pragmatismus und Raumgefühl

Das Konzept des «Flickens» zieht sich durch das ganze Gebäude: Der Boden wurde nur wo nötig ergänzt, bei Wänden und Decken galt dasselbe Prinzip. Die Malerinnen und Maler mussten dazu angehalten werden, nicht zu viel zu überstreichen. Die roh belassenen Wände mit alten Putzen und sichtbaren Kratzern von Palettrollis verleihen dem Gebäude eine altehrwürdige und respektvolle Atmosphäre. Auch die rohen Betonunterzüge, die filigranen Verglasungen und Fensterbeschläge zeugen noch heute von der Fabriknutzung. Eine alte Wanduhr unterstreicht die frühere Nutzung, als noch im Schichtbetrieb und ohne Gleitzeit gearbeitet wurde.

Eine Bodenheizung kam aufgrund des Bodenaufbaus nicht infrage. Zudem erwies sich der Fabrikboden als äusserst robust. Daher sind die bestehenden alten Heizungsrohre und Radiatoren auch heute noch in Betrieb. Nur dort, wo es nötig war, wurden neue, passende Röhrenradiatoren ergänzt, womit das Gebäude seinen Charme behielt.

Kochen statt schweissen in der neuen Cafeteria

Neue Elemente wurden architektonisch gekonnt hervorgehoben, ohne zu dominant zu wirken oder den Bestand zu konkurrieren – so etwa das Herzstück der Fabrik, die neue Cafeteria mit der Spindeltreppe zu den Büroräumlichkeiten. Wo früher Metallteile geschweisst wurden, ist eine grosse Gemeinschaftsküche aus einfachen OSB-Platten für alle Mitarbeitenden entstanden.

Die offene Halle erhält durch die neu eingebauten Oberlichter und die grosse, filigrane originale Glasfassade im Westen eine besondere Atmosphäre. Neue Arbeitsformen abseits des klassischen Arbeitsplatzes werden durch diese Architektur geradezu gefordert. Die neu eingebaute Stahlplattform wirkt selbstverständlich und im Sinne des Bestands weitergebaut. Umso wichtiger war es für Saurer, die klassischen Arbeitsplätze im ehemaligen Fabrikgebäude zu belassen, um die Grosszügigkeit der alten Stahlhalle beibehalten zu können.

Dach im Kontrast zum harten Beton im Innern

Was von aussen bereits anhand des Dachs zu erahnen ist, bestätigt sich im zweiten Obergeschoss: Das Gebäude wurde um ein Stockwerk erweitert. Im Treppenhaus wechselt die Materialisierung zu Sichtbetonwänden und die Fassadenstützen ziehen nach oben hin leicht schräg an. Auch im aufgestockten zweiten Obergeschoss dominieren roher Beton und Aufputz-Leitungen. Die tragenden Fassadenstützen aus dem Bestand wurden im neuen Geschoss analog den darunterliegenden übernommen. Dass trotz äusserlich sichtbarer Dachneigung im Innern eine ebene Betondecke den Raum nach oben abschliesst, mag dem Pragmatismus und der aussteifenden Wirkung geschuldet sein.

Die gestapelten Holzbalken der Dachkonstruktion, die das Vordach bilden, vermitteln eine Leichtigkeit, die ebenfalls an japanische Architektur erinnert. Das Dach steht in seiner Feingliedrigkeit im Kontrast zum harten, einfachen Betontragwerk im Innern.

Das Team um Johannes Saurer rüstete die ehemalige Maschinenfabrik in Thun bodenständig und solide für die Zukunft, wobei die bestehende räumliche Wirkung beibehalten wurde. Dieses Umbauprojekt zeigt, dass die Weiterentwicklung des Bestands viele Herausforderungen und ebenso viele Chancen birgt. Zudem verdeutlicht es, wie sich die Aufgabe der Architektinnen und Architekten wandelt: Statt der freien Anordnung räumlicher Beziehungen steht vermehrt die Kunst im Vordergrund, sich in bestehende Strukturen einzudenken und diese kreativ weiterzuentwickeln – sei das im Orchestrieren von Aufputz-Elektroleitungen, in der Neuinterpretation von Fenstereinteilungen oder im bewussten Nicht-Eingreifen.

Umbau Maschinenfabrik Habegger

 

Vergabeform
Direktauftrag


Bauphase
Planung 2020–2022 / Ausführung 2022–2023


Baujahr Bestand (bei Sanierung)
1952


Schutzstatus (bei Sanierung)
keiner


Fertigstellung
2023


Geschossfläche (SIA 416)
2’491 m2


Volumen (SIA 416)
8'813 m3


Baukosten (BKP 2)
4'582’000 Franken


Nutzung
Büroräumlichkeiten für Informatikfirma


Energieversorgung
Fernheizung Stadt Thun


PV-Anlage
Trina Solar 54 KWp

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Habegger Immobilien, Hünibach


Architektur
Johannes Saurer Architekt BSA, Thun


Tragkonstruktion
Bührer Dällenbach Ingenieure, Steffisburg


HLKS-Planung
Müller Haustechnik, Adelboden

Bauphysik
HSR Ingenieure, Spiez


Elektroplanung
ESP Furrer, Frutigen


Brandschutzplanung
Indermühle Bauingenieure, Thun

Verwandte Beiträge