Ru­he durch Pla­nung?

Die Schützenmatte in Bern ist als zentraler Freiraum und Vorplatz des Kultur- und Politikzentrums Reitschule Austragungsort gesellschaftlicher Spannungen. Die Stadt plant die sukzessive Aufwertung des Gebiets – auch mithilfe einer dreijährigen Zwischennutzung.

Publikationsdatum
20-02-2020

Für die einen ist es ein Schandfleck, die anderen loben das kulturelle Angebot und das soziale Engagement: Das Kulturzentrum Reitschule im Herzen von Bern polarisiert nun schon seit fast 40 Jahren. Einst lernten hier Ross und Reiter die Feinheiten der Dressur, heute herrscht das Gegenteil: Basisdemokratie in der Organisation der Reitschule und viel Anarchie im Umfeld.

1980 besetzte «Die Bewegung der Unzufriedenen» das zuvor rund 15 Jahre leer stehende Gebäude, um darin nach dem Vorbild des Zürcher Autonomen Jugendzent­rums AJZ eine freie Kultur- und Begegnungsstätte zu schaffen. Seitdem funktioniert die Reitschule als dauer­haftes Provisorium mit jeweils temporär ausgestellten Bewilligungen und Leistungsverträgen mit der Stadt Bern als Eigentümerin. Dass sie heute eine wichtige Rolle im Kulturleben der Bundesstadt spielt, ist unterdessen auch bei Gegnern der Institution weitgehend anerkannt.

Umstrittener, da nicht so eindeutig, ist hingegen das – vor allem nächtliche – Treiben auf der ebenfalls städtischen Schützenmatte, dem über 5000 m2 grossen Platz östlich des Bahnviadukts, der nahtlos an den Vorplatz der Reitschule anschliesst. Er diente lang als Auto- und Carparkplatz, an drei Seiten eingerahmt von Bollwerk, Tiefenau- und Schützenmattstrasse und überquert vom Viadukt der SBB.

Drogenhandel, Diebstahl, Vandalismus und Körperverletzungen gelten hier an einem Wochenende als normal; Anwohner vom gegenüberliegenden Aare­ufer monieren zudem regelmässig die nächtliche Ruhestörung. So kommt es häufig zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Fronten sind verhärtet – mit ein Grund, warum die Stadt Bern plant, den Ort aufzuwerten und auch für nicht nachtaktive Bürgerinnen und Bürger attraktiver zu gestalten.

Gegenteiliger Effekt

2014 begann der von der Stadt organisierte zweijährige partizipative Planungsprozess für das Gebiet, der im Nutzungs- und Entwicklungskonzept Schützenmatte resultierte. Massnahmen rund um die Schützenmatte, wie die Aufwertung der umgehenden Verkehrsachsen, sind dabei schon definiert; was auf der «Schütz» selbst passieren soll, ist hingegen noch recht vage. Definitiv vom Tisch ist die Idee einer integralen Überbauung, eine Teilbebauung ab 2025 aber immer noch im Gespräch.

Das «neustadt lab», das den Platz ab 2016 jeweils in den Sommermonaten mit Pop-up-Bars und Konzerten belebte, gab für die zukünftige Ausrichtung erste Impulse. Ein wichtiger Meilenstein war im Juli 2018 die Aufhebung der Parkplätze, was nicht ohne Nebengeräusche vonstatten ging. Der Gewerbeverband hatte sich vehement dagegen gewehrt, erst nach anderthalb Jahren gelang der Kompromiss: Knapp ein Drittel des Platzes bleibt den Autos vorbehalten, zwei Drittel konnten für eine Zwischennutzung frei gemacht werden.

Im Frühling 2018 schrieb die Stadt eine neue dreijährige Zwischennutzung aus; Beginn: ab Oktober 2018, Budget: 450 000 Franken. Den Zuschlag erhielt der extra dafür gegründete Verein PlatzKultur. Die beiden Gesichter des Vereins sind Kevin Liechti und Christoph Ris, selbst auch in der Reitschule aktiv. Ihr Credo: Die «Schütz» soll «ein bunter Freiraum» sein für alle, «wo fast alles möglich ist, ohne Konsumzwang und Kommerz». Aktuell und noch bis April läuft die Winternutzung.

Anders als geplant, ist aus dem offenen Freiraum ein geschlossener Schützenhof mit Öffnungszeiten geworden. Denn bereits im Sommer geriet die Schützenmatte wieder in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass die Belebung nicht, wie erhofft, zu einem Rückgang der Kriminalität auf dem Platz geführt hatte. Im Gegenteil – durch die Möblierung mit Baumtrögen und Sitzgelegenheiten entstanden zusätzliche Nischen, das Areal wurde insgesamt unübersichtlicher. Und neben den erwünschten Gästen zogen die Aktivitäten auch das problematische Publikum an.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21  5/2020 «Utopien auf Zeit».

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