Licht-Ora­to­ri­um

Umbau der Dortmunder Liebfrauenkirche zu einer Grabeskirche für Urnengräber; Architektur: Staab Architekten, Berlin; Lichtplanung: Licht Kunst Licht, Bonn

Beim Umbau der Dortmunder Liebfrauenkirche zu ­einer Grabeskirche für Urnen hat das Lichtplanungsbüro ­Licht Kunst Licht aus Bonn die Beleuchtungskonzeption geplant und ausgeführt. Das 21 Meter hohe Kirchenschiff wird von dimmbaren LED-Strahlern erleuchtet.

Publikationsdatum
13-01-2012
Revision
25-08-2015

Kolumbarium nannten die Römer einst den Taubenschlag. Da altrömische Grabkammern, in denen die Urnen in übereinander angeordneten Nischenreihen aufgenommen wurden, Taubenschlägen ähnelten, bezeichnete man auch sie als Kolumbarien. Im antiken Rom wählten Bürger die Feuerbestattung, aber auch Reiche, die für ihre Sklaven und für die Freigelassenen selbst nach ihrem Tode zu sorgen hatten. Das Christentum konnte sich mit ­dieser Praxis nicht anfreunden und lehnte das Urnengrab ab, da ­diese Bestattungsweise als unvereinbar mit seinem Glauben an die Wiederauferstehung ­erschien. Erst die Gründerzeit brachte es mit sich, dass in Deutschland, nachdem die katholische Kirche offiziell die Urnenbestattung akzeptiert hatte, die ersten Krematorien und ­Kolumbarien ­errichtet ­wurden. Als der Berliner Peter Behrens 1907 ein Krematorium für Hagen entwarf, ­gehörte er zu den ersten, die den modern-sachlichen Architekturstil auf die ­Sakralarchitektur übertrugen. Nun war es wiederum ein bekanntes Berliner Architekturbüro, das in der nordrhein-west­fälischen Stadt Dortmund die bedeutende Liebfrauenkirche – einen neugotischen Bau von
1883 – in ein Kolumbarium für 4200 Urnen verwandelte. Die grösste Kirche Dortmunds teilt ihr Schicksal mit vielen anderen Sakralbauten des Ruhrgebiets, die in den letzten Jahren schliessen mussten, da nicht mehr genug Gläubige den Gottesdiensten beiwohnten. Deswegen wurde vor drei Jahren unter Vorsitz des Architekten Peter Kulka ein Wettbewerb ausgelobt, um die Backsteinkirche in eine Grabeskirche umzuwandeln. Da es der christlichen Tradition entspricht, die ­Toten in der Kirche oder im angrenzenden Kirchhof zu beerdigen, sah das Erzbistum ­Paderborn im Kolumbarium die geeignete Fortführung dieses Brauchs.

Zwischen Apsis und Eingang

 Das Büro Volker Staab folgte mit seinem Entwurf der christlichen Tradition der Erdbestattung, indem es die Urnengräber nicht als «Hochregallager», sondern wie Kirchenbänke längs des Mittelschiffs und der beiden Seitenschiffe anordnete: als zwei durch die Mittel­achse voneinander getrennte und dennoch visuell verbundene Vierergruppen. Auch die Ausführung in Baubronze unterstreicht die Erdnähe. Durch Volker Staabs Umgestaltung konnte nicht nur der Denkmalwert des Sakralbaus erhalten werden, sondern auch, wie Kulka in der Jurybegründung unterstreicht, «das Volumen des Kirchenraums weiterhin zur Geltung ­kommen». Gegenüber den anderen Wettbewerbsentwürfen überzeugt Staabs Entwurf, weil die ungewohnte Urnenanordnung dem Sakralraum eine grosse Offenheit und Transparenz belässt. Dabei schafft die axiale Sichtlinie, die durch den Mittelgang die beiden Urnenfelder voneinander trennt, eine unmittelbare visuelle Ordnung. Die klare Achse zwischen Eingang und Apsis, zwischen Weihwasserbecken und dem Altarraum für die Totenmesse symbolisiert die Lebensspanne zwischen Taufe und Begräbnis. Dieser Mittelgang ist weitgehend frei gehalten, hier finden sich nur das Totenbuch und die Osterkerze. Die minimalistische Ausgestaltung der Apsis nimmt die reduzierte Form- und Materialsprache der Urnenfelder auf: Für die betont schlichte Gestaltung von Altar, Ambo, Urnenstele und Sitzelementen wurden geschichtete Holzplatten ausgewählt, die sich der ­horizontalen Gliederung des Kirchenraums anpassen.

Indirekte Strahlung

 Wer in diesen Tagen die Dortmunder Liebfrauenkirche betritt, wird zunächst an nichts ­Aussergewöhnliches denken. Die Ruhe nimmt einen gefangen. Die Kirche war ein sakraler Raum, und sie ist es geblieben. Das wird nicht nur durch Staabs Interventionen deutlich, sondern auch durch das zurückhaltende Beleuchtungskonzept des Bonner Büros Licht Kunst Licht, eines Teams von IngenieurInnen, Architekten und Designern um Andreas Schulz. Ganz offensichtlich bestehen für die Beleuchtung einer Gemeindekirche und einer Grabeskirche unterschiedliche Anforderungen. Denn ein Trauergottesdienst braucht einen Ort für Ruhe und Kontemplation. Licht Kunst Licht hat sich intensiv mit der atmosphärischen Raumwirkung beschäftigt und die angemessenen Konsequenzen für eine meditative Beleuchtung gezogen. Die Lichtspezialisten entschieden sich dafür, in der Dortmunder Liebfrauenkirche ein architekturbezogenes direkt / indirekt wirkendes Beleuchtungssystem einzusetzen. Dem unvoreingenommenen Besucher des Kolumbariums wird dieser Unterschied auf den ersten Blick verborgen bleiben. Doch beim zweiten Hinsehen wird das Prinzip des Beleuchtungskonzepts klar. Die im Mittelschiff, den Seitenschiffen und im Chorraum angebrachten LED-Leuchten, die «gin.o LED», sind Sonderanfertigungen und stufenlos dimmbar. Dass die Apsis als auratischer Ort erfahren werden kann, verdankt sich nicht allein der sensiblen ­Möblierung durch Volker Staab, sondern auch der einfühlsamen Beleuchtung durch die Lichtexperten. Ein höheres Beleuchtungsniveau hebt den Altarraum aus dem gesamten Kirchen­raum hervor und stellt den eigentlichen Ort der Trauerfeierlichkeit dar. Dies geschieht durch eigens angefertigte, DALI-gesteuerte1 LED-Leuchten, die im Mittelschiff oberhalb der Kapitelle auf einer Höhe von 12.70 m montiert sind. Im Chorraum und in den Seitenschiffen sind diese Leuchten entsprechend niedriger platziert und als kompaktes, quaderförmiges Gehäuse mit ingesamt sechs Strahlerköpfen ausgeführt. Die atmosphärischen Eigenschaften des Kirchenraumes rühren aus einem direkt / indirekt wirkenden Leuchtensystem. Dabei geben vier an Gelenken geführte und nach unten gerichtete Strahler ein warmtoniges Licht auf die horizontalen Flächen; zwei weitere Strahler blenden das ­Deckengewölbe gleichmässig mit diffusem Licht aus und erzeugen damit ein ausgewogenes Verhältnis der Leuchtdichten im Raum. Durch die erforderlichen Dimmstufen kann die  atmosphärische Dichte der Apsis massgeblich verstärkt werden. Ein Helligkeitssensor ermöglicht eine Reaktion auf unterschiedliche Tageslichtsituationen. So schaltet sich das künstliche Licht im Falle hoher natürlicher Beleuchtungsstärken im Mittelschiff sowie in den Seitenschiffen aus. Wie ausgefeilt die Lichttechnik ist, zeigt sich an den Wabenrastern, die eine direkte Blendung vermeiden, und an den Abblendschuten, die verhindern, dass die kapitellnahen Gurtbögen vom Licht erfasst werden. Neben dieser Grundbeleuchtung kommt auch eine Ringpendel-leuchte zum Einsatz, die im Eingangsbereich das bronzene Weihwasserbecken mit drachentötendem Erzengel Michael, aber auch die Deckenformation anstrahlt. Die von Licht Kunst Licht entwickelte Beleuchtungstechnik bringt den architektonischen Raum der Grabeskirche besser zur Geltung, als es natürliches Licht in den meisten Fällen vermag. Besonders bei Trauerfeierlichkeiten sind regulierbare Lichtverhältnisse angebracht. Dabei verstärkt die dimmbare LED-Technik durch vorsichtige Betonung der Gewölbe die kontemplative ­Wirkung, die man sich für das neue Dortmunder Kolumbarium wünscht. Stets wirkt sie im Hintergrund, ohne sich aufzudrängen. Und schliesslich: Sie passt sich Volker Staabs Urnenfeldern an, indem sie ihre Plastizität und Materialität hervorhebt.

Anmerkung

  1. DALI ist ein Steuerprotokoll, mit dem z.B. Leuchten in einem Gebäude angesteuert, in Gruppen zusammengefasst und mit Dimmwerten belegt werden können. Für die Liebfrauenkirche sind nach Abstimmung mit dem Nutzer verschiedene Beleuchtungsszenarien abgespeichert worden, die nun über ein Schaltpaneel abgerufen werden können

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Montres Breguet S.A., Schweiz


Ausstellungsarchitektur
Studio Adeline Rispal d'architecture, Paris


Projektleitung
Sonia Glasberg


Lichtplanung
Licht Kunst Licht AG, Bonn/Berlin


Projektleitung
Martina Weiss
Isabel Ehm
Andreas Schulz


Ausführendes Unternehmen
Wider Sàrl, Montreux

Magazine

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