Die Son­ne ins Zim­mer ho­len

Dynamisches Licht in der Altenpflege

Morgens fit aus dem Bett, am Nachmittag keinen Taucher haben und am Abend entspannt sein – das sollen dynamische Leuchten ermöglichen. Seit einigen Jahren werden sie auch in der Altenpflege eingesetzt. Dieser Beitrag stellt drei von der Age Stiftung1 geförderte Beispiele vor.

Publikationsdatum
25-08-2016
Revision
20-03-2018

Drei Viertel aller Informationen nehmen wir über die Augen auf – vorausgesetzt, unsere Sehfähigkeit ist nicht eingeschränkt. Sie nimmt jedoch stetig ab: Mit zunehmendem Alter ver­kleinert sich der Pupillendurchmesser; Augenlinse, Hornhaut und Glaskörper verlieren an Transparenz. Das hat Folgen für die Sehfähigkeit, beeinflusst aber auch chemische Prozesse im Körper: Die Trübung der Linse filtert hauptsächlich das blaue Licht heraus  – eben jenes, das über die körpereigene Melatoninproduktion für die Steuerung des Tag-Nacht Rhythmus (circadianer Rhythmus, vgl. Glossar im Kasten unten) zuständig ist.

Nachts ist die Konzentration des Hormons um ein Zehnfaches erhöht. Krankheiten wie Winter­depression werden mit der geringen Lichtmenge durch kürzere Tage in Zusammenhang gebracht.

Alte Menschen sind mehrfach durch Lichtmangel betroffen: Zum einen ist ihre Sehfähigkeit eingeschränkt und ihr circadianer Rhythmus daher eher aus dem Gleichgewicht; biologisch wirksame Beleuchtungen in Pflege- und Altersheimen sollen hier Abhilfe schaffen. Zum anderen halten sie sich meist im Innenräumen auf, wo ihr Körper nicht genug Vitamin D bilden kann – das wiederum kann zu einer eingeschränkten Kalzium­absorption und damit zu Knochenbrüchen führen. 

Alterspflegezentrum Appenzell AI 

Eines der jüngeren Beispiele für die Anwendung ist das im Juni 2016 eröffnete Alterspflegezentrum des Kantons Appenzell Innerrhoden. Der Neubau auf dem Spital­gelände nördlich von Appenzell ging aus einem 2011 durchgeführten Projektwettbewerb hervor, den das Zürcher Büro Bob Gysin + Partner für sich entschied. Die heutige Anlage auf dem Spitalareal genügte nicht mehr, ­insbesondere sollte eine Gruppe für Demenz­kranke geschaffen werden. Vorgesehen war ein ­kompakter ­vier­stöckiger Neubau ohne direkten Bezug zu den Bestandsbauten.

Die Gebäudetiefe von teilweise über 45 m wird durch zwei Lichthöfe gebrochen, die das Tageslicht bis ins Erdgeschoss leiten. Die poly­gonale Form erlaubt Durchblicke und den Sichtbezug zum Aussenraum. An den Gebäudeaussenseiten sind in den Obergeschossen jeweils die Zimmer der rund 60 Bewohnerinnen und Bewohner untergebracht, die Kerne für die Erschliessung sind den Lichthöfen zu­geordnet. Auf der Südseite des Baus befindet sich auf dem 1. Obergeschoss eine Te­r­rasse mit einem in sich geschlossenen Demenzgarten, dessen Bepflanzung die Sinne anregen soll. 

Als erstes Alterspflegezentrum in der Ostschweiz wurde der Bau mit dynamischen Licht aus­gestattet – auf Wunsch der Bauherrschaft, die das ­Konzept bereits vom Alters- und Pflegeheim Sonnweid in ­Wetzikon her kannte. Die Wirkung der dynamischen Leuchten wird von einem mehrjährigen Monitoring begleitet. Lichtdecken in den Aufenthaltsräumen des 1. und 3. Obergeschoss sollen das Wohl­befinden der Bewohnerinnen und Bewohner sowie des Personals erhöhen. Zusätzlich sind zwei Leucht­decken in der «Pflege­oase» im 3. Obergeschoss angebracht. Hier wohnen bis zu sechs besonders pflege­bedürftige Personen, die in ihrer Mobilität stark eingeschränkt sind.

Die ansonsten automatisch ge­steuerten Leuchten sind hier auch manuell bedienbar, um jeweils individuell auf die Bewohnerinnen und ­Bewohner eingehen zu können. Das 2. Obergeschoss dient als Kontrollbereich. Erweist sich die dynamische Beleuchtung als wirkungsvoll, kann die Etage nach­gerüstet werden. Eine Besonderheit ist der Einsatz der Leuchten in den Stationszimmern: Sie sollen die An­fälligkeit für Medikationsfehler reduzieren und die Konzentrationsfähigkeit im anstrengenden Arbeitsfeld der Pflege unterstützen. 

Die Bewohnerinnen und Bewohner reagieren nicht uneingeschränkt positiv auf die Leuchtdecken: Sie empfinden sie als zu hell und als Energieverschwendung («draussen scheint ja die Sonne»). Die (temperaturneutralen) LED-Leuchten beeinflussen das subjektive Wohlbefinden – wenn man sich lang unter der Decke aufhalte, so ist zu hören, bekäme man einen warmen Kopf. Auch das Personal ist nicht unein­geschränkt überzeugt: Man empfinde die Decken als zu hell und wünsche sich mehr individuelle Steuerungs­möglichkeiten. 

Sonnweid das Heim, Wetzikon ZH

Die Sonnweid im zürcherischen Wetzikon ist eine Pioniereinrichtung in der Betreuung von Demenzkranken (vgl. TEC21 47/2010). Seit 2007 kommen hier dynamische Lichtdecken zum Einsatz, die den Tag-Nacht-Rhythmus der Bewohnerinnen und Bewohner unterstützen sollen. Ein Erweiterungsbau bot 2011 die Möglichkeit, die dynamische Beleuchtung grossflächig zu installieren und ihre Wirkung wissenschaftlich zu begleiten (Architektur: Bernasconi + Partner Architekten, Luzern). 

Die Anlagen bestehen aus 1 × 1 m grossen Paneelen mit einer Leistung von je 21 W, die zu bis zu 9 m2 grossen Lichtflächen zusammengefügt wurden. Sie befinden sich in den Aufenthaltsräumen, die Beleuchtungsstärke variiert zwischen 100 und 1500 Lux in vertikaler Richtung am Auge (Tageslicht: 3500–100 000 Lux). Im Gegensatz zu den bereits bestehenden Anlagen sind die neuen Paneele mit je zwölf Fluoreszenzleuchten in zwei unterschiedlichen Farbtemperaturen ausgestattet – eine marktfähige Steuerung mit LED existierte zur Bauzeit noch nicht. 

Durch die Mischung von warmweissen (2700 Kelvin) und tageslichtweissen (6500 Kelvin) Leuchtmitteln lässt sich die Lichtfarbe im Raum graduell einstellen. Die Veränderung im Tagesverlauf von Warmweiss und ca. 500 Lux am Morgen zu 1000 bis 1500 Lux am Nachmittag bei tageslichtweissem Licht und 100–200 Lux in Warmweiss am Abend wird über einen Computer gesteuert und bildet nicht die tatsächlich herrschenden Lichtverhältnisse im Aussenbereich ab. Letzteres war zwar erwünscht, liess sich aber zu diesem Zeitpunkt technisch nicht ohne Weiteres realisieren.

2012 leitete die Neurobiologin Mirjam Münch (EPF Lausanne) die Studie «Wirkung von dynamischem Licht auf den Schlaf- und Wachrhythmus, das Wohlbefinden und die Immunfunktion bei älteren Menschen mit Demenz».2 Die auf acht Wochen angelegte Untersuchung im Herbst/Winter mit über 100 Probanden teilte diese in zwei Gruppen auf: Die erste war in den Aufenthaltsräumen der circadianen Beleuchtung ausgesetzt, die Kontrollgruppe hielt sich in herkömmlich beleuchteten Räumen auf. Alle Teilnehmer konnten sich frei bewegen. Ein Bewegungstracker am Handgelenk, der auch die jeweilige Beleuchtungsstärke mass, zeichnete die individuelle Aktivität auf.

Ergänzend dazu dokumentierten das Pflegepersonal und geschulte Mitarbeiter den emotionalen Zustand der Bewohnerinnen und Bewohner in standardisierten Fragebögen. Die Studie brachte überraschende Ergebnisse: Nur unter Berücksichtigung der gesamten Beleuchtungsstärke, der die Bewohner tagsüber ausgesetzt waren, ergaben sich signifikante Unterschiede. Der Verlauf der Melatoninkonzentrationen zeigte eine ­starke Variation zwischen den Probanden, was darauf schliessen lässt, dass die Synchronisation der inneren Uhr mit dem äusseren Tag-Nacht-Rhythmus nicht mehr so gut getaktet ist.

Bei den Ruhe-Aktivitäts-Zyklen ergaben sich Unterschiede zwischen Männern und ­Frauen, und beim Schlaf waren in der Gruppe mit der grös­seren Lichtmenge tagsüber die Bettgehzeiten später sowie die Verweildauer im Bett kürzer. Die ­Auswertung der Fragebögen zum persönlichen Wohlbefinden zeigten eine höhere Lebensqualität für die Gruppe, die tagsüber insgesamt mehr Licht ausgesetzt war, ebenso wie signifikant höhere Werte bei Freude und Aufmerksamkeit – für die Betreiber des Heims Grund genug, das Konzept weiterzuverfolgen. 

Alterskompetenzzentrum Hofmatt, Münchenstein BL

Die Stiftung Hofmatt in Münchenstein bei Basel wurde von 2011 bis 2015 zu einem Alterskompetenzzentrum mit 165 Plätzen erweitert (Architektur: Oplatek Architekten, Basel; Lichtplanung: Adrian Huber, Basel). Im Rahmen der Erweiterung implementierte man ein Lichtkonzept, das speziell auf die Bedürfnisse an ­Demenz erkrankter Menschen zugeschnitten ist. Sie sind im Gartengeschoss und im ersten Obergeschoss untergebracht, darüber liegen die Wohneinheiten für betreutes Wohnen und für Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Eine geriatrische Arztpraxis und ein Spitex-Stützpunkt ergänzen das Angebot, ebenso wie temporäre Tages- und Nachtstätten für den vorübergehenden Aufenthalt von betreuungsbedürftigen Personen. Neben einer dynamischen Beleuchtung in den Aufenthaltsräumen wurden erstmalig Dämmerungssimulatoren in den Zimmern der Demenzpatienten getestet.3Studien weisen darauf hin, dass speziell die Übergänge zwischen Tageslicht und Dunkelheit Zeiten sind, an denen sich die innere Uhr orientiert und die somit für die Regulation des Tag-Nacht-Rhythmus entscheidend sind.

Forscher der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und der EPFL untersuchten, ob die Simulation der Dämmerung einen Einfluss auf die Schlaftiefe und die Schlafqualität bei Bewohnerinnen und Bewohnern mit mittlerer und schwerer Demenz haben. Zum Einsatz kam dabei eine neu entwickelte, mobile LED-Stehleuchte, die die Dämmerung simulierte. Ausserdem evaluierte man, ob sich die Stimmung und die Wachheit tagsüber verändern.

Dynamische Dämmerungssimulatoren (DDS) beruhen auf dem gleichen Konzept wie Lichtwecker: Zu Tagesbeginn steigt die Beleuchtungsstärke an, was zum Aufwachen anregen soll. Im Gegensatz zum Lichtwecker funktioniert der DDS auch abends mit einer nachlassenden Beleuchtungsstärke. Per Knopfdruck lässt sich bernsteinfarbenes Licht zuschalten, das die Dämmerung simuliert und zum ­Einschlafen animiert.

Das Forschungsprojekt ermöglichte die Entwicklung einer Leuchte mit einem Algorithmus, der die Dämmerung eines beliebigen Tages im Jahr und an jedem Ort der Erde mit einem Beleuchtungsstärkenbereich von 0.001 Lux bis 780 Lux (Sonnenaufgang) reproduzieren konnte.

An der Studie nahmen 20 Personen teil. Nach einer Eingewöhnungswoche erhielten zehn von ihnen für den Zeitraum von acht Wochen einen DDS, anschlies­send wurde für weitere acht Wochen gewechselt. Die simulierte Dämmerung blieb während des Versuchs konstant. Wie bei der Studie in der Sonnweid dokumentierten Aktivitätsmonitore den Ruhe-Aktivitäts-Rhythmus der Teilnehmenden, und das Pflegepersonal beurteilte den Zustand der Probanden in Fragebögen.

Auch hier präsentierten sich die Ergebnisse überschaubar: Zwischen den Vergleichsgruppen zeigten sich keine Unterschiede im Ruhe-Aktivitäts-Rhythmus oder in den Schlafparametern. Dafür war das Wohlbefinden und die Laune der Bewohnerinnen und Bewohner unter der Anwendung der DDS morgens besser als in der Zeit ohne DDS. Dies war aber nur bei denjenigen Bewohnerinnen und Bewohnern der Fall, die unter besonders starken kognitiven Einschränkungen litten. Die Stiftung nutzt die Prototypen dennoch weiterhin, eine Weiterentwicklung der Leuchte ist geplant.

Wie weiter?

Nicht alles, was nicht messbar ist, hat auch keine Wirkung. Trotzdem erstaunt die Ausdauer, mit der Pflegeheime auf dynamisches Licht setzen. Gemäss Mirjam Münch, die die beiden Untersuchungen in der Sonnweid und in der Stiftung Hofmatt wissenschaftlich leitete, gibt es dafür gute Gründe: «Eine dynamisches Lichtkonzept stellt vor allem im Winter eine verbesserte ‹Zeitgeberfunktion› für die innere Uhr dar. Das ist gerade bei Menschen mit Demenz enorm wichtig, weil bei dieser Gruppe die Tag-Nacht-Unterschiede via innere Uhr nicht mehr so gut reguliert werden können. Eine tageslichtabhängige Steuerung wäre dabei unbedingt erwünscht.»

Die Theorie klingt gut – möglicherweise wäre mit einer besseren Ver­mittlung zumindest eine höhere Akzeptanz beim skeptischen Pflegepersonal zu erreichen.

Anmerkungen

1 Die Age Stiftung in Zürich möchte die öffentliche Wahrnehmung des Themas Wohnen und Altern schärfen. Sie unterstützt innovative Lösungsansätze in der Deutschschweiz mit finanziellen Mitteln. Infos, auch zu Fördermöglichkeiten: www.age-stiftung.ch

2 «Wirkung von dynamischem Licht auf den Schlaf- und Wachrhythmus, das Wohlbefinden und die Immunfunktion bei älteren Menschen mit Demenz», 2012 im Alters- und Pflegezenrtrum Sonnweid das Heim. Projektbeteiligte: Mirjam Münch, EPFL, ­ Michael Schmieder (Heimleitung), Katharina Bieler (Projektmanagement), Stiftung Sonnweid AG.

3 «Dynamische Dämmerungssimulation bei Menschen mit Demenz», Studie November 2014 bis März 2015 im Alterskompetenzzentrum Hofmatt. Projektbeteiligte: Dr. Mirjam Münch (Charité Universitätsmedizin, Berlin), Prof. Dr. Anna Wirz-Justice und Dr. Vivien Bromundt (Zentrum für Chronobiologie der Univer­sitären Psychiatrischen Kliniken Basel), Marc ­Boutellier, Projektleiter Stiftung Hofmatt; Entwicklung DDS-Leuchte: Fraunhofer Institut, Stuttgart; LEiDS, Stuttgart; Beratung Dämmerungssimulation: Haberstroh Architekten, Basel.


Glossar

Die Chronobiologie ist die Lehre von zeitlichen Zusammenhängen biologischer Prozesse.

Eine dynamische Beleuchtung verändert sich im Zeitablauf, zum Beispiel bei der Beleuchtungsstärke, der Lichtfarbe oder in der Lichtrichtung.

Eine circadiane Beleuchtung verändert ihre spektrale Zusammensetzung im Tagesverlauf analog zum Tageslicht.

Die Beleuchtungsstärke gibt den Lichtstrom an, der von einer Lichtquelle auf eine bestimmte Fläche trifft. Sie wird in Lux gemessen.

Die Farbtemperatur beschreibt die Lichtfarbe einer Lampe in Kelvin: <3300 K (warmweiss), 3300–5300 K (neutralweiss), >5300 K (tageslichtweiss)

Die Lichtstärke ist der Teil des Lichtstroms, der in einer bestimmte Richtung strahlt (Masseinheit: Candela)

Mit Lichtstrom bezeichnet man die Lichtleistung einer Lichtquelle, gemessen in Lumen. Sie beschreibt die Strahlung, die Lichtquellen in Form von sichtbarem Licht abgeben.

Melanopisch wirksame Beleuchtung regt die Produktion  von Melanopsin an; der Fotorezeptor im Auge, der die innere Uhr beeinflusst, wird aktiv.

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