Ein Ge­fäss für vie­le Nut­zun­gen

Umbau der Christuskirche in Homburg / Bruchhof-Sanddorf

Der Verkauf des Gemeindehauses ermöglichte einer protestantischen ­Kirchgemeinde, ihre Kirche umzubauen und umzunutzen. Damit gewann sie neue Perspektiven für ihr kirchliches und gemeinschaftliches Leben.

Publikationsdatum
16-12-2016
Revision
16-12-2016

Passt ein Basilika-Typus zu einem achteckigen Zentralbau? Auf den ersten Blick betrachtet wohl kaum. Dass die Kom­bination dieser konträren Bauformen dennoch möglich ist und gleichzeitig auf vielen Ebenen gewinnbringend, zeigt das Architekturbüro bayer uhrig, das in Arbeitsgemeinschaft mit Modersohn & Freiesleben Architekten den ­Umbau der Christuskirche in Bruchhof-Sanddorf im saarländischen Homburg realisierte. Mit einem ebenso ungewöhnlichen wie nachhaltigen Konzept ist es gelungen, nicht nur das bestehende Kirchengebäude räumlicharchitektonisch aufzuwerten: Eine intelligente Umnutzung mit einem passgenauen Raum- und Nutzungskonzept ermöglicht es der Pfarrei, ihr Gemeindeleben in der neu gestalteten Kirche fortzuführen und zukünftig zu erhalten.

Herausforderungen für Kirchgemeinden 

Wie viele andere Pfarreien auch stand die protestantische Kirchgemeinde in Homburg / Bruchhof-Sanddorf lang vor einem grossen Problem: Sie konnte die hohen Unterhalts- und Betriebskosten für ihre Kirche und ihr Gemeindehaus nicht mehr bewältigen. Seit geraumer Zeit steigt die Zahl der Kirchenaustritte, ebenso zeichnet sich ab, dass zukünftig immer weniger Menschen einer christlichen Religionsgemeinschaft angehören wollen – so sinken die Gemeindemitgliederzahlen. Kaum überraschend haben die Kirchen zunehmend Schwierigkeiten, die Mittel für den Erhalt und Betrieb ihrer Gebäude aufzubringen. 

Diese Zusammenhänge werden aktuell auf unterschiedlichen Ebenen debattiert. Es geht zum einen darum, wie eine Gesellschaft mit ihrem baukulturellen Erbe umgeht und die gemeinsame Verantwortung wahrnehmen kann, es zu erhalten (vgl. «Wieder ein stimmiges Ganzes»). Zum anderen stellt sich aber auch die Frage nach der Weiterentwicklung des Gemeinde­lebens und seines vielfältigen Angebots an sozialen Nutzungen trotz sinkenden Mitgliederzahlen. Die Gemeinden stehen zudem vor der Herausforderung, ihre Gebäudebestände veränderten Nutzungsanforderungen anzupassen – keine leichte Aufgabe angesichts fehlender finanzieller Ressourcen.

Oft scheint es der einzige Ausweg zu sein, Gemeinden zusammenzulegen und kirchliche Einrichtungen zu schliessen. Umso mehr gewinnen intelligente Konzepte zum Umbau und zur Umnutzung von Kirchen an Bedeutung. Gerade in den letzten Jahren konnte man Initiativen beobachten, die derartige Massnahmen fördern und ins öffentliche Bewusstsein rufen. Der hier dargestellte Lösungsansatz kann daher für viele andere Gemeinden exemplarisch sein.

Auf dem Weg zu einer neuen Kirche

Das Projekt der Christuskirche in Homburg / Bruchhof-Sanddorf blickt auf eine lange Geschichte und eine beeindruckende Entwicklung zurück. Wie so oft bei gelungenen Bauvorhaben ist es einem Zusammenspiel von verschiedenen glücklichen Umständen zu verdanken, dass der Umbau in dieser Form realisiert werden konnte: einer aktiven Pfarrgemeinde, einer aufgeschlossenen Seelsorgerin mit sehr gutem Gespür und der Fähigkeit, die Gemeinde einzubinden und zu gewinnen, sowie einem engagierten Architektenteam, das diese ungewöhnliche Aufgabe mit grosser Kreativität und im Zusammenspiel mit allen Beteiligten löste. Während der Bauphase stellte sogar die katholische Nachbargemeinde ihre Räumlichkeiten zur Mitnutzung zur Verfügung, man kann hier in der Tat von einem «gemeinschaftlichen Projekt» sprechen. Wie ergab sich das alles? 

Die protestantische Gemeinde war ­lang im Besitz eines überschaubaren Gebäudebestands: eine kleine frei stehende Kirche aus den 1920er-Jahren sowie, in unmittelbarer Nähe dazu, ein kleines Gemeindeheim, das sogenannte Wichernheim aus den 1970er-Jahren. Die Pfarrkirche wurde 1928 im Heimatstil erbaut, jedoch nie unter Denkmalschutz gestellt – was sich im Nachhinein als grosse Chance für die Gemeinde erwies. Denn im Lauf der Zeit wurde das ­kleine Gotteshaus in seinem Innern durch vielfältige bauliche Eingriffe in den 1950er- und 1970er-Jahren derartig verändert, dass der Sakralraum sein ursprüngliches ­Erscheinungsbild gänzlich verloren hatte. Die Malerei im Kirchenraum aus den 1920er-Jahren war komplett zerstört, zurück blieb ein Konglomerat unterschied­licher Umbaumassnahmen und Baustile – der Raum strahlte keine Atmosphäre aus, er wirkte düster und wenig einladend.

Auch das kleine Pfarrgemeindeheim war in die Jahre gekommen. Der grösste Teil der Mittel, die der Gemeinde zur Verfügung standen, floss in den Erhalt und den Unterhalt dieser beiden Gebäude. Dennoch zeichnete sich ab, dass beide Bauten zugleich nicht zu finanzieren waren. Das Presbyterium kam zu dem Ergebnis, dass die Kirche auf jeden Fall das erhaltens­wertere Gebäude sei. Ungelöst war dabei jedoch die Frage, wo und wie das Gemeindeleben zukünftig ­stattfinden könnte.

In dieser Situation hatte Pfarrerin Petra Scheidhauer bereits 2009 den Kontakt zur Technischen Universität Kaiserslautern gesucht – und einen passenden Ansprechpartner gefunden: Prof. Dirk Bayer hatte zusammen mit seiner Büropartnerin Andrea Uhrig schon verschiedene kirchliche Neu- und Umbauprojekte bearbeitet und dieses Thema auch im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der TU behandelt. So leitete Bayer im Frühling 2010 zusammen mit Prof. Modersohn ein Seminar vor Ort, um sich dem Umbau der Christuskirche anzunähern und mit den Studierenden verschiedene Strategien auszuloten. Im Kern ging es um die Frage: Wie kann man den Kirchenraum so umgestalten, dass darin das gesamte Gemeindeleben stattfinden kann? Mit den Grundlagen aus diesem Semester stiegen die Architekten dann in die Planung ein.

Von Anfang an war klar, dass die Gemeinde mit einem äusserst geringen Budget für ihr Bauvorhaben auskommen musste. Für das gesamte Projekt standen 350 000 Euro zur Verfügung – eine grosse Herausforderung, wenn man bedenkt, dass mit diesen Mitteln der gesamte Umbau einschliesslich energetischer Sanierung zu bewältigen war. Auch in diesem Punkt war Kreativität gefragt: Für die Architekten lag die Lösung darin, sich auf das Wesentliche zu beschränken, das Be­stehende weitestmöglich einzubeziehen und einfache, pragmatische Ansätze zu wählen – sowohl konzeptionell als auch in der Umsetzung. Finanziert wurde das Projekt letztendlich durch den Verkauf des Wichernheims, das nun vom örtlichen Bestatter genutzt wird. 

Hölzerne Schatulle

Die Architekten haben eine Schatulle entworfen: Sie stellten eine hölzerne Konstruktion in die Kirche und strukturierten damit das Raumgefüge neu. Der Sakralraum wurde um 90° gedreht und liegt nun quer zur Ausrichtung des Hauptgebäudes sowie des Eingangs im Zentrum der Kirche. Er teilt so zwei weitere Einheiten im Erdgeschoss ab: zum einen den Eingangsbereich mit Vor- und Nebenraumzone, zum anderen einen separaten Raum dort, wo sich ursprünglich Altar und Chor befanden. Die bestehende Empore wird weiterhin genutzt, und auf der gegenüberliegenden Seite ist eine neue Ebene für eine zweite Empore eingeführt. Auf diese Weise gelang es, genügend Platz für die gemeindlichen Nutzungen zu gewinnen und gleichzeitig die dringend benötigten Nebenräume zu integrieren. 

Über die Ebenen der Emporen kann man den Raum ganzheitlich wahrnehmen. Die Kirche wird zu einem Gefäss, das unterschiedlichen Nutzungen dient. Die Proportionen der Räume empfindet man an jeder Stelle als angenehm und stimmig. Das Schnittprofil der bestehenden Empore mit ihrem charakteristischen Trägerprofil bestimmte auch die Geometrie der neuen. Der zentrale, nun verkleinerte Kirchenraum wird so von zwei Ebenen erlebbar. Ein wichtiges Element in dem neuen Raumprofil ist der Baldachin über dem Sakralraum: Er fasst ihn in der Vertikalen und stärkt dadurch seine Ausrichtung. Zugleich erhalten die seitlichen Emporen mit diesem Element ihren räumlichen Abschluss. Da alle Umbaumassnahmen im Innern ausgeführt wurden, bleibt das äussere Erscheinungsbild der Kirche unangetastet erhalten. 

Konstruktion und energetische Sanierung

Parallel zum Umbau der Kirche wurde auch ihre energetische Sanierung vorangetrieben. Dieser Punkt ist von grosser Bedeutung, denn die Betriebskosten für den alten, ungedämmten Kirchenbau waren sehr hoch – und hätten sich im Fall der Umnutzung noch zusätzlich erhöht, da die Kirche für die vielen gemeinschaftlichen Nutzungen öfters beheizt werden muss. An Wänden und Decken entlang der inneren Raumhülle sind daher 8 cm starke Dämmplatten eingebaut. Im Bereich der alten Kirchenfenster gibt es eine zweite Schicht von innenliegenden Fenstern und am Haupteingang einen Windfang. Unter dem Boden des Kirchenraums ist eine Fussbodenheizung integriert, im Gruppenraum und auf den Emporen findet man einfache Radiatoren. Mit diesen Massnahmen konnten der Energieverbrauch und die Heizkosten deutlich reduziert werden. 

Um den Holzbau zu installieren und das Gebäude energetisch zu sanieren, musste man zuerst den Altar und das Kirchengestühl ausbauen, da der alte Boden für die Installation der Fussbodenheizung ausgehoben werden musste. Dann wurden Schritt für Schritt die alten Mauern und Decken gedämmt sowie die zweite Ebene der Verglasung eingebaut. Zuletzt wurde die statisch autarke Holzkonstruktion, bestehend aus einfachen Holzständerwänden und Holzständerdecken, in die Kirche eingestellt und mit einer Brettschalung bekleidet.

Sensibel und pragmatisch zugleich 

Beeindruckend ist die Verwandlung des Sakralraums: Es entstand ein lichter Raum, würdevoll und zugleich heiter. Die neue Raumhülle aus Holz vermittelt dem Besucher ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Wände, Decken und Brüstungen des Kirchenraums sind mit einer weiss gebeizten Lärchenholzschalung bekleidet. Gehobelte und sägerau belassene Bretter in drei unterschiedlichen Brettbreiten wechseln sich ab, die differenzierten Oberflächen geben dem Weiss unterschiedliche Nuancen und beleben die Flächen. Die Wände der Emporen sind mit ihrem Anstrich farblich fein darauf abgestimmt. Der Boden der neuen Empore ist auch mit Holzbrettern ausgelegt, allerdings dunkel gebeizt, ebenso der Treppenaufgang und die Abdeckungen der Brüstungen. Der Kirchenboden besteht aus hellen Steinplatten, die in würfelförmigem Muster verlegt sind.

Die Architekten suchten nach angemessenen Lösungen, sensibel und zugleich pragmatisch. Man findet hier keine überzogenen gestalterischen und künstlerischen Ambitionen. Stattdessen richten sie ihren Blick auf Erhaltenswertes. Die Kirchenfenster sind hierfür ein gutes Beispiel: Sie werden durch die Neuorientierung zum zentralen Element im Raum. Die neu hinzugefügte Fensterschicht, eine Konstruktion aus Bronze, nimmt sich vornehm zurück.

Das Farbkonzept im Innern des Raums ist sorgfältig auf die Gestaltung der Fenster abgestimmt, ebenso sind sämtliche Materialien mit Bedacht ausgewählt und zusammengestellt. In der Planung konzentrierten sich die Architekten auf robuste und saubere Details. Gleichzeitig gibt es verschiedene erhaltene Elemente, die auf die Geschichte der Kirche verweisen: So findet man auf der Empore neben der Orgel weiterhin das traditionelle Kirchengestühl, im Sakralraum sind die zentralen liturgischen Elemente wie Altar und Taufstein ebenso erhalten wie die Liedtafeln aus dem ursprünglichen Kircheninventar.

Alle Nutzungen unter einem Dach

Der Sakralraum wird nach dieser Umgestaltung nicht nur liturgisch, sondern darüber hinaus für Feierlichkeiten in der Gemeinde genutzt. Anstelle fest installierter Bänke hat man sich für eine flexible Bestuhlung entschieden. Mit dieser variablen Möblierung ist es möglich, nach dem Gottesdienst zu einem Beisammensein oder gemeinsamen Essen in der Kirche einzuladen. Bei hohen Festtagen, wenn viele Besucher erwartet werden, können die Emporen als Erweiterung des liturgischen Raums genutzt werden.

Während die Orgelempore in ihrer ursprünglichen Funktion erhalten bleibt, lässt sich die neue Empore auf der gegenüberliegenden Seite von der Gemeinde vielfältig nutzen: Folgt man der neuen, zentral gelegenen Treppe nach oben, gelangt man in einen angenehm proportionierten, grosszügigen Raum, der geschützt und offen zugleich ist. Hier finden beispielsweise die Chorproben statt – zudem kann man an einem grossen Tisch zusammenkommen. 

Ausserdem gewinnt die Gemeinde einen weiteren abgeschlossenen Gemeinderaum unter dieser Empore. Der neue Gruppenraum mit einer kleinen integrierten Küche hat einen eigenen Zugang von aussen. Dafür wurde ein bereits bestehender Eingang zur Kirche wieder geöffnet. Die Gemeinde nutzt diesen separaten Raum für Versammlungen, Kurse und den Konfirmandenunterricht – oder auch zum Vorbereiten und Kochen bei Veranstaltungen und Festen. Im Eingangsbereich wurde unter der bestehenden Orgelempore ein behindertengerechtes WC eingebaut, ausserdem sind eine Reihe dringend benötigter Abstell- und Stauräume in dem neuen Raumgefüge integriert. 

Damit sind sämtliche Anforderungen an eine zeitgemässe Nutzung erfüllt. Aus der kleinen Kirche wurde so ein multifunktionales Gebäude, das mit seinem prägnanten Schnittprofil ganz unterschiedliche räumliche Situationen schafft – und in dessen Kern ein Sakralraum mit einer eigenen Atmosphäre steht. Alle Nutzungen des kirchlichen und pfarrgemeindlichen Lebens befinden sich nun unter einem Dach.

Der Umbau der Christuskirche ist ein gleichermassen inspirierendes und zukunftsweisendes Projekt für ­Gemeinden, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Natürlich lassen sich derartige Konzepte nicht pauschal übertragen, jede Situation ist spezifisch und erfordert ein individuelles Vorgehen. Hier sind pass­genaue Lösungen und Kreativität gefragt. Das Projekt der Christuskirche macht jedoch deutlich, dass eine Gemeinde auch mit überschaubaren Ressourcen eine neue Perspektive für ihr kirchliches und gemeinschaftliches Leben gewinnen kann – nicht zuletzt dank dem grossen Engagement aller Beteiligten. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.


Anerkennung Wüstenrotstiftung

Die Wüstenrotstiftung lancierte im Jahr 2015 in Deutschland einen bundesweiten Wettbewerb zum Thema «Kirchengebäude und ihre Zukunft – Sanierung, Umbau, Umnutzung». Die Christuskirche erhielt eine Anerkennung: «In eine kleine Kirche konnten durch eine ästhetisch prägnante, räumliche Neuorientierung wichtige Funktionen der Gemeindearbeit integriert werden. Entstanden ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie kluge Architektur auch mit bescheidenen Mitteln ein passgenaues Nutzungskonzept in überzeugender Qualität verwirklichen kann.»
(Auszug aus dem Protokoll des Preisgerichts, im Januar 2016)

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