Kafka oder Wagner
Zwei Wohnungen in der Hamburger Elbphilharmonie
Der Hotspot der Hochkultur inspiriert zu theatralischen Gesten – ganz im Sinn oder aber gegen die Gestalt der Elbphilharmonie.
Wenn von der Elbphilharmonie die Rede ist, schliesst das auch die umfangreichen Mantelnutzungen mit ein, die die Finanzierung der Konzertsäle zu erheblichen Teilen ermöglicht haben. Neben einem Hotel, mehreren Restaurants, Bars und einem öffentlichen Parkhaus sind das vor allem die Eigentumswohnungen. Als Bewohner dieses spektakulären Gebäudes sollte man kein Kind von Traurigkeit sein, besser eine Mischung aus Abenteurerin und Kulturdandy. Neben einem breit aufgestellten kulturellen Interesse gehört zu einem Engagement in diese Wohnlage eine Portion Wagemut.
Insbesondere während der langen Entwicklungsphase setzte eine Investition Lust am wirtschaftlichen Experiment voraus. Insgesamt befinden sich hier 45 Eigentumswohnungen, die von der 11. bis ganz hinauf zur 26. Etage die westliche Spitze des Glaskörpers umschliessen und zusammen fast 13 000 m2 belegen. Abgesehen vom Eingang mit Concierge haben die Wohnungen, die zusammen betrachtet einen eigenen kleinen Stadtteil bilden könnten, keine gemeinsame Infrastruktur, sondern sind jede für sich nach aussen orientiert. Eine kollektive Identität wurde nicht gefördert. So ist zu erwarten, dass viele Wohnungen als prestigeträchtiger und zumeist leer stehender «pied-à-terre» in Hamburg genutzt werden.
Bizarre Wohnlandschaften
Die Grundrisse zwischen 120 und fast 400 m2 werden neben Höhe und Grösse über ihren Ausblick definiert. Entsprechend sind beim Betrachten der Gebäudehülle hauptsächlich die Wohnungen und Hotelzimmer zu sehen – der öffentliche Raum um den grossen Konzertsaal, der die Fassade berührt, erscheint geradezu nebensächlich (vgl. Abb.).
Fraglos machen bereits Lage und Grösse die Wohnungen zu einer begehrenswerten Adresse. Beim Studium der verschiedenen Grundrisse werden aber Schwierigkeiten deutlich. Die expressive Form des Baukörpers bestimmt die äusseren Begrenzungen der Wohnflächen, nach innen schmiegen sie sich um den Konzertsaal und die Erschliessungszonen. Es entsteht der Eindruck, dass es sich hier auch um die kommerzielle Verwertung von Restflächen handelt. Vermutlich waren sich Herzog & de Meuron dieser Situation bewusst, als sie das italienische Büro von Antonio Citterio für die innenarchitektonische Planung der Wohnungen hinzuzogen.
Das Entwurfsteam begegnet den Herausforderungen mit grossen offenen Wohnbereichen entlang der Glasfassade, die manchen toten Winkel verzeihen. Ausserdem lassen sich die bis zu
7 m hohen Räume so besser proportionieren. Die Loggien, die von aussen als biomorphe Blasen in der Glashaut erscheinen, bieten windgeschützte Freisitze.
Im Rohzustand sind die leeren Räume ganz von der unverbaubaren Lage geprägt. So pur und karg, wie manche jetzt noch sind, setzen sie einen wohltuenden Kontrapunkt zu den umwerfenden Ausblicken und dem Glamour ringsherum.
Wassermusik
Im 18. OG liegt die Musterwohnung, die die niederländische Innenarchitektin Kate Hume für Herzog & de Meuron ausgestattet hat. Neben der Bedeutung der Musik, der sie mit einem opulenten Soundsystem ihre Reverenz erweist, ist für sie der Ausblick auf das ununterbrochene Treiben eine markante Qualität des Orts: «When everything is moving on the water – the tugboats and tankers –, it’s like being in a movie.»1
Mit bläulich-grünen Farben reagiert sie auf das Wasser und die Kupferdächer der Stadt. Ergänzend bedient sie sich der üblichen Luxussymbole – Materialien von Marmor bis Messing. Die vorgeschlagene Küche teilt sich in eine funktionale «Wet Kitchen», in der tatsächlich gekocht werden soll und in eine offene «Show Kitchen», die dem Wohnbereich zuschaltbar ist. Ein Block aus dunklem Serpentinit, der sich auch bestens als Bar eignet, bildet das Zentrum. Ginge es nach Herzog & de Meuron, dienten die Raumnutzung und der Kanon der Materialien als Vorlage und Anregung für die anderen Wohnungen im Haus.
Der Kokon negiert die Hülle
Während in der Musterwohnung die Raumaufteilung von Citterio sichtbar bleibt, entsteht gerade ein paar Etagen höher ein Penthouse, dessen Gestaltung einer ganz anderen Haltung folgt. Der Entwurf des Teams um Brückner Architekten bildet einen eigenen Kosmos, hinter dem die Architektur des Gebäudes verschwindet.
In Anlehnung an die Innenräume des Grossen Schauspielhauses in Berlin, das unter dem Namen «Tropfsteinhöhle» bekannt wurde, wünscht sich die private Bauherrschaft eine Reihe von amorphen, ineinanderfliessenden Räumen. Da die Maisonettewohnung bis ganz in die Spitzen der Glaskrone reicht, ist genügend Raum für eine dreidimensionale Gestaltung gegeben.
Die Innenarchitektin Irena Richter fertigte Skizzen von höhlenartigen Gebilden, die sich über die bestehende Architektur legen – wie viel Platz dabei für Unterkonstruktionen und Hohlkörper verschwindet, fällt offenbar nicht ins Gewicht.
Weil der Auftrag zu einem Zeitpunkt kam, an dem andere Wohnungen bereits bezogen wurden, musste die Umsetzung ohne Belästigungen für die Nachbarn funktionieren, also staubfrei und geräuschlos. Dazu steht für die Baustelle im 24. Stock nur der Personenlift zur Verfügung. Unter diesen Voraussetzungen entschieden sich die Planer für ein 3-D-Verfahren, das eine Vorfertigung der Einzelteile ermöglicht.
Zu Beginn wurde die Raumhülle mittels 3-D-Scan vermessen und digital umgesetzt. Die Entwurfspläne des Raumfluidums wurden in die digitale Raumhülle eingepasst und so lang optimiert, bis alle Beteiligten zufrieden waren – ab diesem Moment ist eine Änderung der Planung nicht mehr möglich. Die relativ lange Planungsphase kommt einer kurzen und unkomplizierten Ausführungszeit zugute.
Nacheinander werden die drei Schichten der Holzunterkonstruktion, Haustechnik und Oberflächenverkleidung geplant und miteinander verknüpft. Alle Teile der Wandverkleidung werden aus Porenbeton und Gipskartonteilen gefräst, nummeriert und zum gewünschten Montagezeitpunkt geliefert. Vor Ort müssen sie nur in der richtigen Reihenfolge zusammengesteckt und mit einer Haut aus Mineralputz zu einem Ganzen verbunden werden. Die gesamte Haustechnik ist in den Hohlräumen verborgen.
Die Besonderheit eines kontinuierlichen Raums über 200 m2 birgt natürlich auch die grösste Unsicherheit im Betrieb: Ein Wasserrohrbruch ist den Beteiligten nicht zu wünschen. Auch Veränderungen, die sich im Lauf der Zeit als gewinnbringend darstellen, könnten nur mit viel Aufwand realisiert werden.
Unter dem Käfer
Gestalterisch funktioniert die Wohnung wie eine Höhle, in die man sich zurückziehen kann. Die Treppe zum oberen Bereich ist das Rückgrat; von hier aus erstrecken sich verschiedene Wölbungen und Schwünge, in denen Möbel und auch Nebenräume integriert sind, in Richtung Fassade. Vor den Fenstern und Säulen, die als Teile der eigentlichen Architektur fremd bleiben, biegen sich die Verkleidungen nach innen und machen Platz für die künstliche Beleuchtung, die indirekt aus den Fugen scheinen kann. Auf den Renderings wirkt die Decke wie die Unterseite eines riesigen Käfers – kafkaesk.
Mit diesen beiden Wohnungen sind die Pole markiert, zwischen denen das Wohnen in diesem Haus möglich ist. Seine starke architektonische Geste fordert die beiden Innenarchitekten zu einem mindestens ebenso deutlichen Bekenntnis heraus: zur Gestaltung von Räumen für ein Leben in Fortführung des Spektakels, kraftvoll wie eine Arie bei Wagner, oder aber abgewandt in einem Kokon. Normalität kommt jedenfalls nicht infrage.
Anmerkung
1 Interview mit Alyn Griffiths in: «Interior Design», 24. 2. 2016
Am Bau Beteiligte
Wohnungen in der Elbphilharmonie
Musterwohnung
Bauherrschaft
Joint Venture: Quantum Immobilien, Hamburg, und Hochtief Infrastructure, Essen
Innenarchitektur
Antonio Citterio und Partner, Mailand
Ausstattung
Kate Hume Design, Amsterdam
Küche
eggersmann Küchen,Hiddenhausen (D)
Lichtplanung
(beratend) Ulrike Brandi Licht, Hamburg; ARGE Planung Elbphilharmonie, Hamburg; ARGE Generalplaner Elbphilharmonie, Hamburg
Privatwohnung
Bauherrschaft
privat
Innenarchitektur
Brückner Architekten, München; Schotten & Hansen, Peiting (D); Irena Richter, Innenarchitektin, Zwönitz (D)