Ein Häuschen in der Grube
Baubüro in situ stockt ein Gewerbehaus in Zürich auf, vor allem mit wiederverwendeten Bauteilen und weiterverwendbaren Baustoffen. Die Architektur des Verfügbaren schliesst den Rohstoff-Kreislauf aber noch nicht ganz.
Die Veränderung ist eine Konstante im Lebenslauf des Zweckbaus an der Grubenstrasse 29 in der Stadt Zürich. 1935 wurde er als einstöckige Autoeinstellhalle mit Satteldach erstellt. 1951 erwarb eine Metallbaufirma das Grundstück am südlichen Rand der Lehmgrube Binz und fügte ein Obergeschoss sowie einen seitlichen Anbau dazu. Schon damals sahen die Pläne eine nächste Erweiterungsetappe vor.
74 Jahre später ist diese Aufstockung vollzogen: Der Baukörper mit einst bescheidener Grösse ist nun auf vier Geschosse angewachsen, so dass er sich gegenüber den schmucklosen bis ambitionierten Grossbauten im Gewerbequartier problemlos behaupten kann. Das Häuschen in der ehemaligen Grube geht in seine dritte, verdichtete Generation – als selbstbewusste
Adresse für urbanes Kleingewerbe.
Fassaden zeigen die Zeitschichten
Die Fassaden des erneuerten «Werkhof 29» geben die Zeitschichten der Entstehung anschaulich wieder. Der zweigeschossige Sockel ist massiv; der graue Putz mit Graffitis besprayt. Die kleinteiligen Fenster tragen industrielle Patina zur Schau. Für den Stilwechsel sorgt die blau verkleidete Aufstockung: Grosse Fenster und die aufragenden Zähne des neuen Sheddachs erzeugen ein zeitgenössisches Fassadenbild. Das Dach erscheint als gestalterische Wahl, obwohl es eigentlich nur die statischen Voraussetzungen optimal ausnützt.
Weitere Beiträge finden Sie in unserem Dossier Kreislaufwirtschaft
Im Vergleich zur Umgebung wirkt nicht nur die Architektur lebendiger und organischer, auch die konstruktiven Mittel erweitern die aktuellen Konventionen. Zum einen wurden natürliche Ressourcen verwendet, die die Umwelt und das Klima noch weniger belasten als ökologisch vorbildliche Werkstoffe. Zum anderen hat der zweijährige Umbau alles andere als eine erstarrte Immobilie hervorgebracht.
Offene Grundrisse erlauben künftige Anpassungen im Raumprogramm. Trotz ihrer 90 Jahre alten Ausgangsstruktur bleibt die Gewerbeliegenschaft flexibel und veränderbar. Sollte sich die Besitzerin des Werkhofs, die Modissa Immobilien AG, aber für einen späteren Totalersatz entscheiden, lässt sich ein grosser Anteil des Rückbaumaterials wieder- oder weiterverwerten.
Kosten sind ein Auswahlfaktor
Die Transformation des Werkhofs entwickelte, plante und führte das Basler-Zürcher baubüro in situ aus; nicht sein erstes Projekt mit so viel ökologischem Pioniergeist. Ebenfalls im Binzquartier realisierte es einen älteren Bruder und am Lagerplatz in Winterthur den Paten seines jüngsten Werks.
Der Bruder ist ein mehrteiliges Atelier- und Gewerbeareal, das durch Zu-, An- und Aufbauten aus einer alten Halle entstand. Das transformierte Areal gehört wie die gesamte Baulinie entlang der Grubenstrasse derselben Bauherrschaft. Nicht zufällig sind schon die Fassaden des Werkhofvorgängers aus einem wiederverwendeten Trapezblech und blau.
Rot ist dagegen die Blechfassade der Kopfhalle 118 in Winterthur: Dieses in-situ-Werk ist die Referenz für zirkuläres Bauen schlechthin. Mehr als die Hälfte des verbauten Materials stammt dort aus der Wiederverwendung. Der erneuerte Werkhof am Grubenrand liefert weitere Indizien, wie vielfältig und reichhaltig sich Re-Use-Materialien architektonisch verwenden lassen.
Doch gemäss in-situ-Projektleiter This Alder ging es hier auch um die Ökonomie: Der Preis war ein Auswahlkriterium für jedes wiederverwendete Bauteil. War dieses nicht teurer als ein neues Fabrikat, winkte die Bestellerin den Vorschlag der Architektinnen und Architekten durch. Insbesondere bei massiven Verstärkungen provozierten die Kosten einige ökologische Kompromisse: Konventioneller Mörtel und Ortsbeton wurden Varianten mit Recyclinganteil vorgezogen.
Verstärkung im Erdgeschoss
Die Bestellung zur Standortverdichtung und Kreislaufplanung war generell auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Die erste Anfrage der Eigentümerschaft an baubüro in situ lautete: Wie lässt sich das Nutzungsvolumen maximieren, um daraus rentable und bezahlbare Mietflächen zu generieren?
Die Machbarkeitsstudie ergab: Die bestehenden Strukturen sind robust genug für ein überhohes Zusatzgeschoss mit Galerie. Aber mehr liegt nicht drin. Insofern musste das Stützenraster im Erdgeschoss nur um einen einzigen Knoten verstärkt werden, um die Aufstockung statisch abzufangen. Aus Sicherheitsgründen waren zusätzliche Betonscheiben (Erdbeben) und raumhohe Kalksandsteinmauern (Brandschutz) einzufügen. Zwar haben die dafür verwendeten massiven Baustoffe eine schlechte Klimabilanz. Doch hier gaben die geringeren Kosten gegenüber den umweltfreundlichen Varianten – wie bestellt – den Ausschlag.
Die meisten Materialien, die für den «Werkhof 29» verwendet wurden, sind allerdings sowohl preisgünstig wie auch kreislauffähig. Die Bauteiljägerinnen und -jäger der Partnerfirma Zirkular organisierten Metallstützen, Blechwände, Holzbalken, fast die gesamte Ausstattung für Nasszellen und weitere funktionstüchtige Bauteile, die anderswo nicht mehr benötigt wurden. Dazu kamen Baustoffe wie Holz, Stroh und Lehm. Diese stammen aus natürlichen, nachhaltig genutzten Quellen und benötigen kaum Zusatzenergie für die Veredelung. Zudem können sie fast schadlos entsorgt werden. Wie viele oder wenige CO²-Emissionen der Um- und Anbau effektiv verursachte, rechnet baubüro in situ gemäss den Vorgaben des SIA-Klimapfads noch nach.
Mehr Komfort im Mittelgeschoss
Der Aufwand zur Erneuerung folgt der Geschichte des Bauwerks; er steigt von unten nach oben. Wie die Statik war auch der Wärmeschutz im Parterre nur geringfügig zu verbessern. Einzig das rekonstruierte Dach des seitlichen Anbaus erhielt eine Dämmung. Die Werkräume wurden mit einem Deckensystem zum Heizen und Kühlen ausgestattet. Dieses erlaubt eine grossflächige Wärme- oder Kälteverteilung und ist – im Vergleich zu einer Bodenheizung – jederzeit rückbaubar. Erdwärmesonden versorgen den Werkhof im Winter mit Niedertemperaturwärme und im Sommer mit Kühlenergie.
Demgegenüber wurde im Mittelgeschoss mehr Neues hinzugefügt. Die Wände erhielten eine Innendämmung und die Industriefenster inwendige Zusatzflügel. Diese Etage wird als Grossraumbüro genutzt, was einer energetischen Komfortsteigerung bedurfte. Die Stützen zur statischen Ergänzung wurden in Holz ausgeführt, ebenso wie die Verschalung der bestehenden Metallträger an der Decke, was dieser offenen Arbeitszone eine wohnliche Atmosphäre verleiht.
Rauer und schwerer wirkt derweil die Erschliessung von aussen: Ein Treppenturm und ein Laubengang führen an der Ost- und der Westfassade nach oben. Die Komponenten, darunter Stahltreppen und Gitterrostplatten, wurden in der Ostschweiz ausfindig gemacht und nach Zürich verfrachtet.
Kreislaufwirtschaft am Werkhof 29
Re-Use-Materialien (Auswahl): 650 m² Stahlblech Fassade, 145 m² Alublech Dächer, 19 Fenster, 25 Innentüren, 6 Küchen, 1 Aussentreppenhaus, 40 Radiatoren, 700 m² Dachdämmung PIR, 549 m² Zementgebundene Faserplatten, 20 Briefkästen, u.v.m. (Total Kosten: ca. CHF 200 000, 2.7 % Anteil am Gesamtbudget)Regenerative Materialien: 2830 m³ Holz aus Süddeutschland
(ca. CHF 216 200); 125 m³ Stroh in Kleinballen ca. 600 Stk. aus Werdenberg/Schweiz (ca. CHF 8600)Recycling: 14 m³ Aushublehm (CHF 3100)
Leichte Aussenwände
Auch das Dachgeschoss ist eine Re-Use-Komposition: Die blaue Verkleidung sind Stahlblechelemente; das Dach besteht aus Aluplatten und der Laubengang aus verzinkten Stahlelementen. Die Solarmodule für die PV-Anlage und die Gläser des Sheddachs hingegen sind neue Produkte. Letztere sorgen für eine natürliche Belichtung der überhohen Büroräume mit Galerie, deren Trennwände bei Bedarf entfernt werden können.
Getragen wird die Aufstockung durch ein neues Holzfachwerk, das im Innern sichtbar ist und die Kräfte nach innen leitet. Das Schotenprinzip greift die statischen Kapazitäten des Bestands auf. Derweil ist die Aussenhülle selbst eine leichte, selbsttragende Holzrahmenkonstruktion. Sie ist mit Strohballen von einem Acker im St. Galler Rheintal gedämmt und mit Lehm aus einem Bauaushub in Dietikon ZH verputzt.
Fehlware und Restposten
Erwünscht war auch Haustechnik aus der Wiederverwendung. Zwar blieb die Suche nach Elektroleitungen oder einem Heiz-Kühl-Deckensystem erfolglos. Doch installiert wurden 40 neuwertige Wandradiatoren, die aufgrund geringer Materialfehler verschrottet worden wären. Was die Bauteiljagd bei Herstellern und auf Baustellen wesentlich erleichtert: Fehlware und Restposten sind fast immer erhältlich. Auch Fenster und sanitäre Einrichtungen in einwandfreier Qualität sind oft über Onlineportale verfügbar.
Dass die Materialbeschaffung für ein Re-Use-Vorhaben trotzdem schwer planbar ist, bezeugen die Fassadenelemente. In der Baueingabe schlug baubüro in situ eine blaue Variante vor. Aber erst eine Woche vor dem letztmöglichen Bestelltermin tauchten solche auf Ricardo.ch auf. Die situative Planung ging weiter: Bei der Anlieferung fielen Farbänderungen von hell- zu dunkelblau auf, weshalb die Montage zum spontanen Gestaltungsvorgang wurde.
Umgang mit beschränkten Mitteln
Was den Werkhof 29 nun auszeichnet, wirkt jedoch alles andere als zufällig. Vielmehr gibt das weitergebaute Gebäude im Binzquartier eine respektvolle Verbindung von alt und neu wieder. Konstruktiv erkennbar ist, wie die statischen Grenzen des Ausgangsbestands gewahrt werden konnten. Und von nachhaltiger Qualität ist sicher auch, dass langjährige Gewerbemieter selbst von der räumlichen Erweiterung und dem verbesserten Komfort profitieren können. Insofern ist die spannende Geschichte der ehemaligen Einstellhalle am Grubenrand – ebenso wie diejenige des zirkulären Bauens – noch nicht zu Ende erzählt.
Umbau und Aufstockung Gewerbe- und Atelierhaus, Grubenstrasse 29, Zürich
Bauherrschaft: modissa Immobilien, ZürichFertigstellung: 2025
Bauherrenvertretung: Hanuver, Zürich
Architektur und Generalplanung: baubüro in situ, Zürich
Baumanagement: CHAB, Zürich
Tragkonstruktion Massivbau: Jäger Partner, Zürich
Tragkonstruktion Holzbau: B3 Kolb, Schweiz
Tiefbauingenieur: Hydraulik, Zürich; Jäger Partner, Zürich
HLKS-Planung: Fritz Gloor, Wetzikon
Bauphysik: 3D Bauphysik Huth, Glashütten
Landschaftsarchitektur: Hariyo Freiraumgestaltung, Ennetbaden
Planung Kreislaufwirtschaft: Zirkular, Zürich
Holzbau inkl. Strohfassade: Schönauer, Marbach
Stahlbau: Baltensberger, Höri
Lehmbau: Genossenschaft Werkzeug, Bäretswil, in Zusammenarbeit mit Holz- und Lehmbau Roland Kindlimann, Wald, und Levante Lehmbau, Wernetshausen
Schreinerarbeiten: Nektar Design, Zürich
Heizung und Sanitärarbeiten: Brühwiler Sanitär & Heizung, Zürich
Energie-Planung: Ruckstuhl Bau und Elektroprojekt, Zürich
PV-Planung: Etavis, Zürich