«Bei der Um­set­zung grei­fen oft die al­ten Mus­ter»

Die IBA Basel 2020 stellte das Zusammenwachsen über die Grenzen ­hinweg in den Mittelpunkt. Die Metropolitanregion Basel wurde für zehn Jahre zum Experimentierraum. TEC21 sprach mit ARE-Direktorin Dr. Maria Lezzi und IBA-Geschäftsführerin Monica Linder-Guarnaccia über Erwartungen, Erfolge, Erkenntnisse und künftige Entwicklungen.

Publikationsdatum
23-04-2021

TEC21: Die grenzüberschreitende Raumentwicklung hat in der Region Basel eine jahrzehntelange Tradition. Dennoch gab es Anfang der 2000er-Jahre das Bedürfnis, die trinationale Planungskultur voranzutreiben. Frau Lezzi, wie ist es zur Internationalen Bauausstellung gekommen?

Dr. Maria Lezzi: Wir haben in Basel nach einem zeitlich befristeten Format gesucht, um das interkulturelle Verständnis innerhalb der bestehenden Strukturen und Institutionen zu stärken. Unsere Idee war es, nicht mit Gremien, sondern mit Freiwilligen und durch konkrete Projekte die räumliche Entwicklung voranzubringen. Wir haben Exkursionen zur IBA Emscher Park und zur IBA Hamburg unternommen und Abklärungen in Auftrag gegeben, um herauszufinden, welche informellen Instrumente für uns infrage kämen: IBA, Regionale, Gartenschau oder Grossprojekt. Die Eindrücke, die wir sammeln durften, haben schlussendlich dazu geführt, eine IBA Basel zu lancieren. 2007/2008 haben wir sie als Modellvorhaben beim Bund eingegeben.

Inwieweit half der Start als Modellvorhaben der IBA Basel 2020?

Lezzi: Das Modellvorhaben unterstützte vor allem die inhaltliche Vorbereitung, half bei der Partnersuche und bei Finanzierungskonzepten. Zudem konnten eine trinationale und interdisziplinär besetzte Geschäftsstelle und eine Organisationsform aufgebaut werden. Das Modellvorhaben «Lancierungsphase der IBA» leistete einen wichtigen Beitrag zum Themenschwerpunkt «Zusammenarbeit auf grossregionaler Ebene», einem von neun der damaligen Ausschreibungsrunden.

Sowohl eine Bauausstellung als auch ein Modellvorhaben sind informelle Prozesse. Eine IBA ist auf zehn Jahre ausgelegt, ein mutiger Schritt.

Lezzi: Unser Ziel war und ist das Zusammenwachsen einer Stadtregion. Wir haben immer gesagt, die IBA sei ein zehnjähriger Ausnahmezustand. Solche informellen Instrumente bedeuten immer auch eine gezielt eingesetzte Irritation – denn man löst sich von den vorhandenen Verfahren. Dieses Vorgehen ist nicht unbedingt einfacher, doch es führt unter Umständen zu einem besseren Ergebnis. Inzwischen hat das Wort «Ausnahmezustand» eine andere Bedeutung erhalten. Ist das nicht verrückt? In dem Jahr, in dem die IBA-Schlusspräsentation 2020 stattfinden sollte, nachdem man Jahre unter dem IBA-Motto «Gemeinsam über Grenzen wachsen» gearbeitet hatte, wurden die Landesgrenzen plötzlich geschlossen. Der Ausnahmezustand ist eingetroffen, aber im entgegengesetzten Sinn als ursprünglich beabsichtigt. Was es heisst, wenn die Grenzen geschlossen sind, vergisst man in den Nichtgrenzregionen der Schweiz häufig.

Monica Linder-Guarnaccia: Und auch, wie wichtig das Zusammenwachsen über Grenzen ist. Diese Idee der IBA war nicht immer greifbar. Doch Covid-19 und die Grenzschliessungen haben gezeigt: Der Zustand an der Grenze ist fragil. Der Raum, in dem wir uns bewegen, ist noch nicht eine Region, sondern es sind drei Länder. Drei Länder, die zusammenwachsen wollen.

Frau Linder-Guarnaccia, wenn Sie zurückblicken, in welchem Bereich zeigt sich das Zusammenwachsen besonders? Wo konnte die IBA Basel am meisten bewirken?

Linder-Guarnaccia: Wir konnten die interkulturelle Kompetenz steigern. Das gegenseitige Verständnis hat eine neue Planungskultur ermöglicht. Ferner hat sich herausgestellt, dass sich die Themen Landschaft und Freiräume besonders für grenzüberschreitendes Planen und Handeln eignen, denn sie haben die Kraft, unterschiedliche Akteure um einen Tisch zu versammeln. Die Arbeit der letzten Jahre hat gezeigt, Natur- und Freiräume haben eine strukturierende Wirkung auf die Stadtentwicklung. Hier konnten wir einen grossen Beitrag zur koordinierten Siedlungsentwicklung leisten.

Mehr Artikel zum Thema Basel finden Sie in unserem E-Dossier Basel.

Gibt es konkrete Beispiele?

Linder-Guarnaccia: Mehrere: die IBA-Projekte Parc des Carrières, Birspark Landschaft oder Rheinliebe, aber auch Freiräume um die aktiven Bahn­höfe herum. Mit der IBA konnten wir nicht nur die ­
überregionale Planungskultur und das gegenseitige Verständnis stärken, sondern auch am konkreten Projekt diskutieren, was Baukultur ist, und gemein­same Qualitätsstandards definieren.

Lezzi: Gerade in grenzüberschreitenden Regionen gilt: Zusammenwachsen ist nicht zusammen zu bauen, sondern Verbindungen, sogenannte «liens» oder gar «lieux partagés», zu schaffen. Über Grenzen zusammenzuwachsen heisst über die politisch-administrativen Grenzen hinweg zu denken und zu planen. Das passiert nicht automatisch. Wir müssen lernen, den Reflex auszuschalten, der da lautet: «Nur mein System, meine Kriterien, meine Qualitätsanforderungen sind die Richtigen.» Denn auch das Vis-à-vis hat sich Gedanken gemacht. Wir müssen aufeinander zu gehen, um Erfolg zu haben und Wirkungen zu erzielen. Hier hat die IBA Basel einen Schub ausgelöst.

Frau Lezzi, was kann das Bundesamt für Raumentwicklung aus dem zehnjährigen Prozess für seine Arbeit mitnehmen?

Lezzi: Wichtig sind personelle und finanzielle Ressourcen in Form von grenzüberschreitenden Planungsfonds, Anschubfinanzierungen oder Projektfördermitteln. Auch durch die Modellvorhaben geben wir nur einen Impuls. Die Ressourcen sowie der Mut, Neues zu wagen und damit ein Risiko einzugehen, sind das Spezielle an solchen informellen Instrumenten. Man müsste die Chancen, die diese informellen Prozesse bergen, häufiger nutzen und sie als Ergänzung zu den formellen Abläufen betrachten.

Linder-Guarnaccia: Für mich ist das schnelle Umsetzen wesentlich. Informelle und innovative Herangehensweisen wie zum Beispiel Projektgruppen für den Erfahrungsaustausch, Vereinsgründungen oder Kriterienkataloge können helfen, die Anspruchsgruppen einzubeziehen. Wir haben den Verwaltungen die Angst genommen, zu früh zu kommunizieren.

Lezzi: Weil die IBA speziell auf einen Zeitpunkt angelegt ist, musste man schnell liefern. Der Erwartungsdruck war hoch. Trotzdem mussten wir lernen, dass alles länger dauert, als wir dachten.

Wie gelingt es nun, das Wissen und die Erkenntnisse in andere Prozesse wie Modellvorhaben oder Agglomerationsprogramme einfliessen zu lassen?

Linder-Guarnaccia: Zentral ist eine saubere Dokumentation, um den Prozess wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Wirkungsanalyse, die wir in Auftrag gegeben haben, ist frei zugänglich. Zudem wird eine Fachpublikation erscheinen, in der wir zeigen, was gut ging und was weniger gut gelungen ist.

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Was wird neben der schriftlichem Dokumentation helfen, die Erkenntnisse nachfolgenden IBAs zugänglich zu machen?

Lezzi: Viel läuft über das Erzählen von Geschichten. Während der letzten zehn Jahre haben viele Menschen den Prozess und das informelle Arbeiten begleitet und miterlebt. Sie sind Botschafter. Menschen, die sagen: «Komm, wir probieren es gemeinsam.» Den IBA-Gewinn sieht man auch bei grenzüberschreitenden Projektumsetzungen.

Linder-Guarnaccia: Ein wertvolles Instrument sind die Treffen des IBA-Netzwerks. Sie helfen, sich immer wieder zu hinterfragen. Zu überlegen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Was kann ich mitnehmen, was kann ich anders machen?

Lezzi: Und Wissenstransfer heisst nicht etwa Copy-and-paste, sondern einordnen in den eigenen Kontext. Nachdem wir im Emscher Park mit den Verantwortlichen geredet hatten, war uns klar: Wir haben andere Ziele, eine andere Zeit, andere Möglichkeiten, und wir haben uns gefragt: Was stimmt für uns?

Wie geht es künftig mit den IBA-Projekten im trinationalen Metropolitanraum weiter?

Linder-Guarnaccia: Alle Projekte werden von den Verwaltungen im IBA-Sinn weitergeführt. Die neue Planungskultur wird dadurch gelebt und gefestigt.

Lezzi: Für mich ist die IBA Basel 2020 im ­Sommer noch nicht abgeschlossen. Die Überlegungen und Auswertungen gehen nach der Schlusspräsentation weiter. Gemeinsam zu reflektieren ist wichtig. Solche Erkenntnisse können in die Weiterentwicklung der Agglomerationspolitik oder der Strategie Baukultur einfliessen. Natürlich werden auch andere Organisationen einbezogen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), das die IBA mit NRP-Mitteln unterstützte, interessiert sich zum Beispiel für die «lessons learned» betreffend grenzüberschreitende Regionalpolitik, Standortförderung oder weitere wirtschaftliche Aspekte.

Gibt es aus Sicht des ARE Pläne, wie die grenzüberschreitende Stadt- und Raumentwicklung in und um Basel weitergeführt wird?

Lezzi: Uns als ARE beschäftigt generell die Entwicklung funktionaler Räume – Stichwort: Agglomerationsprogramme. Wir haben in der Schweiz viele formelle und informelle Zusammenarbeitsprozesse und stecken da viel Geld rein. Doch wenn es um die Umsetzung geht, setzen sich allzu oft die alten Muster durch, und jeder kümmert sich zuerst um sich selbst. Die Umsetzenden sind nicht die gleichen Personen oder Behörden wie die Planenden. Bisher hat die Zusammenarbeit meist nach der Stabsüber­gabe aufgehört. Wir brauchen einen Weg, wie wir zum Beispiel Ingenieure und Investoren mit ins Boot nehmen können. Zusammenwachsen heisst bis zum Schluss zusammenarbeiten. Die Menschen vor Ort leben und bewegen sich in diesen funktionalen Räumen und möchten sich dort entwickeln können. Sie interessieren sich für die realisierten Projekte und nicht für das, was bloss in Konzepten steht.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 12/2021 «Ex­pe­ri­men­tier­räu­me am Rhein­knie».

Studio | Stadt | Region aus München hat in Zusammen­arbeit mit dem Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung der RWTH Aachen University ermittelt, wie sich die Projekte und Prozesse der IBA Basel auf das Zusammenwachsen der trinationalen Region auswirken. TEC21 hat in der Ausgabe 1–2/2020 «Basel 2020: die andere IBA» über die Wirkungs­analyse berichtet: «Was ist erkennbar?»

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