Ein Man­tel aus Glas

Helvetia Campus Basel

Die Stadtsilhouette von Basel hat mit den beiden nahezu identischen ­Gebäuden auf dem Helvetia Campus ein neues Wahrzeichen erhalten. Die Hülle der Gebäude ist eine Komposition aus Glas, die traditionelle ­Handarbeit mit Hightech-Produktion verbindet. 

Publikationsdatum
16-10-2024

Vor etwa zehn Jahren gewannen Herzog  & de Meuron den Wettbewerb auf Einladung des Schweizer Versicherungskonzerns Helvetia zur Umwandlung der Gebäude rund um den Aeschenbachplatz im Basler Gellert-Quartier. Die erste Bauetappe ist nun abgeschlossen: Ein typisches Bürogebäude aus den 1950er-Jahren wurde in ein modernes Wahrzeichen der Basler Stadtsilhouette verwandelt und um einen fast identischen Neubau erweitert. 

Das Thema «nachhaltige Transformation» stand dabei im Fokus. Statt abzureissen und neu zu bauen, wurden vorhandene Strukturen gezielt umgebaut, ertüchtigt, sortiert, ergänzt und weitergebaut. Herzog  & de Meuron setzten auf die Modernisierung und Sichtbarmachung der Identität von Helvetia. Die zentrale Frage war: Wie können vorhandene Ressourcen optimal genutzt werden?

In vier Etappen zum Campus

Die städtebauliche Neuordnung zeigt sich am deutlichsten in der ersten Bauetappe, die 2024 fertiggestellt wurde. Schon von Weitem sind die zwei strahlend weissen Bürotürme sichtbar und es ist kaum zu erkennen, welcher neu und welcher alt ist. Nur minime Unterschiede, wie die Anzahl der Geschosse (dreizehn im «Original», zwölf in der «Kopie»), sind für den aufmerksamen Betrachter wahrnehmbar. Die Zwillingstürme flankieren ein neues zweigeschossiges Eingangsgebäude, das Empfang, Bistro und Auditorium beherbergt und die neue Adresse an der Engelgasse bildet. Der luftige Zwischenbau ergänzt das Ensemble und öffnet den Komplex markant zur vielbefahrenen Strasse hin.

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Das Wohnen im Garten wird durch den Einsatz von Glas zum Gestal­tungs­thema. Die Bepflanzung ist nicht nur im Haus erlebbar, sie wird auch als Verschattung mitgenutzt.

Das Gesamtprojekt Helvetia Campus wird in vier Etappen umgesetzt. In der zweiten Etappe wird der Flachbau an der Ecke Engelgasse / Lange Gasse saniert und aufgestockt (2024–2026). Die dritte Etappe umfasst die Sanierung und Dachaufstockung des Bürohauses an der St. Alban-Anlage (2026–2028). Als Viertes soll ein neuer Wohnbau (2028–2030) gegenüber den Hochhäusern entstehen, der das abgerissene Wohnhaus am Ort des Auditoriums ersetzt. 

Vogt Landschaftsarchitektur entwickelte das Aussenraumkonzept. Es umfasst einen Campusgarten, der die Büroeinheiten verbindet, und einen Park, der die Wohngebäude umhüllt. Der Campus soll Mitarbeitende und Anwohnende zum Verweilen einladen und den Grünraum der St. Alban-Anlage erweitern. Zudem sind ein Dachterrassenbistro und ein Kunstraum im Erdgeschoss des transformierten Hochhauses öffentlich zugänglich. Das Besondere am Helvetia Campus ist, dass er mitten in einem Wohnquartier liegt. Die Ambition der Bauherrin, den Campus für die Anwohnenden zu öffnen, ist naheliegend und möglicherweise die Basis für eine gute Nachbarschaft.

Neue Fassade: kristallin und transparent

Wie in einen weissen Kokon gehüllt stehen die beiden Türme an der St. Alban-Anlage. Dem neuen Gewand ging der vollständige Abbau der Längsfassaden sowie des Treppenturms an der Stirnseite voraus. Während die Längsfassade durch eine High-End-Fassade ersetzt wurde, verkleiden nun handgefertigte Gussglas-Fliesen die Stirnseiten. Das gesamte Gebäude wird so zum Glashaus. Spannend ist dabei der Kontrast zwischen aufwendiger Handarbeit und industrieller Vorfertigung.

Die Closed-Cavity-Fassade (CCF) überspannt grossflächig die Längsfassaden und ermöglicht die Einhaltung moderner Energiestandards. Sie verbessert die Energieeffizienz und Tageslichtnutzung, senkt Betriebs- und Wartungskosten und erhöht den Nutzerkomfort. Erreicht wird dies durch eine geschlossene Doppelfassade aus vorfabrizierten Ganzglasfassadenteilen. Von einem Kompressor im Keller wird Luft in den geschlossenen Raum zwischen Innen- und Aussenhaut geleitet, um Kondensat zu verhindern. Im Gegensatz zu offenen zweischaligen Fassaden muss der Zwischenraum nicht gereinigt werden, auch die darin angebrachten Sonnenschutzstoren sind entsprechend geschützt. 

Bei allen genannten Vorteilen der CCF müssen die Büroräume dennoch gekühlt und geheizt werden. Dies erfolgt über die Heiz-Kühl-Akustikdecke. Bei schnellen Wetter- oder Temperaturwechseln kann die Lüftung unterstützend heizen oder kühlen. Erste Erfahrungen zeigen positive Ergebnisse beim sommerlichen Wärmeschutz sowie der Schalldämmung, die sich derzeit täglich bewähren kann, da gleich daneben lautstark an der zweiten Bauetappe gearbeitet wird.

Während sich die glatte Hightech-Oberfläche der Längsfassade fast schon zu perfekt über die Stadt erhebt, wirken die gegen Norden und Süden ausgerichteten Stirnseiten mit ihren 24 000 dreieckigen Gussglas-Fliesen nahezu verspielt. Regelrecht archaisch muten die Bilder der Produktion in der Glashütte an, als die geschmolzene Glasmasse in Handarbeit in die Metallform gegossen und nach dem Kühlprozess per Augenmass auf ihre Qualität geprüft wurde. Unzählige Prototypen sind entstanden, bis die finale Version gefunden war. Jeweils acht der transluzenten Dreieckfliesen, jede etwa 50 cm gross und 16 kg schwer, sind auf einer trapezförmigen, weiss gestrichenen Unterkon­struktion montiert und an der Fassade befestigt. 

Die aufragenden Ecken und Kanten sowie die «Gletscher-Oberfläche» der Gussglas-­Fliesen schaffen ein zusätzliches Spiel auf den streng geometrisch geordneten Stirnseiten. Die Planer programmierten ein Fassadenlayout, um Wiederholungen zu vermeiden. Die Verbindung von archaischem Handwerk und digitaler Simulation ist eine gelungene Kombination und erzeugt eine lebendige Oberfläche. Das Spiel mit den Dreiecken leitet sich aus der Linie der innen liegenden Treppen ab. Acht Dreiecke formen zusammen eine Raute und bilden das Fassadenmuster. Auch die markanten rautenförmigen Fenster sind in dieses Muster integriert.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 23/2024 «Glasgewand».
 

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