Har­te Scha­le, wei­cher Kern

Miu-Miu-Shop in Tokio

Herzog & de Meuron haben für Miu Miu, das kostengünstigere Label von Prada, in Tokio einen Flagshipstore gebaut.

Publikationsdatum
26-05-2016
Revision
27-05-2016

Nirgends auf der Welt haben Architektur und Mode auf vergleichbare Weise zusammen gefunden wie im Bereich um die Strasse Omotesando in der südlichen Innenstadt von Tokio. Flag­shipstores der exquisiten inter­na­tionalen Modelabels und «Fast fashion»-Kaufhäuser reihen sich beidseits entlang des baumbestandenen Boulevards, vielfach entworfen von der nationalen und inter­nationalen Architekturprominenz: Tadao Ando, Jun Aoki, Torihiko Dan, Toyo Ito, MVRDV, OMA, SANAA. 

Herzog & de Meuron setzen ­in der Seitenstrasse Miyuki-dori ­mit dem Prada Aoyama Epicenter den markantesten Akzent. Das kristalline Gebilde ist bemerkens­wert, weil es sich im Gegensatz zu ­den meisten Flag­shipstores nicht ­auf eine reine ­Fassadenarchitektur beschränkt, sondern ­als durchkom­poniertes räum­lich-konstruktives Gefüge gestaltet ist. Weil es mit seiner Hülle aus bombierten gläsernen Rauten Ausblicke von ­innen und Einblicke ­von aussen ­ermöglicht. Und weil ­es durch die Konzentration auf ein turmartiges Volumen – ungewöhnlich für Tokio – einen öffentlichen Vorplatz freispielt.

Schlichter als Prada

12 Jahre später haben die Basler ­Architekten gegenüber, also auf der Nordseite der Miyuki-dori, einen Flagshipstore für Miu Miu, das Zweitlabel von Prada, fertiggestellt. Die günstigeren Kollektionen richten sich an ein jüngeres Publikum. Im Gegensatz zu dem ebenso expres­siven wie extrovertierten Prada-­Kristall vis-à-vis gibt sich Miu Miu schlichter, einfacher, zurückhaltender.

Der Grundriss ist orthogonal, das Volumen im Grunde boxartig. Die Verkaufsräume befinden sich im Erd- und im ersten Obergeschoss. Sie sind durch eine Treppe mit gläsernen Brüstungen verbunden. Der Keller mit Lager- und Nebenräumen ist für Besucher nicht zugänglich; auf allen drei Ebenen umfasst der Bau 720 m2 Nutzfläche.

Der Clou des Gebäudes sind die wie aufgeklappt wirkenden Längsfassaden. Zur Strasse hin bildet die Haut aus polierten Stahl­platten ein bis zu zwei Meter über Gehsteig­niveau herabgezogenes Vordach. Es ist innen mit einer zu den Rändern hin kissenartig anmutenden Kupferstruktur unterfüttert, die die Unterkonstruktion verbirgt. Mit dem ­Nebeneinander der harten, an den Kanten messerscharf anmutenden Stahlhülle und dem Kupferpolster reizen die Architekten den Kontrast zwischen Innen und Aussen aus.

Verbergen und Enthüllen

Erst wenn man unter dem Vordach steht, wird die Höhe der zweigeschossig verglasten Fassade erlebbar. Herzog & de Meuron spielen mit der Ambivalenz von Verbergen und Enthüllen und inszenieren das Bild eines aufgeschnittenen Geschenkkartons. Von aussen rätselhaft, offenbart sich das Volumen im Innern als ein Schatzkästlein: ein treffendes Bild in der verpackungsvernarrten japanischen Kultur. 

Durch das Erdgeschoss fällt der Blick auf die kupferverkleidete Rückwand. Hier reicht die schräge Wand bis zum Boden und bildet die tatsächliche Begrenzung des ­Ge­bäudes. Die Soft-Edge-Ästhetik, die schon im Kupferpolster der aufgeklappten Fassade anklingt, bestimmt auch das Innere. Sie prägt die Einbauten der kleineren Räume und Umkleidekabinen, die jeweils auf den Stirnseiten angeordnet sind. Sie findet aber auch in den diversen Möbeln und Displaysystemen und selbst im Muster des Parkettfuss­bodens ihren Widerhall.

Das Material Kupfer taucht im Innern verschiedenenorts wieder auf: nicht nur als Wandverkleidung, sondern auch an den Unterkonstruktionen der ­Möbel, an den Handläufen oder den Kleiderhaken und -stangen. Grüner gemusterter Brokat dient als Wandverkleidung der Separées ebenso wie als Bezugsstoff für Sitzmöbel, roter Brokat findet sich als Polsterstoff der Wandtablare sowie weiterer ­Präsentationsmöbel. 

Wie schon bei Prada Aoyama hatten Herzog & de Meuron die Gelegenheit, Architektur und Inneneinrichtung bis ins Detail zu gestalten. Das führt zu einer Konsistenz, die bei vergleichbaren Flagshipstores nur selten erzielt wird. Zunächst dachten die Architekten daran, den Auftrag für Miu Miu mit einer ähnlichen Formenwelt zu lösen wie bei Prada. Dann aber setzten sie auf Eigenständigkeit und fanden mit ­der Ambivalenz von harter Schale und weichem Kern eine Strategie, ­die wie ein Gegenpol wirkt: dort ­die expressive Skulptur, hier die aufgeschnittene Box; dort Exponiertheit, hier Intimität.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Prada Japan, Tokio

Architektur
Herzog de Meuron

Bauleitung
Takenaka, Tokio

Tragwerksplanung
Takenaka, Tokio
Schnetzer Puskas Ingenieure

Lichtplanung
Sirius Lighting Office, Tokio

Fassadenplanung
Emmer Pfenninger Partner AG

Landschaftsarchitektur
Vogt Landschaftsarchitekten AG

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