Or­te der Ek­sta­se

Night Fever. Design und Clubkultur 1960 bis heute

Für Nachtschwärmer dunkle Höhlen der Ekstase, für Gestalter beliebte Experimentierräume: In Nachtclubs verdichten sich Grafik, Interiordesign, Architektur, Musik, Mode und Performance zu hedonistischen Gesamtkunstwerken. Nun holt das Vitra Design Museum Ikonen der Clubkultur in einer Ausstellung nach Weil am Rhein.

Publikationsdatum
09-05-2018
Revision
15-05-2018

Die aktuelle Schau bildet die Geschichte von Clubs wie dem «Studio 54» (New York, 1977) oder dem «Berghain» (Berlin, 2004) anhand von Fotos, Plänen und Filmen erstmals umfassend ab. Ergänzt von originalen Flyern, Plakaten, Möbel- und Kleidungsstücken entsteht ein schillernder Kosmos der Popkultur. Obwohl der museale Raum das synästhetische Cluberlebnis aus Musik, Hitze und Halluzinogenen nicht wiederzugeben vermag, entfalten die aneinandergereihten Fragmente eine spannungsreiche Ikonografie des Exzesses.

Italienische Avantgarde

Den Auftakt der sich über vier Räume erstreckenden Schau machen italienische Nachtclubs der 1960er-Jahre. Als Vertreter des Radical Design widersetzten sich die jungen Avantgardearchitekten mit einer unkonventionellen Formensprache dem etablierten Geschmack: So stattete die Gruppo 9999 das «Space Electronic» in Florenz (1969) mit einem gigantischen Fallschirm und Waschmaschinentrommeln aus, auf denen man zwischen Gemüsegärten verweilen konnte. Als Inspirationsquelle dienten die Clubs des New Yorker Künstlermilieus: Der «Electric Circus» (1967) etwa wartete mit Musik, Licht- und Filmprojektionen auf, die eine ganzheitliche, technologische Sinnesüberreizung schufen. Die frühen Raumexperimente verdeutlichen den zunehmenden Stellenwert der audiovisuellen Technik. Sie zeugen aber auch davon, wie die Jugendkultur überhaupt erst den Humus für die Entstehung des modernen Nachtclubs bildete.

Den Avantgardeclubs folgen Beispiele aus den 1970er-Jahren wie etwa das «Flashback» (1973) im Piemont: Über einem von unten beleuchteten Dancefloor erhob sich ein komplexes Gefüge grellroter Treppen und Säulen – eine postmoderne Version von Piranesis «Carceri». Auch der Schweizer Architekt Justus Dahinden ist mit dem «Schwabylon Komplex» in München vertreten. Teil dieses Einkaufszentrums war die Disco «Yellow Submarine» (1971), eine dreistöckige Stahlkapsel, umgeben von einem gigantischen Aquarium.

Alles tanzt

Nachdem die Besucher im angrenzenden Saal in einer Installation der Designer Matthias Singer und Konstantin Grcic nun endlich selbst den Dancefloor betreten dürfen, tauchen sie in die Kommerzialisierung der Clubkultur ein: Der dritte Teil der Ausstellung ist ganz dem Disco-Boom gewidmet. Schwerpunkt bilden die 1970er- bis 1980er-Jahre in New York. Als Disco zum eigenen Musikstil mutierte, etablierte sich in umgebauten Theatern, Kinos oder gar Kirchen eine eigentliche «Diskotektur». Neben dem «Studio 54» ist auch das New Yorker «Palladium» (1985) zu bestaunen: Arata Isozaki entwarf eine mit Lichtkacheln verkleidete Rasterstruktur, in der sich die Tanzenden unter beweglichen Videowänden tummelten.

Industrielles Nachtleben

Weg von der Discokultur leitet die Ausstellung über zur House-Bewegung. Diese formierte sich in leer stehenden Lagerhäusern der postindustriellen Landschaft amerikanischer und europäischer Grossstädte. Ein Höhepunkt ist das kühle Interieur des «Haçienda» (1982) in Manchester – unter den Nachtschwärmern jener Zeit als «Madchester» bekannt. Im damaligen Zentrum der europäischen Acid-House-Kultur säumten Leitpfosten den Dancefloor; die mit Signalstreifen versehenen Stützen überhöhten die Industrieästhetik. Das Interieur verdeutlicht, wie ein Musikstil eine eigene architektonische Entsprechung findet. 

Disco 2.0

Der letzte Raum im Obergeschoss beleuchtet schliesslich die Clubszene der 1990er-Jahre bis in die Gegenwart. Mit Bildern aus Berlin wird die enge Verbindung von städtischer und gesellschaftlicher Entwicklung nachgezeichnet: Vom Nach-Wende-Berlin, in dessen urbanen Freiräumen sich legendäre Clubs wie der «Tresor» (1991) einnisteten, geht die Reise bis zur Transformation der Stadt in eine Techno-Hochburg. Dass sich die Szene bis in den öffentlichen Raum hinein ausbreitete, zeigt die Love Parade, die dort von 1989 bis 2010 stattfand. 

Als Abschluss erhält der Besucher Einblick inaktuelle architektonische und künstlerische Auseinandersetzungen mit der Clubkultur. Darunter auch OMAs Neuauflage des legendären Clubs «Ministry of Sound» in London (1991): Da die gentrifizierten Innenstädte zunehmend vom Clubsterben bedroht sind, halten die niederländischen Architekten das Konzept im 21. Jahrhundert nur in Kombination mit Fitnesscenter, Büros und einer Radiostation für zukunftsfähig. Neben der Gentrifizierung scheinen aber nicht nur alternative soziale Austauschorte wie digitale Plattformen die Clubkultur zu bedrohen: Offenbar steht auch die zunehmende körperliche Selbstoptimierung dem ungesunden Nachtleben entgegen.

Im Buch-Club

Dennoch ist die breit angelegte und sehenswerte Ausstellung nicht als Nekrolog auf den Nachtclub zu verstehen: Mit Sicherheit formieren sich im Untergrund bereits neue Spielarten dieser nächtlichen Sehnsuchtsorte. Und wer sich vertieft – und auf rein theoretischer Ebene, versteht sich – den verschiedenen Spielarten des Nachtlebens widmen will, dem sei der hervorragende Katalog zur Ausstellung ans Herz gelegt.

Weitere Infos
«Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute»
Bis 9. September 2018 im Vitra Design Museum, Weil am Rhein

 

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