«Die Op­tio­nen, Räu­me frei zu hal­ten, sind lei­der be­schränkt»

Interview mit Hans-Michael Schmitt

Publikationsdatum
01-12-2016
Revision
02-12-2016

TEC21: Herr Schmitt, die Hochschule Rapperswil erarbeitet landschaftsplanerische Grundlagen, die die Projektierung von Höchstspannungsleitungen vereinfachen sollen. Worum geht es?

Hans-Michael Schmitt: Dem Netzbetreiber Swissgrid soll ein Leitfaden zur Verfügung gestellt werden, um Aushandlungsprozesse und die landschaftliche Integration von Starkstromleitungen zu verbessern. Zur Festlegung von Planungsraum und Korridor im Sachplanverfahren des Bundes sollen die Auswirkungen der Abwägungsprozesse hinsichtlich empfindlicher Räume offengelegt und visualisiert werden können. 

TEC21: Ist die Erdverkabelung eine Alternative für neue Hochspannungsleitungen?

Hans-Michael Schmitt: Den Diskussionen um Erdverkabelungen würde ein bisschen mehr Realitätsbezug kaum schaden. Wie viel sich in den Boden umlegen lässt, ist zurückhaltend anzugehen. Allerdings stünde ein ganz neues Variantenspek­trum zur Verfügung, wenn auch über die Mitnutzung vorhandener Kanäle oder Tunnels verhandelt werden könnte. Auch Stromkabel durch Seen würden neue Perspektiven eröffnen, wobei sich neue, technische und organisatorische Fragen stellen. Doch der Umbau der Energieinfrastruktur ist komplex; landschaftsverträgliche Lösungen brauchen besondere An­strengungen. Aber weil Stromleitungen weiterhin benötigt werden, sind die Optionen, Räume davon gänzlich frei zu halten, leider beschränkt.

TEC21: Braucht es einen nationalen Plan für die landschaftsverträgliche Umsetzung der Energiewende?

Hans-Michael Schmitt: Die erneuerbare Energieerzeugung wird die Landschaft augenfällig und vor allem dezentral verändern. Im Vergleich dazu kennen wir heute die Konzentration auf wenige Standorte mit den Grosskraftwerken. Ein übergeordneter Plan bietet deshalb die Chance, die Veränderung der Landschaft rechtzeitig zu steuern. Der unbedachte Ausbau des Nationalstras­sennetzes in der Schweiz wäre ein Beispiel, das nicht wiederholt werden soll: Im Fokus standen anfangs die Verbindungen von A nach B, die Korrelation zur Raumentwicklung ging wohl vergessen. Und heute finden alle: Die Landschaft wurde zugebaut; so haben wir das nicht gewollt.

TEC21: Sind Ansätze zu einer solchen koordinierenden Planung erkennbar?

Hans-Michael Schmitt: Ich denke schon, etwa beim Windkonzept des Bundes oder der Netzplanung von Swissgrid. Im Windkonzept differenziert der Bund auf nationalem Massstab, wo räum­liche Konfliktgebiete oder mögliche Abwägungsgebiete liegen. Für die anstehende Dezentralisierung der Stromleitungen ist sicher positiv, dass das übergeordnete Netz aus einer Hand koordiniert wird. Swissgrid kann so die Zahl der Netzstränge reduzieren. 

TEC21: Wie massiv wird die Energiewende die Landschaftsräume verändern?

Hans-Michael Schmitt: Ich beurteile die möglichen Auswirkungen auf die Landschaft weniger krass als teilweise befürchtet. Ein Student im Studiengang Landschaftsarchitektur hat analysiert, inwiefern neue Energieanlagen den Agglomera­tionspark Limmattal verändern. Sein Fazit: Es muss nicht die ganze Landschaft auf den Kopf gestellt werden. Wasserkraft wird schon heute genutzt. Windenergie spielt mit den herkömm­lichen Anlagen kaum eine Rolle. Dächer und Lärmschutzwände bieten dagegen ein namhaftes Flächenpotenzial für Solaranlagen. Als Energieholz genutzt, könnten Gehölzsäume die Ab­schirmung der Autobahn optimieren.

TEC21: Also befinden sich die passenden Standorte für eine dezentrale Energieproduktion eher in belasteten als in unberührten Landschaften?

Hans-Michael Schmitt: Generell darf man hier zuerst suchen. Aber Achtung: Auch in bebauten Landschaften braucht es Freiraum. Es gibt nicht Siedlungsgebiet und das grüne Etwas ausserhalb. Das Landschaftsverständnis wird in der europäischen Konvention deshalb anders definiert: Sowohl die bebauten als auch die unbebauten Landschaften haben Ansprüche an ästhetische, biologische und erlebnisbezogene Qualitäten zu erfüllen. Deshalb ist überall abzuwägen, welche Qualität und Mischung aus Mensch und Natur die Landschaft aufweisen soll.

TEC21: Wie sind Eingriffe für Energielandschaften allgemein zu beurteilen?

Hans-Michael Schmitt: Häufig sind die Beurteilung und Wahrnehmung von Landschafts­eingriffen zu sehr auf Einzelprojekte fokussiert. Konzeptionelle Überlegungen, wie die Energieerzeugung räumlich optimal betrieben werden kann, sind jedoch selten. Was die Landschaft als Siedlungs-, als Natur- oder Erholungslandschaft oder eben auch als Energielandschaft jeweils leisten kann und soll, ist über landschafts- und raumplanerische Instrumente zu koordinieren. Dazu müssten auch Referenzbilder entworfen werden, anhand derer mögliche Veränderungen beurteilt werden. Hier kommt die Landschaftsplanung ins Spiel, weil räumliche Funktionen zuzuweisen sind.

TEC21: Wer übernimmt den Lead, um die Interessen an der Landschaftsnutzung untereinander abzuwägen?

Hans-Michael Schmitt: Die Raumplanung, inklusive Landschaftsplanung und -entwicklung, ist Sache der Kantone und Gemeinden; sie sind bereits mit Richt- und Nutzungsplanungen betraut. Die meisten übergeordneten Energiepläne müssen auf diesen Ebenen akzeptiert und umgesetzt werden. Beim Windenergiekonzept des Bundes stellt sich deshalb die Frage, ob Kantone und Gemeinden die Vorgaben des Bundes antizipieren. Bei der Raumplanung können zwischen den staatlichen Ebenen oft grosse Lücken auftreten. Wird hier nicht weitsichtig vorausgeschaut, dürfen sich die Gemeinden über Konflikte auf Projektebene nicht wundern. 

TEC21: Was sind die Anforderungen an eine auf die Energiewende abgestimmte Landschaftsplanung?

Hans-Michael Schmitt: Gute Landschaftsplanung diskutiert Art und Intensität der möglichen Nutzungen und Eingriffe in den bebauten oder unbebauten Räumen frühzeitig und denkt die Landschaftsentwicklung voraus. Diese Expertisen müsste besser in den raumplanerischen Vollzug eingebunden werden; allerdings haben die meisten Gemeinden Nachholbedarf. Das Bewusstsein dafür taucht vielfach nur in Tourismusregionen auf. Dabei sind die Interessen zuweilen leider weniger an Vorstellungen über das Landschaftsbild als an ökonomische Absichten geknüpft.

TEC21: Wie beeinflusst eine Landschaftsplanung die Akzeptanz für eine dezentrale Energieinfrastruktur?

Hans-Michael Schmitt: Die vorausschauende Landschaftsplanung ermöglicht ein feines Austarieren zwischen Schutz und Veränderung. Auf kommunaler Ebene kann das zum gesellschaftlichen Abwägungsprozess und partizipativen Miteinander führen. Zwar können sich weiterhin Resultate ergeben, die nicht allen Beteiligten passen. Aber das ist das grundsätzliche Problem: Die bestehende Energie-Grosstechnologie beansprucht nur wenige, aber monofunktional belegte Flächen. Die Kühltürme und Wolkenfahnen von Gösgen und Leibstadt sind «Landmarks» für das ganze Mittelland. Ist uns das lieber als zahlreiche Solardächer? Wir müssen lernen, mit vielen kleinen dezentralen Landschaftseingriffen umzugehen und nachhaltige Kulturlandschaften zu entwickeln – unter Berücksichtigung aller Raumansprüche.
 

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