Über­ge­ord­ne­te Plä­ne, lo­ka­le Skep­sis

Fachleute im Gespräch

Wie lassen sich die Ansprüche aus Energieproduktion und Landschaftsschutz verbinden? Durch mehr planerische Abwägung von oben und mehr konstruktive Beteiligung von unten, sagen an der Energiewende beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Publikationsdatum
01-12-2016
Revision
02-12-2016

TEC21: Die Energiewende ist am Laufen. Doch der Zubau von neuen Energieanlagen stockt, und die Liste der gescheiterten Projekte wächst. Sind Projekte mangelhaft vorbereitet, Standorte falsch gewählt, oder werden die Leute vor Ort nicht einbezogen?

Matthias Buchecker: Die Gründe, warum Projekte für neue Energieanlagen scheitern, sind unterschiedlich. Teilweise tauchen personenbezogene Hürden auf. Meistens aber sind es in irgendeiner Form kommunikative Fehler. Von Projektseite wird beispielsweise zu spät informiert. Breiten sich Gerüchte aus, löst allein dies bereits Widerstände aus. 

Ursula Dubois: Viele Windprojekte im Waadtland waren oder sind blockiert. Deshalb hat uns der Kanton beauftragt, die Gründe dafür zu suchen. Die Probleme sind meiner Meinung nach durch ein ungeschicktes raumplanerisches Vorgehen provoziert. Die Vorarbeiten zur räumlichen Lokalisierung möglicher Windstandorte hatte man in der Waadt zuerst den interessierten Projektträgern zugänglich gemacht. Die Leute vor Ort und die Umweltverbände fühlten sich hingegen überrannt, als die Pläne erst auf Projektstufe bekannt geworden sind.

Ruth Schmitt: Viele Projekte scheitern an individuellen oder persönlichen Gründen; daher muss man vor Beginn eines Begleitprozesses den lokalen Kontext kennenlernen.
 

TEC21: Also klappt es mit dem Ablauf der Planung und dem Einbezug der Bevölkerung nicht besonders gut?

Ursula Dubois: Ja, die Leute dürfen nicht erst, wenn ein spruchreifes Projekt vorliegt, einbezogen werden. Man vertraut zu sehr offiziellen Mitwirkungsformaten wie einer Vernehmlassung oder vergleichbaren Konsultationen. Doch bei Zonenplanänderungen kommen solche Feedbackrunden zu spät.  

Ruth Schmitt: «Holt uns möglichst früh ab» ist eine häufige Rückmeldung, die uns die Teilnehmer in einem Begleitprozess mitteilen. Bei einigen Pro­jekten werden Chancen für die spätere Realisierung verpasst, wenn zu lang im abgeschlossenen Büro geplant wird. Doch das Dilemma ist: Wie soll man über ein Projekt reden, das genauer abzuklären wäre? 
 

TEC21: Wie kann man diesen Knoten lösen?

Matthias Buchecker: Auf regionaler oder kantonaler Ebene wäre eine Zieldiskussion mit der Bevölkerung zu initiieren. Wesentlich ist, dass nicht nur über einzelne Energieanlagen gesprochen, sondern ein erweitertes Themenspektrum wie die Nutzung von ökologischen Ressourcen aufgegriffen wird. Wir begleiten aktuell einen partizipativen Prozess zum Umgang mit regionalen Gewässern; ein thematisch breiter Ansatz ermöglicht Massnahmen, die isoliert betrachtet abgelehnt würden.

Ruth Schmitt: Mit solchen Anregungen werden wir regelmässig konfrontiert: Die Beteiligten möchten den thematischen Fächer in den Diskussionen aus­weiten, damit man mehr erreichen kann. Das leuchtet auch ein: Je breiter gewisse Themen behandelt ­werden, desto mehr Leute fühlen sich angesprochen.
 

TEC21: Wird denn nicht genug über die Energiewende gesprochen?

Felix Kienast: Sprechen allein genügt nicht, es braucht auch eine übergeordnete Perspektive. Wie die Energiewende umgesetzt werden soll, ist eigentlich eine nationale Koordinationsaufgabe. Wir haben an unserem Institut anhand eines geografischen Informationssystems evaluiert, dass 25 TWh Energie dezentral und landschaftlich konfliktarm mit Solar- oder Windenergie, anstelle der heutigen Grosskraftwerke, erzeugt werden können. Solche Untersuchungen könnten die Basis für einen Sachplan des Bundes sein, um raumplanerische und landschaftliche Konflikte übergeordnet zu koordinieren. Zwar wird ein solcher Energiesachplan nicht kommen, hoffentlich aber eine räumliche Gesamtschau des Bundes.

Ruth Schmitt: Dieses Übersetzungsmanko spiegelt sich in den meisten Reaktionen der lokalen Bevölkerung wider: Man weiss zwar, dass es eine Energiestrategie gibt. Aber was diskutierte Projekte damit zu tun haben, leuchtet weniger ein. Es wird unterschätzt, das vorhandene Wissen lokal zu übersetzen. 
 

TEC21: Wie gross ist die Diskrepanz, dass die Energiewende allgemein akzeptiert, aber lokal bekämpft wird?

Ursula Dubois: Diese Spannweite ist ganz extrem. Ich bezweifle aber, dass ein Sachplan des Bundes schnell helfen könnte. Die Korridore für Stromleitungen werden beispielsweise national koordiniert. Trotzdem hängen Netzausbauten teilweise über Jahrzehnte fest. Darum sind Mitwirkung und Akzeptanz der Bevölkerung und der Umweltverbände unerlässlich.

Felix Kienast: Ein Beteiligungsverfahren ist wichtig. Aber nur auf freiwillige Zustimmung zu setzen wird angesichts der hohen Ausbauziele schwierig. Es braucht ebenso den Willen, die Ziele durchzusetzen und den Umsetzungsrahmen zu verbessern. Der Bund müsste mehr Verantwortung übernehmen und eine Top-down-Planung an die Hand nehmen. Ob Planungen zeitlich verkürzt werden können, ist schwer zu sagen. Aber die Diskussionen würden vereinfacht. 
 

TEC21: In Energieregionen werden umfassende Debatten und Dialogformen gepflegt. Trotzdem wird nicht alles akzeptiert …

Ruth Schmitt: Einen Beteiligungsprozess mit Erfolgsgarantie gibt es nicht. Aber wenn die Leute bereits für raumplanerische Fragen einbezogen werden, fühlen sie sich ernster genommen. Daher können die Erfolgsaussichten verbessert werden, wenn der Dialograhmen und der Mitwirkungsansatz erweitert werden. Voraussetzung für einen Dialog ist aber, die Gegnerschaft einzubeziehen. Diese muss sich am konstruktiven Gespräch beteiligen wollen.

Matthias Buchecker: Die Bottom-up-Sicht ist essenziell. Der Fokus, was der Nutzen eines Beteiligungsverfahrens ist, muss nicht zwingend auf ein einzelnes Projekt gerichtet sein. Eine thematische Ausweitung der Diskussion schafft mehr Möglichkeiten. Man kann Widerstände nicht ausschliessen. Aber man kann Bedingungen schaffen, sodass alle Beteiligten etwas Konstruktives beitragen können.
 

TEC21: Welche Rolle spielen dabei die Umweltverbände?

Ursula Dubois: Das Verständnis ihrer Rolle und ihres Auftretens muss man sicher ansprechen: Bisweilen gründet sich ihr Widerstand aber auf sehr isoliert betrachtete Aspekte und einzelne Projekte. Statt­dessen wäre eine Gesamtsicht zu bevorzugen. Eine übergeordnete Diskussion steigert daher die Chancen, auch mit Umweltorganisationen konstruk­tive Lösungen zu finden.

Felix Kienast: Das häufig konzeptlose Vorgehen bei raumplanerischen Abklärungen scheint mir ein wesentlicher Grund zu sein, warum sich Widerstand gegen einzelne Projekte regt. Es braucht eine übergeordnete Abwägung, wo und in welcher Art ein Eingriff stattfinden darf. Daraus könnte nämlich auch abgewogen werden: Werden Eingriffe an einem Ort konzentriert, könnte anderswo weniger passieren. 
 

TEC21: Wer initiiert die Dialogprozesse vor Ort am besten? Sind Projektträgerschaften neutral genug?

Ruth Schmitt: Momentan sind die Projektträger diejenigen, die häufig solche Verfahren durchführen. Mit klassischer Projektkommunikation hat das aber nichts zu tun. Ein Veranstalter muss sich auf einen unvoreingenommenen Austausch mit der Bevölkerung einlassen können. Ebenso muss das Ergebnis offen bleiben. Was die Transparenz und den Dialog betrifft, sind gewisse Qualitätsstandards einzu­halten. Insofern benötigen solche Prozesse einen Paradigmenwechsel in der Planungsorganisation. 

Ursula Dubois: Eine unabhängige Diskussions­plattform wäre hilfreich. Und eigentlich müsste der Bund solche Prozesse fördern und finanzieren. Doch die Bedingungen für ein transparentes Begleitverfahren können auch sonst beachtet werden.

Matthias Buchecker: Mir fällt auf, dass vor allem die Transparenz keine Selbstverständlichkeit ist. Ich verstehe nicht ganz, was man als Projektträger zu verlieren hat. Wirkt hier ein Reflex, etwas zurückhalten zu wollen, weil es sonst negativ beurteilt wird? 


TEC21: Landschaften sollen vor Veränderungen bewahrt werden, lautet der Tenor. Was ist dagegen zu tun? 

Felix Kienast: Der Hemmschuh in vielen Diskussionen ist: Landschaft wird als etwas wahrgenommen, das sich in der Zeit nicht verändern darf. Diese Sicht kann die Forschung nicht unterstützen, weil es den statischen Landschaftscharakter gar nie gab und nie geben wird. Wichtiger ist, dass sich die Leute mit Landschaftsentwicklung auseinandersetzen und auch veränderte Landschaften identitätsstiftend sind.

Ursula Dubois: Mir fällt das Manko ebenfalls auf, wie Landschaften wahrgenommen und beurteilt werden. Es fehlt eine Debatte, wie Landschaften aussehen könnten und sollten. Obwohl das zur Umsetzung der Energiestrategie gehört, wird darüber kaum gesprochen.
 

TEC21: Daher stellt sich die Frage der Akzeptanz: Warum wird der Windpark am Nufenenpass akzeptiert?

Matthias Buchecker: Der Standort zeigt beispielhaft, wie widersprüchlich Landschaften im Hinblick auf eine potenzielle Energiegewinnung wahrgenommen werden. Zum einen erscheint die Landschaft am Nufenenpass durchaus als unberührt. Zum anderen wird dort bereits Energie mit einem Stausee genutzt. 

Ursula Dubois: Was unberührte Natur ist, wird dennoch kontrovers empfunden. Damit ist auch eine gewisse Schizophrenie zwischen realer Landschaftsnutzung und der Wahrnehmung derselben verbunden. Darum sollte man nicht nur über ein einzelnes Projekt diskutieren, sondern auch darüber, wie wir uns die künftige Umwelt oder Landschaft vorstellen.
 

TEC21: Ist die Angst übertrieben, dass die Energiewende unsere Landschaften irreversibel zerstört?

Felix Kienast: Viele der aktuell diskutierten Eingriffe können rückgängig gemacht werden. Wenn sich die Bedürfnisse in 30 Jahren ändern, lässt sich eine Windanlage an einem Tag abbrechen. Zudem muss man kaum Angst davor haben, dass die Energiewende unberührte Landschaften verändert. Diese bleiben verschont, da nur Standorte infrage kommen, die in irgendeiner Form an das Stromnetz angeschlossen sind. Alles andere ist nicht wirtschaftlich. 

Matthias Buchecker: Unsere Befragungen zeigen, dass das Image der landschaftlichen Umgebung aber eine wichtige Rolle spielt, etwa in Tourismusregionen. Sobald das Empfinden von Naturnähe und Wildnis wichtig ist, werden Energieprojekte abgelehnt. 
 

TEC21: Gibt es diese Erkenntnis schon, dass eine Energie­landschaft positiv wahrgenommen werden kann?

Felix Kienast: Den Windpark auf dem Mont Crosin im Berner Jura besuche ich regelmässig mit Stu­dierenden. In den Gesprächen mit Anwohnern fällt tatsächlich auf, dass der Ort für die Bevölkerung inzwischen eine neue Identität erhalten hat. Wenn etwas beklagt wird, ist es weniger die Veränderung der Landschaft als der Besucherandrang.

Matthias Buchecker: Der springende Punkt ist aber oft: Der Antagonismus zwischen Technik und Natur lässt sich nie ganz aufheben. Die Wahrnehmung ist deshalb nicht nur eine gestalterische Frage, sondern in den Sinn eines Projekts einzubetten. Die Bevölkerung vor Ort wird nichts schön finden, nur weil es von nationalem Interesse ist. 

Ursula Dubois: Allerdings wird die landschaftsarchitektonische Auseinandersetzung bei neuen Energieanlagen zu wenig gewagt. In Dänemark geht man anders damit um. Auch bei uns sollten sich die Planer vermehrt Gedanken über die ästhetische Integration und die Proportionen solcher Anlagen machen. Bisher werden jedoch viele Energieanlagen ganz banal in die Landschaft gestellt.
 

TEC21: Wenn die Diskussionen über neue Energieprojekte so weitergehen: Droht der Schweiz ein Planungswirrwarr, ein Stillstand oder eine zugebaute Landschaft?

Matthias Buchecker: Das Hauptrisiko besteht aktuell darin, dass nichts passiert. Denn für jedes Projekt braucht es Zonenplanänderungen. Gegen alles, was gebaut werden soll, kann Einsprache erhoben werden. 

Ruth Schmitt: Das Diskussionsklima in lokalen Begleitprozessen steht ebenfalls auf dem Spiel. Es kann sich weiter verschlechtern, wenn die Abläufe nicht geändert werden.

Ursula Dubois: Dazu kommt die Gefahr, dass an vielen Orten verbrannte Erde zurückbleibt, wenn sich die lokale Bevölkerung an einem Energieprojekt aufreibt. Das kann für die lokale Entwicklungsper­spektive in anderen Bereichen verheerend sein.

Felix Kienast: Dabei wäre die Chance zu nutzen, mit dem Entwicklungsaspekt Energie eigenständige Landschaften zu formen. Der Grimsel ist ein Beispiel dafür, wie eine Landschaft nicht zwingend als schön, aber als authentisch wahrgenommen wird. Denn trotz sichtbarer Energienutzung ist der Standort viel besucht und attraktiv.
 

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