Land­schaf­tsver­trä­gli­che Ener­giewen­de?

Energiestrategie 2050 und Landschaftsschutz

Weil der Ausbau erneuerbarer Energien dezentral erfolgt, sind Auswirkungen auf die Landschaft kaum zu vermeiden. Forscher der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL zeigen jedoch, dass rund drei Viertel des angestrebten Zubaus ohne grossen Konflikte realisiert werden können.

Data di pubblicazione
15-12-2014
Revision
01-09-2015

Bundesrat und Parlament beschlossen nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, schrittweise aus der Kernkraft auszusteigen. Nun sind die für die Energiewende nötigen Gesetzesänderungen festzulegen. Der Nationalrat beriet in der Wintersession Anfang Dezember die Umsetzung der Energiestrategie 2050.

Die bundesrätliche Vorlage sieht vor, einerseits die Energieeffizienz zu verbessern und andererseits den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhöhen. Die dezentrale Produktion von erneuerbaren Energien wie Windkraft, Biomasse, Solarenergie und Wasserkraft hat jedoch zur Folge, dass vermehrt Landschafts- und Lebensräume von Energieanlagen betroffen sein werden.

Nationale Konfliktkarten

Wird in Zukunft nahezu auf jedem Hügelzug ein Windrad stehen? Werden Photovoltaikanlagen künftig nicht nur auf Dächern, sondern auch in der freien Landschaft platziert? Das diesjährige Forum für Wissen an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL war dem Thema «Landschaft und Energiewende» gewidmet.

Dass hier eine ganze Reihe von Konflikten entstehen, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch wie ausgedehnt sind die Konfliktzonen tatsächlich? Felix Kienast, Professor für Landschaftsökologie und WSL-Forscher präsentierte die Ergebnisse einer räumlichen Konfliktanalyse auf nationaler Ebene. Dazu wurden die Energiepotenziale kartografisch verschiedenen Landschaftsleistungen wie Erholung und Tourismus, Schönheit und kulturelles Erbe, landwirtschaftliche Produktion sowie Schutz der Biodiversität gegenübergestellt.

Legt man die Potenzialkarten übereinander, lassen sich aus den überlappenden Zonen mögliche (ästhetische, kulturelle, nutzungsbezogene) Konflikte bei der Realisierung von Energieanlagen abschätzen. Windanlagen auf einer Bergkuppe provozieren beispielsweise einen klassischen Konflikt. Siedlungsnahe Gebiete und geschützte Moorlandschaften sind für die Windkraftnutzung hingegen ausgeschlossen. Kienast und das WSL-Team analysierten die 16 wichtigsten Landschaftskonflikte und stellten diese in nationalen Konfliktkarten dar.

3 von 4 Anlagen potenziell geeignet

Aus diesen Angaben aggregierte die WSL die «konfliktarmen» Energiepotenziale und verglichen sie mit den Zielen der Energiestrategie 2050, die Stromproduktion aus neuen erneuerbaren Energien um rund 24 TWh/Jahr auszubauen (Derzeit werden in der Schweiz rund 64 TWh/Jahr benötigt).

Es zeigte sich, dass landschaftsverträgliche Wind- und Solaranlagen 12.6 TWh Strom pro Jahr erzeugen können; gemäss Energiestrategie sind rund 15 TWh/Jahr vorgesehen. Die energetische Nutzung von Holz könnte weitere 3.5 bis 5.3 TWh/Jahr beisteuern. Zusammengerechnet liesse sich auf «konfliktarmen» Standorten rund drei Viertel der angestrebten Kapazitäten erzeugen. Die Lücke von 4 bis 6 TWh/Jahr könnten Geothermie, Bioabfälle, die Vergrösserung von Stauseen, Kleinwasserkraftwerke oder Solaranlagen auf Freiflächen schliessen.

Dem grossen Potenzial der Geothermie steht jedoch die schwierige Projektrealisierung entgegen, wie die Erkundungsbohrungen in Basel und St. Gallen zeigen. Aber auch die drei letztgenannten Optionen sind oft sehr umstritten.

Neue Symbole in der Landschaft

Entscheidend ist, wie Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien von der Bevölkerung wahrgenommen werden. Marcel Hunziker, der an der WSL sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung betreibt, präsentierte Ergebnisse von zwei Umfragen, die anlässlich der Vergrösserung des Grimsel-Stausees sowie bei der Installation von Photovoltaikpanels an Lawinenverbauungen im Goms stattgefunden haben.

Grundsätzlich waren beide Ausbauprojekte unter dem Aspekt der Landschaft akzeptiert. Mit Photovoltaik können sich Gemeinden als besonders nachhaltig und fortschrittlich präsentieren. Die Solarpanels auf der Oberwalliser Lawinenverbauung wurden von der Standortgemeinde besser akzeptiert als von den Nachbargemeinden.

Hunziker gab aber zu bedenken, dass mit Ausnahme von Grosswasserkraftanlagen die Produktion erneuerbarer Energien noch relativ wenig verbreitet ist. Der Zubau im grossen Stil könnte auf Ablehnung stossen. Es sei denn, solche Energieanlagen werden vermehrt als Symbole für die Energiewende wahrgenommen. Dann würden Wind- und Solaranlagen künftig vielleicht nicht nur akzeptiert, sondern als bewusste Akzentuierung von Energielandschaften positiv beurteilt. Ein solcher Wandel wird vor allem dann nötig sein, wenn nicht nur der Ersatz der Kernenergie, sondern auch der fossilen Brenn- und Treibstoffe angestrebt werden soll.

Die Podiumsdiskussion mit Vertretern des Bundes, des Naturschutzes, der Energiewirtschaft und der Wissenschaft machte deutlich, dass ein Konsens über das allgemeine Ziel der Energiewende vorhanden ist. Doch alles kann man nicht überall haben. Der Diskurs über die Frage «Was wollen wir eigentlich » ist nun weiterzuführen. Nützliche Entscheidungsgrundlagen soll unter anderem das vom Bund finanzierte neue Forschungsprogramm «Energy Change Impact» liefern, das die Forschungsanstalten WSL und EAWAG gemeinsam koordinieren und dessen projekte zusammen mit Partnern aus der Umwelt- und Energieforschung erarbeitet werden.

Energiedebatte: Lockerung im Landschaftsschutz 
In den Beratungen über die Energiestrategie 2050 machte sich der Nationalrat für den Ausbau der dezentralen Energieversorgung stark. Gutgeheissen wurde ein Zusatzantrag, der Windturbinen, Wasserkraftwerke oder Pumpspeicherkraftwerke grundsätzlich auch in den BLN-Schutzgebieten zulassen soll. 19 % der Landesfläche sind im Bundesinventar für Landschaften von nationaler Bedeutung (BLN) verzeichnet.
Neu soll nun eine Güterabwägung zwischen Energienutzung und landschaftlichem Schutzinteresse stattfinden. Laut der Auslegung von Bundesrätin Doris Leuthard wäre eine Bewilligung für Neuanlagen jeweils mit ökologischen Ausgleichsmassnahmen verbunden. Gleichzeitig aber werden die Kantone verpflichtet, die Gebiete für die Produktion von Strom aus erneuerbarer Energie auf Stufe Richtplan festzulegen oder freizuhalten. (Quelle: sda)

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