Die neue Grün­der­zeit

Der Norden von Zürich wirkt wenig wohnlich und ist zwingend auf eine qualitative Weiterentwicklung angewiesen. Mittendrin setzt das Hunziker-Areal nun auf eine urbane räumliche Dichte, sowohl auf der Ebene Quartier als auch in den Wohnungsgrundrissen.

Data di pubblicazione
26-03-2015
Revision
06-10-2015

Vor acht Jahren feierte der gemeinnützige Wohnungsbau in der Stadt Zürich sein 100-Jahr-Jubiläum und sam­melte Ideen zur Zukunft des genossenschaftlichen Wohnens. Dies trug zur Gründung der Baugenossenschaft «mehr als wohnen» bei und zur Absicht, eine in vielen Belangen neuartige Siedlung zu gestalten. Auf der rund 40.000 m2 grossen Gewerbebrache «Hunziker-Areal» in Zürich Nord sollte qualitätsvoller, urbaner Raum zum Leben und Arbeiten entstehen, in Verbindung mit ökologischen und sozialen Zielen.

Seit vergangenem November ziehen die Bewohner ein; am ersten Juliwochenende findet das Eröffnungsfest auf dem Hunziker-Platz statt. Genau dort lässt sich die Idee des städtebaulichen Entwurfs, statt einer Siedlung ein Stück Stadt zu schaffen, erstmals überprüfen. Der regelmässig zitierte Referenzort für den neuen Wohnkern war nämlich der Idaplatz im Zürcher Kreis 3. Dieser ist räumlich gefasst: Er zeichnet sich durch eine rundum laufende, dichte Bebauung von mehrgeschossigen Häusern aus, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit durch die Ausbildung und Nutzung des Erdgeschosses, die Art der Dachabschlüsse und die dazwischen liegenden Regelgeschosse zusammengehalten werden. Gleichzeitig lebt der Platz davon, dass er Teil eines gut funktionierenden Stadtquartiers ist.

Auch das Hunziker-Areal verbindet sich durch Wege, Strassen sowie grös­sere und kleinere Plätze mit der bestehenden Umgebung, die aber anders als der innerstädtische Kreis 3 typische Eigenschaften eines Stadtteils an der Grenze zur Agglomeration aufweist: grosse Büro- und Wohnbauten mit gesichtslosen Erschlies­sungsflächen, Industrie- und Gewerbebauten, breite Strassenräume und erste Ansätze einer kleinteiligeren Struktur mit öffentlichen Erdgeschossnutzungen wie Restaurants, die aber nur werktags geöffnet sind. Kehrichtverbrennungsanlage, Bahnlinie und eine stark befahrene Strasse sind die weiteren Nachbarn in diesem beanspruchten Gebiet.

Trotzdem traut man dem Hunziker-Areal nun zu, dieses Konglomerat mit einem neuen räumlichen Schwerpunkt zu bereichern oder zumindest aufzubrechen. Die Wege von aussen ins Areal führen nicht einfach in eine Tiefgarage, sondern auf kleinere und grössere Plätze, die sich verengen und weiten, sowie auf Gassen und Gässchen. Der Aussenraum enthält spannungsreiche Sequenzen; die Häuser bieten daran angrenzend Platz im Erdgeschoss für publikumsorientierte ­Nutzungen. Der vielfältige Freiraum und die unterschiedlichen Häuser sollen die Wahrnehmung von gewachsenen Strukturen im wenig attraktiven Entwicklungsgebiet betonen. Das räumliche Potenzial des Quartiers wirkt im Vergleich zur Umgebung geradezu innerstädtisch.

Intensive Aushandlungsphase

Der Architekturwettbewerb betrat selbst Neuland: Es waren parallele Vorschläge für eine städtebauliche Konzeption und ein exemplarisches Einzelgebäude einzureichen. Ab Mai 2009 gingen die Gewinner Futura­frosch/Duplex Architekten (als Arbeitsgemeinschaft), Müller Sigrist Architekten, Architekturbüro Miroslav Šik und pool Architekten gemeinsam daran,  räumliche Antworten für eine Durchmischung auf den zwei Massstabsebenen Stadtquartier respektive Wohnungsgrundrisse zu suchen. Die Wohnmodelle sollten die Vielfältigkeit und demografische Entwicklung der modernen Gesellschaft berücksichtigen.

Auch dieser ­Planungsprozess war zuvor selten gesehen: In einem intensiven halbjährigen Dialog handelten die Architekten zusammen mit den Verantwortlichen der Baugenossenschaft eine Lösung aus, die Hauskonzepte zu einem Ganzen zu verbinden. Diskussionspunkte waren unter anderem ein Regelwerk für die teils sehr unterschiedlichen Häuser1, die Gestaltung der Erdgeschosse sowie die Nutzungsvarianten für den Aussenraum, basierend auf der Studie von Müller Illien Landschaftsarchitekten. Am Verhandlungsprozess war auch das Amt für Städtebau eingebunden. Abschliessend fand eine Besprechung mit der Wettbewerbsjury statt.  

Die Abstimmung unter den Architekten scheint aber nicht immer gelungen. Der Wille zur formalen Gestaltung einzelner Fassaden wurde etwas stark ausgereizt. Nicht abschliessend beurteilen lässt sich die Nutzung des Aussenraums. Dieser ist noch im Bau und durch temporäre Parkplätze belegt.

Individuell und gemeinschaftlich

Das dichte Stück Stadt sollte jedoch auch im Innern der Gebäude funktionieren. Unter anderem waren Wohnungen für ein gemeinschaftliches Miteinander zu entwerfen respektive mit individueller Rückzugsmöglichkeit auszustatten. Exemplarisch stehen dafür die Satellitenwohnungen: Mehrere autonome Kleinstwohnungen gruppieren sich um gemeinsam nutzbare Flächen (Küche, Nasszelle, Aufenthaltsraum). Der Wohnungsspiegel ist breit gemischt vom Einzelstudio bis zur WG mit zwölf Zimmern; die Angebotsvielfalt enthält weitere Spezialitäten wie Duplexwohnungen oder überhohe Räume.

Trotz der grossen Dichte überraschen die insgesamt 370 Wohneinheiten immer wieder mit Aus- und Durchblicken ins Freie. Problematisch wird es, wenn die teils sehr tiefen Abmessungen der Baukörper und die gewählten Grundrissdispositionen dunkle Wohnräume entstehen lassen, wobei dies sehr stark von der gewählten Wohnungstypologie abhängt. Angesichts der moderaten Mieten verfügen die Wohnungen über einen guten Ausbaustandard, und generell ist die räumliche Qualität der Grundrisse sehr hoch. Die in den Wohnungen gewählten Materialien und Ausbauten sind in der Regel für alle Häuser gleich.

Eine zusätzliche Entdeckung sind die Treppenhäuser: In mehreren Bauten erschliessen grosszügige mehrgeschossige Räume die Wohnungen und bilden im Innern ein öffentliches Wegnetz. Sind die einen eher reduziert karg und entwickeln daraus ihre Anziehungskraft, erinnern andere an klassische Stadthäuser mit innerem Wandelgang.

Anmerkung

  1. Häuser im Dialog. Ein Quartier entsteht. Projekt Hunziker-Areal, Baugenossenschaft «mehr als wohnen»; Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich 2010.

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